Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 387/10

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 12. Mai 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützt ist. Dem Rechtsmittel bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
2
Die Beanstandung, die Verhandlung über die Entlassung des zu diesem Zeitpunkt 14-jährigen Zeugen K. (Sohn der Lebensgefährtin des Angeklagten) sei zu Unrecht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgt, weswegen der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO erfüllt sei, greift nicht durch. Die Rüge scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
3
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
4
Das Landgericht hat den Zeugen am zweiten Hauptverhandlungstag vernommen und für die Dauer der Vernehmung die Entfernung des Ange- klagten gemäß § 247 Satz 2 StPO angeordnet. Der Angeklagte wurde in einen Raum gebracht, in dem er den Fortgang der Verhandlung über eine BildTon -Übertragung mitverfolgen konnte. Das Zimmer war mit einer Gegensprechanlage ausgestattet, über die eine Verständigung mit den im Sitzungssaal befindlichen Verfahrensbeteiligten möglich war.
5
Ausweislich der Niederschrift über die Hauptverhandlung wurde der Zeuge nach seiner Vernehmung „im allseitigen Einverständnis“ um 12.48 Uhr entlassen; von 12.49 bis 12.51 Uhr wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Das Protokoll hält dann fest: „Nunmehr war der Angeklagte wieder im Gerichtssaal erschienen.“ (PB S. 14)
6
Nach einer weiteren Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde die Schwester des Zeugen vernommen, wobei der Angeklagte unter denselben Maßgaben wie zuvor aus dem Sitzungssaal entfernt worden war. In der Niederschrift ist zum Verlauf dieser Einvernahme unter anderem eine nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung des Verteidigers zu einem Hinweis des Angeklagten vermerkt, dass er die Aussage der Zeugin zwar gehört, aber ihr Bild nicht vollständig gesehen habe; daraufhin habe ein Wachtmeister das Gerät so eingestellt, dass das Bild für den Angeklagten wieder voll einsehbar gewesen sei (PB S. 15 f.).
7
2. Im Hinblick auf die sich hieraus ergebende Unklarheit der Hauptverhandlungsniederschrift zu der Frage, ob in das „allseitige“ Einverständnis mit der Entlassung des Zeugen K. nur die im Sitzungssaal anwesenden Verfahrensbeteiligten oder auch der Angeklagte einbezogen waren, hat der Senat eine dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden eingeholt. Der Vorsitzende hat sich dahin geäußert, dass er wie auch ein Justizwachtmeister den Angeklagten über die Funktionsweise der Gegensprechanlage belehrt habe. Vor der Entlassung des Zeugen habe er den Angeklagten ausdrücklich gefragt, ob er noch Fragen stellen wolle, was nicht der Fall gewesen sei. Die Beisitzerin, die Protokollführerin und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sind der Stellungnahme des Vorsitzenden beigetreten. Das Gleiche gilt für die beiden anwesenden Justizwachtmeister. Demgegenüber stellt der Verteidiger sowohl die Belehrung als auch die abschließende Befragung des Angeklagten in Abrede.
8
3. Nach dem durch den Vorsitzenden dargestellten und von weiteren Amtspersonen bestätigten Ablauf des Geschehens würde der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO auch im Lichte des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 (NJW 2010, 2450; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) nicht durchgreifen. Denn die Entlassungsverhandlung wäre unter den danach gegebenen Umständen kein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung.
9
Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich die Frage der Wesentlichkeit eines Verfahrensteils nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang deren sachliche Bedeutung betroffen sein kann; die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten ist danach grundsätzlich als wesentlich anzusehen, weil der von der Entlassungsverhandlung ausgeschlossene Angeklagte unmittelbar nach der Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen vermögen (vgl. BGH – GS – aaO S. 2452 mwN). Diese Gedanken treffen jedoch ersichtlich nicht zu, wenn der die Vernehmung über eine Bild-Ton-Übertragung zeitgleich mitverfolgende Angeklagte nach ausdrücklicher Befragung des Vorsitzenden von seinem Fragerecht keinen Gebrauch machen will. Es wäre bloße Förmelei, wenn ihm – gegebenenfalls nach vorheriger Entfernung des Opferzeugen aus dem Gerichtssaal – in Anwesenheit ein weiteres Mal Fragen anheimgegeben werden müssten (vgl. zur Ersetzung der Unterrichtungspflicht nach § 247 Satz 4 StPO durch Bild-Ton-Übertragung auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180; ferner zum Frageverzicht in solchen Fällen BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10).
10
4. Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob der Inhalt der dienstlichen Äußerungen durch den weiteren Vortrag der Verteidigung im Revisionsverfahren durchgreifend erschüttert wird. Denn der Protokollvermerk zur einvernehmlichen Entlassung in Verbindung mit der durchgeführten Bild-TonÜbertragung legten jedenfalls nahe, dass der Vorsitzende dem Angeklagten die Möglichkeit der Intervention gegen die Entlassung des Zeugen gegeben hat, ohne dass dieser sie wahrnahm, und ihn so in das allseitige Einvernehmen mit der Entlassung eingebunden hat. Bei einer besonderen Fallgestaltung wie der hier gegebenen hätte deshalb bereits in der Revisionsbegründungsschrift zu den näheren Umständen namentlich der Videoübertragung im Einzelnen vorgetragen werden müssen. Allein auf Grund der gegebenen Revisionsbegründung kann der Senat hingegen nicht nachprüfen, ob Verfahrensrecht verletzt ist. Die Verfahrensrüge ist daher nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dies lässt unberührt, dass eine Wiederzulassung des Angeklagten vor der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen angezeigt gewesen wäre. Eine hinreichend detaillierte Protokollierung der Geschehnisse wäre zudem wünschenswert gewesen.
Basdorf Brause Schaal Schneider König

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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Feb. 2011 - 5 StR 387/10 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Strafprozeßordnung - StPO | § 247 Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung von Mitangeklagten und Zeugen


Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen.

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Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 268/06
vom
19. Dezember 2006
BGHSt: ja zu I 2
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________________
Die gemäß § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung eines vorübergehend
entfernten Angeklagten kann auch so erfolgen, dass er das Geschehen im Sitzungssaal
mittels Videoübertragung mitverfolgen kann. Der Vorsitzende muss
sich dann jedoch vergewissern, dass die Videoübertragung nicht durch technische
Störungen beeinträchtigt wurde. Wie er sich diese Gewissheit verschafft,
bestimmt der Vorsitzende.
BGH, Beschl. vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 268/06 - LG Offenburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2006 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Offenburg vom 21. Dezember 2005 werden verworfen.
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die
der Nebenklägerin R. M. dadurch jeweils entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen, der Angeklagte A.
Mi. auch die der Nebenklägerin I. Mi. durch sein
Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:


1
Die Angeklagten sind Brüder. Sie wurden jeweils zu Freiheitsstrafe verurteilt , weil sie die Stieftochter eines weiteren Bruders, die 1989 geborene R. M. , wiederholt sexuell missbraucht haben, H. Mi. etwa seit 1997, A. Mi. etwa seit 2000. A. Mi. hat außerdem seine Nichte, die 1996 geborene I. Mi. , 2000 wiederholt sexuell missbraucht. Zugleich wurden beide Angeklagte zu Schmerzensgeldzahlung an R. M. verurteilt, A. Mi. auch zu einer Schmerzensgeldzahlung an I. Mi, . Die auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2
Der näheren Ausführung bedarf dies hinsichtlich zweier Verfahrensrügen. Diese sind für beide Angeklagten in ihrem rechtlichen Kern identisch erhoben. Kleinere Unterschiede im Vortrag sind für die rechtliche Bewertung des Vorbringens ohne Bedeutung und können daher auf sich beruhen.
3
1. R. M. wurde am 4. Verhandlungstag als Zeugin gehört und anschließend entlassen. Im Hinblick auf anderweitige Hilfsbeweisanträge, denen das Gericht stattgegeben hatte, wurde von Amts wegen auch R. M. am 17. Verhandlungstag nochmals als Zeugin geladen. Es ging um die näheren Umstände eines Umzugs, anlässlich dessen es zu sexuellen Übergriffen auf R. M. gekommen sein soll.
4
Auf Antrag der Nebenklägervertreterin wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen (§ 171b GVG). Zur Begründung nahm die Jugendkammer Bezug auf den entsprechenden Beschluss vom 4. Verhandlungstag.
5
Hiergegen wendet sich die Revision. Sie meint, da nur über die Umstände des Umzugs noch Beweis zu erheben war - über ein anderes Thema sei es bei der erneuten Vernehmung der Zeugin dann auch nicht gegangen - hätten die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit nicht vorgelegen.
6
Außerdem hätte unter den gegebenen Umständen nicht nur auf den früheren Beschluss Bezug genommen werden dürfen.
7
Im Rahmen des Vorbringens zu dieser Rüge gibt es von der Revision (insbesondere für den Angeklagten H. Mi. ) einerseits und dem Generalbundesanwalt andererseits umfangreiches und inhaltlich gegenläufiges Vorbringen zum erforderlichen Revisionsvortrag, den Gründen, warum dieser Vortrag unterblieben sei, und dementsprechend gegenläufige Anträge zu des- halb zu gewährender oder zu versagender Wiedereinsetzung. All dies kann auf sich beruhen bleiben. Die Rüge ist in weitem Umfang unstatthaft, soweit sie statthaft ist, ist sie jedenfalls offensichtlich unbegründet.
8
a) Statthaft ist hier allein die Rüge, es fehle an der gemäß § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG gebotenen Begründung des Beschlusses (vgl. BGH StV 1990, 10). Mit der Bezugnahme auf die Gründe des früheren Beschlusses sind die nach Auffassung des Gerichts maßgeblichen Gründe für den erneuten Ausschluss der Öffentlichkeit ausreichend angegeben (BGHSt 30, 298, 300, 304; BGH GA 1983, 361; in vergleichbarem Sinne auch BGH NStZ-RR 2004, 118, 119). Die Frage, ob die Gründe für den erneuten Ausschluss der Öffentlichkeit ausreichend deutlich sind, darf nicht - auch nicht im Zusammenhang mit den Anforderungen an den notwendigen Umfang des Revisionsvorbringens - mit der Frage vermengt werden, ob die Annahme des Gerichts, die Gründe der früheren Entscheidung rechtfertigten auch die erneut zu treffende Entscheidung, rechtlich zutrifft oder nicht.
9
b) Im Übrigen ist die Rüge unstatthaft, wie sich aus § 171b Abs. 3 GVG in Verbindung mit § 336 Satz 2 StPO ergibt. Unanfechtbar und damit revisionsgerichtlicher Überprüfung entzogen sind sämtliche im Rahmen von § 171b GVG inhaltlich zu treffenden Entscheidungen (vgl. Wickern in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 171b GVG Rdn. 25). Dies gilt auch für die einer solchen Entscheidung notwendig vorausgehende Prognose, ob eine Erörterung der in § 171b GVG genannten Umstände in dem Verfahrensabschnitt, für den die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll, zu erwarten ist (vgl. hierzu näher Wickern aaO Rdn. 11). Im Übrigen ist die Prognose, bei einer Vernehmung der zentralen Belastungszeugin für den Vorwurf sexuellen Missbrauchs würden in § 171b GVG genannte Umstände erörtert werden, auch dann nahe liegend, wenn es nur deshalb zu einer - erneuten - Vernehmung dieser Zeugin kommt, weil eine für sich genommen „neutrale“ Frage zum Randgeschehen (hier: nähere Umstände eines Umzugs) noch geklärt werden muss. Auch in einem solchen Fall ist kein Verfahrensbeteiligter rechtlich gehindert, bisher noch nicht gestellte, aber zur Sache gehörende - also den gesamten Anklagevorwurf betreffende - Fragen zu stellen; eine Beschränkung des Fragerechts auf ein bestimmtes Beweisthema gibt es nicht. All dies gilt entsprechend auch für das Gericht selbst. Schließlich wird das Verfahren auch dann nicht fehlerhaft, wenn sich die Prognose des Gerichts nicht bestätigt und es zu einer Erörterung der genannten Umstände nicht kommt (vgl. BGHSt 30, 212, 215 zu § 172 GVG).
10
2. Während der Vernehmung der Zeugin R. M. hatten sich die Angeklagten zu entfernen (§ 247 Satz 1 StPO). Sie konnten jedoch die Vernehmung von einem Nebenraum aus per Videoübertragung mitverfolgen. Nachdem die Angeklagten wieder im Sitzungssaal waren, erklärten ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung sämtliche Angeklagte „mit Zustimmung ihrer Verteidiger“ Folgendes:
11
“Ich konnte die Aussage der Zeugin R. M. uneingeschränkt optisch und akustisch in dem gesonderten Raum wahrnehmen. Aus diesem Grunde verzichte ich auf den Bericht des Vorsitzenden gemäß § 247 Satz 4 StPO.“
12
Dementsprechend wurde von einer weiteren Unterrichtung abgesehen. Nunmehr trägt die Revision unter Darlegung technischer Details vor, während der Vernehmung habe es Mängel der Übertragung gegeben, es sei „häufig“ bzw. „mehrfach“ vorgekommen, dass „keine vollständige Übertragung in den Nebenraum stattfand“. Der Angeklagte hätte gemäß § 247 Satz 4 StPO über den Inhalt der Vernehmung der Zeugin unterrichtet werden müssen.
13
Gleiches wird für das identisch abgelaufene Verfahrensgeschehen am 17. Verhandlungstag geltend gemacht, vom Angeklagten A. Mi. darüber hinaus auch für einen anderen Verhandlungstag, als nur er während der Vernehmung der Zeugin I. Mi. entfernt worden war.
14
Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.
15
a) In welcher Form eine gemäß § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung zu erfolgen hat, ist im Gesetz nicht näher geregelt und daher im Rahmen der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) vom Vorsitzenden zu bestimmen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 247 Rdn. 44; Diemer in KK 5. Aufl. § 247 Rdn. 15). Die Unterrichtung kann auch in der Weise erfolgen, dass der Angeklagte das Geschehen im Gerichtssaal mittels Videoübertragung unmittelbar mit verfolgen kann. Durch die alsbaldige Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO soll der Angeklagte in die Lage versetzt werden, den weiteren Gang der Verhandlung sofort zu beeinflussen. Damit soll sein Recht gewahrt werden, sich trotz seiner vorübergehenden Abwesenheit bestmöglich zu verteidigen (vgl. zusammenfassend BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 8 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. November 1992 - 2 BvR 1793/ 92). All dies wird durch die in Rede stehende Verfahrensweise nicht gefährdet; daher ist es unschädlich, dass die Unterrichtung nicht erst erfolgt, wenn der Angeklagte wieder im Gerichtssaal ist, sondern schon vorher außerhalb des Gerichtssaals zeitgleich mit dem Geschehen im Gerichtssaal, und dass sie nicht verbal durch den Vorsitzenden erfolgt, sondern dadurch, dass dieser die Kenntnisnahme durch Videoübertragung ermöglicht. Ein unmittelbares Erleben einer Aussage durch Videoübertragung wird regelmäßig sogar eindrücklicher sein, als dies ein späterer verbaler Bericht hierüber sein kann.
16
b) All dies ändert jedoch nichts daran, dass die Verantwortung für die Unterrichtung des Angeklagten letztlich beim Vorsitzenden verbleibt. Dementsprechend muss er sich vergewissern, dass der Angeklagte nicht aus technischen Gründen gehindert war, die im Sitzungssaal gemachte Aussage uneingeschränkt zur Kenntnis zu nehmen. Wie er sich diese Gewissheit verschafft, bestimmt der Vorsitzende; es gelten insoweit vergleichbare Grundsätze wie bei der Gestaltung der Unterrichtung. Eine Befragung des Angeklagten, ob es Störungen gab, wie sie der Vorsitzende hier offenbar vorgenommen hat, wird regelmäßig zweckmäßig sein. Die Auffassung, dass der Vorsitzende darüber hinaus stets den Aussageinhalt darlegen müsse, weil es sonst nicht zuverlässig möglich sei, etwaige Unzulänglichkeiten der Übertragung festzustellen, teilt der Senat nicht. Allein dadurch, dass der Angeklagte eine Unterrichtung durch den Vorsitzenden entgegennimmt, kann offensichtlich nicht deutlich werden, was er durch die vorangegangene Übertragung schon weiß und was er wegen Übertragungsmängeln nicht wissen kann. Bei einer Fallgestaltung wie hier kann sich die Erkenntnis von Übertragungsmängeln nicht aus der Unterrichtung durch den Vorsitzenden, sondern nur aus einer Erklärung des Angeklagten ergeben. Die Möglichkeit, dass der Angeklagte zu Unrecht glaubt, alles wahrgenommen zu haben und erst durch die Unterrichtung eine sonst unbemerkt gebliebene Störung erkennt, ist praktisch nicht vorstellbar und kann daher außer Acht bleiben. Auch sonst sind Anhaltspunkte für die Annahme, die genannte Erklärung der Angeklagten, sie hätten der Vernehmung uneingeschränkt folgen können, könnte objektiv falsch sein, nicht ersichtlich. Ob bei einer Videoübertragung optische oder akustische Einschränkungen aufgetreten sind, ist eine sehr einfach zu beurteilende Frage. Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten gleichwohl hierzu nicht in der Lage gewesen sein könnten, sind weder nachvollziehbar vorgetragen , noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig ist ersichtlich, warum die Angeklagten hierzu absichtlich etwas Falsches vorgetragen haben könnten. Schließlich fällt ins Gewicht, dass diese Erklärung ausdrücklich mit Zustimmung der Verteidiger abgegeben wurde. Dass diese einer solchen Erklärung zugestimmt hätten , wenn ein - selbst ganz geringer - Zweifel an ihrer Richtigkeit bestanden hätte, liegt fern. Konkrete Anhaltspunkte, die hier eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach alledem hat sich der Vorsitzende hier in rechtlich bedenkenfreier Weise die Gewissheit verschafft, dass die Angeklagten der Vernehmung uneingeschränkt folgen konnten.
17
c) Ob es generell möglich ist, dies mit neuem Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren in Frage zu stellen, mag hier dahinstehen. Die nunmehr aufgestellte Behauptung technischer Störungen hat sich nämlich nicht erwiesen. Die - von der Revision inhaltlich nicht angezweifelte - dienstliche Erklärung des Ersten Justizhauptwachtmeisters E. ergibt nämlich, dass eine „lückenlose Übertragung in Bild und Ton“ sichergestellt war. Wie er näher darlegt, ist die technische Schilderung der Revision unzutreffend, selbst unter den von ihr behaupteten Umständen wären keine Tonstörungen aufgetreten, sondern allenfalls Bildstörungen. Der Senat braucht der Frage, ob es rechtlich überhaupt Bedeutung haben könnte, wenn die Angeklagten zwar alles gehört, aber nicht alles gesehen hätten, aber nicht näher nachzugehen. Aus der Erklärung des Ersten Justizhauptwachtmeisters E. ergibt sich nämlich nur, dass (allenfalls) Bildstörungen aufgetreten wären, wenn die Behauptungen der Revision zutreffen würden. Dass derartige Bildstörungen tatsächlich aufgetreten sind, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Die in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen sprechen dagegen. Der Zweifelssatz gilt nicht hinsichtlich der Erweislichkeit von Tatsachen, aus denen sich ein Verfahrensverstoß ergeben soll (vgl. BGHSt 21, 4, 10; w. N. b. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41).
18
d) Besteht aber kein Zweifel daran, dass der Angeklagte durch die Videoübertragung umfassend über das Geschehen während seiner Abwesenheit im Sitzungssaal informiert ist, hätte eine gleichwohl nochmals vorgenommene Unterrichtung des Angeklagten über dieses Geschehen keinen erkennbaren Sinn. Außerdem kann ein Urteil offensichtlich nicht darauf beruhen, dass der Angeklagte nicht über etwas unterrichtet worden ist, was er ohnehin zuverlässig weiß.
19
e) Der Senat bemerkt, dass alledem bei sinngerechtem Verständnis die Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 26. August 2005 - 3 StR 269/05 (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 29) nicht entgegensteht. Außerdem ist diese Entscheidung nicht einschlägig i. S. d. § 132 GVG (vgl. hierzu Hannich in KK 5. Aufl. § 132 GVG Rdn. 3 f. m.w.N.), da der 3. Strafsenat über einen Sachverhalt zu entscheiden hatte, der mit dem vorliegenden nicht zu vergleichen ist: Dort waren während der Zeugenvernehmung unverzüglich geltend gemachte technische Mängel aufgetreten, die den Angeklagten an der weiteren Kenntnisnahme der Vernehmung mittels der zunächst einwandfrei gewesenen Videoübertragung hinderten. In diesem Zusammenhang machte er mit seiner Revision nicht etwa geltend, dass er nach Abschluss der Vernehmung nicht vollständig unterrichtet worden wäre; er wandte sich vielmehr (vergeblich) dagegen , dass die von der Störung betroffenen Vernehmungsteile nicht wiederholt worden waren, um ihm zu ermöglichen, auch diesen Teil der Vernehmung doch noch mittels Videoübertragung mitzuverfolgen.
20
f) Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
21
(1) Bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden kann das Gericht etwaige technische Störungen, anders als im Fall des § 247a StPO, nicht selbst unmittelbar bemerken. Es erscheint daher zweckmäßig, dass ein Justizangehöriger in Gegenwart des Angeklagten die Videoübertragung verfolgt. Er kann das Gericht unmittelbar benachrichtigen, wenn dies während der Übertragung we- gen technischer Störungen oder aus sonstigen Gründen erforderlich wird. Nach Abschluss der Übertragung könnten Angaben eines solchen Beobachters gewichtiges Beweisanzeichen sein, sowohl bei der Überprüfung, ob der Angeklagte unterrichtet ist (vgl. I. 2. b), als auch dann, wenn, wie hier, Monate nach der Hauptverhandlung erstmals im Revisionsverfahren das Gegenteil von dem behauptet wird („häufig ... keine vollständige Übertragung“), was in der Hauptverhandlung noch unmissverständlich erklärt worden war („konnte … uneingeschränkt … wahrnehmen“).
22
(2) Ebenso kann sich empfehlen, insoweit vergleichbar dem Fall des § 247a Satz 4 StPO, den übertragenen Vorgang zugleich aufzuzeichnen, damit er in etwaigen Zweifelsfällen dem Angeklagten erforderlichenfalls nochmals vorgespielt werden kann.
23
(3) Schließlich wird in Fällen, in denen - anders als hier - etwa Pläne, Skizzen oder auch Lichtbilder als Vernehmungsbehelfe verwendet werden (vgl. hierzu BGHR StPO § 247 Abwesenheit 10, 28; BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 367/01; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 247 Rdn.19), auf die Wahrung der Recht e des Angeklagten in besonderer Weise Bedacht zu nehmen sein. Es versteht sich nämlich nicht von selbst, dass derartige Unterlagen ohne weiteres von der Videoübertragung erfasst werden und sich dementsprechend die hierzu gemachten Aussagen des Zeugen allein durch die Videoübertragung in vollem Umfang erschließen. In derartigen Fällen wird es sich empfehlen, den Angeklagten so zu unterrichten, wie dies ohne Videoübertragung zu geschehen hat.

II.

24
Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigungen gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts. Nack Wahl Kolz Elf Graf
5 StR 482/10

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 27. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Bellay
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin G.
alsVerteidigerin,
Rechtsanwalt B.
als Vertreter der Nebenklägerinnen J. , Je. und
Ja. D. ,
Rechtsanwalt P.
alsVertreterderNebenkläger in V. T. ,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Dezember 2009 wird mit den Feststellungen aufgehoben, und zwar auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin J. D. , soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, auf die Revision des Angeklagten, soweit er verurteilt worden ist.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, betreffend die Nebenklägerin V. T. (Einsatzstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe), und zweier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, betreffend die Nebenklägerinnen Je. und Ja. D. (Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Vom Anklagevorwurf zweier weiterer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, betreffend die Nebenklägerin J. D. , hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Die jeweils auf die Freisprüche beschränkten , vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft und der letztgenannten Nebenklägerin haben ebenso mit der Sachrü- ge umfassend Erfolg wie die Revision des Angeklagten hinsichtlich seiner Verurteilung.
2
1. Die Freisprüche des Angeklagten halten sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
3
a) Der weder eingestellte noch abgetrennte Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs zum Nachteil seiner 9-jährigen Tochter J. durch Oralverkehr und Beischlaf an einem Tag zwischen dem 10. April und dem 25. Mai 2009 (Fall 1 der Anklage) wird in den Urteilsgründen überhaupt nicht abgehandelt, so dass der Freispruch mangels nachprüfbarer Begründung durch das Revisionsgericht keinen Bestand haben kann.
4
b) Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit das Landgericht den entsprechenden Vorwurf des Einführens eines Fingers in die Scheide seiner Tochter J. am späten Abend des 2. Mai 2009 (Fall 3 der Anklage) aus tatsächlichen Gründen nach der Zeugnisverweigerung dieser Nebenklägerin in der Hauptverhandlung für nicht erwiesen erachtet hat. Hier fehlt jede Erörterung der von der Nebenklägerin V. T. geschilderten Beobachtung sexueller Handlungen an J. (UA S. 9). Die damals 11-jährige V. übernachtete nach den Urteilsfeststellungen in der Tatnacht neben ihrer Freundin J. auf derselben Couch, der Angeklagte legte sich zwischen die Mädchen, wandte sich zunächst J. zu und missbrauchte unmittelbar anschließend V. durch Lecken an ihrer Scheide, Einführen eines Fingers und anschließenden Beischlaf (Fall 4 der Anklage). Nachdem deswegen aufgrund der als glaubhaft erachteten Zeugenaussage der Nebenklägerin V. T. gegen den in der Hauptverhandlung pauschal bestreitenden Angeklagten der Schuldspruch nach § 176a StGB ergangen ist, bleibt ohne Auswertung der von derselben Zeugin bekundeten unmittelbar zuvor erfolgten Beobachtung der Tat zum Nachteil J. s der Freispruch wegen dieses Geschehens ebenfalls unzulänglich begründet.
5
2. Auch die Schuldsprüche haben aus sachlichrechtlichen Gründen keinen Bestand.
6
a) Dies muss für den Schuldspruch nach § 176a StGB wegen der Tat zum Nachteil von V. T. schon deshalb gelten, weil die Annahme des Landgerichts von der Zuverlässigkeit ihrer Zeugenaussage unvollständig begründet bleibt, wenn es der von derselben Zeugin nach den Urteilsgründen klar und eindeutig geschilderten Beobachtung eines unmittelbar zuvor begangenen Missbrauchs zum Nachteil J. s nicht folgt. Hierin liegt ein mangels jeglicher Begründung unauflösbarer Widerspruch.
7
b) Abgesehen von dem engen zeitlichen und situativen Zusammenhang zwischen sämtlichen angeklagten Taten, der schon für sich eine Aufhebung auch der Schuldsprüche nach § 176 StGB – jeweils wegen Leckens an der Scheide der 7-jährigen Tochter Ja. am 1. Mai 2009 (Fall 2 der Anklage) und der 8-jährigen Tochter Je. am 3. Mai 2009 (Fall 5 der Anklage ) – nahelegt, erweist sich insoweit zudem die Beweisdecke nach der Zeugnisverweigerung auch dieser Nebenklägerinnen und dem pauschalen Bestreiten des Angeklagten vor dem Hintergrund der sonstigen Urteilslücken als nicht ganz ausreichend (vgl. im Einzelnen UA S. 23 f.).
8
3. Bei dieser Sachlage bedarf die Frage keiner abschließenden Klärung , ob die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO wegen fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten während der Entlassung der in seiner Abwesenheit zeugenschaftlich vernommenen Nebenklägerin V. T. im Anschluss an den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 (NJW 2010, 2450, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) Erfolg haben müsste. Nach der von der Revision mitgeteilten – aus dem Protokoll nicht hinreichend deutlich ersichtlichen – Videoübertragung der Vernehmung an den aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180; Beschluss vom 5. Febru- ar 2002 – 5 StR 437/01, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 25; Urteil vom 19. Juli 2001 – 4 StR 46/01, StV 2002, 10; aber auch Beschluss vom 26. August 2005 – 3 StR 269/05, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 29; ferner Graf/Berg, StPO, § 247 Rn. 16; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 247 Rn. 48; jeweils mwN) könnte dessen Verzicht auf eine Befragung der Zeugin eine Heilung des Verstoßes (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, NJW 2010, 2450 Rn. 25) begründen, wenngleich er vor der Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO erklärt wurde.
9
Das neue Tatgericht wird zu beachten haben, dass die Urteilswendung zu fehlenden Anhaltspunkten für eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (UA S. 7) bei den Hinweisen auf dessen Trunkenheit in der Zeugenaussage der Nebenklägerin V. T. (UA S. 9) und im Entschuldigungsschreiben des Angeklagten (UA S. 23) durchgreifend bedenklich ist.
10
Die Sachbehandlung durch das Landgericht gibt dem Senat Anlass für den nachdrücklichen Hinweis, dass gerade in Jugendschutzsachen Nachlässigkeiten bei der Verfahrensgestaltung nach § 247 StPO und bei deren Protokollierung wie bei der Urteilsfassung unbedingt zu vermeiden sind. Sie können allein zur Ursache von Neuverhandlungen werden, die regelmäßig mit einer besonderen Belastung kindlicher Zeugen einhergehen.
11
Möglicherweise wird sich eine solche hier verringern lassen, wenn der Angeklagte eingedenk der – im angefochtenen Urteil naheliegend nur unzulänglich ausgewerteten – Beweislage sein bisheriges Einlassungsverhalten überdenkt und dies zur Vermeidung die Nebenklägerinnen belastender Zeugenvernehmungen rechtzeitig vor der erneuten Hauptverhandlung signalisiert. Andernfalls wird das Prozessverhalten der Töchter des Angeklagten im Rahmen der Nebenklage zu überdenken sein; es erscheint wenig konsequent , wenn sie einerseits – wie auch die erfolgreiche Nebenklagerevision erweist – eine Verurteilung des Angeklagten anstreben, andererseits das Zeugnis verweigern und sich lediglich mit der beweismäßig von vornherein deutlich schwächeren Verwertung früherer Angaben einverstanden erklären, die zwar den Grundsätzen von BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, entspricht, indes nicht einmal unumstritten ist (vgl. Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 252 Rn. 22 f. mwN; Basdorf in NJW-Festheft Tepperwien, 2010, S. 5).
Basdorf Raum Schaal Schneider Bellay

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.