Bundesgerichtshof Urteil, 19. Okt. 2011 - I ZR 223/06

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien sind Arzneimittelunternehmen und stehen miteinander im Wettbewerb.
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- Die Beklagte präsentierte ihre verschreibungspflichtigen Arzneimittel "VIOXX", "FOSAMAX" und "SINGULAIR" im Internet jeweils über eine nicht passwortgeschützte elektronische Verknüpfung und damit für jedermann frei zugänglich unter Wiedergabe der Produktpackung, der Beschreibung der Indikation und der Gebrauchsinformation.
- 3
- Die Klägerin sieht hierin einen Verstoß gegen das in § 10 Abs. 1 HWG bestimmte Verbot der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel und zugleich ein unzulässiges Verhalten der Beklagten im Wettbewerb.
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- Sie hat vor dem Landgericht beantragt, die Beklagte unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Internet werbliche Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel in einer Weise zu verbreiten, dass diese Informationen auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind.
- 5
- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht - entsprechend dem geänderten Klageantrag mit der Maßgabe, dass in den Verbotsausspruch nach den Wörtern "werbliche Informationen" der Klammerzusatz "(nämlich Angaben zur Indikation und/oder die Gebrauchsinformation)" eingefügt wird - zurückgewiesen (OLG Hamburg, MD 2007, 1200). Der Senat hat die Revision zugelassen.
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- Mit Beschluss vom 16. Juli 2009 hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, GRUR 2009, 988 = WRP 2009, 1100 - Arzneimittelpräsentation im Internet I): Erfasst Art. 88 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel auch eine Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, wenn sie allein Angaben enthält, die der Zulassungsbehörde im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorgelegen haben und jedem, der das Präparat erwirbt, ohnehin zugänglich werden, und wenn die Angaben dem Interessenten nicht unaufgefordert dargeboten werden, sondern nur demjenigen im Internet zugänglich sind, der sich selbst um sie bemüht?
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- Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage wie folgt beantwortet (EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - C-316/09, EuZW 2011, 481 = MMR 2011, 529 - MSD/Merckle): Art. 88 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er die Verbreitung von Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel auf einer Internet-Website durch Arzneimittel nicht verbietet, wenn diese Informationen auf dieser Website nur demjenigen zugänglich sind, der sich selbst um sie bemüht, und diese Verbreitung ausschließlich in der getreuen Wiedergabe der Umhüllung des Arzneimittels nach Art. 62 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung sowie in der wörtlichen und vollständigen Wiedergabe der Packungsbeilage oder der von der zuständigen Arzneimittelbehörde genehmigten Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels besteht. Verboten ist hingegen die über eine solche Website erfolgende Verbreitung von Informationen über ein Arzneimittel, die Gegenstand einer vom Hersteller vorgenommenen Auswahl oder Umgestaltung waren, die nur durch ein Werbeziel erklärbar ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts zu bestimmen, ob und in welchem Umfang die im Ausgangsverfahren fraglichen Tätigkeiten Werbung im Sinne der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung darstellen.
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- Die Beklagte verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
- 9
- I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Klägerin aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG, § 10 Abs. 1 HWG bejaht und hierzu ausgeführt:
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- Die von der Beklagten auf ihren Internetseiten ohne Passwort-Schutz für jedermann zugänglich veröffentlichten Angaben stellten eine nach § 10 Abs. 1 HWG verbotene und als wettbewerbswidrig anzusehende Werbung für ver- schreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb der Fachkreise dar. Sie unterfielen dem weit zu verstehenden heilmittelwerberechtlichen Werbebegriff auch dann, wenn sie sachlich gehalten und nicht typisch "reklamehaft" gestaltet seien. Dies gelte auch für diejenigen Angaben zur Indikation, die als Pflichtangaben Teil der arzneimittelrechtlichen Zulassung des jeweiligen Mittels seien, und insoweit, als die Gebrauchsinformation Pflichtangaben enthalte und als solche am Zulassungsverfahren teilhabe. Unerheblich sei, dass die Hinweise zu den drei Mitteln nicht aktiv an den Patienten herangetragen würden, sondern auf den Internetseiten der Beklagten veröffentlicht seien. Der von der Beklagten für wesentlich erachtete Gesichtspunkt eines Informationsbedürfnisses rechtfertige eine abweichende Beurteilung ebenfalls nicht.
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- II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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- 1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass es der Beklagten durch das in § 10 Abs. 1 HWG bestimmte Verbot der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel verwehrt ist, im Internet über solche Arzneimittel Angaben zu ihrer Indikation und/oder ihre Gebrauchsinformation in einer auch für das Laienpublikum erreichbaren Weise zu verbreiten. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf den Vorlagebeschluss des Senats hin entschieden hat, gilt das Verbot im - dem § 10 Abs. 1 HWG entsprechenden - Art. 88 Abs. 1 Buchst. a RL 2001/83/EG nicht für solche Informationen auf einer Internetseite, die nur denjenigen zugänglich sind, die sich selbst um sie bemühten, und entweder in der getreuen Wiedergabe der Umhüllung eines solchen Mittels und/oder in der wörtlichen und vollständigen Wiedergabe der Packungsbeilage und/oder in der von der zuständigen Behörde genehmigten Zusammenfassung der Merkmale des Mittels bestehen.
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- 2. Nach den getroffenen Feststellungen wendet sich die Klägerin mit der Klage allerdings auch gegen auf der Internetseite der Beklagten gegebene oder über einen weiterführenden elektronischen Verweis (Link) angekündigte Hinweise auf Gelenkschmerzen und Rheuma. Wie der Gerichtshof auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats klargestellt hat, ist die Verbreitung solcher Informationen auch gegenüber denjenigen, die sich um sie bemühen, verboten , wenn sie Gegenstand einer vom Hersteller vorgenommenen Auswahl oder Umgestaltung waren und nur durch ein Werbeziel erklärbar sind. Davon ist etwa bei der von der Klägerin beanstandeten Aussage auf der Internetseite der Beklagten "Diagnose Rheuma: Da kommt schnell Angst auf, sich bald gar nicht mehr bewegen zu können. Ursache ist oft die Unsicherheit, was genau mit diesem Krankheitsbild verbunden ist" auszugehen.
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- 3. Der Klägerin ist danach durch die Wiedereröffnung der Berufungsinstanz Gelegenheit zu geben, einen eingeschränkten Klageantrag zu stellen, der den sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebenden Erfordernissen Rechnung trägt.
Schaffert Koch
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 03.02.2005 - 315 O 303/04 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 23.11.2006 - 3 U 43/05 -

Annotations
(1) Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.
(2) Für Arzneimittel, die psychotrope Wirkstoffe mit der Gefahr der Abhängigkeit enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Menschen die Schlaflosigkeit oder psychische Störungen zu beseitigen oder die Stimmungslage zu beeinflussen, darf außerhalb der Fachkreise nicht geworben werden. Dies gilt auch für Arzneimittel, die zur Notfallkontrazeption zugelassen sind.
(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht.
(2) Werden die Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet.
(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu:
- 1.
jedem Mitbewerber, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt, - 2.
denjenigen rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen, die in der Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b eingetragen sind, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, und die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt, - 3.
den qualifizierten Einrichtungen, die in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind, oder den qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2018/302 (ABl. L 60I vom 2.3.2018, S. 1) geändert worden ist, eingetragen sind, - 4.
den Industrie- und Handelskammern, den nach der Handwerksordnung errichteten Organisationen und anderen berufsständischen Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben sowie den Gewerkschaften im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Vertretung selbstständiger beruflicher Interessen.
(4) Stellen nach Absatz 3 Nummer 2 und 3 können die Ansprüche nicht geltend machen, solange ihre Eintragung ruht.
(5) § 13 des Unterlassungsklagengesetzes ist entsprechend anzuwenden; in § 13 Absatz 1 und 3 Satz 2 des Unterlassungsklagengesetzes treten an die Stelle der dort aufgeführten Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz die Ansprüche nach dieser Vorschrift. Im Übrigen findet das Unterlassungsklagengesetz keine Anwendung, es sei denn, es liegt ein Fall des § 4e des Unterlassungsklagengesetzes vor.
(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.
(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.
(3) Die im Anhang dieses Gesetzes aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern sind stets unzulässig.
(4) Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.
Unlauter handelt, wer
- 1.
die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft; - 2.
über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind; handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen und hat der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse, so ist die Handlung nur dann unlauter, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet wurden; - 3.
Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er - a)
eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt, - b)
die Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt oder - c)
die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt hat;
- 4.
Mitbewerber gezielt behindert.
(1) Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.
(2) Für Arzneimittel, die psychotrope Wirkstoffe mit der Gefahr der Abhängigkeit enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Menschen die Schlaflosigkeit oder psychische Störungen zu beseitigen oder die Stimmungslage zu beeinflussen, darf außerhalb der Fachkreise nicht geworben werden. Dies gilt auch für Arzneimittel, die zur Notfallkontrazeption zugelassen sind.