Bundesgerichtshof Urteil, 30. Sept. 2003 - X ZR 114/00

bei uns veröffentlicht am30.09.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 114/00 Verkündet am:
30. September 2003
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Blasenfreie Gummibahn II
Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben kann sich eine Verpflichtung der
beweisbelasteten Partei ergeben, dem Gegner gewisse Informationen zur Erleichterung
seiner Beweisführung zu bieten, wozu namentlich die Spezifizierung
von Tatsachen gehören kann, wenn und soweit diese der mit der Beweisführung
belasteten Partei nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Erschwerungen
zugänglich sind, während ihre Offenlegung für den Gegner sowohl ohne
weiteres möglich als auch zumutbar erscheint. Dieser Grundsatz findet auch im
Patentverletzungsprozeß Anwendung.
BGH, Urt. v. 30. September 2003 - X ZR 114/00 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 30. September 2003 durch den Richter Prof. Dr. Jestaedt als
Vorsitzenden, die Richter Scharen und Keukenschrijver, die Richterin Mühlens
und den Richter Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 11. Mai 2000 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin ist Inhaberin einer ausschließlichen Lizenz an dem am 13. September 1990 angemeldeten, u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 433 563 (Klagepatent). Das Klagepatent betrifft ein "Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien, kalandrierten Gummibahn". Es umfaßt drei Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautete in der erteilten Fassung:
"Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien, kalandrierten Gummibahn, in dem man der noch ungehärteten Gummimasse, vor der Vulkanisation, eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung beimischt, wobei man eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm ± 0,1 mm wählt bei einer Dosierung von 1-4 Gew. %, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht, und wobei man anschließend das Gemisch ausvulkanisiert."
Die Beklagte hat das Klagepatent mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen. In diesem Verfahren hat der erkennende Senat durch Urteil vom 24. September 2003 das Klagepatent dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß sein Patentanspruch 1 die folgende Fassung erhalten hat, auf die sich die Patentansprüche 2 und 3 zurückbeziehen:
"1. Verfahren zur Herstellung einer Gummibahn mit folgenden Verfahrensschritten:
- der noch ungehärteten Gummimasse wird vor der Vulkanisation eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung beigemischt, die eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm ± 0,1 mm in einer Menge von 1-4 Gew. %, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht aufweist,
- das so erhaltene Gemisch wird kalandriert
- und anschließend ausvulkanisiert,
- so daß die so hergestellte Gummibahn blasenfrei ist."
Die Beklagten bringen unter der Bezeichnung "M. -P. " Bodenbeläge in verschiedenen Ausführungsvarianten in den Verkehr, u.a. unter der Bezeichnung "M. -Pu. ". Die Klägerin behauptet, daß dieser Bodenbelag nach dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellt worden sei. Bei dem Bodenbelag der Beklagten sei eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm ± 0,1 mm gewählt worden und eine Dosierung von 1-4 Gew. % bezogen auf das Gesamtmischungsverhältnis. Sie trägt außerdem vor, ihre Analysen des angegriffenen Bodenbelages hätten ergeben, daß (nur) mindestens 65 Gew. % des Einstreukorns eine Partikelgröße von 0,6 mm bis 0,8 mm habe und höchstens 35 Gew. % außerhalb dieses Bereichs liege, wobei die Größe dieser Partikel im Bereich bis zu 1,8 mm und unterhalb von 0,6 mm betrage, und die mindestens 65 Gew. % von Partikeln mit einer Größe von 0,7 mm ± 0,1 mm einen Mengenanteil von mindestens 1,2 Gew. % und höchstens 2 Gew. % bezogen auf das Gesamtgewicht und die beigemischten Partikel insgesamt nicht über 4 Gew. % bezogen auf das Gesamtgewicht ausmachten.
Die Beklagten haben demgegenüber geltend gemacht, daß die von ihnen als Ausgangsstoff eingesetzte "noch ungehärtete" Gummimasse aufgrund ihrer Mischung und ihres Herstellungsvorganges nicht zur Blasenbildung neige. Dem hier in Rede stehenden Produkt "M. -Pu. " würden vulkanisierte, zerkleinerte Kautschukpartikel lediglich aus optischen Gründen zur Erzeugung eines bestimmten Erscheinungsbildes des fertigen Belages beigefügt.
Das Landgericht hat die Klage, mit der die Klägerin von den Beklagten Unterlassung und Rechnungslegung sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten verlangt, abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie weiterhin ihr Klageziel verfolgt. Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I. Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien kalandrierten Gummibahn. Das Klagepatent bezeichnet es als üblich, zur Herstellung von Elastomer-Bahnenwerkstoffen und von bahnenförmigen Dichtungsmaterialien im Kalandrierverfahren einen Rohling entsprechender Dicke herzustellen und diesen sodann einem kontinuierlichen Vulkanisationsprozeß zu unterziehen. Dabei entstehe jedoch kein blasenfreier Rohling, weil sich im Kalandrierverfahren vorgebildete Blasen in der Rohlingsbahn im Fertigerzeugnis nachteilig bemerkbar machten; insbesondere träten Ausschuß und Fehlerstellen auf, die bei Flachdichtungen die Funktionsfähigkeit gefährdeten. Durch das Klagepatent soll demgegenüber ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden , mit dem ohne sonstige Qualitätsverluste blasenfreie kalandrierte Gummibahnen hergestellt werden können (Beschreibung S. 2 Z. 24-27).

Der im Nichtigkeitsverfahren neugefaßte Patentanspruch 1 läßt sich wie folgt gliedern:
(1) Der noch ungehärtete Gummimasse wird beigemischt
(1.1) eine Fraktion vulkanisierten Materials
(1.2) in räumlich gleichmäßiger Verteilung
(1.3) in einer Dosierung von 1-4 Gew.% , bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht.
(2) Das beigemischte vulkanisierte Material
(2.1) ist zerkleinert,
(2.1.1) weist eine Partikelgröße von 0,7 mm ± 0,1 mm auf und
(2.2) hat eine unregelmäßige Grundstruktur.
(3) Das so erhaltene Gemisch
(3.1) wird kalandriert
(3.2) und anschließend ausvulkanisiert,
(3.3) so daß die hergestellte Gummibahn blasenfrei ist.

II. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung des Klagepatents auf das Beispiel 1 und den in Patentanspruch 1 gegebenen Hinweis abgestellt, daß die hergestellte Gummibahn blasenfrei sein solle; in Verbindung mit den Ausführungen in der Klagepatentschrift S. 2 Z. 12-16, wonach die Anzahl und Größe der störenden Blasen verknüpft sei mit Art und Mischungszusammensetzung sowie Viskosität der herzustellenden Bahnen, wobei dem Hersteller durch entsprechende Anforderungen Grenzen gesetzt seien, die technischer, optischer oder auch wirtschaftlicher Natur sein könnten, führe dies den Fachmann zu dem Verständnis, daß es sich bei der in Merkmal 1 genannten noch ungehärteten Gummimasse als Ausgangsmaterial des erfindungsgemäßen Verfahrens zwingend um eine solche Gummimasse handeln müsse, die aufgrund ihrer Art und Mischungszusammensetzung an sich, d.h. ohne weitere Maßnahmen zur Blasenbildung neige.
Die Fassung des Patentanspruchs 1 des Klagepatents durch den erkennenden Senat unterscheidet sich von derjenigen des erteilten Patents dadurch, daß sie weitere Angaben zu Merkmalen der anspruchsgemäßen Problemlösung macht. Sie enthält den weiteren Verfahrensschritt des Kalandrierens des Gemischs vor dem Ausvulkanisieren sowie eine Festlegung dahin, daß das Verfahrenserzeugnis , die Gummibahn, infolge der Durchführung des Verfahrens blasenfrei ist. Mit der Formulierung "so daß" im Zusammenhang mit der Beschreibung des durch das patentgemäße Verfahren zu erhaltenden Erzeugnisses wird danach zum Ausdruck gebracht, daß das Erzeugnis maßgeblich zumindest auch auf diesen Maßnahmen beruhen muß, d.h. daß die weiteren Maßnahmen jedenfalls im Sinne nicht hinweg zu denkender Bedingungen für die Blasenfreiheit mitursächlich sein müssen.
Diese neue Fassung ist für die Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich. Sowohl für die Prüfung der Patentfähigkeit als auch als Grundlage für die Schutzbereichsbestimmung ist der Patentanspruch so zu deuten, wie ihn der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht (Sen.Urt. v. 7.11.2000 - X ZR 145/98, GRUR 2001, 232, 233 - Brieflocher m.w.N.). Maßgeblich ist danach, welchen Begriffsinhalt das Patent bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln einem vorgeschlagenen Merkmal zuweist (Sen.Urt. v. 4.11.1997 - X ZR 18/95 - Sämaschine ; Bausch, Nichtigkeitssprechung in Patentsachen I S. 424, 428).
Nach diesen Grundsätzen ist die Auslegung von Patentanspruch 1, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, im Ergebnis, gemessen an der Fassung, die der Patentanspruch 1 im Urteil des Senats vom 24. September 2003 gefunden hat, jedenfalls insoweit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, als Patentanspruch 1 voraussetzt, daß das Verfahrenserzeugnis , die Gummibahn, zumindest auch infolge der Durchführung des vorgeschlagenen Verfahrens blasenfrei ist und daß die in Patentanspruch 1 vorgesehenen Maßnahmen zumindest (mit)ursächlich für das Ergebnis, die blasenfreie, kalandrierte Gummibahn sein müssen. Daraus folgt umgekehrt, daß Verfahrenserzeugnisse , die ohne Anwendung dieser Maßnahmen blasenfrei sind, nicht in den Gegenstand von Patentanspruch 1 des Klagepatents fallen.
III. Das Berufungsgericht hat ferner angenommen, dem Vorbringen der Klägerin sei nicht zu entnehmen, daß der von den Beklagten unter der Bezeichnung "M. -Pu. " vertriebene Bodenbelag nach dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellt worden sei. Es fehle an einer substantiierten Darlegung der Klägerin, daß der angegriffene Bodenbelag als Ausgangsmateri-
al eine noch ungehärtete Gummimasse im Sinne der Erfindung beinhalte, die nach ihrer Art und Zusammensetzung beim anschließenden Kalandrieren und Vulkanisieren zur Blasenbildung neige. Die Klägerin habe dies zwar pauschal unter Sachverständigenbeweis behauptet, es fehle jedoch jeglicher konkrete Sachvortrag der Klägerin dazu, wie denn die bei dem angegriffenen Bodenbelag als Ausgangsmaterial eingesetzte ungehärtete Gummimasse im einzelnen zusammengesetzt und wie sie hergestellt worden sei. Der Umstand, daß bei der Herstellung des angegriffenen Produkts der ungehärteten Gummimasse noch eine Fraktion vulkanisierten zerkleinerten Materials beigemischt worden sei, zwinge nicht zu der Annahme, daß dies nur deshalb erfolgt sein könne, um "Blasenfreiheit" zu erreichen. Dieses Ergebnis könne auch auf andere Weise erreicht werden und es gebe auch andere sinnvolle Gründe der Beimischung einer solchen Fraktion, beispielsweise könne eine solche Beimischung erfolgen, weil aus optischen Gründen ein bestimmtes Erscheinungsbild erzeugt werden solle.
Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt hat.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Bodenbelag der Beklagten, der unstreitig aus kalandriertem Synthesekautschuk besteht und bei dem vor dem Kalandrieren der ungehärteten Gummimasse vulkanisiertes, zerkleinertes Material in gleichmäßiger Verteilung beigemischt worden ist und der nach dem Kalandrieren ausvulkanisiert worden ist, sei in einem Verfahren hergestellt worden , bei dem von allen Merkmalen des Klagepatents Gebrauch gemacht worden sei. Damit ist der Tatbestand einer Patentverletzung schlüssig dargelegt worden. Wenn die Beklagten demgegenüber geltend machen wollten, zwar werde das Verfahrenserzeugnis "blasenfreie Gummibahn" erreicht, es würden
auch die in Patentanspruch 1 vorgesehenen Maßnahmen durchgeführt, diese seien aber für die Blasenfreiheit, die aufgrund anderer Gegebenheiten erzielt werde, nicht (mit)ursächlich, sondern dienten anderen Zwecken, so war es ihre Sache, hierzu näher vorzutragen.
Zwar hat im Verletzungsprozeß - außerhalb des Anwendungsbereichs des § 139 Abs. 3 PatG, dessen Voraussetzungen hier nicht festgestellt sind - der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen. Die Klägerin hatte jedoch unter Beweisantritt ausdrücklich vorgetragen , daß das von den Beklagten verwendete Ausgangsmaterial eine ungehärtete Gummimasse im Sinne des Anspruchs 1 des Klagepatents darstellt, d.h. daß dieses zur Blasenbildung neige. Weiterer Vortrag dazu war jedenfalls nach den auch im Prozeßrecht zu beachtenden Grundsätzen von Treu und Glauben von der Klägerin als der grundsätzlich beweisbelasteten Partei nicht zu verlangen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß sich unter bestimmten Voraussetzungen bei Beachtung dieser Grundsätze eine Verpflichtung der nicht beweisbelasteten Partei ergeben kann, dem Gegner gewisse Informationen zur Erleichterung seiner Beweisführung zu bieten, wozu namentlich die Spezifierung von Tatsachen gehören kann, wenn und soweit diese der mit der Beweisführung belasteten Partei nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Erschwerungen zugänglich sind, während ihre Offenlegung für den Gegner sowohl ohne weiteres möglich als auch zumutbar erscheint (vgl. Urt. v. 27.1.1994 - I ZR 326/91, GRUR 1995, 693, 697 - Indizienkette m.w.N. auf die st. Rspr.). Diese Grundsätze finden auch im Patentverletzungsverfahren Anwendung.
Jedenfalls danach ist es der Klägerin nicht zuzumuten, den Vortrag der Beklagten, das von ihnen eingesetzte Ausgangsmaterial entspreche schon
nicht demjenigen des Klagepatents, zu widerlegen. Den Beklagten als Herstel- lern des Produkts war es ohne weiteres möglich anzugeben, wodurch sich von ihnen eingesetztes Ausgangsmaterial von demjenigen des Klagepatents unterscheide. Die Klägerin konnte Angaben dazu nur aufgrund aufwendiger Materialanalysen machen. Das Berufungsgericht durfte danach den Vortrag der Klägerin , daß das von den Beklagten verwendete Ausgangsmaterial eine ungehärtete Gummimasse im Sinne des Merkmals 2 des Anspruchs 1 des Klagepatents darstelle, nicht als unsubstantiiert zurückweisen und die Benutzung dieses Merkmals nicht von vornherein verneinen.
Das Berufungsgericht wird dies nunmehr zu prüfen und weiter Feststellungen dazu zu treffen haben, ob eine Benutzung der übrigen Merkmale des neuen Patentanspruchs 1 des Klagepatents zu bejahen ist.
Jestaedt Scharen Keukenschrijver
Mühlens Asendorf

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Patentgesetz - PatG | § 139


(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch

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Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Nov. 2000 - X ZR 145/98

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Berichtigt durch Beschluß vom 9. Januar 2001 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 145/98 Verkündet am: 7. November 2000 Fritz Justizangestell
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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2005 - X ZR 81/01

bei uns veröffentlicht am 22.11.2005

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 81/01 Verkündet am: 22. November 2005 Groß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja.

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2004 - X ZR 108/02

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Bundesgerichtshof Urteil, 16. Mai 2006 - X ZR 169/04

bei uns veröffentlicht am 16.05.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 169/04 Verkündet am: 16. Mai 2006 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja Kunststoffbügel

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Aug. 2006 - X ZR 114/03

bei uns veröffentlicht am 01.08.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 114/03 Verkündet am: 1. August 2006 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja Restschad

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(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Berichtigt durch Beschluß
vom 9. Januar 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 145/98 Verkündet am:
7. November 2000
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brieflocher
EPÜ Art. 52 Abs. 1, 54 Abs. 1, 56, 69 Abs. 1
Sowohl für die Prüfung der Patentfähigkeit als auch für die Bestimmung des Schutzbereichs
sind Begriffe in den Patentansprüchen so zu deuten, wie sie der angesprochene
Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung
der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht .
BGH, Urteil vom 7. November 2000 - X ZR 145/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom
7. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Melullis,
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlußberufung der Klägerin werden das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats II) des Bundespatentgerichts vom 4. März 1998 (2 Ni 16/97 (EU)) teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt. Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des am 6. Juli 1990 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 14. August 1989 angemeldeten europäischen Patents 487 542 (Streitpatents). Das Streitpatent, das einen Brieflocher betrifft, umfaßt zehn Patentansprüche, von denen die Ansprüche 3 und 6 wie folgt lauten:
"3. Brieflocher mit einem Unterteil (10), einem an seitlichen Lagerbökken (14) des Unterteils schwenkbar gelagerten, auf am Unterteil ver-
schiebbar geführten Lochstempel gegen die Rückstellkraft einer Feder einwirkenden Druckhebel (18), wobei der Druckhebel seitlich nach unten gebogene, die Lagerböcke außenseitig überlappende Lagerlappen (28) und eine stirnseitig am Druckhebel im Bereich zwischen den Lagerlappen nach unten gebogene, unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Feder gegen Anschlagkanten an den Lagerböcken anschlagende Schürze (30) aufweist, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß an den Lagerböcken (14) stirnseitig nach oben weisende, die Schürze (30) untergreifende Ausleger (50) angeordnet sind, deren Oberkante (32) rückseitig überstehende Anschläge (54) für die Oberkanten (52) der Ausleger (50) aufweist.
...
6. Brieflocher nach einem der Ansprüche 3 bis 5, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß im Bereich zwischen der Schürzenunterkante (32) und den Anschlägen (54) ein zwischen zwei Endstellungen quer verschiebbarer, in der einen Endstellung in den Schwenkweg einer der Auslegeroberkanten (52) eingreifender, als Niederhalter für den Druckhebel (18) ausgebildeter Anschlagschieber (56) angeordnet ist."
Wegen des Wortlauts der weiteren Ansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat mit den vom Bundespatentgericht zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Nichtigkeitsklagen zum einen die Patentansprüche 3 bis 5, zum anderen die Patentansprüche 6 bis 9 angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei in dem angegriffenen Umfang nicht patentfähig. Ein Locher nach Anspruch 3 sei nicht neu, weil er durch einen von ihr selbst durch Lieferung an die ...-Fabrik offenkundig vorbenutzten Locher (...Locher ) vorweggenommen werde, und ergebe sich jedenfalls in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, nämlich der US-Patentschrift 2 244 660. Anspruch 6 des Streitpatents stelle einen Nebenanspruch zu Anspruch 3 dar, da er keine zweckmäßige Ausgestaltung des Lochers nach Anspruch 3 enthalte; seine - von der Klägerin allein für relevant gehaltenen - kennzeichnenden Merkmale seien durch einen von dem englischen Unternehmen V. Ltd. offenkundig vorbenutzten Locher (V.-Locher) bekannt gewesen.
Die Beklagte ist der Nichtigkeitsklage entgegengetreten.
Das Bundespatentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage das Streitpatent im Umfang seiner Patentansprüche 3 bis 5 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Nichtigkeitsklage insgesamt abzuweisen.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit der Maßgabe, daß der erste Halbsatz des kennzeichnenden Teil des Anspruchs 3 lautet:
"daß an den Lagerböcken (14) stirnseitig nach oben weisende, die Schürze (30) über den gesamten Schwenkbereich des Druckhebels un- tergreifende Ausleger (50) angeordnet sind,"
weiter hilfsweise mit der Maßgabe, daß zusätzlich zu dieser Einfügung am Ende des Kennzeichens angefügt wird:
"wobei beim Betätigen des Druckhebels zwischen Schürze (30) und Ausleger (50) ein über den Schwenkweg konstanter Spalt mit einer Weite von weniger als 4 mm auftritt" (Abweichungen vom geltenden An- spruch kursiv).
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und verfolgt mit der Anschlußberufung ihren erstinstanzlichen Antrag weiter,
das Streitpatent auch im Umfang der Patentansprüche 6 bis 9 für nichtig zu erklären.
Als vom Senat bestellter Sachverständiger hat Professor Dr.-Ing. J. H. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Gutachten des Professors Dr. B. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg, während die Anschlußberufung unbegründet ist. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, daß dem Gegenstand der Patentansprüche 3 bis 9 die Patentfähigkeit fehlt.
I. Das Streitpatent betrifft einen Brieflocher mit einem Unterteil und einem Druckhebel, der an seitlichen Lagerböcken des Unterteils schwenkbar gelagert ist und gegen die Rückstellkraft einer Feder auf am Unterteil verschiebbar geführte Lochstempel einwirkt. Der Druckhebel weist dabei seitlich nach unten gebogene, die Lagerböcke außenseitig überlappende Lagerlappen und an seiner Stirnseite zwischen den Lagerlappen eine nach unten gebogene Schürze auf, die unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Feder gegen Anschlagkanten an den Lagerböcken anschlägt. Ein solcher Locher ist - wie die Streitpatentschrift ausführt, ohne hierzu eine bestimmte Druckschrift anzugeben - vor dem Prioritätstag bekannt gewesen.
Die Streitpatentschrift bemängelt eine bei dem bekannten Locher bestehende Verletzungsgefahr. Wenn beim Niederdrücken des Druckhebels die Schürze von
ihrer Anschlagkante abgehoben werde, bilde sich ein von außen zugänglicher Spalt, in den ein Finger oder Handteil eindringen und beim Zurückfedern des Druckhebels eingeklemmt werden könne. Die aus der großen Rückstellkraft resultierende erhebliche Verletzungsgefahr werde dabei noch dadurch verstärkt, daß die gegeneinander anschlagenden Locherteile oft recht scharfkantig ausgebildet seien.
Diesen Nachteil soll nach dem - dem nicht in Streit stehenden Anspruch 1 nebengeordneten - Patentanspruch 3 ein Locher mit folgenden Merkmalen vermeiden:
1. Der Brieflocher besteht aus einem Unterteil und einem Druckhebel.
2. Der Druckhebel
2.1 ist an seitlichen Lagerböcken des Unterteils schwenkbar gelagert und
2.2 wirkt gegen die Rückstellkraft einer Feder auf am Unterteil verschiebbar geführte Lochstempel ein.
3. Der Druckhebel weist auf
3.1 seitlich nach unten gebogene, die Lagerböcke außenseitig überlappende Lagerlappen und
3.2 eine Schürze, die
3.2.1 an der Stirnseite des Druckhebels zwischen den Lagerlappen nach unten gebogen ist,
3.2.2 unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Feder gegen Anschlagkanten an den Lagerböcken anschlägt und
3.2.3 hierzu im Abstand von ihrer Unterkante rückseitig überstehende Anschläge aufweist.
4. An den Lagerböcken sind Ausleger angeordnet, die
4.1 stirnseitig nach oben weisen,
4.2 die Schürze untergreifen und
4.3 mit ihren Oberkanten die Anschlagkanten bilden.
Patentanspruch 3 des Streitpatents enthält keine ausdrückliche Definition des Abstandes der Anschläge von der Unterkante der Schürze (Merkmal 3.2.3) und sagt auch nicht ausdrücklich, daß die an den Lagerböcken stirnseitig nach oben weisenden Ausleger (Merkmal 4) die Schürze, wie die Beklagte in ihrem ersten Hilfsantrag formuliert, über den gesamten Schwenkbereich des Druckhebels untergreifen. Begriffe in den Patentansprüchen sind jedoch - unabhängig davon, ob der Inhalt des Patentanspruchs für die Prüfung seiner Patentfähigkeit oder als Grundlage für die Schutzbereichsbestimmung festgestellt wird - so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung
der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht (Sen., BGHZ 98, 12, 19 - Formstein; 105, 1, 10 - Ionenanalyse; Urt. v. 26.9.1996 - X ZR 72/94, GRUR 1997, 116, 117 f. - Prospekthalter; Urt. v. 29.4.1997 - X ZR 101/93, GRUR 1998, 133, 134 - Kunststoffaufbereitung; Urt. v. 2.3.1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube). Maßgeblich ist, welchen Begriffsinhalt das Patent bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln einem vorgeschlagenen Merkmal zuweist (Sen.Urt. v. 4.11.1997 - X ZR 18/95 - Sämaschine, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Bd. I, S. 424, 428). Das Verständnis des Fachmanns wird sich dabei entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck dieses Merkmals orientieren (Sen.Urt. v. 2.3.1999, aaO - Spannschraube; Benkard, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz , 9. Aufl., § 14 PatG Rdn. 72). Der Sachverständige hat hierzu überzeugend ausgeführt, daß der Fachmann den Anspruch dahin versteht, daß der Abstand ausreichend groß sein muß, um bei der Betätigung des Druckhebels die Entstehung eines Spalts zu verhindern, in den Handteile eindringen können. Denn das Untergreifen der Schürze und die Verlagerung der Anschlagkanten auf die Oberkanten der Ausleger, die wiederum mit den im Abstand von der Schürzenunterkante angeordneten Anschlägen zusammenwirken, sollen gerade bewirken, daß der am Stand der Technik bemängelte, beim Abheben der Schürze von den Anschlagkanten entstehende , von außen zugängliche Spalt vermieden wird. Das setzt voraus, daß die Schürze nicht nur in einer bestimmten Position, sondern stets von den Auslegern untergriffen wird und daß der Abstand der Anschläge von der Schürzenunterkante so gewählt wird, daß dies möglich ist.
II. Die Voraussetzungen einer Nichtigerklärung des Patentanspruchs 3 des Streitpatents gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 52 ff. EPÜ können nicht festgestellt werden.

1. Die technische Lehre ist neu, weil keine der Entgegenhaltungen sämtliche erfindungsgemäßen Merkmale aufweist (Art. 52 Abs. 1, 54 EPÜ).

a) Der nach ihrem Vortrag von der Klägerin offenkundig vorbenutzte ...-Locher läßt die den Oberbegriff des Patentanspruchs 3 bildenden, vom Streitpatent als bekannt vorausgesetzten Merkmale 1 bis 3.2.2 erkennen. An der Schürze sind ferner rückseitig überstehende Anschläge vorhanden, die mit einer stirnseitig nach oben weisenden Metallplatte zusammenwirken, die mit den Lagerböcken verbunden ist und deren Oberkante die Anschlagkante bildet. Die Anschläge sind insofern in einem geringfügigen Abstand von der Schürzenunterkante angeordnet, als auf den metallenen Druckhebel, bis zu dessen Unterkante sie reichen, eine Kunststoffschale aufgesetzt ist, die den Metallhebel etwas nach unten überragt. Infolge der nur um dieses geringe Maß gegenüber der Schürzenunterkante zurückversetzten Anschläge bildet sich bei Betätigung des Druckhebels ein größer werdender Spalt, in dem bei Zurückfedern des Hebels ein Finger eingeklemmt werden kann. Die Schürze wird somit nicht i.S.d. Merkmals 4.2 untergriffen, weil es an einem hierfür ausreichenden Abstand der Anschläge von der Schürzenunterkante i.S.d. vorstehend erläuterten Merkmals 3.2.3 ebenfalls fehlt.

b) Der Brieflocher nach der US-Patentschrift 2 244 660 weist in Übereinstimmung mit dem Gegenstand des Streitpatents ein Unterteil in Gestalt einer Stanzplatte (punch plate 12) und einen Druckhebel (hand lever 60) auf. Der Druckhebel ist an mit dem Unterteil fest verbundenen, den Lagerböcken vergleichbaren Haltern (punch holders 18) um Gelenkstellen (pivotal points 48) schwenkbar gelagert und wirkt auf verschiebbar geführte als Stanzelemente (punch members 10) bezeichnete Lochstempel gegen die Rückstellkraft einer Feder (30) ein. Es ist ferner ein hauben-
artiger Schild (shield 64) vorhanden, der seitlich nach unten gebogene Lagerlappen und eine stirnseitige Schürze umfaßt, die von an den Haltern nach oben weisenden Auslegern (40) untergriffen wird.
An den Haltern sind jedoch keine Anschlagkanten vorgesehen, gegen die die Schürze unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Federn anschlagen könnte. Der Federweg wird nach oben vielmehr durch einen an den Lochstempeln befindlichen Bund (shouldered portion 34) begrenzt, der gegen die Unterseite eines Führungsarms (guide arm 20) der Halter anschlägt. Bei Betätigung des Druckhebels entstehen Spalte zwischen Druckhebel (Schürze) und Stanzplatte und zwischen Schürze und Auslegern.

c) Die im Prüfungsverfahren berücksichtigten Entgegenhaltungen liegen von der Lehre des Patentanspruchs 3 noch weiter ab und offenbaren nichts, was zusätzlich in Richtung der Erfindung nach dem Streitpatent wiese; auch die Klägerin macht insoweit nichts geltend. Diese Schriften bedürfen daher keiner weiteren Erörterung.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat auch nicht die Überzeugung gewonnen, daß sich der Gegenstand des Patentanspruchs 3 des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab und somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ).
Als Durchschnittsfachmann ist nach den überzeugenden und mit dem angefochtenen Urteil übereinstimmenden Ausführungen des Sachverständigen ein erfahrener Konstrukteur für Bürogeräte anzusehen, der entweder Maschinenbautechniker
oder – was das Bundespatentgericht nicht in Betracht gezogen hat – auch Konstruktionsingenieur mit Fachhochschulausbildung sein kann.
Befaßt sich der Fachmann – sei es, weil er mögliche Gefahrenquellen beseitigen will, sei es, weil die Ursache aufgetretener Verletzungen behoben werden soll – näher mit dem ...-Locher, erkennt er, wie das Bundespatentgericht zutreffend angenommen hat, daß beim Niederdrücken des Druckhebels zwischen der Unterkante der Schürze und den Anschlagkanten ein Spalt entsteht, in dem ein Finger eingeklemmt oder gequetscht werden kann, wenn der Druckhebel zurückfedert und den Spalt wieder schließt.
Der Stand der Technik vermittelt dem Fachmann jedoch keine Anregung, die es ihm erlaubte, von dieser Erkenntnis des technischen Problems zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen. Weder die Schürze und die an ihr angebrachten Anschläge noch die Anschlagkanten am Unterteil haben bei dem ...-Locher die Funktion, einer Verletzungsgefahr durch Einklemmen von Gliedmaßen vorzubeugen. Der Fachmann muß daher, wie es der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgedrückt hat, zu der neuen Überlegung finden, die Anschläge der Schürze und die Anschlagkanten der Ausleger "in die Maßnahme 'Ausleger untergreift Schürze' während der gesamten Schwenkbewegung des Druckhebels zu integrieren". Dafür gibt es kein Vorbild, und dazu vermittelt auch die US-Patentschrift 2 244 660 keine Anregung, weil dort die Anschlagbegrenzung ganz anders gelöst ist und überdies die Schürze auch keinen zuverlässigen Klemmschutz bietet.
Das Bundespatentgericht hat demgemäß nur das allgemeine Fachwissen und -können des Fachmanns herangezogen, um zu begründen, warum sich für ihn, ausgehend von einem Locher mit den Merkmalen 1 bis 3.2.2, die Gesamtkombination
des Streitpatents in naheliegender Weise ergebe. Es hat gemeint, im Rahmen rein handwerklicher Tätigkeit ergreife er Maßnahmen, um den bei Betätigung des Druckhebels entstehenden Spalt auch im gedrückten Zustand zu vermeiden. Im Rahmen konstruktiver Weiterentwicklung ordne er an den Lagerböcken Elemente an, die den Spalt in jedem Zustand des Lochers verschließen, beispielsweise in Form von Auslegern (Merkmal 3.6), die die Schürze untergreifen (Merkmal 3.6.1). Durch diese Ä nderung werde die Bildung einer Anschlagkante zwischen Schürze und Auslegern, die ja einen Spalt voraussetze, verhindert, so daß er in Anpassung der Konstruktion an die geänderten Verhältnisse die Anschlagkante an einer anderen Stelle vorsehen müsse. Es biete sich dann von selbst an, die Oberkanten der Ausleger als Anschläge zu verwenden (Merkmal 3.6.2) und entsprechende Gegenanschläge an der Schürze im Abstand von ihrer Unterkante anzuordnen (Merkmal 3.7), um auf diese Weise die Anschlagkanten insgesamt weiter zum Innern des Druckhebels zu verlagern.
Das ist jedoch eine unzulässige Ex-post-Betrachtung in Kenntnis der Erfindung , wie insbesondere an der Erwägung deutlich wird, der Fachmann müsse die Anschlagkante an einer anderen Stelle vorsehen, da durch die Anordnung von die Schürze untergreifenden Auslegern die Bildung einer Anschlagkante zwischen Schürze und Auslegern, die ja einen Spalt voraussetze, verhindert werde. Denn wenn - was richtig ist - die Bildung einer Anschlagkante zwischen Schürze und Auslegern (richtiger: Lagerböcken) einen Spalt voraussetzt, kann es nicht ohne irgendeine Anregung im Stand der Technik als naheliegend angesehen werden, eben diesen Spalt durch die Schürze untergreifende Ausleger zu verschließen. Bei den schrittweisen Überlegungen, die das Bundespatentgericht dem Fachmann zutraut, hat es nicht berücksichtigt, daß das, was die Notwendigkeit des zweiten Schrittes
(Verlagerung von Anschlägen und Anschlagkanten) begründet, den Fachmann schon davon abhalten kann, den ersten zu gehen.
Ergänzend hat der Sachverständige darauf hingewiesen, daß die Lehre nach Anspruch 3 des Streitpatents einerseits einen wichtigen Sicherheitsaspekt für eine Massenware betrifft, dem sie zuverlässig genügt, andererseits bei der Fertigung der Bauelemente des Brieflochers mit relativ geringen Kosten verbunden ist. In Anbetracht dessen bildet der Umstand, daß die erfindungsgemäße Lösung vor dem Prioritätstag des Streitpatents über Jahrzehnte der Entwicklung von Brieflochern der gattungsgemäßen Art nicht verwirklicht worden ist, ein zusätzliches Indiz gegen die Richtigkeit der Annahme, der Fachmann habe zu der ebenso technisch vorteilhaften wie kostengünstigen Maßnahme ohne erfinderische Tätigkeit finden können.
III. Die mit der Nichtigkeitsklage ebenfalls angegriffenen, in der Berufungsinstanz noch zur Entscheidung stehenden weiteren Patentansprüche haben weitere Ausgestaltungen der Lehre des Patentanspruchs 3 zum Gegenstand, sind auf diesen rückbezogen und werden daher durch dessen Patentfähigkeit ebenfalls getragen.
Das gilt auch für Anspruch 6 des Streitpatents. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob ein Brieflocher mit den kennzeichnenden Merkmalen dieses Anspruchs die Patentierungsvoraussetzungen erfüllt. Denn da der Anspruch formell auf die Ansprüche 3 bis 5 rückbezogen ist, umfaßt er neben seinen kennzeichnenden Merkmalen sämtliche Merkmale des Anspruchs 3 des Streitpatents. Da er damit als Unteranspruch dessen Lehre umfaßt, stellt sich Anspruch 6 notwendigerweise als weitere Ausgestaltung der Lehre des Patentanspruchs 3 dar, die schon deswegen neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht,
weil dies für Anspruch 3 gilt. Inwieweit es technisch für die Funktion und die Brauchbarkeit des in Anspruch 6 beschriebenen, als Niederhalter für den Druckhebel ausgebildeten Anschlagschiebers darauf ankommt, ob der mit einem solchen Anschlagschieber ausgestattete Brieflocher sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 3 erfüllt , ist unerheblich; es genügt, daß nur diese Kombination geschützt ist.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84 Abs. 2, 110 Abs. 3 Satz 2 PatG in der nach Art. 29 2. PatGÄ ndG weiter anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Rogge Melullis Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck BESCHLUSS X ZR 145/98 vom 9. Januar 2001 in der Patentnichtigkeitssache

Bundespatentgericht Entsch. v. 04.03.98 - 2 Ni 16/97 (EU) X ZR 145/98
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck
beschlossen:
Das Urteil des Senats vom 7. November 2000 wird, da der Tatbestand insoweit eine offenbare Unrichtigkeit in Gestalt einer Auslassung enthält, dahin berichtigt, daß in dem auf Seite 3 des Urteils wiedergegebenen Patentanspruch 3 in der vorletzten Zeile das Wort "Oberkante (32)" ersetzt wird durch
"Oberkanten (52) die Anschlagkanten bilden, und daß die Schürze (30) im Abstand von ihrer Unterkante (32)".
Rogge Jestaedt Scharen
Mühlens Meier-Beck

(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.

(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung eingeholt hätte.

(3) Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses, so gilt bis zum Beweis des Gegenteils das gleiche Erzeugnis, das von einem anderen hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt. Bei der Erhebung des Beweises des Gegenteils sind die berechtigten Interessen des Beklagten an der Wahrung seiner Herstellungs- und Betriebsgeheimnisse zu berücksichtigen.