Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Okt. 2011 - X ZR 106/10

bei uns veröffentlicht am27.10.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 5 Ni 28/09, 16.06.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 106/10
vom
27. Oktober 2011
in dem Patentnichtigkeitsverfahren
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2011 durch
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Gröning,
Dr. Grabinski und Hoffmann

beschlossen:
Herrn Patentanwalt J. E. , Kanzlei Ei. in H. , wird Einsicht in die Akten des Patentnichtigkeitsverfahrens X ZR 106/10 gewährt.

Gründe:


1
I. Patentanwalt E. hat - ohne Nennung eines Auftraggebers - Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens begehrt, die sich nach Einlegung der Berufung bei dem beschließenden Senat befinden. Die Klägerin hat gegenüber dem Antrag keine Bedenken erhoben; die Beklagte hat angemerkt, der Antragsteller möge aufgefordert werden, seinen Auftraggeber zu nennen, damit der Patentinhaber prüfen könne, ob er ein der Akteneinsicht entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse habe.
2
II. Dem Akteneinsichtsantrag ist stattzugeben. Nach § 99 Abs. 3 PatG gilt für die Akteneinsicht durch andere als die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens die Regelung des § 31 PatG entsprechend, der das Recht auf Einsicht in die Akten des Patentamts betrifft. Danach ist die Einsicht in diese Akten lediglich von einem förmlichen Antrag, nicht jedoch auch von der Darlegung eines berechtigten Interesses abhängig. Dies hat der Senat bereits im Jahr 2000 entschieden (Beschluss vom 17. Oktober 2000 - X ZR 4/00, GRUR 2001, 143) und hieran hat er in ständiger Rechtsprechung festgehalten (zuletzt Beschluss vom 27. Mai 2009 - Xa ZR 162/07).
3
Demnach ist dem Antragsteller Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens zu gewähren. Ein schutzwürdiges Gegeninteresse hat die Beklagte nicht dargelegt. Sie hat sich nur pauschal darauf bezogen, dass sie ohne Kenntnis der vom Antragsteller vertretenen Partei nicht beurteilen könne, ob aus ihrer Sicht Gründe der Gewährung der Akteneinsicht entgegenstünden. Das genügt zur Darlegung eines Gegeninteresses auch vor dem Hintergrund dessen nicht, dass ihre Darlegungen mangels näherer Ausführungen der Antragsteller notwendig pauschal bleiben müssen.
Keukenschrijver Mühlens Gröning
Grabinski Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16.06.2010 - 5 Ni 28/09 (EU) -

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Patentgesetz - PatG | § 99


(1) Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren vor dem Patentgericht enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nic

Patentgesetz - PatG | § 31


(1) Das Deutsche Patent- und Markenamt gewährt jedermann auf Antrag Einsicht in die Akten sowie in die zu den Akten gehörenden Modelle und Probestücke, wenn und soweit ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht wird. Jedoch steht die Einsicht in da

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 106/10 Verkündet am:
21. März 2013
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Patentnichtigkeitsverfahren
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. März 2013 durch den Richter Gröning, die Richterin Mühlens und die Richter
Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. Juni 2010 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wie folgt geändert: Die Klage wird insgesamt abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung in Deutschland vom 11. Dezember 1992 am 8. Dezember 1993 angemeldeten , mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 601 554 (Streitpatents), das ein Fernsehempfangsgerät mit einer Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung zum Gegenstand hat und sechs Ansprüche umfasst. Anspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache: "Fernsehempfangsgerät mit einer Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung , die in einer ersten Suchlaufbetriebsart betreibbar ist, bei der alle Fernsehkanäle automatisch nacheinander nach empfangbaren Sendersignalen abgesucht werden und Informationen über alle ermittelten Sender im Senderspeicher des Fernsehempfangsgerätes abgelegt werden, dadurch gekennzeichnet , dass die Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung weiterhin in einer zweiten Suchlaufbetriebsart betreibbar ist, bei der die bestehende Belegung des Senderspeichers erhalten bleibt und Informationen über neu ermittelte Sender in weiteren Speicherplätzen des Senderspeichers abgelegt werden."
2
Die Klägerin hat das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1, 2, 5 und 6 mit der Nichtigkeitsklage angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei im angegriffenen Umfang nicht patentfähig.
3
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt, das Streitpatent hilfsweise in beschränkten Fassungen und die Ansprüche 5 und 6 dabei überhaupt nicht mehr verteidigt. In der Fassung von Hilfsantrag III ist Patentanspruch 1 um die Merkmale ergänzt , dass die erste Suchlaufbetriebsart und die zweite Suchlaufbetriebsart jeweils durch unterschiedliche Tasten der Fernbedienung ausgelöst werden.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über Patentanspruch 1 in der Fassung des dritten Hilfsantrags und den darauf rückbezogenen Anspruchs 2 hinausgeht, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
5
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie den Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
6
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
Im Auftrag des Senats hat Prof. E. , Professor an der Hochschule A. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


8
I. Das Streitpatent betrifft ein Fernsehempfangsgerät mit einer Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung.
9
1. Im Stand der Technik war der Streitpatentschrift zufolge eine automatische Senderprogrammierung bekannt, bei der alle Fernsehkanäle, also die Frequenzbänder , innerhalb derer Fernsehsender Signale ausstrahlen, schrittweise nach empfangbaren Fernsehsendern abgesucht werden, wobei hochfrequente Fernsehsignale unter Verwendung eines Oszillators in eine Zwischenfrequenzlage umgesetzt würden und ständig geprüft werde, ob das jeweils empfangene Signal einen vorgegebenen Mindestsignalpegel überschreite. Sei das der Fall, liege ein empfangbarer Sender vor, und das zugehörige Teilungsverhältnis für das Ausgangssignal des Oszillators werde an einem freien Speicherplatz des Senderspeichers abgelegt. Anschließend werde der Suchvorgang fortgesetzt. Des Weiteren sei ein Empfänger bekannt, bei dem der Benutzer die bei einem automatischen Suchlauf gefundenen und gespeicherten Senderfrequenzen um weitere gefundene Frequenzen manuell ergänzen könne.
10
Dieser Stand der Technik wird insofern kritisiert, als er nur in unbefriedigender Weise darauf reagiere, dass nach der automatischen Senderprogrammierung neue Sender den Betrieb aufnehmen.
11
Vor diesem Hintergrund besteht das technische Problem der Streitpatentschrift zufolge darin, ein Fernsehempfangsgerät mit einer Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung so weiterzubilden, dass der Inhalt des Senderspeichers den aktuellen Empfangsverhältnissen besser angepasst ist.
12
2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Anspruch 1 in der erteilten Fassung eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (die geringfügig abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern vermerkt): 1. Fernsehempfangsgerät [1] mit einer Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung [1.1]; 2. die Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung ist in einer ersten Suchlaufbetriebsart betreibbar, 2.1 bei der alle Fernsehkanäle automatisch nacheinander nach empfangbaren Sendern abgesucht 2.2 und Informationen über alle ermittelten Sender im Senderspeicher des Fernsehempfangsgeräts abgelegt werden; 3. die Vorrichtung zur automatischen Senderprogrammierung ist weiterhin in einer zweiten Suchlaufbetriebsart betreibbar, 3.1 bei der die bestehende Belegung des Senderspeichers erhalten bleibt 3.2 und Informationen über neu ermittelte Sender in weiteren Speicherplätzen des Senderspeichers abgelegt werden.
13
3. Zum Verständnis des Anspruchs aus fachmännischer Sicht sind folgende Bemerkungen veranlasst:
14
a) Unter einem Fernsehempfangsgerät (Merkmal 1) versteht der Fachmann, bei dem es sich nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts um einen Entwicklungsingenieur im Bereich der Fernsehtechnik mit einem Fachhochschulabschluss auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik und mehrjähriger Berufserfahrung im Bereich der Entwicklung von Komfortfunktionen für Fernsehempfangsgeräte handelt, ein Gerät zum Empfang von Fernsehsignalen, unabhängig von der Empfangsart und dem verwendeten Frequenzbereich. Unter diesen Begriff fallen da- her sowohl herkömmliche Fernsehgeräte wie auch mit einem Tuner ausgestattete Videorekorder.
15
b) Merkmal 2.1, wonach in einer ersten Suchlaufbetriebsart "alle Fernsehkanäle" abgesucht werden, ist dahin zu verstehen, dass der gerätetechnisch bedingte Empfangsbereich vollständig nach Fernsehsendern durchsucht wird. Die Auffassung der Klägerin, unter dem Durchsuchen "aller Fernsehkanäle" könne stets nur das Durchsuchen eines von mehreren Frequenzbändern, in denen Fernsehen ausgestrahlt werde, verstanden werden, ist mit dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Anspruchs nicht zu vereinbaren. Überzeugende Anhaltspunkte dafür, woraus sich für den Fachmann, dem bekannt ist, dass Fernsehen in mehreren Frequenzbändern ausgestrahlt werden, ergeben soll, dass nur eines dieser Bänder durchsucht wird, hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
16
c) Wenn nach Merkmal 2.2 "alle ermittelten Sender" im Senderspeicher abgelegt werden, sind damit alle Sender gemeint, die bestimmten Auswahlkriterien entsprechen. In der Beschreibung wird dazu ausgeführt, dass ein empfangbarer Sender vorliegt, wenn das Signal einen vorgegebenen Mindestsignalpegel überschreitet (Sp. 1, Z. 25 ff.). Der Begriff des Senders i. S. des Streitpatents erschließt sich dabei aus fachlicher Sicht aus den technischen Möglichkeiten der geschützten Vorrichtung in der Gesamtheit ihrer Merkmale. Damit kann, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen ergeben hat, nicht erkannt werden, ob es sich bei einem jeweils detektierten Signal um dasjenige einer neu auf Sendung gegangenen Sendeeinrichtung (Programmsender) oder lediglich um eine weitere Frequenz handelt, auf der ein bereits gespeichertes Programm zusätzlich empfangen werden kann. Deshalb sind hier beide Varianten vom Senderbegriff umfasst.
17
d) Der Suchlauf in der ersten Suchlaufbetriebsart ist darauf gerichtet, die Sender zu ermitteln, die nach den technischen Voraussetzungen des Geräts in der kon- kreten Situation, wie sie von der Position des Geräts, den meteorologischen Bedingungen usw. abhängig ist, in hinreichender Qualität empfangen werden können. Die erste Suchlaufbetriebsart wird, wie sich aus der Beschreibung ergibt, insbesondere im Rahmen der ersten Inbetriebnahme des Gerätes eingesetzt; in Betracht kommt auch der Fall der kompletten Speicherlöschung. Wie sich aus der Beschreibung der Ausführungsbeispiele ergibt, umfasst der Begriff der Suchlaufbetriebsart jedenfalls nicht nur die Suche nach empfangbaren Sendern als solche, sondern auch die Speicherung der ermittelten Sender.
18
Aus dem Zusammenhang der Merkmale des Anspruchs folgt weiter, dass die zweite Suchlaufbetriebsart zeitlich nach der ersten Suchlaufbetriebsart angewendet wird. Das ergibt sich daraus, dass in Merkmal 3.1 angegeben ist, dass die bestehende Belegung des Senderspeichers erhalten bleibt. Damit ist die Belegung des Senderspeichers gemeint, die nach Durchführung der Sendersuche in der ersten Suchlaufbetriebsart erfolgte. Es ergibt sich ferner daraus, dass Merkmal 3.2 von den "neu ermittelten" Sendern spricht, die "in weiteren Speicherplätzen abgelegt werden" und sie damit von denjenigen unterscheidet, die im früheren Suchlauf nach der ersten Suchlaufbetriebsart ermittelt und im Speicher abgelegt worden sind.
19
Aus dem Anspruch ergibt sich, dass die zweite Suchlaufbetriebsart sich von der ersten lediglich dadurch unterscheidet, dass die bestehende Belegung des Senderspeichers erhalten bleibt. Die Suche in der zweiten Suchlaufbetriebsart erfolgt also, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung durch den Senat bestätigt hat, nach denselben Kriterien wie diejenige in der ersten Suchlaufbetriebsart. Das Ergebnis der Suche nach der ersten Suchlaufbetriebsarbeit ist dabei Grundlage einer neuerlichen Suche, die dazu dient, die Frequenzen neu ermittelter Sender auf weiteren Speicherplätzen des Senderspeichers abzulegen, wobei die bisherige, durch die Sendersuche in der ersten Suchlaufbetriebsart erzielte Speicherbelegung bestehen bleibt und nur ergänzt wird.

20
Die Ermittlung neuer Sender bei der Suche in der zweiten Suchlaufbetriebsart kann, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung durch den Senat erläutert hat, auf unterschiedlichen Gründen beruhen, etwa darauf, dass ein weiterer Programmanbieter den Sendebetrieb aufgenommen hat, aber auch darauf, dass eine bereits vorhandene Sendestation verstärkt wurde, so dass ihre Signale, die von dem Empfangsgerät bislang nicht in ausreichender Stärke empfangen werden konnten, jetzt mit hinreichender Qualität empfangen werden können, oder darauf, dass die räumliche Position des Empfangsgeräts verändert worden ist (vgl. vorstehend I 3 c).
21
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet :
22
Soweit im Anspruch angegeben sei, dass "alle Fernsehkanäle" abgesucht würden, gehe es um eine vollständige Suche nach Kanälen im gerätetechnisch bedingten Empfangsbereich. Mit der Wendung "alle ermittelten Sender" seien diejenigen gemeint, die bestimmte Auswahlkriterien erfüllten. Ob ein Sender ermittelt werden könne, hänge sowohl von den Eigenschaften des Signals wie von denen des Empfangsgeräts ab. Unter einer Suchlaufbetriebsart verstehe der Fachmann die Art und Weise, wie der Suchlauf durchgeführt werde, sie könne von verschiedenen Parametern beschrieben werden. Unter einem "neu ermittelten Sender" sei ein Sender zu verstehen, zu dem im Speicher noch keine Information abgelegt sei.
23
Der so verstandene Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung sei nicht neu, sondern durch den Aufsatz von L. in der Zeitschrift "Funkschau" (Entgegenhaltung E3) vollständig vorweggenommen.
24
Nichts anderes gelte für die Fassung des Anspruchs nach dem ersten Hilfsantrag. Die zusätzlich aufgenommene Angabe "zur Erfassung aller empfangbaren Sen- der" führe nicht zu einer sachlichen Änderung gegenüber der erteilten Fassung, insbesondere nicht zu einer Einschränkung des Gegenstands, sondern erschöpfe sich in der Wiederholung der in den Merkmalen 2.1 und 2.2 angegebenen Lehre. Der so gefasste Anspruch sei wiederum durch die E3 vorweggenommen. "Empfangbar" im Sinne von Merkmal 2.1 seien bei der Suche im ersten Durchlauf nur Sender, die in der Norm Secam-L ausstrahlten, diese aber würden in diesem Durchlauf auch vollständig erfasst.
25
Auch die Fassung des Anspruchs nach dem zweiten Hilfsantrag sei durch E3 vorweggenommen. Der Fachmann entnehme dem Aufsatz, dass die Senderprogrammierung durch einen Tastendruck auf der Fernbedienung eingeleitet werde.
26
Dagegen habe das Patent in der Fassung des Anspruchs 1 des dritten Hilfsantrags Bestand. Die Lehre dieses Anspruchs sei neu und durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.
27
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand. Mit Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Auffassung des Patentgerichts, das Streitpatent sei in der erteilten Fassung nicht patentfähig.
28
1. Die Lehre des Streitpatents ist durch die Entgegenhaltungen nicht vorweggenommen.
29
a) Die Entgegenhaltung E3 stellt dessen Neuheit nicht in Frage.
30
In diesem Aufsatz werden Fernsehempfangsgeräte beschrieben, bei denen eine automatische Senderprogrammierung durch ein von Siemens entwickeltes System zur Senderprogrammierung von Videorekordern und Fernsehgeräten erfolgen kann. Dazu werden alle Fernsehkanäle automatisch nacheinander nach empfangba- ren Sendersignalen abgesucht. Soweit es in dem Aufsatz heißt, dass "das normale Raster und der Sonderkanalbereich abgesucht" werden, ist darunter aus fachmännischer Sicht der gesamte gerätetechnisch bedingte Empfangsbereich zu verstehen. Die so ermittelten empfangbaren Sendersignale werden sodann aufgelistet, was voraussetzt , dass sie im Senderspeicher abgelegt worden sind. Die Ausführungen des Patentgerichts hierzu greift die Beklagte nicht an. Damit sind die Merkmale 1, 2.1 und 2.2 vorweggenommen.
31
In der Entgegenhaltung ist weiter beschrieben, wie die Sendersuche an Standorten erfolgt, an denen Fernsehsender in unterschiedlichen Standards empfangen werden können. Das wird am Beispiel Frankreichs beschrieben, wo Fernsehsender zum Teil im PAL-Standard, zum Teil im Secam-L-Standard ausgestrahlt werden. Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Standards zur Übertragung von analogem Farbfernsehen. Der Aufsatz schildert, dass bei der Standortvorgabe "Frankreich" das Gerät zwei Sendersuchläufe durchführt, wobei im ersten Durchlauf nach Sendern im Secam-L-Standard und im zweiten Durchlauf nach Sendern im PAL-Standard gesucht wird.
32
Das Patentgericht hat angenommen, damit seien auch die Merkmale 2 sowie die Merkmalsgruppe 3 vorweggenommen. Die Entgegenhaltung offenbare eine Vorrichtung , bei der eine erste Suchlaufbetriebsart, in der nach Secam-L-Sendern gesucht werde, und eine zweite Suchlaufbetriebsart, in der nach PAL-Sendern gesucht werde, betreibbar seien (Merkmal 2 und Merkmal 3). Die in der zweiten Suchlaufbetriebsart neu ermittelten Sender würden dabei in weiteren Speicherplätzen des Senderspeichers abgelegt (Merkmal 3.2), wobei die bestehende Belegung von Speicherplätzen mit zuvor bei der Suche nach Secam-L-Sendern ermittelten Sendern erhalten bleibe (Merkmal 3.1).

33
Das trifft nicht zu. Bei der in der Entgegenhaltung geschilderten Suche nach Sendern, die in verschiedenen Standards ausgestrahlt werden, handelte es sich lediglich um zwei Suchläufe in einer ersten Suchlaufbetriebsart. Wie oben erläutert, zielt die Suche in der ersten Suchlaufbetriebsart darauf, alle Sender aufzufinden, die das Fernsehgerät nach seiner technischen Ausstattung in einer bestimmten Situation empfangen kann. Die Suche in der ersten Suchlaufbetriebsart ist daher, wenn ein Fernsehgerät Sender zweier unterschiedlicher Standards empfangen kann, erst abgeschlossen , wenn alle Fernsehkanäle nach Sendern beider Standards abgesucht worden sind. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, ist es im Übrigen eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob die Suche nach Secam-LSendern und PAL-Sendern in einem Durchlauf erfolgt oder, wie in der E3 geschildert, in zwei gesonderten Durchläufen. Die letztgenannte Vorgehensweise kann etwa vorteilhaft sein, wenn der Nutzer eine Belegung der Programmtasten wünscht, bei denen die in einem Standard übertragenen Sender Vorrang haben.
34
Unter einer zweiten Suchlaufbetriebsart ist, wie ausgeführt, eine solche zu verstehen, bei der die Sendersuche nach den gleichen Kriterien erfolgt wie die Suche in der ersten Suchlaufbetriebsart. Die Besonderheit der Suche in der zweiten Suchlaufbetriebsart liegt lediglich darin, dass jetzt bei Ermittlung eines empfangbaren Senders geprüft wird, ob die entsprechenden Informationen bereits im Senderspeicher abgelegt sind. Ist das der Fall, bleibt die Belegung des Senderspeichers erhalten , anderenfalls wird die Information über den neu ermittelten Sender in einem weiteren Speicherplatz des Sendespeichers abgelegt.
35
Danach ist die in der E3 geschilderte Suche nicht als Suche zu verstehen, die in zwei Suchlaufbetriebsarten erfolgt. Dagegen spricht, dass die beiden Suchläufe nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen: Im ersten Durchlauf wird nach Secam-LSendern , im zweiten nach PAL-Sendern gesucht. Erst nach beiden Durchläufen ist somit die Suche in der ersten Suchlaufbetriebsart abgeschlossen. Diese Beurteilung hat der Sachverständige bei seiner Anhörung durch den Senat bestätigt.
36
b) Auch die europäische Patentanmeldung 389 012 (D1) nimmt das Streitpatent in der erteilten Fassung nicht vorweg.
37
aa) Dies gilt zunächst für das dort als Auto-Speicher-Programm bezeichnete Vorgehen (S. 7/8 der deutschen Übersetzung). Danach wird ein Sendersuchlauf durchgeführt, wobei die Speicherplätze mit den Abstimmwerten der am besten empfangbaren Sender belegt werden. Ist das ganze Band durchlaufen, ohne dass alle Speicherplätze belegt sind, wird die Sendersuche mit einem niedrigeren Schwellenwert wiederholt, so dass auch Sender geringerer Stärke gespeichert werden. Die Entgegenhaltung offenbart damit keine erste und zweite Suchlaufbetriebsart im Sinne des Streitpatents. Da die Suchläufe nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen, handelt es sich lediglich um zwei Durchläufe in einer ersten Suchlaufbetriebsart. Diese Einschätzung hat der hierzu angehörte Sachverständige ebenfalls bestätigt.
38
bb) Das gilt aber auch für die auf S. 4 der deutschen Übersetzung geschilderte Ausführungsform, bei der das Gerät zwei Speicherbanken aufweist, von denen der Benutzer eine zum Festlegen von Vorwahlsendern in seinem normalen Aufenthaltsbereich nutzt, und die andere zum Speichern von Sendern, die während langer Autofahrten oder auf Geschäfts- oder Urlaubsreisen am stärksten empfangbar sind.
39
Damit ist die Lehre des Streitpatents nicht vorweggenommen. Sie geht nicht von gesonderten Speicherbänken aus, sondern von einem einzigen Senderspeicher und beschäftigt sich damit, wie dessen bestehende Belegung erhalten bleiben kann, wenn zu einem späteren Zeitpunkt neue Sender ermittelt werden. Mit der Frage, ob die bestehende Belegung einer der beiden Speicherbänke erhalten bleibt, wenn das Gerät neue Sender auffindet und Informationen über diese abgespeichert werden sollen, befasst sich die Entgegenhaltung auch an dieser von der Klägerin herangezogenen Stelle nicht.
40
c) Die Lehre des Streitpatents ist auch durch die deutsche Patentanmeldung 31 04 845 (D2), die einen Rundfunkempfänger mit einer durch ein digitales Datenwort steuerbaren Abstimmeinheit betrifft, nicht neuheitshindernd offenbart.
41
Zwar wird der Begriff Rundfunk üblicherweise als Oberbegriff sowohl für Radio - wie für Fernsehsendungen benutzt. Die D2 betrifft jedoch ausschließlich Radiogeräte. Das ergibt sich, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung durch den Senat erläutert hat, insbesondere daraus, dass bei der dort vorgeschlagenen Vorrichtung die Ausstrahlung von Kennsignalen genutzt wird. Entsprechende Signale waren zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents im Bereich des Fernsehens noch nicht verbreitet. Bestätigt wird das durch die eingehende Behandlung der Nutzung von Bereichs -Kennfrequenzen von Verkehrsfunksendern, die jedenfalls zum Prioritätszeitpunkt nur im Radiobereich eine Rolle gespielt haben. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann diese Entgegenhaltung im Prioritätszeitpunkt so verstanden hat, dass sie sich nur auf den Radioempfang bezog.
42
d) Die deutsche Patentschrift 38 35 870 (D3) betrifft einen Rundfunkempfänger mit einem Radiosignaldecoder und steht bereits deshalb der Neuheit des Streitpatents nicht entgegen.
43
2. Die Lehre des Streitpatents ist durch die genannten Entgegenhaltungen sowie durch die japanische Patentschrift Sho 62137912 (D4) nicht nahegelegt. Die Entgegenhaltungen D1 bis D4 und E3 gaben dem Fachmann weder je für sich noch in ihrer Kombination eine Anregung zu einem Fernsehempfangsgerät, bei dem nach Abschluss der ursprünglichen Belegung der Speicherplätze zu einem späteren Zeit- punkt nochmals eine Sendersuche nach gleichen Kriterien stattfindet, wobei die Vorrichtung nunmehr jeweils prüft, ob die dabei ermittelten Sender bereits gespeichert sind und nur die Informationen über bislang nicht gespeicherte Sender, unter Beibehaltung der bisherigen Belegung der Speicherplätze, auf weiteren Speicherplätzen ablegt.
44
Aus der E3 und der D1 konnte der Fachmann zwar ersehen, dass es sinnvoll sein konnte, die Suche nach speicherungswürdigen Sendern gegebenenfalls mehrfach durchzuführen und dabei jeweils unterschiedliche Kriterien anzulegen, um die empfangbaren Sender zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichst vollständig zu erfassen und vorhandene Speicherplätze auszunutzen. Die beiden Entgegenhaltungen gaben ihm jedoch keine Anregung dafür, zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere Sendersuche nach den gleichen Kriterien durchzuführen und nach deren Ergebnis die bestehende Belegung des Senderspeichers um neu ermittelte Sender zu ergänzen.
45
Auch die D2 und die D3 gaben ihm hierfür, auch zusammen mit der D4, keine Anregung. Beide Entgegenhaltungen befassen sich, wie dargelegt, ausschließlich mit Radioempfängern. Dabei geht es insbesondere um das vor allem bei Autoradios auftretende Problem, dass wegen der Ortsveränderung des Empfangsgeräts ein Wechsel des Senders erforderlich werden kann. Zur Lösung dieses Problems machen sich die in D2 und D3 vorgeschlagenen Vorrichtungen Kennsignale zu Nutze, die mit dem Nutzsignal ausgestrahlt werden. Demgegenüber wurden Fernsehgeräte zum Prioritätszeitpunkt zwar nicht ausschließlich, aber doch typischerweise stationär eingesetzt. Zudem gab es, wie erwähnt, zu diesem Zeitpunkt beim Fernsehen noch keine entsprechenden Kennsignale. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen hat, der DVB-Standard (DVB = Digital Video Broadcasting) sei in der Fachwelt bereits vor dem Prioritätszeitpunkt erörtert worden, rechtfertigt das schon deshalb keine abweichende Beurtei- lung, weil sie ihr Vorbringen weder zeitlich noch sachlich hinreichend konkretisiert hat.
46
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
Gröning Mühlens Grabinski
Hoffmann Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16.06.2010 - 5 Ni 28/09 (EU) -

(1) Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren vor dem Patentgericht enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nicht ausschließen.

(2) Eine Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts findet nur statt, soweit dieses Gesetz sie zuläßt.

(3) Für die Gewährung der Akteneinsicht an dritte Personen ist § 31 entsprechend anzuwenden. Über den Antrag entscheidet das Patentgericht. Die Einsicht in die Akten von Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents wird nicht gewährt, wenn und soweit der Patentinhaber ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse dartut.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Das Deutsche Patent- und Markenamt gewährt jedermann auf Antrag Einsicht in die Akten sowie in die zu den Akten gehörenden Modelle und Probestücke, wenn und soweit ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht wird. Jedoch steht die Einsicht in das Register und die Akten von Patenten einschließlich der Akten von Beschränkungs- oder Widerrufsverfahren (§ 64) jedermann frei.

(2) In die Akten von Patentanmeldungen steht die Einsicht jedermann frei,

1.
wenn der Anmelder sich gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt mit der Akteneinsicht einverstanden erklärt und den Erfinder benannt hat oder
2.
wenn seit dem Anmeldetag (§ 35) oder, sofern für die Anmeldung ein früherer Zeitpunkt als maßgebend in Anspruch genommen wird, seit diesem Zeitpunkt achtzehn Monate verstrichen sind
und ein Hinweis nach § 32 Abs. 5 veröffentlicht worden ist. Bei Anmeldungen, die nicht oder teilweise nicht in deutscher Sprache abgefasst sind, gilt § 35a Absatz 4.

(3) Soweit die Einsicht in die Akten jedermann freisteht, steht die Einsicht auch in die zu den Akten gehörenden Modelle und Probestücke jedermann frei.

(3a) Soweit die Einsicht in die Akten jedermann freisteht, kann die Einsichtnahme bei elektronischer Führung der Akten auch über das Internet gewährt werden.

(3b) Die Akteneinsicht nach den Absätzen 1 bis 3a ist ausgeschlossen, soweit

1.
ihr eine Rechtsvorschrift entgegensteht,
2.
das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person im Sinne des Artikels 4 Nummer 1 der Verordnung (EU) 679/2016 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1; L 314 vom 22.11.2016, S. 72; L 127 vom 23.5.2018, S. 2) in der jeweils geltenden Fassung offensichtlich überwiegt oder
3.
in den Akten Angaben oder Zeichnungen enthalten sind, die offensichtlich gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen.

(4) In die Benennung des Erfinders (§ 37 Abs. 1) wird, wenn der vom Anmelder angegebene Erfinder es beantragt, Einsicht nur nach Absatz 1 Satz 1 gewährt; § 63 Abs. 1 Satz 4 und 5 ist entsprechend anzuwenden.

(5) In die Akten von Patentanmeldungen und Patenten, für die gemäß § 50 jede Veröffentlichung unterbleibt, kann das Deutsche Patent- und Markenamt nur nach Anhörung der zuständigen obersten Bundesbehörde Einsicht gewähren, wenn und soweit ein besonderes schutzwürdiges Interesse des Antragstellers die Gewährung der Einsicht geboten erscheinen läßt und hierdurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht zu erwarten ist. Wird in einem Verfahren eine Patentanmeldung oder ein Patent nach § 3 Abs. 2 Satz 3 als Stand der Technik entgegengehalten, so ist auf den diese Entgegenhaltung betreffenden Teil der Akten Satz 1 entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 4/00
vom
17. Oktober 2000
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Akteneinsicht XV
Ohne Vorliegen besonderer Umstände erfordert der von einem anwaltlichen
Vertreter gestellte Antrag auf Einsicht in die Akten eines Patentnichtigkeitsverfahrens
nicht, daß der von dem Anwalt vertretene Mandant namhaft gemacht
wird.
BGH, Beschluß vom 17. Oktober 2000 - X ZR 4/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. Oktober 2000
durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt,
Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver

beschlossen:
Den Patentanwälten R. , B. und Partner in S. wird Akteneinsicht in die Akten des Patentnichtigkeitsverfahrens X ZR 4/00 gewährt.

Gründe:


I. Die Patentanwälte R. , B. und Partner haben - ohne Nennung des Auftraggebers - Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens X ZR 4/00 begehrt , die sich nach Einlegung der Berufung bei dem beschließenden Senat befinden. Die Beklagte hat gegenüber dem Antrag keine Bedenken erhoben; die Klägerin hat ihm mit der Begründung widersprochen, daß eine Angabe darüber fehle, für welche Auftraggeber Akteneinsicht begehrt werde. Ohne die Kenntnis dieses Auftraggebers sei ihr die Bewertung nicht möglich, ob der Akteneinsicht auf ihrer Seite ein berechtigtes Interesse entgegenstehe.
II. Dem Antrag war stattzugeben. Soweit der beschließende Senat in der Vergangenheit die Akteneinsicht durch einen Patentanwalt oder einen Rechtsanwalt davon abhängig gemacht hat, daß dieser seinen Auftraggeber benennt (vgl. BGHZ 42, 19, 29 - Akteneinsicht I; zum früheren Recht vgl. auch Benkard/ Schäfers, PatG, GebrMG, 8. Aufl., § 99 PatG Rdn. 16; Busse, PatG, 5. Aufl., § 99 PatG Rdn. 36 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Senats und des BPatG), hält er daran nach erneuter Überprüfung nicht fest. Nach § 99 Abs. 3 PatG gilt für die Akteneinsicht durch andere als die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens die Regelung des § 31 PatG entsprechend, der das Recht auf Einsicht in die Akten des Patentamts betrifft. Danach ist die Einsicht in diese Akten lediglich von einem förmlichen Antrag, nicht jedoch auch von der Darlegung eines berechtigten Interesses abhängig. Die Notwendigkeit einer solchen Darlegung kann sich nach dem Wortlaut des § 99 Abs. 3 PatG und der darin zum Ausdruck kommenden Wertung nur dann stellen, wenn von seiten des Patentinhabers oder des diesem im Hinblick auf die Akteneinsicht gleich zu behandelnden Nichtigkeitsklägers (vgl. dazu BGH GRUR 1972, 441, 442 - Akteneinsicht IX; Busse, aaO, Rdn. 37) ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse dargetan wird. Erst nach einer solchen Darlegung bedarf es einer Abwägung unter den beteiligten Interessen (BGH GRUR 1972, 441 - Akteneinsicht IX; Benkard/Schäfers, aaO, Rdn. 18; Busse, aaO, Rdn. 36), in die die Belange desjenigen, der Akteneinsicht begehrt, nur dann eingestellt werden können, wenn sie dem Gericht dargelegt worden und deshalb bekannt sind. Aus der Notwendigkeit dieser Darlegung kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß der um Akteneinsicht Nachsuchende schon im Vorgriff auf mögliche Einwände gehalten ist, die von ihm verfolgten Interessen offenzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen. Ein solches Verlangen wäre mit Wortlaut und Zweck der Regelung nach § 99 Abs. 3 PatG nicht zu vereinbaren. Es hätte zur
Folge, daß die Akteneinsicht gegen den klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung im Ergebnis doch von der Darlegung und Glaubhaftmachung eines eigenen Interesses abhängig gemacht und damit die vom Gesetz vorgenommene Wertung in ihr Gegenteil verkehrt würde. Danach ist der Akteneinsicht Begehrende allenfalls dann zu weiteren Darlegungen gehalten, wenn eine der Parteien des Nichtigkeitsverfahrens ein schutzwürdiges Gegeninteresse darlegt und gegebenenfalls glaubhaft macht. Dazu genügt es nicht, daß sie der Akteneinsicht widerspricht. Schon nach dem Wortlaut der Regelung bedarf es vielmehr der Darlegung eines eigenen Interesses, das dem Begehren entgegengehalten werden kann und soll. Erst wenn dieses vorliegt, kann nach der gesetzlichen Ausgestaltung der Akteneinsicht Begehrende seinerseits gehalten sein, sein Interesse an der Gewährung der Akteneinsicht vorzutragen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen. Kommt er dem nicht nach, hat das lediglich zur Folge , daß die von ihm verfolgten Interessen bei der Abwägung nicht berücksichtigt werden können und so auch eine pauschalere Behauptung eines Gegeninteresses genügen kann, das von ihm geltend gemachte Recht auf Einsicht in die Akten zu Fall zu bringen.
Für den durch einen anwaltlichen Vertreter gestellten Akteneinsichtsantrag gilt insoweit nichts anderes. Wenn weder von ihm noch von der von seinem Mandanten die Darlegung des eigenen Interesses an der Akteneinsicht verlangt werden kann, besteht insoweit auch kein Anlaß, seinen Mandanten namhaft zu machen (so auch im Ergebnis Sen.Beschl. v. 8.10.1998 - X ZB 12/98, GRUR 1999, 226 - Akteneinsicht XIV für die Einsichtnahme in die Beschwerdeakten in einem Gebrauchsmusterlöschungsverfahren). Bei ihm kommt hinzu, daß er ohnehin auch im eigenen Namen Einsicht in die Akten verlangen könnte. In § 99 Abs. 3 PatG ist das Recht auf Einsicht in die Akten
jedermann zugestanden worden; dieses Recht kann auch der anwaltliche Vertreter ohne Einschränkung selbst in Anspruch nehmen. Auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob er ein eigenes Interesse an den durch die Einsichtnahme vermittelten Kenntnissen besitzt.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist den Antragstellern Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens zu gewähren. Ein schutzwürdiges Gegeninteresse hat die Klägerin nicht dargelegt. Sie hat sich nur pauschal darauf bezogen , daß sie ohne Kenntnis der von den Antragstellern vertretenen Partei nicht beurteilen könne, ob aus ihrer Sicht wesentliche Gründe der Gewährung der Akteneinsicht entgegenstünden. Das genügt zur Darlegung eines Gegeninteresses auch vor dem Hintergrund dessen nicht, daß ihre Darlegungen mangels näherer Ausführungen der Antragsteller notwendig pauschal bleiben müssen. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, der Akteneinsicht zu widersprechen.
Rogge Jestaedt Melullis
Scharen Keukenschrijver