Bundesgerichtshof Urteil, 11. März 2014 - 5 StR 649/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit To1 desfolge (Fall 2) sowie wegen Körperverletzung (Fall 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt. Die jeweils auf die Sachrüge gestützten, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft – diese wird vom Generalbundesanwalt vertreten – und der Nebenklägerin, die unter verschiedenen Gesichtspunkten eine unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen (zumindest versuchten) Mordes beanstanden , sind auf den Schuldspruch im Fall 2 (und auf den Gesamtstrafenausspruch ) beschränkt. Sie bleiben ohne Erfolg. 1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen zum zweiten Tatkomplex
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- schlug der Angeklagte vom 8. bis 12. November 2011 – an diesem Tag spätes- tens um 4.12 Uhr – in der gemeinsamen Wohnung mehrfach aus Eifersucht auf seine Freundin K. ein, vor allem auf deren Kopf, Hals, Oberkörper, Gesäß und Extremitäten. Er verursachte wahrscheinlich im Zeitraum vom späten Abend des 9. November 2011 bis zu den Mittagsstunden des Folgetages u.a. eine Nasenbeintrümmerfraktur, eine Bodenfraktur der linken Augenhöhle und eine zweifache Unterkieferfraktur nebst einem Abbruch des linken Unterkieferastes. Zudem versetzte er der Geschädigten bis etwa 15.00 Uhr am 9. November 2011 mit dem Kopf eines Besens einen Schlag gegen den linken Unterarm und trat ihr – möglicherweise ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt – mit dem beschuhten Fuß gegen den linken rückwärtigen Brustkorb, was zur Fraktur der achten bis zwölften Rippe, damit einhergehend zu weiterem Blutverlust und schließlich zur Einschränkung der Atemfunktion aufgrund eines Kollapses der linken Lunge führte. Keine dieser Verletzungen wäre für sich genommen tödlich gewesen; in ihrer Summe führten sie jedoch infolge länger währenden Verblutens nach innen und außen sowie eines darauf beruhenden hämorrhagischen Schocks frühestens am 12. November 2011 gegen 4.20 Uhr zu einem nicht mehr revisiblen Herzstillstand. Am 8. November 2011 um ca. 10.30 Uhr, am 10. November 2011 kurz
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- nach 13.00 Uhr sowie am 11. November 2011 im Laufe des Nachmittags hatte der Angeklagte mehrfach diverse Schmerz- und Verbandsmittel erworben und seine Freundin damit versorgt. Am späten Abend des 11. November 2011 kaufte er unter anderem flüssig zuzuführende Nahrung nebst Saugfläschchen ein, um ihr diese einzuflößen. Am Folgetag alarmierte er um 4.26 Uhr telefonisch die Rettungsleitstelle. Er „gab in einer weinerlichen und zum Teil panisch anmu- tenden Weise an, dass seine Freundin verstorben sei und seit ein paar Minuten keinen Pulsschlag mehr aufweise, und bat darum, dass der Rettungsdienst sich beeilen möge“ (UA S. 35). Die wenig später eintreffenden Rettungseinsatzkräfte trieb er zur Eile an.
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- 2. Aufgrund dieser Feststellungen hat sich das Landgericht von einem auch nur bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überzeugen vermocht und ihn daher im zweiten Tatkomplex wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. 3. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs im Fall 2 sowie der
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- Gesamtstrafe hat Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten nicht ergeben. Namentlich die landgerichtliche Beweis- sowie die rechtliche Würdigung halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihre re6 visionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob diesem ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 64) oder zugunsten des Angeklagten eine Konstellation unterstellt wird, für die es keinen Anknüpfungspunkt gibt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630 mwN). Ein derartiger Mangel ist dem angegriffenen Urteil nicht zu entnehmen. Insbesondere hat das Landgericht in die gebotene – und am zutreffen7 den Maßstab ausgerichtete (UA S. 75) – Gesamtwürdigung alle für die Frage wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Dabei hat es vor allem Quantität und Qualität der Verletzungshandlungen, von denen jede für sich nicht tödlich gewesen wäre, in den Blick genommen und vertretbar gewertet. Es durfte zudem zugunsten des Angeklagten berücksichtigen, dass dieser seine Freundin, die er „durchaus liebte“ (UA S. 78), mehrfach mit Medikamenten versorgt und schließlich vergeblich versucht hat, ihr Nahrung mit Hilfe zu diesem Zweck erworbener Babyfläsch- chen zuzuführen. Dasselbe gilt für die vom Angeklagten letztlich entfalteten Rettungsbemühungen sowie den Umstand, dass er im Polizeigewahrsam die Nachricht vom Tod K. s „heftig bewegt aufnahm“ (UA S. 79). Auch aufgrund eingestandener Schläge des Angeklagten gegen seine Freundin wegen eines vermeintlichen Untreuegeständnisses noch in der letzten Phase des Tatgeschehens musste das Landgericht bei der Persönlichkeitsstruktur des außerordentlich eifersüchtigen und aufbrausenden Angeklagten ungeachtet des Erscheinungsbildes der bereits ersichtlich schwerverletzten Geschädigten nicht unbedingt eine Änderung des Vorstellungsbildes des Angeklagten in Betracht ziehen. Nach alledem begründet es keinen Rechtsfehler, dass das Landgericht
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- sich im Ergebnis nicht von einem auch nur bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat überzeugen können. Denn es ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO), die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien zu bewerten. Kann es auf der Grundlage einer Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, auch wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre. Dabei brauchen die tatgerichtlichen Schlussfolgerungen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie – wie vorliegend – möglich sind. Im Blick auf die mangelnde Möglichkeit, Art und Ausmaß der letzten Gewalthandlungen am 12. November 2011 gegen 4.00 Uhr näher festzustellen, und auf die besonders verengte Blickrichtung des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt nimmt der Senat die tatgerichtliche Beurteilung auch für diesen letzten Teilakt der Gewalthandlungen eben noch hin. Eine mangelhafte oder widersprüchliche Beweiswürdigung ergibt sich
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- auch nicht für den Zeitraum ab 4.12 Uhr des 12. November 2011, für den das Landgericht einen für eine versuchte Tötung durch Unterlassen erforderlichen Tötungsvorsatz mit der Erwägung verneint hat, dass nicht ausgeschlossen wer- den könne, dass der Angeklagte nunmehr „sogar davon ausging, dass K. bereits verstorben sei“ (UA S. 81). Mit der Wertung, es könne „keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt zumindest ernsthaft damit rechnete, dass K. infolge seiner Gewalttätigkei- ten versterben werde“, weil er wahrgenommen habe, „dass sie nun nicht mehr atme“ (UA S. 79), hates lediglich klargestellt, dass es – anders als bezüglich des vorher liegenden Zeitraums – nunmehr davon ausging, dass der Angeklagte den Tod K. s für möglich hielt. An dem darüber hinausgehenden Schluss sogar möglicher Todeskenntnis war das Landgericht auch nicht durch die miteinander nicht ohne weiteres zu vereinbarenden Darstellungen des An- geklagten gehindert, der einerseits angab, er sei „voller Hoffnung gewesen und habe erwartet, dass er bzw. der Krankendienst K. noch retten werde“, andererseits auch bekundet hat, er habe „versucht, K. wiederzubeleben , weil sie nicht mehr geatmet habe“ (UA S. 60). Angesichts dessen hat das Landgericht im Ergebnis nichts ohne entsprechende Anhaltspunkte zugunsten des Angeklagten unterstellt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630), zumal dieser auch in seinem um 4.26 Uhr mit der Rettungs- leitstelle geführten Telefonat mitgeteilt hatte, „dass seine Freundin verstorben sei und seit ein paar Minuten keinen Pulsschlag mehr aufweise“ (UA S. 35).
b) Die danach vom Landgericht vorgenommene rechtliche Würdigung ist
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- ebenfalls nicht zu beanstanden. aa) Die Voraussetzungen des § 227 StGB hat es zutreffend bejaht. Da11 nach würde in der vorliegenden Fallkonstellation eine etwa zugleich begründete Strafbarkeit nach § 221 StGB verdrängt.
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- Eine Strafbarkeit wegen eines durch Unterlassen (§ 13 StGB) begangenen versuchten Tötungsdelikts schiede im Übrigen selbst dann aus, wenn man – vonder rechtsfehlerfreien landgerichtlichen Beweiswürdigung abweichend – einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten am 12. November 2011 ab 4.12 Uhr zugrunde legte. Denn unabhängig von der Frage, wie bei einem Unterlassen der Versuchsbeginn generell zu bestimmen ist, hatte der Angeklagte nach seiner insoweit maßgeblichen Vorstellung jedenfalls noch nicht „zur Ver- wirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt“ (§ 22 StGB). Hierfür wäre notwendig gewesen, dass er eine schon als geboten erkannte Handlung unterlassen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 265 f.). Solches aber lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Vielmehr rief der völlig aufgelöst wirkende Angeklagte unmittelbar nach einem um 4.19 Uhr begonnenen Telefonat mit einer früheren Freundin, von der er aufgefordert worden war, „unverzüglich einen Krankenwagen herbeizurufen“ , die Rettungsleitstelle an; schon ab 4.12 Uhr hatte er mehrfach erfolg- los versucht, eine seiner Schwestern telefonisch zu erreichen. bb) Die vom Revisionsgericht ohnehin nur eingeschränkt überprüfbaren
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- landgerichtlichen Strafzumessungsentscheidungen erweisen sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei. Der Senat nimmt insbesondere die auf Beurteilung durch einen Sachverständigen beruhende Annahme nicht erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit aufgrund einer noch nicht schweren anderen seelischen Abartigkeit hin. Basdorf Sander Schneider Berger Bellay
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(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer einen Menschen
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in eine hilflose Lage versetzt oder - 2.
in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,
(2) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
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die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder - 2.
durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.
(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.