Bundesgerichtshof Urteil, 07. Juli 2011 - 3 StR 52/11

bei uns veröffentlicht am07.07.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 52/11
vom
7. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Juli 2011,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin K. ,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 30. Juni 2010 werden verworfen.
Die Beschwerdeführer tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerinnen je zur Hälfte. Die dem Angeklagten durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von dem Vorwurf freigesprochen, im August 2007 seine damalige Lebensgefährtin getötet zu haben. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen, die Verfahrensfehler beanstanden und mit der Sachrüge die Beweiswürdigung angreifen, bleiben ohne Erfolg.

I.


2
1. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 21. Dezember 2009 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, sich eines Totschlags (§ 212 StGB) zum Nachteil seiner ehemaligen Lebensgefährtin, der Mutter bzw. Tochter der Nebenklägerinnen, am 4. August 2007 gegen 23.30 Uhr dadurch schuldig gemacht zu haben, dass er sie in der Absicht, sie zu töten, gewürgt und mit der Faust geschlagen habe, so dass sie verstorben sei.
3
2. Der Angeklagte hat die Tat bestritten und sich dahin eingelassen, er habe die Getötete, die der Straßenprostitution nachging, am Abend des 4. August 2007 zum Straßenstrich nach H. gefahren. Zwischen 22.30 Uhr und 23.00 Uhr desselben Tages habe sie ihn telefonisch aufgefordert, ihren Verrichtungsplatz freizuhalten. Er habe sich dorthin begeben und einige Zeit auf sie gewartet. Da sie nicht erschienen sei, habe er sie in der Nacht und den frühen Morgenstunden des 5. August 2007 vielfach vergeblich auf ihrem Mobiltelefon zu erreichen versucht. Er habe sowohl die gemeinsame Wohnung als auch den Straßenstrich in H. nach ihr abgesucht. Schließlich sei er, da er sie nicht gefunden habe, nach Hause zurückgekehrt.
4
3. Das Landgericht hat in den Gründen seines den Angeklagten freisprechenden Urteils den Tatvorwurf referiert und im Anschluss an Feststellungen zur Person des Angeklagten in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen festgestellt, die es für erwiesen erachtet hat. Im Anschluss an die Darstellung des objektiven Tatgeschehens hat es die Einlassung des Angeklagten wiedergegeben und in der Beweiswürdigung dargelegt, aus welchen Gründen es die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite nicht habe treffen können. Zum Schicksal der Getöteten nach ihrem Einstieg in ein Kraftfahrzeug mutmaßlich eines Freiers am 4. August 2007 gegen 23.00 Uhr bis zum Auffinden ihres skelettierten Leichnams am 29. Juli 2009 hat es bis auf den Umstand, dass sie erwürgt oder erschlagen worden sei, keine Feststellungen zu treffen vermocht.

II.


5
Die gegen das freisprechende Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft , die sich auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt und vom Generalbundesanwalt insoweit vertreten wird, als die Staatsanwaltschaft die Sachrüge erhebt, ist unbegründet. Gleiches gilt für die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Nebenklägerinnen.
6
1. Zur Revision der Staatsanwaltschaft
7
a) Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen keinen Erfolg.
8
b) Der Freispruch hält auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Die tatrichterliche Beweiswürdigung weist nach den Maßstäben der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2324) keinen Rechtsfehler auf. Sie ist weder lückenhaft noch widersprüchlich. Sie lässt auch nicht besorgen, das Landgericht habe an seine Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen gestellt.
9
Es fehlt insbesondere nicht an einer hinreichenden Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse und Indizien. Daraus, dass das Landgericht den Äußerungen des Angeklagten am 5. und 6. August 2007 gegenüber den Nebenklägerinnen im Verein mit den teilweisen Übereinstimmungen zwischen der Leichenabdeckung und dem Kompost auf dem Wohngrundstück des Angeklagten kein (stärkeres) indizielles Gewicht beigemessen hat, lässt sich ein revisions- rechtlich erheblicher Fehler bei der zusammenfassenden Würdigung der Beweisergebnisse und Indizien nicht herleiten. Das Landgericht hat die Äußerungen des Angeklagten, denen es - revisionsrechtlich unangreifbar - keinen eindeutigen Erklärungswert beigemessen hat, sowohl für sich als auch im Rahmen einer Gesamtschau mit den sonst gegen den Angeklagten sprechenden Umständen gewürdigt. Die Wendung, die Äußerungen des Angeklagten seien "letztlich kein Indiz für eine Täterschaft", lässt nicht besorgen, das Landgericht habe den Erklärungen jeden indiziellen Wert absprechen wollen. Vielmehr hat das Landgericht lediglich der Auffassung Ausdruck verliehen, auch bei einer Gesamtbetrachtung aller gegen den Angeklagten sprechenden Umstände komme seinen Bemerkungen keine eine Verurteilung (mit-)tragende Bedeutung zu.
10
2. Zu den Revisionen der Nebenklägerinnen
11
Soweit die Nebenklägerin M. mit der Verfahrensrüge geltend macht, das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Sachverständigen E. erneut zu vernehmen, hat ihr Vorbringen aus den vom Generalbundesanwalt angeführten Gründen keinen Erfolg. Gleiches gilt für die auf die § 338 Nr. 3, § 24 StPO gestützte Rüge der Nebenklägerin K. , an dem Urteil habe ein Richter mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei. Die von den Nebenklägerinnen erhobene Sachrüge ist unbegründet, weil dem Urteil kein sachlichrechtlicher Fehler zugrunde liegt.
Becker Pfister von Lienen Mayer Menges

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Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Juli 2011 - 3 StR 52/11 zitiert 3 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Strafprozeßordnung - StPO | § 24 Ablehnung eines Richters; Besorgnis der Befangenheit


(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt,

Referenzen

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.