Bundesgerichtshof Urteil, 13. Apr. 2000 - IX ZR 144/99

published on 13/04/2000 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 13. Apr. 2000 - IX ZR 144/99
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 144/99 Verkündet am:
13. April 2000
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
------------------------------------
GesO § 10 Abs. 1 Nr. 4
Ein Schuldner, der vereinzelt noch Zahlungen leistet, kann gleichwohl im Sinne der
Anfechtungsvorschriften seine Zahlungen eingestellt haben.
BGH, Urteil vom 13. April 2000 - IX ZR 144/99 - Brandenburgisches OLG
LG Potsdam
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. April 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die
Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Zugehör und Dr. Ganter

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. März 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an den 7. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Schuldnerin unterhielt zwei Girokonten, eines bei der verklagten Sparkasse und eines bei der Dresdner Bank. Das Konto bei der Beklagten war das "Hauptgeschäftskonto", weil der Schuldnerin darauf ein Kontokorrentkredit in Höhe von 500.000 DM gewährt wurde. Demgegenüber wurde das Konto bei der Dresdner Bank auf Guthabenbasis geführt. Über dieses Konto wurden deshalb weit weniger Umsätze abgewickelt.
Am 20. August 1996 stand das Konto bei der Beklagten mit 626.864,38 DM im Soll. Ab dem 21. August 1996 ließ die Beklagte keine Verfügungen mehr zu. Sie führte keine Überweisungsaufträge der Schuldnerin mehr aus, gab Lastschriften an die Gläubiger zurück und löste keine Schecks mehr ein. Eingehende Zahlungen schrieb sie dem Konto gut. Zwischen dem 20. August und dem 7. November 1996 betrugen die Gutschriften insgesamt 93.831,91 DM. Am 8. November 1996 wurde die Eröffnung der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Am 2. Mai 1997 wurde das Verfahren eröffnet; zum Verwalter wurde der Kläger bestellt.
Dieser verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Auskehr des Betrages von 93.623,99 DM. In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.

I.


Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein anfechtungsrechtlicher Rückgewähranspruch entsprechend § 37 KO i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO bestehe nicht. Im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung seien nur Rechtshandlungen des Schuldners der Anfechtung unterworfen. Eine solche Rechtshandlung sei hier nicht gegeben.

II.


Dem folgt der Senat nicht. Wie er inzwischen entschieden hat (Urt. v. 20. Januar 2000 - IX ZR 58/99, WM 2000, 434 f, z.V.b. in BGHZ), sind gemäß § 10 Abs. 1 GesO i.V.m. §§ 29 ff KO analog auch Rechtshandlungen eines Gläubigers anfechtbar. Daran hält der Senat fest.

III.


Ebensowenig läßt sich derzeit die Klageabweisung wegen Fehlens der anderen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GesO rechtfertigen.
1. Es ist nicht auszuschließen, daß die Zahlungen, die der Kläger für die Masse in Anspruch nimmt, bei der Beklagten nach der Zahlungseinstellung der Schuldnerin eingegangen sind.
Allerdings hat das Landgericht gemeint, der Kläger habe eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin vor dem 8. November 1996 nicht dargetan. Einer derartigen Annahme stünden erhebliche Geldbewegungen auf dem Konto bei der Dresdner Bank entgegen, die noch nach dem 21. August 1996 stattgefunden hätten. Dem ist aber schon das Berufungsgericht nicht gefolgt. Die Beklagte habe - s o hat es ausgeführt - der Schuldnerin "den Geldhahn zugedreht" , was bei ihr den Verdacht auf Zahlungsunfähigkeit habe begründen müssen. Nähere Darlegungen hierzu hat das Berufungsgericht nicht gemacht, weil es von seinem Standpunkt aus hierauf nicht ankam.
Auszugehen ist von folgendem: Zahlungseinstellung liegt - wie bei § 30 Nr. 1 Fallgruppe 1 KO - vor, sobald nach außen erkennbar geworden ist, daß der Schuldner seine fälligen, ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten nicht mehr zu erfüllen vermag (st. Rspr.; vgl. Senatsurt. v. 24. Oktober 1996 - IX ZR 284/95, ZIP 1996, 2080, 2082; v. 9. Januar 1997 - IX ZR 1/96, WM 1997, 432, 435). Nicht gefordert wird Einstellung aller Zahlungen. Daß der Schuldner vereinzelt - auch wenn es sich dabei insgesamt um eine beachtliche Summe handelt - noch Zahlungen leistet, steht der Annahme der nach außen erkennbar gewordenen Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen. Es genügt, daß das Unvermögen zur Zahlung und die darauf beruhende Zahlungsunfähigkeit den wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten des Schuldners betreffen (BGH, Urt. v. 11. Juli 1991 - IX ZR 230/90, NJW 1992, 624).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe kann die Schuldnerin am 21. August 1996 ihre Zahlungen eingestellt haben. Wie das Landgericht festgestellt hat, fanden zwar danach über das zweite Konto der Schuldnerin bei der Dresdner Bank noch Geldbewegungen statt. So hat die Schuldnerin am 21. August 1996 - unmittelbar nach der Sperre des "Hauptkontos" - über das Konto bei der Dresdner Bank die Löhne für den Monat Juni 1996 in Höhe von 70.850,21 DM ausgezahlt. Danach war das Konto im Soll. Bis zum 30. Januar 1997 wurden - entsprechend den sich zwischenzeitlich wieder ergebenden Guthaben - weitere Zahlungen in Höhe von insgesamt ca. 87.000 DM über dieses Konto geleistet. Diese Zahlungen sind jedoch - verglichen mit den zuvor über das Konto bei der Beklagten abgewickelten Umsätzen - geringfügig. Im Durchschnitt hat die Schuldnerin vom 21. August 1996 bis zum 30. Januar 1997 weniger als 30.000 DM im Monat über das Konto bei der Dresdner Bank bezahlt. Nach dem Vortrag des Klägers hatte die Schuldnerin über das Konto bei der Beklagten vor der Kontosperre mindestens 300.000 DM im Monat bewegt. Es kommt hinzu , daß die Schuldnerin bereits Ende Juni 1996, ohne Berücksichtigung der Lohnrückstände, mindestens Schulden in Höhe von 1.428.683,23 DM hatte. Im Verhältnis dazu sind Zahlungen in Höhe von 87.000 DM als unbedeutend anzusehen. Nach der Behauptung des Klägers hatten die Gläubiger ihre Forderungen auch ernsthaft geltend gemacht.
2. Aufgrund der bisherigen Feststellungen kommt außerdem in Betracht, daß eine Zahlungseinstellung der Beklagten zumindest bekannt gewesen sein muß.
Kennt der Anfechtungsgegner Tatsachen, die den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit begründen, schadet ihm im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO
bereits einfache Fahrlässigkeit (BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 - IX ZR 337/97, WM 1998, 2345, 2347). Nach dem Vortrag des Klägers wußte die Beklagte, daß das bei ihr geführte Konto das "Hauptgeschäftskonto" der Schuldnerin war, dieser nur über dieses Konto ein Kreditrahmen eröffnet war und demgemäß die Geschäftsumsätze weitgehend über dieses Konto abgewickelt wurden. Sie kannte außerdem sämtliche Verbindlichkeiten der Schuldnerin. Wenn die Beklagte unter solchen Umständen das "Hauptgeschäftskonto" sperrte, liegt die Annahme nicht fern, daß sie damit rechnen mußte, die Schuldnerin werde den wesentlichen Teil ihrer Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen können.
3. Durch die Verrechnung der Gutschriften mit dem jeweiligen Debetsaldo wurden die übrigen Gläubiger - wie in § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO vorausgesetzt - benachteiligt. Denn dadurch wurde ihnen ein Zugriff auf die gutgeschriebenen Forderungen unmöglich gemacht.
4. Die zweijährige Frist des § 10 Abs. 2 GesO hat der Kläger eingehalten.

IV.


Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Da die Sache noch nicht entscheidungsreif ist - die Beklagte hat bestritten, daß die Verbindlichkeiten der Schuldnerin ernsthaft eingefordert waren, und festgestellt ist hierzu nichts -, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565
Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
Vorsitzender Richter Dr. Paulusch ist verstorben. Die Richter Kirchhof und Dr. Zugehör sind in Urlaub und können daher nicht unterschreiben. Fischer Fischer Ganter
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Die Entscheidung braucht nicht begründet zu werden, soweit das Revisionsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 547.

Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Z
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Die Entscheidung braucht nicht begründet zu werden, soweit das Revisionsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 547.

Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Zurücksendung der Prozessakten sind auf die Revision entsprechend anzuwenden. Die Revision kann ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.