Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2001 - XII ZB 187/00

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten wegen Verletzung eines Vertrages über die Errichtung einer Plakatanschlagtafel auf dem Grundstück der Beklagten. Am 18. Oktober 1999 fand vor dem Einzelrichter beim Landgericht, an den der Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen war, eine mündliche Verhandlung mit den Prozeßbevollmächtigten der Parteien statt. Das Gericht be-schloß gemäß der eidesstattlichen Versicherung der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, daß eine Entscheidung am Ende der Sitzung ergehen sollte, nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls vom 18. Oktober 1999 (in dem als anwesender Vertreter der Klägerin Rechtsanwalt W. aufgeführt ist, während nach eidesstattlicher Versicherung von Rechtsanwältin R. diese den Termin wahrgenommen hat), daß Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 22. November 1999 bestimmt wurde. In den Akten befindet sich - im Anschluß an das genannte Verhandlungsprotokoll - ein von dem Einzelrichter unterschriebenes Formular, in dem das Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens ausgefüllt und im übrigen unter dem Vordruck "Niederschrift über die öffentliche Verhandlung der 3. Zivilkammer" sowie der Angabe des Richters die vorgedruckten Zeilen: "Es wurde das anliegende Urteil unter Bezugnahme auf die Entscheidungsformel verkündet", angekreuzt sind. Ein Datum trägt das Formular nicht. Danach folgt in den Akten ein in vollständiger Form abgefaßtes Urteil, das den vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterschriebenen Vermerk trägt: "Zur Geschäftsstelle gelangt am 21. Juni 2000". Darüber befindet sich der ebenfalls von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterschriebene Verkündungsvermerk "gemäß Sitzungsniederschrift verkündet am 22. Nov. 1999". Das Urteil wurde am 29. Juni 2000 zur Zustellung hinausgegeben und der Klägerin, deren Klage abgewiesen wurde, zu Händen ihrer Prozeßbevollmächtigten am 10. Juli 2000 zugestellt. Am 24. Juli 2000 legte die Klägerin, vertreten durch ihren bei dem Oberlandesgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten, gegen das Urteil Berufung ein und beantragte, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs trug sie - unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihrer erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten - vor: Ihre Prozeßbe-
vollmächtigte habe seit dem 18. Oktober 1999 durch schriftliche Sachstandsanfragen vom 24. Januar, 17. März und 2. Juni 2000 sowie durch mehrfache telefonische Anfragen bei der Geschäftsstelle versucht zu erfahren, welche Entscheidung am 18. Oktober 1999 nach dem Ende der Sitzung verkündet worden sei. Das Sitzungsprotokoll, aus dem sie den auf den 22. November 1999 bestimmten Verkündungstermin ersehen habe, sei ihr, auf Intervention von Rechtsanwalt W., erstmals am 21. Juli 2000 per Telefax übermittelt worden. Bei ihren telefonischen Rückfragen bei der Geschäftsstelle habe die Prozeßbevollmächtigte stets nur erfahren, die Akten lägen nicht vor, sondern befänden sich noch bei dem Richter. Dieser sei trotz 30 bis 40 Anwahlversuchen telefonisch nicht erreichbar gewesen. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet diese sich mit der form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Klägerin hat die Berufungsfrist entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht versäumt. Die Berufungsfrist beginnt nach § 516 ZPO mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Hier hat die Frist erst mit der Zustellung des Urteils am 10. Juli 2000 zu laufen begonnen. Die Einlegung der Berufung am 24. Juli 2000 war daher rechtzeitig.Ein früherer Fristbeginn könnte nur in Frage kommen, wenn das landgerichtliche Urteil schon vor dem 10. Juli 2000 verkündet worden wäre. Das kann jedoch nicht festgestellt werden. Die in den Akten befindliche Urschrift des Urteils trägt zwar den nach § 315 Abs. 3 ZPO vorgeschriebenen, von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterschriebenen Vermerk, daß das Urteil am 22. November 1999 verkündet worden sei. Damit ist die Verkündung indessen nicht bewiesen. Denn nach § 165 Satz 1 ZPO kann die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO die Verkündung von Entscheidungen gehört, nur durch das Protokoll bewiesen werden (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 7. Februar 1990 - XII ZB 6/90 = BGHR ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 7 Urteil 2 = FamRZ 1990, 507, m.w.N). Das bei den Akten befindliche Formular eines Verkündungsprotokolls beweist die Verkündung eines "anliegenden Urteils" am 22. November 1999 jedoch nicht. Die Beweiskraft dieser Urkunde erstreckt sich von vornherein nicht auf einen bestimmten Verkündungstermin, da die Urkunde kein Datum enthält. Darüber hinaus ist die Beweiskraft dadurch beeinträchtigt (§ 419 ZPO), daß nach dem Protokoll "das anliegende Urteil" - unter Bezugnahme auf die Entscheidungsformel - verkündet wurde; dem Protokoll ist aber keine Anlage, auch keine Entscheidungsformel ,
beigefügt. Das in den Akten im Anschluß an das Protokoll abgeheftete vollständige Urteil ist weder als Anlage zu dem Protokoll bezeichnet, noch befand es sich - nach dem Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - vor dem 21. Juni 2000 auf der Geschäftsstelle.
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(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen.
(2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes.
(3) Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Wirkungen sind durch Beschluss auszusprechen.
(1) Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt.
(2) Ein Urteil, das in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, verkündet wird, ist vor Ablauf von drei Wochen, vom Tage der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser Frist das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe der Geschäftsstelle zu übermitteln. In diesem Fall sind Tatbestand und Entscheidungsgründe alsbald nachträglich anzufertigen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.
(3) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Verkündung oder der Zustellung nach § 310 Abs. 3 zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Prozessakten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(1) Das Protokoll enthält
- 1.
den Ort und den Tag der Verhandlung; - 2.
die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa zugezogenen Dolmetschers; - 3.
die Bezeichnung des Rechtsstreits; - 4.
die Namen der erschienenen Parteien, Nebenintervenienten, Vertreter, Bevollmächtigten, Beistände, Zeugen und Sachverständigen und im Falle des § 128a den Ort, von dem aus sie an der Verhandlung teilnehmen; - 5.
die Angabe, dass öffentlich verhandelt oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist.
(2) Die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung sind aufzunehmen.
(3) Im Protokoll sind festzustellen
- 1.
Anerkenntnis, Anspruchsverzicht und Vergleich; - 2.
die Anträge; - 3.
Geständnis und Erklärung über einen Antrag auf Parteivernehmung sowie sonstige Erklärungen, wenn ihre Feststellung vorgeschrieben ist; - 4.
die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien; bei einer wiederholten Vernehmung braucht die Aussage nur insoweit in das Protokoll aufgenommen zu werden, als sie von der früheren abweicht; - 5.
das Ergebnis eines Augenscheins; - 6.
die Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse und Verfügungen) des Gerichts; - 7.
die Verkündung der Entscheidungen; - 8.
die Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels; - 9.
der Verzicht auf Rechtsmittel; - 10.
das Ergebnis der Güteverhandlung.
(4) Die Beteiligten können beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden. Das Gericht kann von der Aufnahme absehen, wenn es auf die Feststellung des Vorgangs oder der Äußerung nicht ankommt. Dieser Beschluss ist unanfechtbar; er ist in das Protokoll aufzunehmen.
(5) Der Aufnahme in das Protokoll steht die Aufnahme in eine Schrift gleich, die dem Protokoll als Anlage beigefügt und in ihm als solche bezeichnet ist.
Inwiefern Durchstreichungen, Radierungen, Einschaltungen oder sonstige äußere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung.