Bundesgerichtshof Urteil, 20. Mai 2014 - 1 StR 610/13

published on 20/05/2014 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 20. Mai 2014 - 1 StR 610/13
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 1 0 / 1 3
vom
20. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
die Nebenkläger persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 31. Juli 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten - die Tat ist zwei Tage vor seinem 19. Geburtstag begangen - wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen erwartete der Angeklagte zusammen mit zwei Bekannten den Geschädigten Ge. am 8. Juni 2012 gegen 22.15 Uhr auf dem Bahnsteig des Bahnhofs in G. . Grund dafür waren einerseits der Umstand, dass die vom Angeklagten zu einer Feier eingeladene S. sich lieber mit dem Geschädigten treffen als der Einladung des Angeklagten folgen wollte, andererseits eine einige Tage zuvor zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten stattgefundene Auseinandersetzung. Nachdem es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung zwi- schen dem Angeklagten und Ge. , dann zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und einem der Begleiter des Angeklagten gekommen war, welche aber ohne Folgen blieb, begann der Angeklagte anschließend den Geschädigten mehrfach zu schubsen. Schließlich versetzte er ihm einen Kopfstoß ins Gesicht; danach holte er mit der rechten Hand aus und versetzte Ge. einen heftigen Faustschlag an die linke Halsseite.
3
Der Faustschlag hatte zur Folge, dass der Geschädigte auf dem Bahnsteig bewusstlos zusammenbrach und einen Herzkreislaufstillstand erlitt. Er verstarb schließlich an einem zentralen Regulationsversagen infolge einer schweren Sauerstoffmangelschädigung des Gehirns am 21. Juni 2012.
4
Nach den Feststellungen des Gerichts wollte der Angeklagte den Geschädigten durch den Kopfstoß und den Faustschlag verletzen, wobei er allerdings hätte erkennen können und müssen, dass durch seinen Faustschlag schwere, gegebenenfalls auch tödliche Verletzungen hervorgerufen werden können.
5
Nach der Tat begab sich der Angeklagte, welcher bei einer um 23.28 Uhr entnommenen Blutprobe eine BAK von 1,07 Promille aufwies, zunächst zurück zu der Feier, von der er zuvor aufgebrochen war, stellte sich dann aber kurze Zeit später der Polizei.

II.


6
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
7
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
8
2. Die Begründung, mit der die Jugendkammer zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf den Angeklagten gelangt ist, der zur Tatzeit knapp 19 Jahre alt und damit Heranwachsender war, weist keinen Rechtsfehler auf.
9
Sie hat die gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG erforderliche Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse, unter denen er aufgewachsen ist und vor und nach der Tat lebte, vorgenommen und festgestellt, dass er bereits zum Zeitpunkt der Tat zu einer realistischen Lebensplanung in der Lage war und zugleich ernsthaft und motiviert seiner Ausbildung nachging. Weder ergebe die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichstand, noch handele es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung entsprechend § 105 Abs. 1 JGG. Auch handele es sich nicht um eine Spontantat; vielmehr habe der Angeklagte, der seit mehreren Tagen auf den Geschädigten wütend war, sich mit dem alleinigen Ziel zum Tatort begeben, diesen körperlich zu attackieren. Dabei habe es sich nicht um eine Verhaltensweise gehandelt, die Ausdruck jugendlicher Unreife sei, sondern die gleichermaßen bei Erwachsenen vorkomme.
10
Zutreffend ist die Jugendkammer hierbei davon ausgegangen, dass es im Wesentlichen Tatfrage ist, ob ein Heranwachsender bei seiner Tat im Sinn des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichsteht, und dass der Jugendkammer hierbei ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht (BGH, Beschluss vom 14. August 2012 - 5 StR 318/12; Urteil vom 6. Dezember 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37 f. mwN).
11
Den dabei anzulegenden Maßstab für die Reifebeurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG, ob der Heranwachsende zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, hat die Jugendkammer bei ihrer Entscheidung zutreffend angewendet. Entgegen dem Vorbringen der Revision und der Stellungnahme des Generalbundesanwalts ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, dass die Jugendkammer ihrer Beurteilung rechtsfehlerhaft den Zeitpunkt der Hauptverhandlung statt den Zeitpunkt der Tat zugrunde gelegt hat. Soweit die Kammer ausgeführt hat, der Angeklagte habe sich zum Zeitpunkt der Tat im dritten Lehrjahr befunden, liegt offensichtlich ein Schreibversehen vor, zumal es vom Zeitpunkt der Tat bis zum Beginn des dritten Lehrjahrs nur knapp drei Monate dauerte.
12
Die Jugendkammer hat zutreffend darauf abgestellt, dass es für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht entscheidend ist, ob er das Bild eines noch nicht 18-jährigen bietet; vielmehr ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 1958 - 4 StR 327/58, BGHSt 12, 116, 118; vom 16. Januar 1968 - 1 StR 604/67, BGHSt 22, 41, 42; vom 6. Dezember 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 39; vom 20. Mai 2002 - 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8). Dies hat die Jugendkammer aufgrund einer aus- führlichen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Umweltbedingungen für den Angeklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint. Weiter hat sie festgestellt , dass er gegenüber seinen Eltern bereits eigenständig war und sein Freundeskreis nicht nur aus jüngeren, sondern auch aus älteren Personen bestand , wobei er zudem in der Lage war, eine feste Beziehung zu beginnen und aufrecht zu erhalten, weshalb sie den Angeklagten als eine zur Tatzeit bereits gereifte Persönlichkeit angesehen hat. Dass sie bei ihrer Beurteilung wesentliche Gesichtspunkte übersehen hätte, ist nicht ersichtlich. Der Jugendkammer steht hier ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Urteile vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01, NJW 2002, 73, 75; vom 22. Dezember 1992 - 1 StR 586/92). Das vom Tatrichter rechtsfehlerfrei gefundene Ergebnis hat das Revisionsgericht hinzunehmen. Auch im Übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei. Raum Wahl Graf RiBGH Prof. Dr. Mosbacher ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Jäger Raum
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.