Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Juli 2013 - XII ZB 154/12

31.07.2013
vorgehend
Amtsgericht Fulda, 44 F 308/09, 26.05.2011
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 2 UF 299/11, 08.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 154/12
vom
31. Juli 2013
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Juli 2013 durch den Vorsitzenden
Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners wird der Beschluss des 2. Familiensenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. August 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: Bis 7.000 €

Gründe:

I.

1
Die beteiligten Ehegatten streiten über Trennungs- und Kindesunterhalt. Beide Ehegatten haben gegen den hierzu erlassenen Beschluss des Amtsgerichts für eine beabsichtigte Beschwerde Verfahrenskostenhilfe beantragt und ihre Verfahrenskostenhilfegesuche beim Amtsgericht eingereicht. Da diese nach Ablauf der Beschwerdefrist beim Oberlandesgericht eingegangen sind, hat das Oberlandesgericht Verfahrenskostenhilfe für beide Ehegatten abgelehnt und zur Begründung darauf abgestellt, dass die Gesuche beim Rechtsmittelgericht einzureichen gewesen wären. Dagegen richten sich die zugelassenen Rechtsbeschwerden beider Ehegatten.

II.

2
Die Rechtsbeschwerden haben bereits deshalb Erfolg, weil das Oberlandesgericht die Erfolgsaussicht aufgrund seiner Bewertung einer umstrittenen und noch nicht geklärten Rechtsfrage verweigert hat, deren Beantwortung nicht in das Verfahrenskostenhilfeverfahren hätte verlagert werden dürfen.
3
1. Ist das Beschwerdegericht in einem Verfahrenskostenhilfeverfahren der Auffassung, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung von der Klärung einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage abhängt , muss es dem Beschwerdeführer beim Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen insoweit Verfahrenskostenhilfe bewilligen, und zwar auch dann, wenn es die Auffassung vertritt, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden ist (Senatsbeschlüsse vom 8. Mai 2013 - XII ZB 624/12 - FamRZ 2013, 1214; vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022 und vom 12. Dezember 2012 - XII ZB 190/12 - FamRZ 2013, 369).
4
Im vorliegenden Fall war die Frage, bei welchem Gericht nach der bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Rechtslage das Verfahrenskostenhilfegesuch für eine beabsichtigte Beschwerde einzureichen war, umstritten, was das Oberlandesgericht nicht verkannt hat (vgl. nunmehr Senatsbeschluss vom 17. Juli 2013 - XII ZB 700/12 - zur Veröffentlichung bestimmt). Demnach hätte es die Verfahrenskostenhilfe nicht wegen der Einreichung des Gesuchs beim Amtsgericht verweigern dürfen.
5
2. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, zumal sich die Erfolgsaussicht der Anträge nicht ausschließen lässt. Da neben der Erfolgsaussicht der Anträge noch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehe- gatten zu überprüfen sind, ist die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Dose Vézina Klinkhammer Günter Nedden-Boeger

Vorinstanzen:
AG Fulda, Entscheidung vom 26.05.2011 - 44 F 308/09 -UEUK- -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 08.08.2011 - 2 UF 299/11 -

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 624/12
vom
8. Mai 2013
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
1. Ist das Beschwerdegericht in einem Verfahrenskostenhilfeverfahren der Auffassung
, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
von der Klärung einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte
umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage
abhängt, muss es dem Beschwerdeführer beim Vorliegen der persönlichen
Voraussetzungen insoweit Verfahrenskostenhilfe bewilligen, und zwar auch
dann, wenn es die Auffassung vertritt, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten
des Beschwerdeführers zu entscheiden ist (im Anschluss an Senatsbeschlüsse
vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022 und vom
12. Dezember 2012 - XII ZB 190/12 - FamRZ 2013, 369).
2. Auch in Verfahren der Verfahrenskostenhilfe kann eine Rechtsbeschwerde
zum Bundesgerichtshof wirksam nur durch einen beim Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (im Anschluss an Senatsbeschluss
vom 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425).
BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 - XII ZB 624/12 - KG
AG Pankow/Weißensee
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Mai 2013 durch den Vorsitzenden
Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:
Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 18. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Kammergerichts in Berlin vom 30. Oktober 2012 bewilligt.
Auf die Rechtsbeschwerde wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben , soweit darin die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen für die Zeit vom 1. September 2011 bis zum 31. August 2012 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Die 1989 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners. Sie besuchte seit August 2006 die gymnasiale Oberstufe und ging im Juni 2010 mit dem Erwerb des schulischen Teils der Fachhochschulreife vom Gymnasium ab. Im Anschluss an ihren Schulbesuch war sie zeitweise als Verkäuferin tätig und absolvierte seit September 2011 ein freiwilliges soziales Jahr bei dem Landesjugendring B. . Im August 2012 hat sie eine Ausbildung zur Erzieherin aufgenommen.
2
Mit Antrag vom 16. September 2011 hat die Antragstellerin gegen den Antragsgegner rückständigen und laufenden Kindesunterhalt geltend gemacht und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt. Das Amtsgericht hat der Antragstellerin die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten ihrer Rechtsverfolgung versagt. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht nach Übertragung des Verfahrens durch die Einzelrichterin auf den Senat zurückgewiesen. Zugleich hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit der Rechtsverfolgung für die Dauer der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres vom 1. September 2011 bis zum 31. August 2012 die Erfolgsaussichten abgesprochen worden sind. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die Klärung der - von ihm verneinten - Frage, ob die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres schon generell und ohne Zusammenhang mit einem konkreten Ausbildungskonzept des Kindes als angemessener Ausbildungsabschnitt im Rahmen einer Gesamtausbildung anzusehen sei, im Hinblick auf eine divergierende Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
4
1. Die Rechtsbeschwerde, deren Zulassung das Beschwerdegericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf den Zeitraum vom 1. September 2011 bis zum 31. August 2012 beschränkt hat, ist statthaft (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig.
5
Allerdings hätte die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen werden dürfen. Im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) oder der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Verfahrenskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZA 11/07 - FamRZ 2007, 1720 Rn. 6 und vom 4. August 2004 - XII ZA 6/04 - FamRZ 2004, 1633 f.; BGH Beschluss vom 22. November 2011 - VIII ZB 81/11 - NJW-RR 2012, 125 Rn. 10). Hängt die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe aus Sicht des Beschwerdegerichts dagegen allein von der Frage ab, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann die Rechtsbeschwerde wegen dieser Frage nicht zugelassen werden. Indessen ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch an eine insoweit rechtsfehlerhafte Zulassung der Rechtsbeschwerde gebunden (Senatsbeschluss vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022; BGH Beschlüsse vom 21. November 2002 - V ZB 40/02 - NJW 2003, 1126 und vom 27. Februar 2003 - III ZB 30/02 - NJW-RR 2003, 1001).
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht hätte die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin mit ihrem Unterhaltsbegehren beabsichtigten Rechtsverfolgung mit der gegebenen Begründung nicht verneinen dürfen.
7
Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, dass der volljährigen Antragstellerin für die Dauer ihres freiwilligen sozialen Jahres schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt zustehe, weil sie mangels Darlegung eines tragfähigen, an ihren Begabungen und Fähigkeiten orientierten Ausbildungskonzeptes nicht hinreichend belegt habe, inwieweit die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres für ihre später beabsichtigte Berufsausbildung konkret nutzbar gemacht werden könnte. Ferner ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass es demgegenüber nach einer vom Oberlandesgericht Celle (OLG Celle FamRZ 2012, 995 f.) vertretenen Rechtsansicht zum Unterhaltsanspruch von Kindern während des freiwilligen sozialen Jahres solcher Darlegungen nicht bedürfe.
8
Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Verfahrenskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahrenskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den das Rechtsstaatsprinzip erfordert, nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (BVerfG NJW 1994, 241, 242 und NJW 2000, 1936, 1937; Senatsbeschluss vom 4. August 2004 - XII ZA 6/04 - FamRZ 2004, 1633, 1634 mwN). Ist das Beschwerdegericht daher - wie im vorliegenden Fall - der Auffassung, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung von der Klärung einer in der Recht- sprechung der Oberlandesgerichte umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage abhängen, muss es dem Beschwerdeführer beim Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen insoweit Verfahrenskostenhilfe bewilligen, und zwar auch dann, wenn das Beschwerdegericht die Auffassung vertritt, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden ist (BVerfG FamRZ 2013, 605, 606; 2013, 685, 686; Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2012 - XII ZB 190/12 - FamRZ 2013, 369). Verweigert es dem Beschwerdeführer dagegen Verfahrenskostenhilfe und lässt gleichzeitig wegen der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu, widerlegt es damit in aller Regel die Richtigkeit seiner eigenen Entscheidung. Dies muss grundsätzlich ohne nähere Sachprüfung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht führen (vgl. Senatsbeschluss vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022; MünchKommZPO /Motzer 4. Aufl. § 127 Rn. 36; Musielak/Fischer ZPO 9. Aufl. § 127 Rn. 25).
9
3. Zur Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdegerichts weist der Senat noch darauf hin, dass die unter Bezugnahme auf § 114 Nr. 4 Nr. 5 FamFG ausdrücklich erteilte Belehrung, wonach sich die Beteiligten im Verfahren der Rechtsbeschwerde in Verfahrenskostenhilfesachen nicht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, nicht zutreffend ist. Auch in Verfahren der Verfahrenskostenhilfe kann eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wegen § 114 Abs. 4 Nr. 5 FamFG nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (Senatsbeschluss vom 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425 Rn. 7; Keidel/Weber FamFG 17. Aufl. § 114 Rn. 11, 20; Prütting/Helms FamFG 2. Aufl. § 114 Rn. 34; Musielak/Borth FamFG 3. Aufl. § 114 Rn. 6). Dose Vézina Klinkhammer Günter Botur
Vorinstanzen:
AG Berlin-Pankow/Weißensee, Entscheidung vom 09.02.2012 - 18 F 9113/11 -
KG Berlin, Entscheidung vom 30.10.2012 - 18 WF 74/12 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 192/02
vom
17. März 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ist das Beschwerdegericht in einem Prozeßkostenhilfeverfahren der Ansicht,
daß die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegen
, so muß es bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen Prozeßkostenhilfe
bewilligen.

b) Hat das Beschwerdegericht den Antrag auf Prozeßkostenhilfe abgelehnt und
dennoch die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluß zugelassen, so ist
das Revisionsgericht zwar an die Zulassung gebunden (§ 574 Abs. 1 Nr. 2,
Abs. 3 Satz 2 ZPO). Der Beschluß ist jedoch aufzuheben, weil er gegen das
in Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Gebot der Rechtsschutzgleichheit
verstößt.
BGH, Beschluß vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - OLG Dresden
LG Zwickau
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt sowie die
Richterin Dr. Vézina

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Oktober 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe:


I.

Der Antragsteller begehrt Prozeßkostenhilfe für eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Gewerberaummietvertrages, hilfsweise Feststellung, daß das Mietverhältnis nicht durch die Kündigung der Antragsgegnerin zum 30. September 2001 beendet wurde und weiter hilfsweise Zahlung der Miete für die Zeit vom 1. Oktober 2001 bis einschließlich Februar 2002. Mit schriftlichem Mietvertrag vom 21./28. Juni 1995 vermietete der Antragsteller an die Antragsgegnerin eine Gesamtfläche von 1450 qm bestehend aus Räumlichkeiten, Hofflächen und Überfahrtsflächen zum Betrieb eines Reifen -Service für die Dauer von fünfzehn Jahren. Wegen der Maße und Lage des Mietgegenstandes wurde auf einen als Anlage I bezeichneten Lageplan verwie-
sen, in dem die vermieteten Flächen schraffiert gekennzeichnet sein sollten. Dieser Lageplan lag unstreitig bei Vertragsabschluß nicht vor. Mit Schreiben vom 20. Februar 2001 kündigte die Antragsgegnerin den Mietvertrag gemäß § 566 BGB in Verbindung mit § 565 Abs. 1 a BGB a.F. zum 30. September 2001. Der Antragsteller ist der Ansicht, die Antragsgegnerin könne sich nach Treu und Glauben nicht auf einen etwaigen Formmangel des Mietvertrages berufen. Der Antrag des Antragstellers auf Prozeßkostenhilfe ist vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit der - zugelassenen - Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Antrag weiter.

II.

Das Beschwerdegericht hat angenommen, daß zwischen den Parteien trotz Unterzeichnung des schriftlichen Mietvertrages zunächst kein Mietvertrag zustande gekommen sei, weil sich die Parteien nicht über den Mietgegenstand geeinigt hätten. Es sei offen geblieben, welche Teile des noch zu errichtenden Gebäudes und des Grundstücks der Antragsgegnerin zur Nutzung hätten überlassen werden sollen. Soweit sich aus der jahrelangen Nutzung des Gebäudes und des Grundstücks eine Einigung über das Mietobjekt und damit der Abschluß eines Mietvertrages ergebe, fehle es an der Einhaltung der Schriftform des § 566 BGB a.F. Die Antragsgegnerin dürfe sich auch auf den Formmangel berufen, ohne gegen Treu und Glauben zu verstoßen. Die Rechtsbeschwerde hat es unter Hinweis auf § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wegen der Frage
zugelassen, ob der Antragsgegnerin aus Treu und Glauben eine Geltendmachung der Formnichtigkeit verwehrt sei.

III.

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO) Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Das Beschwerdegericht hätte, wenn es der Ansicht ist, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, oder, daß die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfordert, bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen, Prozeßkostenhilfe bewilligen müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2002 - V ZB 40/02 - NJW 2003, 1126, 27. Februar 2003 - III ZB 29/02 - AGS 2003, 213). In diesem Fall gebietet nämlich die in Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit, die Erfolgsaussicht zu bejahen und dem Antragsteller Prozeßkostenhilfe zu gewähren, denn das Hauptverfahren eröffnet erheblich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes (BVerfGE 81, 347). Das nur einer
summarischen Prüfung unterliegende Prozeßkostenhilfeverfahren hat demgegenüber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden (BVerfG FamRZ 2002, 665).
Hahne Sprick Fuchs Ahlt Vézina

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 700/12
vom
17. Juli 2013
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Das Verfahrenskostenhilfegesuch für eine beabsichtigte Beschwerde in einer
Familiensache war nach der bis 31. Dezember 2012 bestehenden Rechtslage
beim Oberlandesgericht einzureichen.

b) Wegen der nach Inkrafttreten der FGG-Reform zunächst insoweit bestehenden
Rechtsunsicherheit, die inzwischen zu einer Gesetzesänderung geführt
hat, begründet die Einreichung beim hierfür unzuständigen Amtsgericht kein
Verschulden des Rechtsanwalts.
BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 - XII ZB 700/12 - OLG Frankfurt a.M.
AG Bad Hersfeld
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2013 durch den Vorsitzenden
Richter Dose und die Richter Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer,
Schilling und Dr. Günter

beschlossen:
Der Antragstellerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Familiensenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. April 2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 4.048 €

Gründe:

I.

1
Die Beteiligten streiten über Volljährigenunterhalt. Die Antragstellerin ist die 1990 geborene Tochter des Antragsgegners. Sie hat vor dem Amtsgericht beantragt, den Antragsgegner zu Unterhaltszahlungen ab Februar 2010 zu verpflichten.
2
Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Der Beschluss des Amtsgerichts ist der Antragstellerin am 22. Februar 2012 zugestellt worden. Mit einem am 22. März 2012 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde beantragt. Das Amtsgericht hat den Antrag an das Oberlandesgericht weitergeleitet, bei dem er am 29. März 2012 eingegangen ist.
3
Nach einem der Antragstellerin am 5. April 2012 zugestellten Hinweis des Oberlandesgerichts, dass der Antrag wegen des erst nach Ablauf der Beschwerdefrist bei ihm erfolgten Eingangs mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zurückzuweisen sei, hat die Antragstellerin mit einem am 19. April 2012 sowohl beim Oberlandesgericht als auch beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegt und beantragt, ihr wegen der versäumten Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
4
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Dagegen richtet sich die von der Antragstellerin eingelegte Rechtsbeschwerde, mit der sie ihre Anträge aus der Vorinstanz weiterverfolgt.

II.

5
Die nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO iVm § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
6
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts, dessen Entscheidung in FamRZ 2013, 146 veröffentlicht ist, ist einer bedürftigen Partei, die ein Rechtsmittel einlegen will, zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe mit einem Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen eingereicht hat. Dieser Antrag müsse aber beim zuständigen Gericht eingereicht werden. Im vorliegenden Fall sei nach § 117 Abs. 1 ZPO das Oberlandesgericht als Rechtsmittelgericht zuständig. An dieser Regelung habe sich durch das seit 1. September 2009 geltende neue Familienverfahrensrecht nichts geändert. Denn die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe seien nach § 113 FamFG anwendbar, so dass zwar nach § 64 Abs. 1 FamFG die Beschwerde selbst bei dem Gericht einzulegen sei, dessen Beschluss angefochten werde, der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe hingegen weiterhin beim Rechtsmittelgericht eingereicht werden müsse. Die Gegenauffassung , wonach der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe beim Amtsgericht einzureichen sei, weil dort auch die Beschwerde einzulegen sei, vermöge nicht zu überzeugen. Es sei zwar nicht verständlich, warum die Beschwerde beim Amtsgericht einzulegen sei, der Verfahrenskostenhilfeantrag aber beim Rechtsmittelgericht. Dieser Systembruch ändere aber nichts daran, dass die Regeln der Prozesskostenhilfe unverändert in das neue Verfahrensgesetz einbezogen worden seien. Auch die Gesetzesmaterialien rechtfertigten nicht den Schluss auf einen abweichenden Willen des Gesetzgebers, der Gesetzestext sei vielmehr klar und verständlich. Das Amtsgericht sei auch nicht das Verfahrensgericht im Sinne von § 117 Abs. 1 ZPO. Aus der alleinigen Verpflichtung zur Weiterleitung der Akten könne sich diese Stellung nicht ergeben. Dafür spreche auch ein Vergleich zu den Regelungen in der Finanzgerichtsbarkeit, wo ebenfalls die Beschwerde beim Ausgangsgericht einzulegen sei, der Prozess- kostenhilfeantrag für eine beabsichtigte Beschwerde aber beim Rechtsmittelgericht. Im Verwaltungsprozessrecht gelte das Gleiche.
7
2. Das hält in einem entscheidenden Punkt der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Dem Oberlandesgericht ist zwar darin zuzustimmen, dass der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe, um eine Wiedereinsetzung wegen Bedürftigkeit begründen zu können, nach der bis zum 31. Dezember 2012 bestehenden Rechtslage beim Rechtsmittelgericht einzureichen war. Insoweit bestand aber nach Inkrafttreten des geänderten Familienverfahrensrechts zum 1. September 2009 eine unklare Rechtslage, die unter den Oberlandesgerichten umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt war. Die unzutreffende Adressierung des Verfahrenskostenhilfeantrags an das Amtsgericht ist daher ausnahmsweise als entschuldigt anzusehen.
8
a) Zu Recht ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass das Verfahrenskostenhilfegesuch nach dem hier noch anzuwendenden - bis zum 31. Dezember 2012 geltenden - Recht (vgl. nunmehr - seit 1. Januar 2013 - § 64 Abs. 1 Satz 2 FamFG) beim Rechtsmittelgericht einzureichen war.
9
Danach war gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Antrag beim Prozessgericht (§ 113 Abs. 5 Nr. 1 FamFG: Verfahrensgericht) zu stellen. Bei der Beantragung von Prozesskostenhilfe entspricht es allgemeiner Meinung, dass der Antrag bei einem noch nicht anhängigen Verfahren bei dem Gericht einzureichen ist, das für die Hauptsache zuständig wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 1994 - XII ARZ 2/94 - NJW-RR 1994, 706), ein Prozesskostenhilfegesuch für ein beabsichtigtes Rechtsmittel also beim Rechtsmittelgericht einzureichen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2001 - XII ZB 67/01 - FamRZ 2002, 1704; BGH Beschlüsse vom 26. September 2002 - I ZB 20/02 - FamRZ 2003, 89 und vom 22. Oktober 1986 - VIII ZB 40/86 - NJW 1987, 440). Daran ist, wie das Oberlandesgericht zutreffend hervorgehoben hat, durch das zum 1. September 2009 in Kraft getretene Verfahrensrecht auch in Familienstreitsachen (zunächst) nichts geändert worden. Vielmehr verweist § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG (ebenso in § 76 FamFG) auf die unveränderte Regelung in § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die geänderte Einlegung des Rechtsmittels in der Hauptsache - beim Ausgangsgericht statt beim Rechtsmittelgericht - ist dagegen allein in § 64 Abs. 1 FamFG geregelt und hat die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts für die Stellung des Verfahrenskostenhilfeantrags unberührt gelassen (zutreffend FamVerf/Gutjahr 2. Aufl. § 1 Rn. 102; Schael FamFR 2011, 494; Nickel MDR 2010, 1227, 1230).
10
Dagegen hat das Oberlandesgericht Bremen die Auffassung vertreten, jedenfalls bis zur Weiterleitung der Verfahrensakten an das Beschwerdegericht könne das Verfahrenskostenhilfegesuch außer bei dem Rechtsmittelgericht auch bei dem Gericht eingereicht werden, dessen Entscheidung angefochten werden soll (OLG Bremen FamRZ 2011, 913). Weitergehend hat das Oberlandesgericht Bamberg die Auffassung vertreten, der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sei grundsätzlich beim Amtsgericht einzureichen (OLG Bamberg FamRZ 2012, 49; ebenso OLG Brandenburg Beschluss vom 26. November 2012 - 9 UF 64/12 – nicht veröffentlicht). In der Literatur ist ebenfalls die Auffassung vertreten worden, für die Stellung des Verfahrenskostenhilfeantrags sei das Amtsgericht als Ausgangsgericht zuständig (Prütting/Helms/Stößer FamFG 2. Aufl. § 76 Rn. 53; Horndasch /Viefhues/Götsche FamFG 2. Aufl. § 76 Rn. 109; vgl. Büte FuR 2012, 119, 120 f. mwN).
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Das vermag nicht zu überzeugen. Die Empfangszuständigkeit für das Rechtsmittel macht das Amtsgericht noch nicht zum zuständigen Verfahrensgericht. Die Regelung in § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO geht davon aus, dass das Pro- zesskostenhilfe- bzw. Verfahrenskostenhilfegesuch bei dem Gericht einzureichen ist, das auch zur Entscheidung darüber zuständig ist. Die Einlegung des Rechtsmittels in der Hauptsache ist davon zu unterscheiden und unterliegt eigenen Regeln. Dementsprechend wird, wie das Oberlandesgericht richtig ausgeführt hat, auch von der Rechtsprechung anderer Fachgerichtsbarkeiten ungeachtet der Einlegung des Rechtsmittels beim Ausgangsgericht die Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs beim Rechtsmittelgericht verlangt, so im finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. §§ 129 Abs. 1, 142 Abs. 1 FGO; BFH BB 1981, 151; BFH Beschluss vom 13. Juli 1995 - VII S 1/95 - juris Rn. 9) und auch im Verwaltungsprozess (§§ 124 a Abs. 2, 166 VwGO; BVerwG Beschluss vom 21. Januar 1999 - 1 B 3/99, 1 PKH 1/99 - Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 38).
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Soweit der Bundesgerichtshof für die Einlegung der Revision bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht dieses für die Stellung des Prozesskostenhilfegesuchs als zuständig angesehen hat (BGHZ 98, 318 = NJW 1987, 1023), beruht dies auf den Besonderheiten der zwischen dem Bayerischen Obersten Landesgericht und dem Bundesgerichtshof seinerzeit geteilten Revisionszuständigkeit , welche zunächst ein vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht durchzuführendes Zuständigkeitsverfahren nach § 7 Abs. 2 EGZPO aF erforderlich machte.
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b) Eine Wiedereinsetzung ist jedoch aus anderen Gründen zu gewähren. Denn der Rechtsanwältin der Antragstellerin ist die unzutreffende Adressierung des Verfahrenskostenhilfeantrags an das Amtsgericht nicht als Verschulden anzulasten.
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Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist allerdings in der Regel nicht unverschuldet (Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 19 mwN). Nach der Rechtsprechung des Bundesge- richtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Prozessführung überträgt, vertraut zu Recht darauf, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist. Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen (BGH Beschluss vom 9. Juli1993 - V ZB 20/93 - NJW 1993, 2538, 2539 mwN). Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur (vor allem Fachzeitschriften und Kommentare) über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung, wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt.
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Demgegenüber kann auch ein Rechtsirrtum ausnahmsweise entschuldigt sein, wenn er auch unter Anwendung der genannten Sorgfaltsanforderungen nicht vermeidbar war. Das hat der Senat angenommen im Fall, dass zu einer verfahrensrechtlichen Frage divergierende Rechtsprechung mehrerer Senate des Bundesgerichtshofs ergangen ist (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 - XII ZB 169/12 - FamRZ 2013, 437 Rn. 19; vgl. auch BGH Beschluss vom 25. Oktober 1978 - IV ZB 65/78 - VersR 1979, 159 mwN sowie Musielak/Grandel ZPO 10. Aufl. Rn. 44 mwN).
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Zwar ist der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts in einer zweifelhaften Rechtsfrage vom Senat dann nicht als unverschuldet angesehen worden, wenn er einer vereinzelten Literaturmeinung gefolgt ist und entgegenstehende veröffentlichte Rechtsprechung eines Oberlandesgerichts unbeachtet gelassen hat (Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 19 mwN). Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall aber dadurch, dass es sich – wie oben ausgeführt – um eine unter den Oberlandesgerichten umstrittene Frage handelte, sich eine eindeutig überwiegende Auffassung noch nicht gebildet hatte und sich zudem die zunächst veröffentlichte Rechtsprechung für eine Einreichung des Verfahrenskostenhilfegesuchs beim Amtsgericht ausgesprochen hatte. Außerdem hat diese Meinung in der zum 1. Januar 2013 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung ihren Niederschlag gefunden. Durch das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 3418) ist die Regelung mit Wirkung vom 1. Januar 2013 dahin geändert worden, dass nach § 64 Abs. 1 Satz 2 FamFG Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde bei dem Gericht "einzulegen" sind, dessen Beschluss angefochten werden soll (vgl. BTDrucks. 17/10490 S. 18 f.).
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Vor diesem Hintergrund war von einem Rechtsanwalt, der bei der bestehenden unklaren Rechtslage mangels vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und im Schrifttum zahlenmäßig stark vertretenen Auffassung gefolgt ist, auch nicht zu verlangen , dass er das Verfahrenskostenhilfegesuch sowohl bei dem Amtsgericht als auch bei dem Oberlandesgericht einreichte, so dass ihm auch im Hinblick auf das Gebot der Wahl des sichersten Weges (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 - XII ZB 169/12 - FamRZ 2013, 437 Rn. 19; vgl. auch BGH Beschluss vom 25. Oktober 1978 - IV ZB 65/78 - VersR 1979, 159 mwN; ebenso OLG Bamberg FamRZ 2012, 49 - juris Rn. 13) im Ergebnis kein Verschuldensvorwurf zu machen ist.
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Nach den vorstehenden Grundsätzen ist der Rechtsanwältin der Antragstellerin wegen der Einreichung des Verfahrenskostenhilfegesuchs beim Amtsgericht kein der Antragstellerin zurechenbares Verschulden anzulasten.
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3. Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Hinsichtlich des Antrags auf Wiedereinsetzung und in der Hauptsache ist die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Dose Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Günter
Vorinstanzen:
AG Bad Hersfeld, Entscheidung vom 10.02.2012 - 62 F 284/11 UK -
OLG Frankfurt a. M., Entscheidung vom 27.04.2012 - 2 UF 107/12 -