Bundesgerichtshof Urteil, 19. Juli 2004 - II ZR 157/02

bei uns veröffentlicht am19.07.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 157/02 Verkündet am:
19. Juli 2004
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung vom 28. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und
Dr. Gehrlein

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Endurteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Februar 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Schuldnerin gegen die Abweisung der Klage gegenüber der Beklagten zu 1 hinsichtlich der Anleger B. und K. zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Schuldnerin wird das Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 1. Oktober 1998 weiter dahin geändert, daß die Beklagte zu 1 verurteilt wird, an den Kläger weitere 76.693,78 € nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Januar 1998 zu zahlen Zug um Zug gegen Übertragung folgender Kommanditanteile an der Me. GmbH & Co. KG, eingetragen im Handelsregister beim Amtsgericht M. - HRA : B. F. , St. weg 44, Ka. DM 100.000,00 K. A. , G. straße 49, Sch. DM 50.000,00.
Von den Gerichtskosten des ersten Rechtszugs tragen der Kläger 85,87 % und die Beklagte zu 1 14,13 %.
Von den Gerichtskosten des zweiten Rechtszugs tragen der Kläger 81,15 % und die Beklagte zu 1 18,85 %.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 76,2 % und die Beklagte zu 1 23,8 %.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im ersten Rechtszug trägt die Beklagte zu 1 14,13 %.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im zweiten Rechtszug trägt die Beklagte zu 1 18,85 %.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im dritten Rechtszug trägt die Beklagte zu 1 7,5 %.
Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 im ersten und zweiten Rechtszug trägt der Kläger 17 %.
Der Kläger trägt sämtliche außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3 und 4, sowie - gemäß Beschluß des Landgerichts vom 19. Februar 1998 - die erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2.
Im übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger ist vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin, der S. GmbH. Er macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche geltend, die von Kommanditisten der Me. GmbH & Co. KG M. , einer Publikumsgesellschaft , der Schuldnerin abgetreten worden sind. Geschäftsgegenstand jener Gesellschaft war der Erwerb und die Verwertung von Lizenzen, insbesondere von Film- und Fernsehrechten, sowie die Herstellung von Filmen aller Art. Die Zedenten der Schuldnerin waren der Gesellschaft in den Jahren 1989/1990 mit unterschiedlichen Kommanditanteilen beigetreten. Soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, liegt dem Rechtsstreit folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Prospekt, der die Beklagte zu 1 als Initiator und Prospektherausgeber auswies, sah unter der Überschrift "Beteiligung an Filmrechten und Produktionen" einen Investitionsteil I, der den Erwerb der Fernsehrechte an 42 Kinofilmen betraf, und einen Investitionsteil II betreffend die Produktion/ Co-Produktion von Filmen vor.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1989 fragte die Beklagte zu 1 bei den der Gesellschaft bis dahin beigetretenen Anlegern an, ob diese dem Vorziehen des Investitionsteils II zustimmten, d.h. damit einverstanden seien, daß die Gesellschaft ihr Kapital zunächst in die Herstellung eines Films und nicht - wie im Prospekt vorgesehen - zunächst in den Erwerb der Fernsehrechte an den 42 Kinofilmen investiere. Die Anleger erklärten ihre Zustimmung. Ihre Einlagen wurden für den B. -Film "Fi. " verwendet. Über das Vermögen der Gesellschaft wurde am 22. Mai 1991 das Konkursverfahren eröffnet.
Der Kläger, der die Zedenten durch das Rundschreiben vom 11. Dezember 1989 und ein weiteres Schreiben der Initiatorin der Fondsgesellschaft vom 2. April 1990 für getäuscht hält, nimmt die Beklagten aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß auf Rückzahlung der Einlagen der Zedenten Zug um Zug gegen Übertragung der Kommanditanteile in Anspruch. Er verlangt von den Beklagten zu 1, 3 und 4 - gegen die Beklagte zu 2 hat er die Klage bereits in erster Instanz zurückgenommen - als Gesamtschuldnern Zahlung von 1.540.000,00 DM (= 787.389,49 €) und von der Beklagten zu 4 allein Zahlung weiterer 720.000,00 DM (= 368.130,15 €). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr unter Zurückweisung der Berufung im übrigen gegenüber der Beklagten zu 1 in Höhe von 576.737,24 € stattgegeben. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die gesamtschuldnerische Verurteilung aller drei Beklagten zur Zahlung von 653.431,02 € (gegen die Beklagte zu 1 bereits ausgeurteilte 576.737,24 € + weitere 76.693,78 € betreffend die Anleger B. und K. , die sich mit 100.000,00 bzw. 50.000,00 DM beteiligt hatten). Außerdem verfolgt er seinen allein gegen die Beklagte zu 4 gerichteten Zahlungsanspruch weiter. Der Senat hat die Revision nur angenommen, soweit die Berufung des Klägers gegen die
Abweisung der Klage bezüglich der Anleger B. und K. zurückgewiesen worden ist.

Entscheidungsgründe:


I. 1. Der Zulässigkeit der Revision steht nicht entgegen, daß die Schuldnerin sich in der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vom 3. August 1999 verpflichtet hat, im Falle der Einreichung der Revision eine Bankbürgschaft für etwaige drittinstanzliche Kostenerstattungsansprüche der am Revisionsverfahren beteiligten Beklagten zu stellen, dieser Verpflichtung nach Darstellung der Beklagten aber nicht nachgekommen ist. Die Revisionserwiderung entnimmt der Verpflichtung der Schuldnerin zur Sicherheitsbestellung, daß die Übergabe der Bürgschaft Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision sein sollte. Diese Auslegung ist schon vom Wortlaut der Verpflichtungserklärung nicht gedeckt. Die Erklärung enthält nur die Zusage, eine Bürgschaft für Erstattungsansprüche zu stellen. Sie enthält aber keinerlei Hinweis darauf, daß ihre Nichteinhaltung ohne weiteres die Unzulässigkeit der Revision zur Folge haben sollte. Hiervon war auch nicht im Hinblick auf die Regelungen der §§ 110 ff. ZPO auszugehen. Die begründete Erhebung der Einrede nach § 110 ZPO führt nicht zur Unzulässigkeit der Klage, sondern zur Anordnung einer Sicherheitsleistung durch das Gericht nach § 113 ZPO. Nach dieser Vorschrift wird das Rechtsmittel des zur Stellung einer Prozeßkostensicherheit verpflichteten Klägers zwar auf Antrag der beklagten Partei verworfen, wenn die Sicherheit nicht bis zur Entscheidung erbracht ist. Diese Folge tritt jedoch nicht automatisch ein, sondern setzt die gerichtliche Anordnung der Sicherheitsleistung in bestimmter Frist voraus. Zudem stellt die Annahme, bei Ausbleiben der von dem Kläger versprochenen Sicherheitsbestellung solle die Revision ohne weiteres unzulässig sein, einseitig auf die Interessen des Beklagten ab und verstößt damit ge-
gen das Gebot einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung (vgl. Sen.Urt. v. 3. April 2000 - II ZR 194/98, WM 2000, 1195; v. 9. Juli 2001 - II ZR 205/99 und II ZR 228/99, WM 2001, 1523 und 1515).
2. Die Revision ist im Umfang ihrer Annahme begründet und führt zur Verurteilung der Beklagten zu 1 zur Zahlung weiterer 76.693,24 € nebst Zinsen an den Kläger.
Die Annahme betrifft ungeachtet der Formulierung des Annahmebeschlusses vom 23. Februar 2004 lediglich Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1. Hinsichtlich der gegen die Beklagten zu 3 und 4 erhobenen Ansprüche hat der Senat die Revision nicht angenommen, weil solche Ansprüche schon dem Grunde nach nicht gegeben sind. Dem steht das Fehlen einer ausdrücklichen Beschränkung der Annahme auf die gegen die Beklagte zu 1 erhobenen Forderungen nicht entgegen, weil diese jedenfalls aus der zugleich erfolgten Festsetzung des nach der Teilannahme verbleibenden Gegenstandswerts auf 76.693,78 € (entsprechend der Summe der auf die Anleger B. und K. entfallenden Klageforderung) deutlich wird, die die von den Beklagten zu 3 und 4 als Gesamtschuldnern mit der Beklagten zu 1 geforderten , aber nur gegenüber dieser ausgeurteilten 576.737,24 € gerade nicht berücksichtigt.
II. 1. Das Berufungsgericht hat die Klage hinsichtlich der von den Anlegern B. und K. erbrachten Einlagen abgewiesen, weil die von ihm durchgeführte Vernehmung dieser Anleger als Zeugen eine im Zusammenhang mit dem Vorziehen des Investitionsteils II erfolgte Täuschungshandlung der Beklagten zu 1 nicht ergeben habe.
Diese Würdigung steht im Widerspruch zu den eigenen Feststellungen des Oberlandesgerichts und hält damit revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
2. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die Beklagte zu 1, als sie an die Anleger mit der Bitte um Zustimmung zu einer Änderung des Vertrages durch Vorziehen des Investitionsteils II herantrat, gehalten gewesen wäre, die Anleger auf die damit für sie verbundenen Folgen hinzuweisen. Diese sie als Initiatorin des Projekts, für den Inhalt des Prospekts Verantwortliche und Sachwalterin der Gesellschaft auch persönlich treffende Verpflichtung hat die Beklagte zu 1 schuldhaft verletzt, indem sie nicht darauf hingewiesen hat, daß von dem Fondskapital für den Investitionsteil I in Höhe von 13.125.000,00 DM seinerzeit erst 3,4 Mio. DM gezeichnet worden waren, sondern statt dessen den Eindruck erweckt hat, der Realisierung dieses Teils stehe nur noch der Umstand entgegen, daß noch nicht sämtliche Verwertungsverträge mit den Fernsehanstalten unterzeichnet seien. Besonders schwer wiegt in diesem Zusammenhang das Fehlen eines Hinweises darauf, daß die Anleger mit einem Einverständnis zum Vorziehen des Investitionsteils II auf den im Emissionsprospekt dargestellten Anspruch auf Zurückerstattung ihrer Einlagen, wenn das Fondskapital für den Investitionsteil I von 13.125.000,00 DM nicht bis zum 31. März 1990 gezeichnet sei, verzichteten. In dem Verschweigen dieser Tatsachen vor dem Hintergrund der Prospektangabe, ein Totalverlust der Einlagen sei ausgeschlossen, hat das Berufungsgericht mit Recht eine Täuschung der Anleger dahin gesehen, daß mit dem Vorziehen des Investitionsteils II keine Erhöhung ihres Anlagerisikos verbunden wäre, und mit Recht auch angenommen , daß die Anleger einer Investition ihrer Einlagen in die Herstellung eines Films statt in Fernsehrechte nicht zugestimmt hätten, wenn sie in der gebotenen Weise aufgeklärt worden wären.
Für den Anleger B. kann entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht deshalb etwas anderes gelten, weil dieser keine annähernd zutreffende Vorstellung von dem Fonds besaß, an dem er sich mit immerhin 100.000,00 DM beteiligt hatte. Das rechtfertigt nicht die Annahme, er sei durch die Anfrage der Beklagten zu 1 nicht getäuscht worden. Vielmehr liegt im Gegenteil auf der Hand, daß er, wäre ihm die nach Auffassung des Berufungsgerichts den Anlegern geschuldete Aufklärung zuteil geworden, seine Zustimmung zum Vorziehen des Investitionsteils II nicht erteilt hätte.
Entsprechendes gilt hinsichtlich der Anlegerin K. . Sie wußte bei ihrer Vernehmung zwar nur von der Herstellung und Vermarktung des B. - Films, aber von keinem anderen Vorhaben und damit auch nichts über den für den Investitionsteil I vorgesehenen Ankauf von Filmen und die treuhänderische Verwaltung der Einlagen bis zur Aufbringung des insoweit vorgesehenen Fondskapitals. Unzureichende Kenntnisse über die eigene Fondsbeteiligung reichen jedoch nicht, um eine Täuschung der Anlegerin durch die Beklagte zu 1 als ausgeschlossen anzusehen. Nach der Lebenserfahrung ist vielmehr davon auszugehen, daß auch sie, wäre sie auf die mit dem Vorziehen der Filmproduktion verbundenen Konsequenzen klar und deutlich hingewiesen worden, die Anfrage der Beklagten zu 1 ablehnend beantwortet hätte.
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen.
Röhricht Goette Kurzwelly
Münke Gehrlein

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Bundesgerichtshof Urteil, 19. Juli 2004 - II ZR 157/02 zitiert 4 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 110 Prozesskostensicherheit


(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherhe

Zivilprozessordnung - ZPO | § 113 Fristbestimmung für Prozesskostensicherheit


Das Gericht hat dem Kläger bei Anordnung der Sicherheitsleistung eine Frist zu bestimmen, binnen der die Sicherheit zu leisten ist. Nach Ablauf der Frist ist auf Antrag des Beklagten, wenn die Sicherheit bis zur Entscheidung nicht geleistet ist, die

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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2001 - II ZR 205/99

bei uns veröffentlicht am 09.07.2001

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 205/99 Verkündet am: 9. Juli 2001 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein BGB §

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2001 - II ZR 228/99

bei uns veröffentlicht am 09.07.2001

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 228/99 Verkündet am: 9. Juli 2001 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein BGB §

Referenzen

(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit.

(2) Diese Verpflichtung tritt nicht ein:

1.
wenn auf Grund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann;
2.
wenn die Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an den Beklagten auf Grund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt würde;
3.
wenn der Kläger im Inland ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen besitzt;
4.
bei Widerklagen;
5.
bei Klagen, die auf Grund einer öffentlichen Aufforderung erhoben werden.

Das Gericht hat dem Kläger bei Anordnung der Sicherheitsleistung eine Frist zu bestimmen, binnen der die Sicherheit zu leisten ist. Nach Ablauf der Frist ist auf Antrag des Beklagten, wenn die Sicherheit bis zur Entscheidung nicht geleistet ist, die Klage für zurückgenommen zu erklären oder, wenn über ein Rechtsmittel des Klägers zu verhandeln ist, dieses zu verwerfen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 205/99 Verkündet am:
9. Juli 2001
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
Führen Eheleute eine atypisch stille Gesellschaft, dann kann es interessengerecht
sein, hinsichtlich der Abfindung des stillen Gesellschafters danach zu
differenzieren, ob gleichzeitig mit der Beendigung der stillen Gesellschaft auch
das Unternehmen des Inhabers eingestellt oder ob es fortgeführt wird. Enthält
der Gesellschaftsvertrag dementsprechend ausdrücklich differenzierende Abfindungsregeln
, verletzt eine Auslegung, die sich hierüber hinwegsetzt, den
Grundsatz beiderseits interessengerechter Vertragsauslegung.
BGH, Urteil vom 9. Juli 2001 - II ZR 205/99 - OLG Bremen
LG Bremen
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht
und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin
Münke

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 6. Mai 1999 aufgehoben und das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bremen vom 25. März 1998 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Parteien waren früher miteinander verheiratet. Die Beklagte betrieb in B. in angemieteten Räumen einen Groß- und Einzelhandel mit Wolle, Woll- und Schuhmoden und artverwandten Artikeln. Der Kläger war aufgrund Vertrages vom 13. Mai 1983 als atypisch stiller Gesellschafter mit einer Einlage von zunächst 100.000 DM an diesem Unternehmen beteiligt und sollte nach § 5 des Vertrages, soweit in dem Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes be-
stimmt war, die Rechte eines Kommanditisten haben. § 3 aaO räumte ihm das Recht ein, seine Einlage jederzeit einseitig zu erhöhen; sie war von da an gewinn - und verlustunabhängig mit 6 % jährlich zu verzinsen. Gewinne und Verluste hatten die Beteiligten ursprünglich je hälftig zu tragen; aufgrund einer Nachtragsvereinbarung vom 25. Januar 1985 wurden der Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel dahin geändert, daß nunmehr auf die Beklagte 90 % und auf den Kläger 10 % entfallen sollten. § 4 Abs. 2 aaO enthält einen Katalog von Maßnahmen, für welche die Beklagte, die allein zur Geschäftsführung befugt war, der Zustimmung des Klägers bedurfte. Dazu gehört auch die vollständige oder teilweise Einstellung des Unternehmens (§ 4 Abs. 2 Nr. 14). Die Kündigung der stillen Gesellschaft, von welcher Seite auch immer, hat nach § 10 Abs. 2 aaO das Ausscheiden des stillen Gesellschafters zur Folge. § 11 des Vertrages regelt die "Auseinandersetzung" und bestimmt, daß "bei Beendigung der Gesellschaft" dem stillen Gesellschafter eine Abfindung entsprechend dem Wert (Betrag des Einlagenkontos und des beweglichen Kontos sowie die Hälfte der stillen Reserven) seines Gesellschaftsanteils zusteht, wobei die weiteren Absätze nähere Vorgaben enthalten, wie dieser Wert zu ermitteln ist. Die danach dem Kläger zustehende Abfindung sollte nach § 11 Abs. 6 in drei gleichen Jahresraten ausgezahlt werden. Für den Fall der "Beendigung der stillen Gesellschaft und Liquidation des Unternehmens der Inhaberin" sieht § 12 folgende Regelung vor:
"Stellt die Inhaberin ihr Unternehmen ein oder erfolgt die Beendigung der stillen Gesellschaft zugleich mit der Einstellung , so steht dem stillen Gesellschafter anstelle einer Abfindung gemäß § 11 eine Beteiligung am Liquidationserlös der Inhaberin zu. Am Liquidationsgewinn oder an einem sich ergebenden Liquidationsverlust ist der stille Gesellschafter zur Hälfte beteiligt."
Von 1986 an erwirtschaftete das Unternehmen nur noch Verluste, die in dem vereinbarten Verhältnis von 9 : 1 den Kapitalkonten zugeschrieben wurden ; gleichzeitig erhielt der Kläger Gutschriften als Verzinsung seiner Einlagen; um die entsprechenden Beträge erhöhte sich jeweils der Verlustanteil der Beklagten.
Zum 31. März 1990 stellte die Beklagte das Unternehmen ein und beendete die stille Gesellschaft. Die von dem gemeinsamen Steuerberater auf diesen Zeitpunkt erstellte Bilanz wies auf dem festen Kapitalkonto des Klägers einen Betrag von mehr als 677.000 DM und auf dem beweglichen Konto ein Guthaben von knapp 72.000 DM auf, während für die Beklagte ein Minussaldo von fast 927.000 DM verzeichnet war. Der hohe Betrag auf dem Einlagenkonto des Klägers beruhte in Höhe von 440.000 DM auf zusätzlichen Einlagen, die er zwischen dem 12. April und dem 8. August 1989 erbracht hatte und die zur Tilgung von Schulden des Unternehmens verwendet wurden, für welche sich der Kläger persönlich verbürgt gehabt hatte. Die Beklagte übernahm das Anlagevermögen und verwertete es, soweit möglich; das von ihr für die Zeit bis zum Jahre 2013 angemietete Geschäftslokal untervermietete sie nach der Einstellung des Wollhandelsgeschäfts.
Nach der später vollzogenen Trennung der Parteien forderte der Kläger zunächst vergeblich "Rückführung des Geschäftslokals" und dann Anfang 1997 den Ausgleich des Guthabens auf seinem Kapitalkonto. Er hat die Ansicht vertreten , da er wie ein Kommanditist zu behandeln sei, müsse die Schlußabrechnung wie bei einer Liquidation unter Berücksichtigung der Einlagen ermittelt werden. Mit der Klage hat er einen Teilbetrag von 440.000 DM nebst Zinsen
hiervon geltend gemacht. Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht hatte der Kläger Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung bzw. Abänderung der in den Vorinstanzen ergangenen Entscheidungen zur Abweisung der Klage. Dem Kläger steht der geltend gemachte (Teil-)Anspruch auf Rückzahlung seiner Einlage nicht zu. Zu dem gegenteiligen Ergebnis ist das Berufungsgericht nur dadurch gelangt, daß es den zwischen den Parteien geschlossenen Gesellschaftsvertrag in einer Weise ausgelegt hat, die rechtsfehlerhaft die Grenzen des tatrichterlichen Spielraums überschreitet, nämlich weder vom Wortlaut der maßgebenden Bestimmungen gedeckt ist, noch den Grundsatz beiderseits interessengerechter Interpretation (Sen.Urt. v. 3. April 2000 - II ZR 194/98, WM 2000, 1195; Urt. v. 10. Juli 1998 - V ZR 360/98, WM 1998, 1883; Urt. v. 11. Mai 1995 - VII ZR 116/94, WM 1995, 1545; Urt. v. 8. Juni 1994 - VIII ZR 103/93, NJW 1994, 2228 f.) wahrt. Da weitergehende tatrichterliche Feststellungen ausscheiden, kann der Senat den Vertrag selbst auslegen.
Nachdem das Gesellschaftsverhältnis zwischen den Parteien beendet worden ist, hat der Kläger als atypisch stiller Gesellschafter - insofern ist ihm ebenso wie dem Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu folgen - einen gesetzlichen Abfindungsanspruch, der nicht allein den Buchwert seiner Einlage umfaßt , sondern so zu ermitteln ist wie das Auseinandersetzungsguthaben des
Mitglieds einer beendeten OHG (vgl. Sen.Urt. v. 16. Mai 1994 - II ZR 223/92, NJW-RR 1994, 1185; Sen.Urt. v. 13. April 1995 - II ZR 132/94, WM 1995, 1277). Das gilt allerdings nur dann, wenn nicht im Gesellschaftsvertrag etwas Abweichendes vereinbart worden ist. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist dies im vorliegenden Fall geschehen. Denn lediglich für den Fall des Ausscheidens des Stillen aus der Gesellschaft bei Fortführung des Unternehmens durch die Inhaberin enthält § 11 des Gesellschaftsvertrages eine prinzipiell den gesetzlichen Regeln entsprechende Bestimmung. Dagegen ist für den Fall der Beendigung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Einstellung des Unternehmens, um die allein es hier geht, eine andere Regelung in § 12 aaO getroffen worden: Danach soll der Stille am Liquidationserlös der Inhaberin - bestehe er in einem Verlust oder in einem Gewinn - hälftig beteiligt werden, und diese Regelung soll nicht etwa die in § 11 aaO getroffenen Abreden ergänzen , wie das Berufungsgericht entschieden hat, sondern sie soll dieselben verdrängen. Das ergibt sich nicht nur aus dem zweifelsfreien Wortlaut - "anstelle einer Abfindung gemäß § 11" -, über den sich das Berufungsgericht hinweggesetzt hat, sondern auch aus der gebotenen beiderseits interessengerechten Auslegung der Abfindungsregeln des Vertrages.
Wird die stille Gesellschaft beendet, das Geschäft von der Inhaberin aber fortgeführt, erscheint es sachgerecht, wie in § 11 aaO bestimmt ist, daß sie dem Kläger nicht nur seine Einlage erstattet, sondern ihn als "atypisch stillen Gesellschafter" obendrein an dem Erfolg des Unternehmens beteiligt. Ihrem Interesse, durch die Abfindungszahlung die Fortführung des Geschäfts nicht zu gefährden, sondern auch in Zukunft erfolgreich tätig sein zu können, wird dadurch Rechnung getragen, daß sie die dem Ausgeschiedenen zustehende Zahlung nicht auf einmal aufbringen muß, sondern die Abfindung in drei glei-
chen Jahresraten leisten darf. Dadurch erhält sie zugleich, wie das das Berufungsgericht richtig gesehen hat, die Möglichkeit, sich nach einem anderen Geldgeber umzusehen, falls sie nicht in der Lage ist, aus selbst erwirtschafteten Mitteln die vertraglich vereinbarten Beträge aufzubringen.
Anders ist die Interessenlage dagegen dann, wenn es nicht zur Fortführung des Unternehmens kommt. Für diesen Fall entspricht es den Interessen der beiden als Eheleute in der stillen Gesellschaft verbundenen Gesellschafter, daß - wie es § 12 aaO regelt - allein die Gewinne und Verluste des von der Inhaberin und dem atypisch stillen Gesellschafter intern nach OHG-Grundsätzen geführten und nunmehr beendeten Geschäfts verteilt werden. Denn nunmehr geht es nur noch darum, das Ergebnis der bisherigen gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Tätigkeit, die jedenfalls für den Kläger bei der Verfolgung seiner anderweiten wirtschaftlichen Interessen besondere steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten mit sich brachte, unter den Eheleuten gerecht aufzuteilen. Die in § 12 aaO vorgesehene - bei einer von Ehegatten geführten Gesellschaft nicht fernliegenden - hälftige Teilung dieses Ergebnisses, an der die Parteien auch nach der Ä nderung des sonst geltenden Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssels festgehalten haben, zeigt, daß sie für den Fall der Beendigung der stillen Gesellschaft durch - nach § 4 Abs. 2 Nr. 14 aaO nur mit Zustimmung des Klägers mögliche - Einstellung des Unternehmens bewußt etwas Anderes bestimmt haben, als für andere Fälle der Beendigung der stillen Gesellschaft vereinbart worden ist. In den Tatsacheninstanzen ist selbst der Kläger davon ausgegangen , daß § 11 aaO von § 12 aaO verdrängt wird und hat - allerdings im Hinblick auf den unstreitigen Inhalt der Schlußbilanz des gemeinsamen Steuerberaters zu Unrecht - die Ansicht vertreten, auf die Abfindungsregelung nach § 12 aaO brauche er sich deswegen nicht verweisen zu lassen, weil eine Liqui-
dation der stillen Gesellschaft nicht stattgefunden habe, so daß er sein Auseinandersetzungsguthaben nach § 11 aaO berechnen dürfe. Dagegen hat die einseitig auf die Interessen des Klägers abstellende Interpretation der Vertragsbestimmungen , die das Berufungsgericht für richtig gehalten hat, zur Folge, daß die Beklagte die Verluste des eingestellten Unternehmens ganz überwiegend zu tragen hat. Denn sie hatte weder nach dem bereits erwähnten § 4 Abs. 2 Nr. 14 des Gesellschaftsvertrages die Möglichkeit, allein die Entscheidung über die Einstellung des Unternehmens zu treffen, noch konnte sie verhindern, daß der Kläger seine Einlage aufstockte, um sie sich dann ertragsunabhängig zu Lasten des Kapitalanteils der Beklagten verzinsen zu lassen. Selbst die Verwendung des zusätzlich eingeschossenen Betrages für die Tilgung von Schulden des Unternehmens ging - entgegen der in § 12 aaO niedergelegten Regelung über die hälftige Verlustverteilung - einseitig zu Lasten der Beklagten, wenn diese verpflichtet sein sollte, die Einlagen in jedem Fall zu erstatten.
Da der Kläger die geltend gemachten 440.000 DM ausdrücklich als Teilbetrag seiner "Einlage" eingefordert hat, hierfür aber im Hinblick auf den allein anwendbaren § 12 aaO keine Rechtsgrundlage besteht, bedarf es keiner Entscheidung , ob mit der von dem gemeinsamen Steuerberater der Parteien vorgelegten Schlußbilanz die Liquidation bereits abgeschlossen ist oder ob ggfs.
noch ein Anspruch des Klägers auf Teilhabe an einem Liquidationserlös in Gestalt des - der Höhe nach umstrittenen - "Nettomietgewinns" aus der Untervermietung der ehemals als Ladenlokal des Wollhandelsgeschäfts genutzten Räume besteht.
Röhricht Henze Goette
Kurzwelly Münke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 228/99 Verkündet am:
9. Juli 2001
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGB §§ 133 C, 157 C, 305, 765
Es verletzt den Grundsatz beiderseits interessengerechter Vertragsauslegung,
eine mit "Bürgschaftsvereinbarung" überschriebene Abrede ausschließlich
nach dem Wortlaut auszulegen und ihre Wirksamkeit nach formalrechtlichen
Kriterien zu verneinen, wenn nach dem Sinn des Vertrages anzunehmen ist,
daß der eine Teil den anderen in jedem Fall von einer Inanspruchnahme durch
dessen Gläubiger hat freistellen wollen.
BGH, Urteil vom 9. Juli 2001 - II ZR 228/99 - OLG Frankfurt
LG Darmstadt
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht
und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin
Münke

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 1999 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger gründete als Alleingesellschafter im Januar 1993 die N. H. GmbH (N.H. GmbH), deren Zweck die Anmietung und der Betrieb der im Eigentum des Beklagten stehenden Gaststätte "H." war. Der von den Geschäftsführern - einer von ihnen ist der Sohn des Klägers - gestellte Antrag auf Eintragung wurde Ende März 1994 von dem Registergericht zurückgewiesen und in der Folgezeit nicht erneuert. Die Vor-GmbH mietete im März 1993 das Objekt von dem Beklagten an und nahm gleichzeitig bei einer Brauerei ein Darlehen in Höhe von 300.000
DM auf, welches für den Umbau und die Renovierung der Gaststätte verwendet werden sollte. In Höhe eines Teilbetrages von 150.000 DM übernahm der Kläger gegenüber der Brauerei die Bürgschaft für dieses Darlehen und erhielt von der Darlehenssumme einen entsprechenden Betrag ausgehändigt. Im September 1993 leitete er diese 150.000 DM an den Beklagten weiter, und zwar auf Veranlassung der beiden Geschäftsführer der N.H. GmbH, die auf diese Weise Forderungen des Beklagten für die Gestellung von Material und Arbeitskräften bei den Umbauarbeiten begleichen wollten. Vor der Zahlung ließ sich der Kläger eine von dem Beklagten unterzeichnete, mit "Bürgschaftsvereinbarung" überschriebene Erklärung aushändigen, in der zunächst über Gegenstand und Inhalt der selbstschuldnerischen Bürgschaft des Klägers gegenüber der Brauerei berichtet wird und in der es dann heißt: "Dies vorausgeschickt übernehme ich ... (scil: Beklagter) Herrn ... (scil: Kläger) gegenüber eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 150.000 DM aus dem gleichen Rechtsgrund."
Da die Vorgesellschaft ab Oktober 1993 die vereinbarten Raten gegenüber der Brauerei schuldig blieb, kündigte diese daraufhin das Restdarlehen und nahm den Kläger mit Erfolg aus der von ihm übernommenen Bürgschaft in Anspruch. Mit der Klage hat der Kläger von dem Beklagten, gestützt auf die "Bürgschaftsvereinbarung" , 150.000 DM nebst Zinsen gefordert. Dieser hat sich u.a. mit der von ihm schon vorprozessual erklärten Aufrechnung mit Aufwendungsersatz - und Schadenersatzansprüchen in die Klageforderung weit übersteigender Höhe verteidigt. Das Landgericht hat der Klage entsprochen, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dessen zur Abweisung der Klage führende Auslegung der zwischen den Parteien geschlossenen "Bürgschaftsvereinbarung" ist rechtsfehlerhaft, weil sie am Wortlaut dieser Urkunde haftend gegen den Grundsatz beiderseits interessengerechter Interpretation (Sen. Urt. v. 3. April 2000 - II ZR 194/98, WM 2000, 1195; Urt. v. 10. Juli 1998 - V ZR 360/98, WM 1998, 1883; Urt. v. 11. Mai 1995 - VII ZR 116/94, WM 1995, 1545; Urt. v. 8. Juni 1994 - VIII ZR 103/93, NJW 1994, 2228 f.) verstößt. Dabei kann der Senat, der mangels der Erforderlichkeit weiterer tatrichterlicher Feststellungen die Abrede selbst auslegen kann, unentschieden lassen, ob sich der Alleingesellschafter einer das Eintragungsverfahren betreibenden, noch nicht gescheiterten Vor-GmbH wirksam für die Verbindlichkeiten derselben verbürgen kann oder ob dies, wie das Berufungsgericht angenommen hat, deswegen ausscheidet, weil in diesem Fall Hauptschuldner und Bürge als identisch anzusehen sind (vgl. dazu BGHZ 134, 333, 341). Eine sachgerechte, den von den Beteiligten verfolgten Zweck ihrer Vereinbarung in den Blick nehmende Auslegung der Urkunde führt nämlich dazu, daß der Beklagte sich dem Kläger gegenüber verpflichtet hat, 150.000 DM der durch die Renovierungs- und Umgestaltungsarbeiten aufgewandten Mittel dann zu tragen, wenn die Vor-GmbH als die Darlehensschuldnerin ihre Rückzahlungsverpflichtung an die Brauerei nicht erfüllen kann und der Kläger deswegen - sei es aufgrund der übernommenen Bürgschaft, sei es als Alleingesellschafter der gescheiterten Vorgesellschaft - von der Darlehensgeberin in Anspruch genommen wird. Legt man das Verständnis der "Bürgschaftsvereinbarung" durch das Berufungsgericht zugrunde, ist nicht ersichtlich, warum sich der Beklagte dazu bereit gefunden hat, vor Überlassung des aus dem Brauereidarlehen stam-
menden Betrages von 150.000 DM durch den Kläger die genannte Erklärung zu unterzeichnen. Denn dann hätte er den genannten Betrag als Erstattung seiner Aufwendungen, die er durch Bereitstellung von Arbeitskräften und Material im Rahmen der Umbauarbeiten gemacht hat, von demjenigen erhalten, der zumindest wirtschaftlich Auftraggeber und Schuldner dieser Arbeiten war. Mit Recht hat deswegen das Landgericht aus der Übernahme dieser Bürgschaft gegenüber dem Kläger für den Fall von dessen Inanspruchnahme durch die Darlehensgeberin hergeleitet, daß der Beklagte in Höhe der genannten 150.000 DM den Kläger von seiner - jedenfalls im Falle des Scheiterns der VorGmbH - ihm gegenüber bestehenden Zahlungsverpflichtung befreien wollte. Dieses Vorgehen war aus der Sicht des Beklagten nicht sinnlos. Denn mit einer Belastung aus der gegenüber dem Kläger eingegangenen Verpflichtung mußte er allein dann rechnen, wenn die Darlehensnehmerin, die Vorgesellschaft , ihren Verpflichtungen gegenüber der Brauerei nicht mehr nachkam. Das wiederum war dann zu erwarten, wenn das mit der Gründung der N.H. GmbH verfolgte Ziel unerreichbar wurde, weil sie schon im Gründungsstadium scheiterte oder jedenfalls alsbald nach der Eintragung insolvent wurde, und damit auch der mit dem Beklagten geschlossene Mietvertrag sein Ende fand. Dann aber blieben dem Beklagten, der die Gaststätte nunmehr anderweit vermieten konnte, die Wertsteigerungen des Objekts, die durch Renovierung und Umbau entstanden waren, erhalten, ohne daß er der N.H. GmbH das Objekt für die vereinbarte Dauer zur Nutzung belassen mußte. Vor diesem Hintergrund ergibt die von dem Beklagten unter der irreführenden Überschrift "Bürgschaftsvereinbarung" eingegangene Verpflichtung einen wirtschaftlichen Sinn. Zugleich war sie geeignet, den Kläger geneigt zu machen, die von ihm aus dem Brauereidarlehen zur Absicherung seiner eigenen Bürgschaftsverpflichtung einbehaltenen 150.000 DM an den Beklagten auszuzahlen, weil er an Stelle dieses ggfs. zur Begleichung der Schuld gegenüber der Brauerei einsetzbaren Geldbetrages nunmehr einen Anspruch gegen den Beklagten erhielt, ihn in der entsprechenden Höhe von Forderungen freizuhalten.
Die Sache bedarf der Zurückverweisung an das Berufungsgericht, damit dieses die bisher von ihm folgerichtig nicht geprüfte Frage klären kann, ob der Beklagte wirksam die Aufrechnung mit Forderungen gegen den Kläger als Alleingesellschafter der gescheiterten N.H. GmbH erklärt hat, die den Betrag von 150.000 DM übersteigen.
Röhricht Henze Goette
Kurzwelly Münke