Bundesgerichtshof Urteil, 16. Dez. 2005 - V ZR 273/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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- Die damaligen Eigentümer eines heute den Beklagten gehörenden Grundstücks in K. /Sachsen bestellten 1967 dem jeweiligen Eigentümer des benachbarten, den Klägern gehörenden Grundstücks ein Zugangs - und Zufahrtsrecht, das in das Grundbuch eingetragen wurde. Als das belastete Grundstück 1969 im Wege des Erbgangs in das Eigentum des Volkes fiel, wurde die Dienstbarkeit gelöscht, ohne dass dem eine Aufgabe- oder eine andere Erklärung der Kläger zugrunde gelegen hätte.
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- Die Beklagten, die das Grundstück seit 1970 nutzten, führten 1992 mit der damaligen Eigentümerin, der Gemeinde W. , Verhandlungen über den Ankauf. In diesem Zusammenhang teilten sie ihr mit Schreiben vom 10. September 1992 mit, das "Wegerecht über den Hof für Familie W. " bleibe bestehen, "im Grundbuch von Familie W. " sei aber festzuhalten, dass sich die Kläger an der Instandsetzung finanziell zu beteiligen hätten. 1993 erwarben die Beklagten das Grundstück und beanstandeten die Inanspruchnahme des Zugangs- und Zufahrtsrechts durch die Kläger zunächst nicht. Seit Juli 2002 verwehren sie ihnen die Nutzung. Die Kläger legten daraufhin eine andere Zufahrt auf eigenem Grund und Boden an.
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- Das Amtsgericht hat dem Antrag der Kläger, die Beklagten im Wege der Grundbuchberichtigung zur Bewilligung der Wiedereintragung des Rechts zu verurteilen, stattgegeben. Das Landgericht hat die Klage, auch im Hilfsantrag, der auf Einräumung einer entsprechenden Dienstbarkeit gerichtet worden ist, abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren ursprünglichen Haupt- und Hilfsantrag weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
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- Das Berufungsgericht meint, die Beklagten hätten das Grundstück gutgläubig lastenfrei erworben. Zwar sei ein solcher Erwerb für Grundstücke im Beitrittsgebiet durch Art. 233 § 5 EGBGB eingeschränkt gewesen. Diese Einschränkung betreffe aber nur Mitbenutzungsrechte nach §§ 321, 322 ZGBDDR , nicht hingegen Dienstbarkeiten, die vor Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs der DDR unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs begründet worden seien. Die Voraussetzungen eines gutgläubig lastenfreien Erwerbs hätten vorgelegen. Durch die Löschung der Dienstbarkeit sei das Grundbuch unrichtig geworden. Dass dies den Beklagten bekannt gewesen sei, hätten die Kläger nicht bewiesen. Aus dem Schreiben vom 10.September 1992 lasse sich eine solche Kenntnis nicht folgern.
II.
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- 1. Im Ergebnis zutreffend hält das Berufungsgericht die Dienstbarkeit für erloschen. Das ergibt sich allerdings nicht aus einem gutgläubig lastenfreien Erwerb des dienenden Grundstücks durch die Beklagten. Vielmehr ist die Dienstbarkeit schon mit dem Übergang des Grundstücks in Volkseigentum erloschen. § 12 Abs. 2 der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken - Grundstücksverkehrsverordnung - vom 11. Januar 1963 (GBl. II Nr. 22 S. 159) in der Fassung der 2. Grundstücksverkehrsverordnung vom 16. März 1965 (GBl. II Nr. 37 S. 273) sah nämlich für den Fall, dass ein Grundstück oder Gebäude - wie hier - als erbenloser Nachlass auf den Staat überging, ein Erlöschen sämtlicher Belastungen vor. Den Gläubigern der untergegangenen Rechte stand dafür ein Entschädigungsanspruch zu (§§ 8, 9 der Anordnung zur Grundstücksverkehrsverordnung vom 27. März 1963, GBl. II Nr. 30 S. 202).
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- 2. Entgegen der Ansicht der Revision lässt sich ein Grundbuchberichtigungsanspruch auch nicht auf ein außerhalb des Grundbuchs entstandenes Mitbenutzungsrecht der Kläger stützen. Ob ein solches Mitbenutzungsrecht an einem ehemals volkseigenen Grundstück überhaupt entstehen konnte, ist zweifelhaft , weil das Grundstück in Rechtsträgerschaft des Rates der Gemeinde stand und von diesem, wenn auch nicht durch eigene Dienststellen, genutzt wurde (vgl. dazu Senat, Urt. v. 14. November 2003, V ZR 72/03, VIZ 2004, 193, 194 f.). Diese Zweifel können hier auf sich beruhen. Jedenfalls wäre ein Mitbenutzungsrecht nach § 8 Abs. 1 GBBerG mit Ablauf des Jahres 2000 kraft Gesetzes erloschen, da es nicht gebucht war und die Kläger eine Klage auf Bewilligung der Eintragung nicht erhoben und eine andere verjährungsunterbrechende Maßnahme zur Sicherung des Rechts nicht ergriffen haben.
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- 3. Bei dieser Situation kommt allerdings ein Anspruch aus § 116 SachenRBerG in Betracht, den die Kläger mit dem ersten Hilfsantrag geltend machen. Zur Entscheidung darüber fehlt es indes an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen, die das Berufungsgericht, an das die Sache zurückzuverweisen ist, nachzuholen haben wird.
Czub Roth
Vorinstanzen:
AG Hainichen, Entscheidung vom 04.11.2003 - 4 C 295/03 -
LG Chemnitz, Entscheidung vom 22.11.2004 - 6 S 4885/03 -
Annotations
(1) Ein nicht im Grundbuch eingetragenes Mitbenutzungsrecht der in Artikel 233 § 5 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bezeichneten Art oder ein sonstiges nicht im Grundbuch eingetragenes beschränktes dingliches Recht mit Ausnahme der in Artikel 233 § 4 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Nutzungsrechte, das zur Erhaltung der Wirksamkeit gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs nicht der Eintragung bedarf, erlischt mit dem Ablauf des 31. Dezember 1995, wenn nicht der Eigentümer des Grundstücks vorher das Bestehen dieses Rechts in der Form des § 29 der Grundbuchordnung anerkennt und die entsprechende Grundbuchberichtigung bewilligt oder der jeweilige Berechtigte von dem Eigentümer vorher die Abgabe dieser Erklärungen in einer zur Unterbrechung der Verjährung nach § 209 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geeigneten Weise verlangt hat. Die Frist des Satzes 1 kann durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz mit Zustimmung des Bundesrates einmal verlängert werden.
(2) Wird in dem Anerkenntnis oder der Eintragungsbewilligung gemäß Absatz 1 ein Zeitpunkt für die Entstehung dieses Rechts nicht angegeben, so gilt dieses als am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes entstanden.
(3) Diese Vorschrift gilt nicht für beschränkte dingliche Rechte, die die Errichtung und den Betrieb von Energieanlagen (§ 9) oder Anlagen nach § 40 Abs. 1 Buchstabe c des Wassergesetzes vom 2. Juli 1982 (GBl. I Nr. 26 S. 467) zum Gegenstand haben. Sie gilt im übrigen nur in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet. Sie kann im übrigen Bundesgebiet durch Rechtsverordnung der Landesregierung auch für einzelne Arten von Rechten, sofern es sich nicht um Rechte für Anlagen der in § 9 bezeichneten Art handelt, in Kraft gesetzt werden.
(4) Wird eine Klage nach Absatz 1 rechtshängig, so ersucht das Gericht auf Antrag des Klägers das Grundbuchamt um Eintragung eines Rechtshängigkeitsvermerks zugunsten des Klägers. Der Vermerk hat die Wirkungen eines Widerspruchs. Er wird mit rechtskräftiger Abweisung der Klage gegenstandslos.
(1) Derjenige, der ein Grundstück in einzelnen Beziehungen nutzt oder auf diesem Grundstück eine Anlage unterhält (Mitbenutzer), kann von dem Eigentümer die Bestellung einer Grunddienstbarkeit oder einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit verlangen, wenn
- 1.
die Nutzung vor Ablauf des 2. Oktober 1990 begründet wurde, - 2.
die Nutzung des Grundstücks für die Erschließung oder Entsorgung eines eigenen Grundstücks oder Bauwerks erforderlich ist und - 3.
ein Mitbenutzungsrecht nach den §§ 321 und 322 des Zivilgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik nicht begründet wurde.
(2) Zugunsten derjenigen, die durch ein nach Ablauf des 31. Dezember 2000 abgeschlossenes Rechtsgeschäft gutgläubig Rechte an Grundstücken erwerben, ist § 111 entsprechend anzuwenden. Die Eintragung eines Vermerks über die Klageerhebung erfolgt entsprechend § 113 Abs. 3.