Bundesgerichtshof Urteil, 26. Mai 2000 - V ZR 49/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
In diesem Umfang wird - unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Oberlandesgerichts Naumburg vom 21. Juli 1998 - die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 6. November 1997 zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisions- und des Berufungsverfahrens zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis der Beklagten entstandenen Kosten, die dieser zur Last fallen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 28. August 1992 erwarb die Klägerin von der T. ein 55.153 qm großes Grundstück, welches Teil eines noch
zu erschließenden Gewerbegebiets werden sollte. Als vorläufigen Kaufpreis vereinbarten die Vertragsparteien einen Betrag von 827.295 DM, der nach Eintragung einer Auflassungsvormerkung und Vorliegen der zur Eigentumsumschreibung erforderlichen Genehmigungen fällig war. In § 4 Abs. 3 heißt es: "Der vorläufige Kaufpreis ist ab Besitzübergang bis zur Kaufpreisfälligkeit mit 8 % p.a. zu verzinsen." § 4 Abs. 6 Satz 3 und 4 lauten: "Der Kaufpreis wird dem Käufer bis 31. August 1994 gestundet. Sollte jedoch vor Ablauf der Stundungsfrist eine weitere Veräußerung an einen Bauträger oder Investor erfolgen, so tritt die Fälligkeit vier Wochen nach dem Zeitpunkt ein, nachdem die Kaufpreiszahlung aus der Weiterveräußerung an den Käufer (Kommune) fällig ist." Wegen des Kaufpreisanspruchs und der Zinsen unterwarf sich die Klägerin der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen.
Besitzübergang war der 21. März 1993. Die nach § 4 Abs. 5 des Vertrags vereinbarten Fälligkeitsvoraussetzungen traten am 30. August 1994 ein. Für den dazwischenliegenden Zeitraum hat die Beklagte von der Klägerin Zinsen in Höhe 95.598,53 DM verlangt. Die Klägerin hat daraufhin den Kaufvertrag insoweit angefochten, als sie sich über die Rechtsfolgen der Regelung des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 6 Satz 3 im Irrtum befunden habe.
Die T. hat ihre Ansprüche aus dem Kaufvertrag an die Beklagte abgetreten. Die Beklagte ließ sich eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde erteilen und beantragte mit Schreiben vom 25. Juni 1997 bei dem zuständigen Landkreis die Zulassung der Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin.
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde, weil die Zinsklausel nichtig, wenigstens aber wegen Verstoßes gegen Vorschriften des AGBG unwirksam sei. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, soweit sie auf den Anspruch aus der Zinsklausel gestützt wird. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich bei der Zinsklausel um eine allgemeine Geschäftsbedingung, welche die Beklagte der Klägerin bei Vertragsschluß gestellt habe. Sie sei nach § 3 AGBG nicht Vertragsbestandteil geworden, weil die Klägerin nicht mit vor Fälligkeit des Kaufpreises anfallenden Zinsen hätte rechnen können. Darüber hinaus sei die Klausel auch nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam.
II.
Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Allerdings bestehen keine Bedenken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts , daß die Wirksamkeit der Zinsklausel nach den Vorschriften des AGBG zu beurteilen ist. Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß die Klausel einem von der Beklagten für viele gleichgeartete Fälle verwendeten Vertragsmuster entstammt. Vielmehr wendet sie sich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, daß die Klausel nicht individuell ausgehandelt worden sei. Damit bleibt sie jedoch erfolglos. Sie kann nämlich nicht auf einen - ihrer Partei obliegenden (vgl. BGH, Urt. v. 19. Juni 1996, VIII ZR 189/95, WM 1996, 2025, 2027 m.w.N.) - Vortrag in den Tatsacheninstanzen verweisen, wonach die Zinsregelung ernsthaft zur Disposition gestanden und die Klägerin sich ausdrücklich mit ihr einverstanden erklärt hätte. Dies wäre aber für ein Aushandeln im Sinne von § 1 Abs. 2 AGBG erforderlich gewesen (vgl. BGH, Urt. v. 27. März 1991, IV ZR 90/90, NJW 1991, 1678, 1679; Urt. v. 5. Dezember 1995, X ZR 14/93, NJW-RR 1996, 783, 787).
2. Mit Erfolg rügt die Revision dagegen die Anwendung des § 3 AGBG durch das Berufungsgericht. Es nimmt zu Unrecht an, die Zinsklausel sei so ungewöhnlich, daß die Klägerin mit ihr nicht zu rechnen brauchte.
a) Fehlerhaft ist bereits seine Ausgangsüberlegung, daß die Zinsklausel ohne inneren Zusammenhang mit der Überlassung von Nutzungen stehe. Die Klausel sieht eine Verzinsung für die Zeit zwischen dem Besitzübergang, von dem ab der Klägerin die Nutzungen des Kaufpreises zustehen, und der Fälligkeit des Kaufpreises vor. Deutlicher kann der Zusammenhang zwischen Zinspflicht und Nutzungsberechtigung nicht zum Ausdruck kommen. Außerdem ergibt sich aus der Stellung der Klausel innerhalb des Vertrags und ihrem Sinnzusammenhang mit den übrigen Bestimmungen zur Höhe des Kaufpreises, daß
nicht etwa eine von der Nutzung des Grundstücks abgekoppelte zusätzliche Gegenleistung der Klägerin vereinbart werden sollte. Darin unterscheidet sich dieser Fall von dem der Senatsentscheidung vom 24. Februar 1995 (V ZR 244/93, NJW 1995, 1827), die das Berufungsgericht für seine Auffassung heranzieht. Die dortigen Vertragsparteien hatten neben dem Kaufpreis als weitere Gegenleistung die Zahlung von Vorfälligkeitszinsen vereinbart, die in keinem Zusammenhang mit der Überlassung von Nutzungen standen. Hier begründet die Zinsklausel dagegen die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung eines Entgelts dafür, daß sie das Grundstück nutzen darf, bevor sie den Kaufpreis zahlen muß.
b) Die Vereinbarung von Nutzungszinsen ist nicht so ungewöhnlich, daß sie nach § 3 AGBG nicht Vertragsbestandteil geworden ist. Der hier maßgebliche Erwerberkreis muß nämlich damit rechnen, daß die Nutzung des Grundstücks nicht unentgeltlich gestattet wird, solange der Kaufpreis nicht bezahlt werden muß. Es entspricht allgemein bekannter Praxis im Geschäftsleben, dem Nichteigentümer die Nutzung von Wirtschaftsgütern nur gegen Entgelt zu gestatten. Nichts anderes gilt für den nichtkaufmännischen Grundstücksverkehr. Nutzt der Käufer aufgrund vertraglicher Vereinbarung das Grundstück schon vor Kaufpreisfälligkeit, erlangt er einen wirtschaftlichen Vorteil. Der lag hier darin, daß die Klägerin sofort nach Besitzübergang mit den Vorbereitungen zur Vermarktung des Grundstücks beginnen konnte. Dadurch verschiebt sich das von den Vertragsparteien vereinbarte Wertverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung einseitig zugunsten des Käufers, ohne daß es dafür einen rechtfertigenden Grund gibt. Daß die Höhe des Entgelts hier nicht in einem bestimmten Betrag, sondern in einem vom-Hundert-Satz des Kaufpreises vereinbart wurde, ändert nichts.
c) Ungewöhnlich kann eine Klausel auch dann sein, wenn sie vom dispositiven Recht erheblich abweicht (vgl. BGH, Urt. v. 21. November 1991, IX ZR 60/91, NJW 1992, 1234, 1236). Das ist hier jedoch nicht der Fall. § 452 BGB steht der Zinsregelung nicht entgegen. Die Vorschrift setzt eine andere Fallgestaltung voraus. Darauf, daß sie nach der überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung die Fälligkeit des Kaufpreises voraussetzt (MünchKomm-BGB/H.P. Westermann, 3. Aufl., § 452 Rdn. 3; Palandt/Putzo, BGB, 59. Aufl., § 452 Rdn. 3; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 452 Rdn. 10; Staudinger/Köhler, BGB [1995], § 452 Rdn. 7; Dänekamp, NJW 1994, 2271 ff; Schmenger, BWNotZ 1995, 53 ff; ebenso LG Heidelberg, NJW 1994, 1225; a.A. OLG Oldenburg, NJW-RR 1987, 722; OLG Hamm, NJW-RR 1989, 333; KG Berlin, KG-Report 1998, 140; OLG Düsseldorf, OLG-Report 1999, 169 [rechtskräftig, die dagegen gerichtete Revision hat der Senat nicht angenommen ]; Planck/Knoke, BGB, 4. Aufl., § 452 Anm. 2; Semler, NJW 1995, 1727 ff), kommt es nicht an. Einmal geht es hier - anders als bei § 452 BGB - um eine Regelung für die Dauer der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages, zum anderen um eine Nutzungsverzinsung ab Besitzübergang bis zur Kaufpreisfälligkeit. Für die Zeit ab Kaufpreisfälligkeit nach § 4 Abs. 5 des Vertrags sind keine Nutzungszinsen vorgesehen, so daß die allein diesen Zeitraum betreffende Stundungsvereinbarung die den davor liegenden Zeitraum betreffende Zinsregelung nicht als überraschend erscheinen lassen kann.
d) Auf die weiteren Rügen der Revision, die darauf abzielen, daß die Klägerin die Klausel kannte und deshalb von ihr nicht mehr überrascht werden konnte, kommt es somit nicht mehr an.
3. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht an, die Zinsklausel sei nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam. Es geht hier nicht um die Vereinbarung von Vorfälligkeitszinsen, sondern von Nutzungszinsen. Sie benachteiligt die Klägerin nicht unangemessen (BGH, Urt. v. 1. März 2000, VIII ZR 77/99, WM 2000, 925, 926 f).
4. Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen die Zinshöhe. Die Klausel führt dazu, daß die Klägerin ein monatliches Nutzungsentgelt von 5.515,30 DM zahlen soll, was einem Betrag von lediglich 0,10 DM/qm entspricht.
5. Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 6. März 1986 (VII ZR 195/84, NJW 1986, 1805) steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, weil die zu beurteilenden Sachverhalte nicht vergleichbar sind. In jenem Fall war es gerade nicht so, daß der Kaufpreis wegen der dem Erwerber vor Fälligkeit eingeräumten Befugnis zur Nutzung des Kaufgegenstands verzinst werden sollte; vielmehr begann die Zinspflicht bereits vor Vertragsabschluß und bestand unabhängig von der Besitzübergabe. Deswegen beinhaltet die dortige Zinsklausel eine versteckte Erhöhung des Kaufpreises, mit der niemand zu rechnen braucht. Davon kann hier jedoch keine Rede sein.
6. Die Zinsvereinbarung ist auch nicht wegen der von der Klägerin erklärten Anfechtung nichtig. Ein Anfechtungsgrund lag nämlich nicht vor, weil die Klägerin keinem Irrtum im Sinne des § 119 BGB unterlag.
7. Für die von der Klägerin ebenfalls geltend gemachte Sittenwidrigkeit des Vertrags gibt es keine Anhaltspunkte.
8. Schließlich besitzt die Klägerin auch keinen Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.). Eine Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten ist nicht ersichtlich.
III.
Nach allem ist die Klage in vollem Umfang unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 95, 97 Abs. 1 ZPO.
Wenzel Vogt Tropf Schneider Lemke
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Annotations
Die Vorschriften dieses Untertitels über den Kauf von Grundstücken finden auf den Kauf von eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken entsprechende Anwendung.
(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
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(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.