Bundesgerichtshof Urteil, 11. März 2014 - 5 StR 649/13

bei uns veröffentlicht am11.03.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR649/13
vom
11. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. März 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt D.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt G.
als Vertreter der Nebenklägerin
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 16. August 2013 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit To1 desfolge (Fall 2) sowie wegen Körperverletzung (Fall 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt. Die jeweils auf die Sachrüge gestützten, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft – diese wird vom Generalbundesanwalt vertreten – und der Nebenklägerin, die unter verschiedenen Gesichtspunkten eine unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen (zumindest versuchten) Mordes beanstanden , sind auf den Schuldspruch im Fall 2 (und auf den Gesamtstrafenausspruch ) beschränkt. Sie bleiben ohne Erfolg. 1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen zum zweiten Tatkomplex
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schlug der Angeklagte vom 8. bis 12. November 2011 – an diesem Tag spätes- tens um 4.12 Uhr – in der gemeinsamen Wohnung mehrfach aus Eifersucht auf seine Freundin K. ein, vor allem auf deren Kopf, Hals, Oberkörper, Gesäß und Extremitäten. Er verursachte wahrscheinlich im Zeitraum vom späten Abend des 9. November 2011 bis zu den Mittagsstunden des Folgetages u.a. eine Nasenbeintrümmerfraktur, eine Bodenfraktur der linken Augenhöhle und eine zweifache Unterkieferfraktur nebst einem Abbruch des linken Unterkieferastes. Zudem versetzte er der Geschädigten bis etwa 15.00 Uhr am 9. November 2011 mit dem Kopf eines Besens einen Schlag gegen den linken Unterarm und trat ihr – möglicherweise ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt – mit dem beschuhten Fuß gegen den linken rückwärtigen Brustkorb, was zur Fraktur der achten bis zwölften Rippe, damit einhergehend zu weiterem Blutverlust und schließlich zur Einschränkung der Atemfunktion aufgrund eines Kollapses der linken Lunge führte. Keine dieser Verletzungen wäre für sich genommen tödlich gewesen; in ihrer Summe führten sie jedoch infolge länger währenden Verblutens nach innen und außen sowie eines darauf beruhenden hämorrhagischen Schocks frühestens am 12. November 2011 gegen 4.20 Uhr zu einem nicht mehr revisiblen Herzstillstand. Am 8. November 2011 um ca. 10.30 Uhr, am 10. November 2011 kurz
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nach 13.00 Uhr sowie am 11. November 2011 im Laufe des Nachmittags hatte der Angeklagte mehrfach diverse Schmerz- und Verbandsmittel erworben und seine Freundin damit versorgt. Am späten Abend des 11. November 2011 kaufte er unter anderem flüssig zuzuführende Nahrung nebst Saugfläschchen ein, um ihr diese einzuflößen. Am Folgetag alarmierte er um 4.26 Uhr telefonisch die Rettungsleitstelle. Er „gab in einer weinerlichen und zum Teil panisch anmu- tenden Weise an, dass seine Freundin verstorben sei und seit ein paar Minuten keinen Pulsschlag mehr aufweise, und bat darum, dass der Rettungsdienst sich beeilen möge“ (UA S. 35). Die wenig später eintreffenden Rettungseinsatzkräfte trieb er zur Eile an.
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2. Aufgrund dieser Feststellungen hat sich das Landgericht von einem auch nur bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überzeugen vermocht und ihn daher im zweiten Tatkomplex wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. 3. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs im Fall 2 sowie der
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Gesamtstrafe hat Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten nicht ergeben. Namentlich die landgerichtliche Beweis- sowie die rechtliche Würdigung halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihre re6 visionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob diesem ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 64) oder zugunsten des Angeklagten eine Konstellation unterstellt wird, für die es keinen Anknüpfungspunkt gibt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630 mwN). Ein derartiger Mangel ist dem angegriffenen Urteil nicht zu entnehmen. Insbesondere hat das Landgericht in die gebotene – und am zutreffen7 den Maßstab ausgerichtete (UA S. 75) – Gesamtwürdigung alle für die Frage wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Dabei hat es vor allem Quantität und Qualität der Verletzungshandlungen, von denen jede für sich nicht tödlich gewesen wäre, in den Blick genommen und vertretbar gewertet. Es durfte zudem zugunsten des Angeklagten berücksichtigen, dass dieser seine Freundin, die er „durchaus liebte“ (UA S. 78), mehrfach mit Medikamenten versorgt und schließlich vergeblich versucht hat, ihr Nahrung mit Hilfe zu diesem Zweck erworbener Babyfläsch- chen zuzuführen. Dasselbe gilt für die vom Angeklagten letztlich entfalteten Rettungsbemühungen sowie den Umstand, dass er im Polizeigewahrsam die Nachricht vom Tod K. s „heftig bewegt aufnahm“ (UA S. 79). Auch aufgrund eingestandener Schläge des Angeklagten gegen seine Freundin wegen eines vermeintlichen Untreuegeständnisses noch in der letzten Phase des Tatgeschehens musste das Landgericht bei der Persönlichkeitsstruktur des außerordentlich eifersüchtigen und aufbrausenden Angeklagten ungeachtet des Erscheinungsbildes der bereits ersichtlich schwerverletzten Geschädigten nicht unbedingt eine Änderung des Vorstellungsbildes des Angeklagten in Betracht ziehen. Nach alledem begründet es keinen Rechtsfehler, dass das Landgericht
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sich im Ergebnis nicht von einem auch nur bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat überzeugen können. Denn es ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO), die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien zu bewerten. Kann es auf der Grundlage einer Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, auch wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre. Dabei brauchen die tatgerichtlichen Schlussfolgerungen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie – wie vorliegend – möglich sind. Im Blick auf die mangelnde Möglichkeit, Art und Ausmaß der letzten Gewalthandlungen am 12. November 2011 gegen 4.00 Uhr näher festzustellen, und auf die besonders verengte Blickrichtung des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt nimmt der Senat die tatgerichtliche Beurteilung auch für diesen letzten Teilakt der Gewalthandlungen eben noch hin. Eine mangelhafte oder widersprüchliche Beweiswürdigung ergibt sich
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auch nicht für den Zeitraum ab 4.12 Uhr des 12. November 2011, für den das Landgericht einen für eine versuchte Tötung durch Unterlassen erforderlichen Tötungsvorsatz mit der Erwägung verneint hat, dass nicht ausgeschlossen wer- den könne, dass der Angeklagte nunmehr „sogar davon ausging, dass K. bereits verstorben sei“ (UA S. 81). Mit der Wertung, es könne „keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt zumindest ernsthaft damit rechnete, dass K. infolge seiner Gewalttätigkei- ten versterben werde“, weil er wahrgenommen habe, „dass sie nun nicht mehr atme“ (UA S. 79), hates lediglich klargestellt, dass es – anders als bezüglich des vorher liegenden Zeitraums – nunmehr davon ausging, dass der Angeklagte den Tod K. s für möglich hielt. An dem darüber hinausgehenden Schluss sogar möglicher Todeskenntnis war das Landgericht auch nicht durch die miteinander nicht ohne weiteres zu vereinbarenden Darstellungen des An- geklagten gehindert, der einerseits angab, er sei „voller Hoffnung gewesen und habe erwartet, dass er bzw. der Krankendienst K. noch retten werde“, andererseits auch bekundet hat, er habe „versucht, K. wiederzubeleben , weil sie nicht mehr geatmet habe“ (UA S. 60). Angesichts dessen hat das Landgericht im Ergebnis nichts ohne entsprechende Anhaltspunkte zugunsten des Angeklagten unterstellt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630), zumal dieser auch in seinem um 4.26 Uhr mit der Rettungs- leitstelle geführten Telefonat mitgeteilt hatte, „dass seine Freundin verstorben sei und seit ein paar Minuten keinen Pulsschlag mehr aufweise“ (UA S. 35).
b) Die danach vom Landgericht vorgenommene rechtliche Würdigung ist
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ebenfalls nicht zu beanstanden. aa) Die Voraussetzungen des § 227 StGB hat es zutreffend bejaht. Da11 nach würde in der vorliegenden Fallkonstellation eine etwa zugleich begründete Strafbarkeit nach § 221 StGB verdrängt.
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Eine Strafbarkeit wegen eines durch Unterlassen (§ 13 StGB) begangenen versuchten Tötungsdelikts schiede im Übrigen selbst dann aus, wenn man – vonder rechtsfehlerfreien landgerichtlichen Beweiswürdigung abweichend – einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten am 12. November 2011 ab 4.12 Uhr zugrunde legte. Denn unabhängig von der Frage, wie bei einem Unterlassen der Versuchsbeginn generell zu bestimmen ist, hatte der Angeklagte nach seiner insoweit maßgeblichen Vorstellung jedenfalls noch nicht „zur Ver- wirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt“ (§ 22 StGB). Hierfür wäre notwendig gewesen, dass er eine schon als geboten erkannte Handlung unterlassen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 265 f.). Solches aber lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Vielmehr rief der völlig aufgelöst wirkende Angeklagte unmittelbar nach einem um 4.19 Uhr begonnenen Telefonat mit einer früheren Freundin, von der er aufgefordert worden war, „unverzüglich einen Krankenwagen herbeizurufen“ , die Rettungsleitstelle an; schon ab 4.12 Uhr hatte er mehrfach erfolg- los versucht, eine seiner Schwestern telefonisch zu erreichen. bb) Die vom Revisionsgericht ohnehin nur eingeschränkt überprüfbaren
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landgerichtlichen Strafzumessungsentscheidungen erweisen sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei. Der Senat nimmt insbesondere die auf Beurteilung durch einen Sachverständigen beruhende Annahme nicht erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit aufgrund einer noch nicht schweren anderen seelischen Abartigkeit hin. Basdorf Sander Schneider Berger Bellay

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Bundesgerichtshof Urteil, 11. März 2014 - 5 StR 649/13 zitiert 8 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Strafgesetzbuch - StGB | § 13 Begehen durch Unterlassen


(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun

Strafgesetzbuch - StGB | § 227 Körperverletzung mit Todesfolge


(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahre

Strafgesetzbuch - StGB | § 221 Aussetzung


(1) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitss

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Bundesgerichtshof Urteil, 04. Apr. 2013 - 3 StR 37/13

bei uns veröffentlicht am 04.04.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 37/13 vom 4. April 2013 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. April 2013, an der teilgenommen haben: Richt

Bundesgerichtshof Urteil, 20. Mai 2009 - 2 StR 576/08

bei uns veröffentlicht am 20.05.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 576/08 vom 20. Mai 2009 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2009, an der teilgenommen haben: Richte

Referenzen

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 37/13
vom
4. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. April 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 27. September 2012 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags, zumindest aber der Verhängung einer höheren Strafe eingelegte und mit sachlichrechtlichen Beanstandungen begründete Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Überzeugung der Strafkammer, der Angeklagte habe bei den mit einem Baseballschläger ausgeführten Schlägen nur mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
3
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
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b) Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Über- zeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11, juris Rn. 9 mwN).
5
c) Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
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d) Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. So kann eine Alkoholbeeinflussung des Täters von Rechts wegen den Schluss auf eine verminderte Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen oder auf fehlendes Bewusstsein von Umständen, die gegen einen tödlichen Ausgang des Geschehens sprechen, ebenso tragen wie umgekehrt den Schluss auf ein unüberlegtes Handeln, bei dem sich der Täter nahe liegender tödlicher Folgen nicht bewusst wird. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
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e) An diesen Grundsätzen (BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77) gemessen ist gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts nichts zu erinnern. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze.
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Die Strafkammer hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in ihre Überlegungen einbezogen und insbesondere gesehen, dass die teils wuchtig geführten Schläge gegen den Kopf des Tatopfers hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlungen waren, die ein gewichtiges Indiz dafür sind, dass der Angeklagte den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Dass das Landgericht seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes wegen u.a. des vor Ausführung der Schläge gezeigten Verhaltens des Angeklagten, dessen bisheriger Unbestraftheit und unauffälligen Lebenswandels, des Fehlens verbaler Drohungen und eines Tötungsmotivs sowie des Nachtatverhaltens nicht hat überwinden können, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenngleich einzelne der vom Landgericht als gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechend gewerteten Umstände jeweils für sich genommen nicht von allein ausschlaggebendem Gewicht sein mögen, so ergibt doch die Gesamtbetrachtung aller vom Landgericht erwogenen Indizien eine ausreichende Grundlage für die rechtsfehlerfreie Annahme eines lediglich auf Körperverletzung gerichteten Vorsatzes.
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2. Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Angesichts aller Umstände in der Person des Angeklagten, in der Tat und in dem dieser vorangehenden Verhalten des Nebenklägers kann die Strafe nicht als zu einem gerechten Schuldausgleich nicht mehr geeignet bezeichnet werden.
Schäfer Pfister Mayer
Gericke Spaniol

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 576/08
vom
20. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2009,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 15. Juli 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt der Nebenkläger eine Verurteilung wegen versuchten Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am Tattag erfahren, dass seine 15-jährige Tochter wiederholt vom Nebenkläger sexuell belästigt worden war. Um ihn zur Rede zu stellen, begab sich der Angeklagte noch am selben Abend zu einer Pizzeria in S. , wo jener als Kellner arbeitete. Als der Nebenkläger nach Schließung der Pizzeria an sein in der Nähe abgestelltes Auto getreten war, ging der Angeklagte mit dem Ausruf "Was machst du mit meiner Tochter?" auf ihn los, wobei er spätestens in diesem Moment den Entschluss fasste, ihn zu töten. Hierzu zog er ein Taschenmesser hervor, das er in einer Jackentasche verborgen gehalten hatte, ließ dessen Klinge blitzschnell aufklappen und führte diese mit erheblicher Wucht zwei Mal mit schneidenden Bewegungen gegen Hals und Gesicht seines Gegenübers. Hierbei äußerte der Angeklagte: "Ich bring dich um". Obgleich lebensgefährlich verletzt, gelang es dem Geschädigten, zurück in die ca. 50 Meter entfernte Pizzeria zu rennen und sich dort vor dem Angeklagten, der ihm noch ein Stück nachsetzte und dabei rief: „Läufst du weg“ und „Bastard“, in Sicherheit zu bringen. Durch eine sofortige Notoperation konnte das Leben des Nebenklägers gerettet werden.
3
Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten als heimtückischen Tötungsversuch gewertet, ist aber unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes davon ausgegangen, dass er mit strafbefreiender Wirkung vom Mordversuch zurückgetreten sei und hat ihn deshalb lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Insbesondere weil der Geschädigte noch in der Lage gewesen sei, ohne erkennbare Beeinträchtigungen vom Tatort wegzulaufen, sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der von ihm bewirkten Verletzungen nicht erkannt habe. Es liege nicht fern, dass er nach den Messerattacken zu der Auffassung gelangt sei, den Geschädigten genug bestraft zu haben. Zu Gunsten des Angeklagten müsse davon ausgegangen werden , dass er im Moment der Flucht seines Opfers sein Tötungsvorhaben aufgegeben und freiwillig von einer Verfolgung und der von ihm noch für möglich gehaltenen Tatvollendung Abstand genommen habe.
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2. Die Würdigung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat einen fehlgeschlagenen Versuch rechtsfehlerhaft verneint.
5
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet schon insofern Bedenken , als es bei der Erörterung des fehlgeschlagenen Versuchs einen fortbestehenden Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich die Äußerungen des Angeklagten angesichts der Flucht des Nebenklägers und sein Nachtatverhalten berücksichtigt, nicht aber den Umstand, dass der Angeklagte zunächst die Verfolgung des Nebenklägers aufgenommen hatte, was einen fortbestehenden Tötungsvorsatz nahe legt. Dieser Erörterungsmangel hat sich auf die Verneinung eines fehlgeschlagenen Versuchs auch im Ergebnis ausgewirkt, denn das Landgericht hat auf diesen Gesichtspunkt „entscheidend“ abgestellt.
6
b) Darüber hinaus hat das Landgericht die Reichweite des Zweifelssatzes verkannt. Der Zweifelssatz bedeutet nicht, dass von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann auszugehen ist, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (std. Rspr., vgl. BGH StV 2001, 666, 667; NStZ-RR 2003, 166, 168). Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind vielmehr nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale Anknüpfungspunkte hat (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 243; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Nebenkläger, der jünger und schlanker war als der Angeklagte und trotz der ihm zugefügten Verletzungen noch einige Minuten voll handlungsfähig war, in Todesangst so schnell er konnte losgelaufen war. Danach drängte sich auf, dass der Angeklagte den Nebenkläger auf dem Weg zur Eingangstür der Pizzeria nicht hatte einholen können und deshalb die Verfolgung aufgab. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bei Aufgabe der Verfolgung noch geglaubt haben könnte, den Nebenkläger einholen zu können, hat das Landgericht nicht festgestellt. Auch für die Annahme, der Angeklagte könne das Gefühl gehabt haben, den Nebenkläger genug bestraft zu haben, ergeben sich aus den festgestellten Tatumständen keine Hinweise. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen rechtsfehlerhaften Unterstellungen beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt werden. Fischer Roggenbuck Appl Cierniak Schmitt

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 576/08
vom
20. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2009,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 15. Juli 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt der Nebenkläger eine Verurteilung wegen versuchten Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am Tattag erfahren, dass seine 15-jährige Tochter wiederholt vom Nebenkläger sexuell belästigt worden war. Um ihn zur Rede zu stellen, begab sich der Angeklagte noch am selben Abend zu einer Pizzeria in S. , wo jener als Kellner arbeitete. Als der Nebenkläger nach Schließung der Pizzeria an sein in der Nähe abgestelltes Auto getreten war, ging der Angeklagte mit dem Ausruf "Was machst du mit meiner Tochter?" auf ihn los, wobei er spätestens in diesem Moment den Entschluss fasste, ihn zu töten. Hierzu zog er ein Taschenmesser hervor, das er in einer Jackentasche verborgen gehalten hatte, ließ dessen Klinge blitzschnell aufklappen und führte diese mit erheblicher Wucht zwei Mal mit schneidenden Bewegungen gegen Hals und Gesicht seines Gegenübers. Hierbei äußerte der Angeklagte: "Ich bring dich um". Obgleich lebensgefährlich verletzt, gelang es dem Geschädigten, zurück in die ca. 50 Meter entfernte Pizzeria zu rennen und sich dort vor dem Angeklagten, der ihm noch ein Stück nachsetzte und dabei rief: „Läufst du weg“ und „Bastard“, in Sicherheit zu bringen. Durch eine sofortige Notoperation konnte das Leben des Nebenklägers gerettet werden.
3
Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten als heimtückischen Tötungsversuch gewertet, ist aber unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes davon ausgegangen, dass er mit strafbefreiender Wirkung vom Mordversuch zurückgetreten sei und hat ihn deshalb lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Insbesondere weil der Geschädigte noch in der Lage gewesen sei, ohne erkennbare Beeinträchtigungen vom Tatort wegzulaufen, sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der von ihm bewirkten Verletzungen nicht erkannt habe. Es liege nicht fern, dass er nach den Messerattacken zu der Auffassung gelangt sei, den Geschädigten genug bestraft zu haben. Zu Gunsten des Angeklagten müsse davon ausgegangen werden , dass er im Moment der Flucht seines Opfers sein Tötungsvorhaben aufgegeben und freiwillig von einer Verfolgung und der von ihm noch für möglich gehaltenen Tatvollendung Abstand genommen habe.
4
2. Die Würdigung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat einen fehlgeschlagenen Versuch rechtsfehlerhaft verneint.
5
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet schon insofern Bedenken , als es bei der Erörterung des fehlgeschlagenen Versuchs einen fortbestehenden Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich die Äußerungen des Angeklagten angesichts der Flucht des Nebenklägers und sein Nachtatverhalten berücksichtigt, nicht aber den Umstand, dass der Angeklagte zunächst die Verfolgung des Nebenklägers aufgenommen hatte, was einen fortbestehenden Tötungsvorsatz nahe legt. Dieser Erörterungsmangel hat sich auf die Verneinung eines fehlgeschlagenen Versuchs auch im Ergebnis ausgewirkt, denn das Landgericht hat auf diesen Gesichtspunkt „entscheidend“ abgestellt.
6
b) Darüber hinaus hat das Landgericht die Reichweite des Zweifelssatzes verkannt. Der Zweifelssatz bedeutet nicht, dass von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann auszugehen ist, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (std. Rspr., vgl. BGH StV 2001, 666, 667; NStZ-RR 2003, 166, 168). Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind vielmehr nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale Anknüpfungspunkte hat (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 243; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Nebenkläger, der jünger und schlanker war als der Angeklagte und trotz der ihm zugefügten Verletzungen noch einige Minuten voll handlungsfähig war, in Todesangst so schnell er konnte losgelaufen war. Danach drängte sich auf, dass der Angeklagte den Nebenkläger auf dem Weg zur Eingangstür der Pizzeria nicht hatte einholen können und deshalb die Verfolgung aufgab. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bei Aufgabe der Verfolgung noch geglaubt haben könnte, den Nebenkläger einholen zu können, hat das Landgericht nicht festgestellt. Auch für die Annahme, der Angeklagte könne das Gefühl gehabt haben, den Nebenkläger genug bestraft zu haben, ergeben sich aus den festgestellten Tatumständen keine Hinweise. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen rechtsfehlerhaften Unterstellungen beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt werden. Fischer Roggenbuck Appl Cierniak Schmitt

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer einen Menschen

1.
in eine hilflose Lage versetzt oder
2.
in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,
und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder
2.
durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.