Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juli 2010 - V ZR 238/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. Juli 1999 erwarb die Beklagte von den Klägern mehrere Grundstücke "zur Vermeidung einer Enteignung bzw. Besitzeinweisung". An demselben Tag schlossen die Parteien einen städtebaulichen Vertrag, in welchem die Beklagte den Klägern gegen Zahlung von 800.000 DM für die Herstellung neuer Verkehrswege die Ausweisung neuer Baurechte in einem Gewerbegebiet zusagte.
- 2
- Die auf Rückauflassung der verkauften Grundstücke gerichtete Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. In der Berufungsinstanz haben die Kläger u.a. geltend gemacht, der städtebauliche Vertrag sei nichtig, deshalb sei auch der Kaufvertrag nichtig, weil beide Verträge ein einheitliches Rechtsgeschäft bildeten. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Beschwerde wollen die Kläger die Zulassung der Revision gegen das Berufungsurteil erreichen, damit sie ihren Klageantrag weiterverfolgen können.
II.
- 3
- Soweit für das Beschwerdeverfahren von Interesse, meint das Berufungsgericht , der städtebauliche Vertrag sei nichtig; das habe jedoch nicht die Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrags zur Folge, weil beide Verträge keine rechtliche Einheit bildeten, die Kläger jedenfalls das Gegenteil nicht beweisen könnten. Von der Vernehmung der Zeugin B. müsse abgesehen werden , weil sie laut ärztlichem Attest aus gesundheitlichen Gründen auf unabsehbare Zeit nicht vor Gericht erscheinen könne. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger sei dazu, dass die beiden Verträge miteinander hätten stehen und fallen sollen, nicht zu vernehmen, weil es sich bei dem diesbezüglichen Vortrag der Kläger nicht um eine Tatsachen-, sondern um eine Rechtsbehauptung handele.
III.
- 4
- Das Berufungsurteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
- 5
- 1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2003, 1655). Das ist zwar nicht in Bezug auf den von den Klägern angebotenen Beweis durch Vernehmung ihres Prozessbevollmächtigen, wohl aber hinsichtlich des auf die Vernehmung der Zeugin B. gerichteten Beweisangebots der Fall.
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- a) Das Berufungsgericht hat den in das Wissen ihres Prozessbevollmächtigten gestellten Vortrag der Kläger zu dem Willen der Beklagten, die innere und äußere Erschließung des Gewerbegebiets zu verbessern und deshalb den Grundstückskaufvertrag sowie den städtebaulichen Vertrag abzuschließen, im Tatbestand seiner Entscheidung als unstreitig dargestellt, indem es den entsprechenden Inhalt der Verträge wiedergegeben hat. Ebenfalls als unstreitig hat es den weiteren Vortrag angesehen, dass die Beklagte den Abschluss des Kaufvertrags zeitlich vor dem Abschluss des städtebaulichen Vertrags verlangt habe und die gesamten Modalitäten zunächst in einer Vertragsurkunde hätten vereinbart werden sollen (BU 12 Abs. 4). Insoweit bedurfte es somit keiner Beweisaufnahme. Übrig bleibt deshalb der Vortrag der Kläger, beide Verträge müssten miteinander stehen und fallen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine dem Zeugenbeweis (Prozessbevollmächtigter der Kläger) zugängliche Tatsachenbehauptung, sondern um die von den Klägern aus den vorgetragenen Tatsachen gezogene rechtliche Schlussfolgerung.
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- b) Von der Vernehmung der Zeugin B. durfte das Berufungsgericht jedoch nicht absehen. Es hat die in ihr Wissen gestellte Behauptung der Kläger, der eine Vertrag wäre ohne den anderen nicht geschlossen worden, für erheblich gehalten und die Zeugin zu dem auf den 12. November 2009 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung geladen. Die Vernehmung ist nur deshalb unterblieben, weil das Berufungsgericht die Zeugin aufgrund des ärztli- chen Attestes vom 7. Oktober 2009 als unerreichbar angesehen hat. Diese Annahme ist rechtsfehlerhaft. Denn die Voraussetzungen dafür, einen Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit des Zeugen abzulehnen (siehe dazu BGHZ 168, 79, 85), sind nicht schon dann gegeben, wenn aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen endgültig von dem Nichterscheinen des Zeugen vor dem Prozessgericht ausgegangen werden muss. Denn es bleibt die Möglichkeit, den Zeugen außerhalb der Gerichtsstelle im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 128a Abs. 2 ZPO) oder, wenn das nicht möglich ist, nach § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch ein Mitglied des Prozessgerichts zu vernehmen; auch ein Vorgehen nach § 377 Abs. 3 ZPO kommt in Betracht.
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- c) Das übergangene Beweisangebot ist entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zeugin entweder nach der einen oder der anderen prozessualen Möglichkeit hätte vernommen werden können, die Behauptung der Kläger bestätigt hätte und diese Aussage das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung der Frage veranlasst hätte, ob der Grundstückskaufvertrag und der städtebauliche Vertrag eine rechtliche Einheit bilden.
- 9
- 2. Soweit die Kläger den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch deshalb geltend machen, weil die unterbliebene Vernehmung der Zeugin B. auf dem unzutreffenden Rechtssatz beruhe, dass die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen auch dann gerechtfertigt sei, wenn das Gericht keine Bemühungen zur Beibringung des Zeugen - auch nicht unter Anwendung von Zwangsmitteln - entfaltet habe, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Angesichts des Inhalts des von der Zeugin vorgelegten ärztlichen Attestes bestand für das Berufungsgericht keine Veranlassung, weitere Bemühungen zur Beibringung der Zeugin, also sie zum Erscheinen vor Gericht zu verpflichten, zu entfalten. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
LG Landshut, Entscheidung vom 20.05.2009 - 54 O 2638/07 -
OLG München, Entscheidung vom 10.12.2009 - 1 U 3490/09 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Das Gericht kann den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.
(2) Das Gericht kann auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Ist Parteien, Bevollmächtigten und Beiständen nach Absatz 1 Satz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen.
(3) Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 sind unanfechtbar.
(1) Die Aufnahme des Zeugenbeweises darf einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht nur übertragen werden, wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag, und
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wenn zur Ausmittlung der Wahrheit die Vernehmung des Zeugen an Ort und Stelle dienlich erscheint oder nach gesetzlicher Vorschrift der Zeuge nicht an der Gerichtsstelle, sondern an einem anderen Ort zu vernehmen ist; - 2.
wenn der Zeuge verhindert ist, vor dem Prozessgericht zu erscheinen und eine Zeugenvernehmung nach § 128a Abs. 2 nicht stattfindet; - 3.
wenn dem Zeugen das Erscheinen vor dem Prozessgericht wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann und eine Zeugenvernehmung nach § 128a Abs. 2 nicht stattfindet.
(1a) Einem Mitglied des Prozessgerichts darf die Aufnahme des Zeugenbeweises auch dann übertragen werden, wenn dies zur Vereinfachung der Verhandlung vor dem Prozessgericht zweckmäßig erscheint und wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.
(2) Der Bundespräsident ist in seiner Wohnung zu vernehmen.
(1) Die Ladung der Zeugen ist von der Geschäftsstelle unter Bezugnahme auf den Beweisbeschluss auszufertigen und von Amts wegen mitzuteilen. Sie wird, sofern nicht das Gericht die Zustellung anordnet, formlos übermittelt.
(2) Die Ladung muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Parteien; - 2.
den Gegenstand der Vernehmung; - 3.
die Anweisung, zur Ablegung des Zeugnisses bei Vermeidung der durch das Gesetz angedrohten Ordnungsmittel in dem nach Zeit und Ort zu bezeichnenden Termin zu erscheinen.
(3) Das Gericht kann eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet. Der Zeuge ist darauf hinzuweisen, dass er zur Vernehmung geladen werden kann. Das Gericht ordnet die Ladung des Zeugen an, wenn es dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage für notwendig erachtet.