Bundesgerichtshof Urteil, 05. Juli 2006 - IV ZR 105/05

bei uns veröffentlicht am05.07.2006
vorgehend
Landgericht Bremen, 6 O 2500/03, 21.10.2004
Landgericht Bremen, 3 U 70/04, 15.03.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 105/05 Verkündetam:
5.Juli2006
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
VVG § 12 Abs. 3; VHB 98 § 19 (1)
§ 19 (1) Satz 3 VHB 98 räumt dem Versicherungsnehmer das unbefristete
Recht ein, vom Versicherer einseitig die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens
auch zu den tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchsgrundes
zu verlangen.
Solange der Versicherungsnehmer dieses Recht noch nicht verloren hat, ist es
dem Versicherer verwehrt, die Leistungsablehnung mit einer Belehrung zu verbinden
, die die Frist des § 12 Abs. 3 VVG in Lauf setzt.
BGH, Urteil vom 5. Juli 2006 - IV ZR 105/05 - HansOLG Bremen
LG Bremen
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Juli 2006

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 15. März 2005 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Klägerin Die verlangt Versicherungsleistungen aus einer bei der Beklagten genommenen Hausratversicherung wegen eines Brandschadens in ihrer Wohnung. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Hausratversicherungsbedingungen (VHB 98) zugrunde.
2
Mit einem der Klägerin am 21. Mai 2003 zugegangenen Schreiben lehnte die Beklagte die Leistung einer Entschädigung mit der Begründung ab, diese habe den Brand grob fahrlässig verursacht. Gleichzeitig belehrte sie die Klägerin über die Rechtsfolgen einer nicht fristgerechten gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs (§ 12 Abs. 3 VVG). Einen Hinweis auf das in § 19 (1) VHB 98 vorgesehene Sachverständigenverfahren enthielt dieses Schreiben nicht. Diese Klausel lautet: "Versicherungsnehmer und Versicherer können nach Eintritt des Versicherungsfalles vereinbaren, daß die Höhe des Schadens durch Sachverständige festgestellt wird. Das Sachverständigenverfahren kann durch Vereinbarung auf sonstige tatsächliche Voraussetzungen des Entschädigungsanspruches sowie der Höhe der Entschädigung ausgedehnt werden. Der Versicherungsnehmer kann ein Sachverständigenverfahren auch durch einseitige Erklärung gegenüber dem Versicherer verlangen."
3
Durchführung Zur des Rechtsstreits beantragte die Klägerin zunächst Prozesskostenhilfe. Ihrem beim Landgericht am 10. November 2003 eingegangenen Gesuch war ein Klageentwurf beigefügt. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2003 teilte der Rechtsschutzversicherer der Klägerin mit, er habe für die beabsichtigte Klage mit Wirkung vom 4. Dezember 2003 Rechtsschutz übernommen. Die Klägerin reichte am 16. Januar 2004 Klage ein und erklärte ihren Prozesskostenhilfeantrag für erledigt. Die Beklagte hat sich auf die Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG berufen.
4
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung einer Entschädigung, hilfsweise auf Feststellung der Eintrittspflicht der Beklagten, abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht die Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG geltend gemacht. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


5
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. 1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 12 Abs. 3 VVG mit ihrem der Klägerin am 21. Mai 2003 zugegangenen Ablehnungsschreiben in Lauf gesetzt. Der Wirksamkeit der Fristsetzung stehe die nach § 19 (1) VHB 98 vorgesehene Möglichkeit eines Sachverständigenverfahrens nicht entgegen. Zwar habe eine Leistungsablehnung des Versicherers regelmäßig nicht die Wirkungen des § 12 Abs. 3 VVG, solange nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen über die den Anspruch begründenden Voraussetzungen eine Sachverständigenkommission zu entscheiden habe. Das in § 19 (1) Satz 3 VHB 98 vorgesehene Recht des Versicherungsnehmers, durch einseitige Erklärung gegenüber dem Versicherer ein Sachverständigenverfahren zu verlangen, betreffe aber nur den Fall eines Streits um die Höhe des Schadens im Sinne des Satzes 1 der Klausel. Seien andere Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs bestritten, insbesondere der Anspruchsgrund, erfordere die Durchführung des Sachverständigenverfahrens eine Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer. Der Versicherungsnehmer könne dies nicht einseitig verlangen ; die Klägerin habe dies im Übrigen hier auch nicht getan.

7
2. Das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin habe die Klagefrist nicht gewahrt. Dazu müsse der Versicherungsnehmer, der zunächst Prozesskostenhilfe beantragt, alles tun, damit die Klage "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO zugestellt werden könne. Diesen Anforderungen habe die Klägerin, die sich insoweit das Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müsse, nicht genügt. Nach Eingang der Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers bei ihrem Prozessbevollmächtigten hätte sie unverzüglich, spätestens aber innerhalb einer Frist von zwei Wochen Klage erheben müssen. Berechtigte Entschuldigungsgründe für die eingetretene Verzögerung bis zur Einreichung der Klageschrift am 16. Januar 2004 habe die Klägerin nicht dargetan.
8
Die II. Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
9
1. Das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 20. Mai 2003 hat die Frist des § 12 Abs. 3 VVG nicht in Lauf gesetzt.
10
a) § 12 Abs. 3 VVG eröffnet dem Versicherer eine dem übrigen Zivilrecht unbekannte Möglichkeit leistungsfrei zu werden. Er kann seine teilweise oder vollständige schriftliche Leistungsablehnung mit einer Belehrung des Versicherungsnehmers verbinden, dass dieser binnen sechs Monaten ab Zugang der ablehnenden Entscheidung seinen Anspruch auf Leistung gerichtlich geltend machen müsse; anderenfalls kann sich der Versicherer mit Erfolg darauf berufen, dass er allein durch den Ablauf der ungenutzt gelassenen Frist leistungsfrei geworden ist. Enthalten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen Abweichungen von dieser ge- setzlichen Regelung zum Nachteil des Versicherungsnehmers, versagt ihnen § 15a VVG die Wirksamkeit. Ein solcher Nachteil ist nicht schon dann gegeben, wenn die Versicherungsbedingungen für den Fall der Leistungsablehnung die Anrufung eines Sachverständigengremiums zur Prüfung von Grund und/oder Höhe des vom Versicherungsnehmer geltend gemachten Anspruchs vorsehen. Das gilt unabhängig davon, ob im Streitfall ein solches Verfahren zwingend vorgesehen ist (vgl. Senatsurteil vom 30. April 1981 - IVa ZR 92/80 - VersR 1981, 828 unter I 2 m. zust. Anm. Sieg, VersR 1981, 1093, 1094), eine Partei es für die den Anspruch begründenden Umstände oder Teile davon verlangen kann (Senatsurteil vom 7. November 1990 - IV ZR 201/89 - VersR 1991, 90 unter 2 c und d) oder das Einverständnis beider Seiten für die Durchführung eines solchen Verfahrens vorausgesetzt wird (Senatsurteil vom 17. Mai 2006 - IV ZR 230/05 - zur Veröffentlichung bestimmt). Der Senat hat jedoch entschieden, dass eine Belehrung mit der Wirkung des § 12 Abs. 3 VVG, deren Nichtbeachtung also die Sanktion des Anspruchsverlustes für den Versicherungsnehmer nach sich zieht, dem Versicherer erst zu einem Zeitpunkt erlaubt ist, in dem nach erklärter Leistungsablehnung für den Versicherungsnehmer allein die gerichtliche Geltendmachung in Betracht kommt, wenn er sich mit der ablehnenden Entscheidung nicht abfinden will (Senatsurteil vom 5. Januar 1991 aaO unter 2 d).
11
b) Dieser Zeitpunkt war im vorliegenden Fall noch nicht eingetreten , da die Klägerin gemäß § 19 (1) Satz 3 VHB 98 nach Leistungsablehnung berechtigt war, zur Frage der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne von § 61 VVG die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens zu verlangen. Der vom Berufungsgericht in- soweit vorgenommenen (ebenso Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 15 AFB 30 Rdn. 2 f.; Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. Y I Rdn. 47 zu § 23 VHB 84) Auslegung der Klausel, bei der es auf das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ankommt (st. Rspr.; vgl. BGHZ 123, 83, 85) folgt der Senat nicht.
12
§ 19 c) (1) Satz 1 VHB 98 weist den Versicherungsnehmer zunächst drauf hin, dass die Parteien des Versicherungsvertrages nach Eintritt des Versicherungsfalles ein Sachverständigenverfahren zur Höhe des Schadens vereinbaren können. Im Folgesatz wird klargestellt, dass sie - wiederum durch Vereinbarung - das Sachverständigenverfahren unter anderem auch auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs erstrecken können, also auf die tatsächlichen Voraussetzungen zum Grund des Anspruchs. In beiden Fällen wird demnach eine Vereinbarung der Vertragsparteien als Grundsatz beschrieben, dieser Grundsatz aber in Satz 3 zugunsten des Versicherungsnehmers durchbrochen , wenn es dort heißt, dass der Versicherungsnehmer ein Sachverständigenverfahren "auch durch einseitige Erklärung gegenüber dem Versicherer verlangen" kann.
13
Dass sich diese Abkehr von der grundsätzlich vorausgesetzten Vereinbarung nur auf das in Satz 1 vorgesehene Sachverständigenverfahren zur Höhe des Schadens beziehen soll, erschließt sich dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer nicht. Die Wendung in Satz 3 enthält keine Differenzierung im Hinblick auf den Gegenstand des Sachverständigenverfahrens, wie er zum einen in Satz 1, zum anderen in Satz 2 beschrieben worden ist. Eine solche drängt sich dem Versiche- rungsnehmer auch nicht auf, weil er nicht erkennen kann, dass das einseitige Verlangen nur in dem einen Fall Sinn machen soll, nicht aber in dem anderen. Er wird die Regelung daher als einseitige, zeitlich unbefristete Begünstigung hinsichtlich der Einleitung des Sachverständigenverfahrens schlechthin verstehen, während der Versicherer, will er seinerseits den Weg des Sachverständigenverfahrens beschreiten, mit der Regelung in § 19 (1) VHB 98 stets auf eine Vereinbarung mit dem Versicherungsnehmer verwiesen wird.
14
2. § 19 (1) Satz 3 VHB 98 räumte der Klägerin daher im vorliegenden Fall, auch wenn der Streit die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchsgrundes betraf, das Recht ein, einseitig ein Sachverständigenverfahren zu verlangen. Da § 19 (1) Satz 3 VHB 98 eine Befristung nicht vorsieht, stand der Klägerin diese Möglichkeit auch im Zeitpunkt der Leistungsablehnung der Beklagten unverändert offen. Sie hat dieses Recht aus § 19 (1) Satz 3 VHB 98 weder vor diesem Zeitpunkt noch danach verloren. Der Beklagten war es daher verwehrt, die Leistungsablehnung mit einer Belehrung mit der Wirkung des § 12 Abs. 3 VVG zu verbinden; die Frist des § 12 Abs. 3 VVG ist daher nicht wirksam in Lauf gesetzt worden.

15
III. Danach kommt es auf die vom Berufungsgericht zutreffend verneinte Frage nicht mehr an, ob die Klägerin alles ihr Zumutbare getan hat, damit die Zustellung der Klage "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO erfolgen konnte. Es wird nunmehr zu prüfen sein, ob sich die Beklagte zu Recht auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne des § 61 VVG berufen hat.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Bremen, Entscheidung vom 21.10.2004 - 6 O 2500/03 b -
OLG Bremen, Entscheidung vom 15.03.2005 - 3 U 70/04 -

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Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 167 Rückwirkung der Zustellung


Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächs

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 12 Versicherungsperiode


Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 61 Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers


(1) Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedü

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Bundesgerichtshof Urteil, 17. Mai 2006 - IV ZR 230/05

bei uns veröffentlicht am 17.05.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 230/05 Verkündetam: 17.Mai2006 Heinekamp Justizhauptsekretär alsUrkundsbeamter derGeschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ______

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Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 230/05 Verkündetam:
17.Mai2006
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
VVG § 12 Abs. 3; Berufsunfähigkeits-Zusatzvers § 6
Sehen die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung die Anrufung
eines Ärzteausschusses im Einverständnis beider Seiten vor, kann der Versicherer,
der eine Leistung ablehnt, nicht zugleich die Frist des § 12 Abs. 3 VVG für eine gerichtliche
Geltendmachung von Ansprüchen wirksam setzen, wenn er dabei nicht
ausdrücklich klarstellt, dass er sich gegen ein Verfahren vor dem Ärzteausschuss
entschieden hat.
BGH, Urteil vom 17. Mai 2006 - IV ZR 230/05 - OLG Köln
LG Köln
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Mai 2006

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. September 2005 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger macht Ansprüche gegen die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeits -Zusatzversicherung geltend. Im Jahre 2000 erkrankte er. Nachdem sein Krankentagegeldversicherer ein ärztliches Gutachten eingeholt und den Kläger darauf hingewiesen hatte, er sei berufsunfähig, meldete er Ansprüche bei der Beklagten an.
2
Nach Einholung eines weiteren ärztlichen Gutachtens teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 2. November 2001 - zugegangen am 14. November 2001 - u.a. mit: "… Aufgrund der ärztlichen Einschätzung sind uns daher Leistungen aus dieser BUZ zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich.

Sollte jedoch zu unserer heutigen Entscheidung kein Einverständnis bestehen, müssten die vermeintlichen Ansprüche innerhalb einer Frist von 6 Monaten - gerechnet ab Zugang dieses Schreibens - gerichtlich gegen uns geltend gemacht werden. Wird diese Frist versäumt, so sind wir gemäß § 12 III Versicherungsvertragsgesetz allein schon wegen des Fristablaufs von der Verpflichtung zur Leistung frei. …"
3
Der anwaltlich vertretene Kläger machte mit Schreiben vom 2. Mai 2002 geltend, im Hinblick auf das in den Bedingungen der Beklagten vorgesehene Verfahren vor dem Ärzteausschuss, dessen Durchführung verlangt werde, sei die Belehrung der Beklagten in ihrem Schreiben vom 2. November 2001 unvollständig. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 7. Mai 2002, nach den Bedingungen stehe auch dem Versicherer das Recht zu, anstelle einer Entscheidung des Ärzteausschusses eine Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte zu verlangen; von diesem Recht habe sie in ihrem Schreiben vom 2. November 2001 Gebrauch gemacht und folgerichtig den Hinweis nach § 12 Abs. 3 VVG erteilt. Der Kläger reichte seine Klage am 1. August 2002 bei Gericht ein. Die Beklagte hat sich auf Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG berufen.
4
Die maßgebenden Bestimmungen in den Versicherungsbedingungen der Beklagten (im Folgenden: AVB) lauten: "§ 5 Wann geben wir eine Erklärung über unsere Leis- tungspflicht ab? Nach Prüfung der uns eingereichten sowie der von uns beigezogenen Unterlagen erklären wir, ob und von welchem Zeitpunkt an wir eine Leistungspflicht anerkennen.

§ 6 Bis wann können bei Meinungsverschiedenheiten Rechte geltend gemacht werden und wer entscheidet in diesen Fällen? 1. Wenn derjenige, der den Anspruch auf die Versicherungsleistung geltend macht, mit unserer Leistungsentscheidung (§ 5) nicht einverstanden ist, kann er innerhalb von sechs Monaten nach Zugang unserer Entscheidung Klage erheben. Die Entscheidung liegt dann ausschließlich bei den Gerichten. 2. Beschränken sich die Meinungsverschiedenheiten auf die Frage, ob, in welchem Grad oder von welchem Zeitpunkt an Berufsunfähigkeit vorliegt, so entscheidet anstelle des Gerichts ein Ärzteausschuß, wenn sich beide Seiten darauf einigen. Der Ansprucherhebende muß sich innerhalb von sechs Monaten nach Zugang unserer Leistungsentscheidung (§ 5) äußern, ob er das Verfahren vor dem Ärzteausschuß wünscht. 3. Läßt der Ansprucherhebende die Sechsmonatsfrist verstreichen , ohne daß er entweder vor dem Gericht Klage erhebt oder das Verfahren vor dem Ärzteausschuß verlangt , so sind weitergehende Ansprüche, als wir sie anerkannt haben, ausgeschlossen. Auf diese Rechtsfolge werden wir in unserer Erklärung nach § 5 besonders hinweisen. …"
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat die Beklagte nach Beweisaufnahme über die Berufsunfähigkeit im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:


6
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
7
1.NachAnsich t des Berufungsgerichts ist die Beklagte nicht nach § 12 Abs. 3 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden. Denn es fehle an einer wirksamen Belehrung gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG. Die Beklagte habe in ihrem Schreiben vom 2. November 2001 nicht gemäß § 6 Nr. 3 Satz 2 AVB darauf hingewiesen, dass die Sechsmonatsfrist außer durch gerichtliches Geltendmachen des Anspruchs auch durch das Verlangen gewahrt werde, den Ärzteausschuss einzuschalten. Die Beklagte habe sich in dem Schreiben vom 2. November 2001 auch nicht dahin erklärt, dass sie selbst nicht mit einer Entscheidung des Ärzteausschusses einverstanden sei, so dass dem Kläger nur der Weg gerichtlicher Geltendmachung offen stehe. Dies sei dem Schreiben der Beklagten zwar konkludent zu entnehmen. Das genüge aber nicht, weil ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer aufgrund des § 6 AVB eine ausdrückliche Erklärung der Beklagten erwarten könne, wenn diese das Verfahren vor dem Ärzteausschuss von sich aus ablehnen wolle. Denn § 6 AVB sehe zunächst auf einer ersten Stufe eine Belehrung darüber vor, dass der Versicherungsnehmer entweder das Verfahren vor dem Ärzteausschuss oder ein gerichtliches Verfahren verlangen könne. Wähle der Versicherungsnehmer dann das Verfahren vor dem Ärzteausschuss , könne die Beklagte dies auf einer weiteren Stufe ablehnen. Wenn die Beklagte dagegen die Anrufung des Ärzteausschusses sofort von sich aus ablehnen wolle, was zulässig sei, müsse sie dies für den Versicherungsnehmer eindeutig verständlich machen; dann erst könne die Beklagte den Versicherungsnehmer auf die gerichtliche Geltendma- chung verweisen. An einer eindeutigen Erklärung der Beklagten, sie lehne den Ärzteausschuss ab, fehle es jedoch im Schreiben vom 2. November 2001. Der verständige Versicherungsnehmer müsse diesem Schreiben nicht zwingend entnehmen, dass damit zugleich die Anrufung des Ärzteausschusses abgelehnt werde. Auch in den nachfolgenden Schreiben habe die Beklagte lediglich auf ihr Schreiben vom 2. November 2001 Bezug genommen. Damit sei die Frist des § 12 Abs. 3 VVG nicht wirksam in Gang gesetzt worden.
8
Das Berufungsgericht stellt schließlich fest, der Kläger sei bedingungsgemäß berufsunfähig.
9
2. Die Revision greift die Feststellungen zur Berufungsunfähigkeit des Klägers nicht an. Sie wendet sich allein gegen die Annahme des Berufungsgerichts , die Frist des § 12 Abs. 3 VVG sei nicht wirksam in Lauf gesetzt worden. Diese Annahme trifft jedoch im Ergebnis zu.
10
a) Aus dem Schreiben der Beklagten vom 2. November 2001 geht hervor, dass die Beklagte ihre Leistungsverpflichtung nur deshalb abgelehnt hat, weil sie anderer Meinung als der Kläger hinsichtlich der Frage war, ob bei ihm nach ärztlicher Einschätzung Berufsunfähigkeit vorliege. Mithin kam hier nach § 6 Nr. 2 Satz 1 AVB grundsätzlich anstelle des Gerichts auch eine Entscheidung des Ärzteausschusses in Betracht, wenn sich beide Seiten darauf einigten. Aus der Notwendigkeit einer Einigung beider Seiten geht für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer , auf dessen Verständnis es für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen ankommt (st. Rspr., vgl. BGHZ 123, 83, 85), hinreichend deutlich hervor, dass der Versicherer nicht verpflichtet ist, das Verfahren vor dem Ärzteausschuss auf Wunsch des Versicherungsnehmers durchzuführen, sondern diese Alternative auch von sich aus ablehnen kann. Das kann bereits in der Entscheidung über die Leistungsablehnung nach § 5 AVB geschehen (Senatsurteil vom 7. November 1990 - IV ZR 201/89 - VersR 1991, 90 unter 3), wie das Berufungsgericht auch nicht verkannt hat. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Kläger mit ihrem Schreiben vom 2. November 2001 zwar unter Belehrung über die Folgen einer Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG allein auf den Weg der gerichtlichen Geltendmachung verwiesen. Eine ausdrückliche Ablehnung des Verfahrens vor dem Ärzteausschuss enthält es aber nicht.
11
b) Indessen wird erst durch die Ablehnung des Verfahrens vor dem Ärzteausschuss die Rechtslage geschaffen, die Voraussetzung für die Anwendung von § 12 Abs. 3 VVG ist. Hierfür genügt eine Leistungsablehnung des Versicherers für sich genommen noch nicht, weil die Versicherungsbedingungen bei Meinungsverschiedenheiten über Fragen der Berufsunfähigkeit auch das Verfahren vor dem Ärzteausschuss vorsehen. Solange sich noch keine der Parteien einem solchen Verfahren verschlossen hat, ist die Ablehnung der Leistungspflicht durch den Versicherer nicht endgültig.
12
Kann der Versicherer von § 12 Abs. 3 VVG also erst Gebrauch machen, wenn die in § 6 Nr. 2 Satz 1 AVB eröffnete Möglichkeit einer Entscheidung des Ärzteausschusses nicht mehr in Betracht kommt, muss er, wenn dies nicht schon geschehen ist, spätestens im Zusammenhang mit seiner Belehrung nach § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG deutlich machen, dass er das Verfahren vor dem Ärzteausschuss ablehne und dieser Weg deshalb auch für den Versicherten abgeschnitten sei. Denn erst mit dem Zugang einer solchen Erklärung wird der Rechtszustand geschaffen, den die Anwendung des § 12 Abs. 3 VVG voraussetzt (Senatsurteil vom 7. November 1990 aaO).
13
c) Das Berufungsgericht hat auch nicht verkannt, dass eine Belehrung nach § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG - wie sie hier im Schreiben vom 2. November 2001 erteilt worden ist - als konkludente Ablehnung einer an sich noch möglichen Anrufung des Ärzteausschusses gemeint sein kann. Ein solches Verständnis liegt aber für den Empfänger dieser Erklärung gerade bei sorgfältiger Prüfung der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen fern. Die ablehnende Leistungsentscheidung im Schreiben vom 2. November 2001 eröffnete dem Kläger nach § 6 Nr. 2 Satz 2 AVB ohne weiteres die Möglichkeit, innerhalb von sechs Monaten klarzustellen, ob er eine Anrufung des Ärzteausschusses wünsche. Dieser Vorschrift liegt - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - die Vorstellung zugrunde, dass sich der Versicherer nicht schon in seiner Leistungsentscheidung gemäß § 5 AVB zu der Frage äußern werde, ob er dem Verfahren vor dem Ärzteausschuss zustimme oder nicht, sondern erst nach einem entsprechenden Verlangen des Versicherungsnehmers. In diese Richtung weist auch die in § 6 Nr. 3 Satz 2 AVB vorgesehene Belehrung. Will der Versicherer von diesem Verfahren abweichen und mit seiner Leistungspflicht zugleich auch eine Anrufung des Ärzteausschusses ablehnen, was ihm die Bedingungen nicht verwehren, bedarf dies einer ausdrücklichen Klarstellung, die zu einer Belehrung nach § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG hinzutreten muss (Senatsurteil vom 7. November 1990 aaO; vgl. Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 12 Rdn. 92; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. AUB 61 § 12 Rdn. 4 unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Ansicht). Andernfalls bleiben bei einer nicht weiter im Hinblick auf § 6 Nr. 2 Satz 1 AVB erläuterten Verweisung des Versicherungsnehmers auf eine gerichtliche Geltendmachung wie im vorliegenden Fall zumindest Zweifel, ob das Verfahren vor dem Ärzteausschuss noch möglich sei und dem Versicherungsnehmer deshalb offen stehe, sich für diese Alternative zu entscheiden.
14
Das Berufungsgericht hat daher mit Recht angenommen, dass mit Schreiben vom 2. November 2001 die Frist des § 12 Abs. 3 VVG nicht in Lauf gesetzt worden ist.
Terno Dr. Schlichting Wendt Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 07.05.2003 - 23 O 334/02 -
OLG Köln, Entscheidung vom 12.09.2005 - 5 U 93/03 -

Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.

(1) Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 zu dokumentieren.

(2) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung oder die Dokumentation nach Absatz 1 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherungsvermittler ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers auswirken kann, gegen den Versicherungsvermittler einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.

Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres.

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

(1) Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 zu dokumentieren.

(2) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung oder die Dokumentation nach Absatz 1 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherungsvermittler ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers auswirken kann, gegen den Versicherungsvermittler einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.