Bundesgerichtshof Urteil, 21. Apr. 2011 - 3 StR 50/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges zu der Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und - zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung - "von deren Vollstreckung fünf Monate abgezogen". Hiergegen richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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- Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand. Der Strafausspruch enthält einen die Angeklagte begünstigenden Zumessungsfehler, der Aus- http://juris.de/jportal/portal/t/1l4g/page/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE038406160&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 4 - spruch über die Kompensation leidet an durchgreifenden Darstellungs- und Erörterungsmängeln.
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- 1. Das Landgericht hat die verhängte Freiheitsstrafe wegen des von der Angeklagten angerichteten Betrugsschadens in Höhe von rund drei Millionen € dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 1. Alt. StGB (Vermögensverlust großen Ausmaßes) entnommen und bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu ihren Gunsten unter anderem - neben dem Umstand, dass die Tat bereits sechs Jahre zurückliegt - (zusätzlich) berücksichtigt, dass das Strafverfahren "rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen unterlag". Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 4
- a) Die seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 geltende sogenannte Vollstreckungslösung verpflichtet den Tatrichter, bei Verzögerungen im strafrechtlichen Verfahren deren Art und Ausmaß sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellung dient zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es indes nicht.
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- Für den Fall, dass die festgestellte überlange Verfahrensdauer - ganz oder teilweise - auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht, ist - von der Strafzumessung im engeren Sinne gesondert und hieran anschließend - zu prüfen, ob zur Entschädigung für diese Verfahrensverzögerung die - in den Urteilsgründen zum Ausdruck zu bringende - Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt. Reicht diese zur Entschädigung des Angeklagten nicht aus, so hat das Gericht festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt und dies in der Urteilsformel auszusprechen. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht.
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- b) Danach erweist sich die durch das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne vorgenommene zusätzliche Berücksichtigung der rechtsstaats- und konventionswidrigen Verfahrensverzögerung als rechtsfehlerhaft ; denn das Landgerichts hat damit im Ergebnis das früher geltende Strafabschlagsmodell und die nunmehr gültige Vollstreckungslösung nebeneinander angewandt und damit der Sache nach die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zweifach kompensiert. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Vorgehensweise auf eine höhere Strafe erkannt hätte.
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- 2. Auch der Kompensationsausspruch kann nicht bestehen bleiben. Entgegen der aufgezeigten Grundsätze des Vollstreckungsmodells hat das Landgericht lediglich den äußeren Verfahrensgang festgestellt. Die Angemessenheit der Frist, innerhalb derer über eine strafrechtliche Anklage gegen einen - ggf. in Untersuchungshaft einsitzenden - Angeklagten verhandelt werden muss und ein Urteil zu ergehen hat (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 2. Halbs., Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), beurteilt sich indes nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. Zu berücksichtigen sind dabei namentlich der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands , Art und Weise der Ermittlungen sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Nicht eingerechnet werden die Zeiträume, die bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung beansprucht werden durften. Zu beachten ist ferner, dass eine Verzögerung während eines einzelnen Verfahrensabschnitts für sich allein keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründet , wenn das Strafverfahren insgesamt in angemessener Zeit abgeschlossen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09, StraFo 2009, 338 mwN). Daran gemessen fehlt hier schon die Feststellung, dass überhaupt eine konventions- und rechtsstaatswidrige Verzögerung gegeben ist. Unabhängig hiervon lässt sich den Urteilsgründen auch der Umfang der eventuell staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf die Angeklagte nicht entnehmen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19. Juni 2002 - 2 StR 43/02, NStZ 2003, 384). Damit fehlt es für die vorgenommene Kompensation an einer ausreichenden Grundlage. Die unvollständigen Feststellungen hindern auch die - auf die Sachrügeder Beschwerdeführerin veranlasste - Überprüfung des Kompensationsausspruches durch das Revisionsgericht. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht ohne diesen Rechtsfehler zumindest eine zeitlich geringer bemessene Entschädigung ausgesprochen hätte.
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- 3. Einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten (§ 301 StPO) hat die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches nicht ergeben.
Annotations
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.