Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Okt. 2019 - StB 25/19

bei uns veröffentlicht am17.10.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 25/19
vom
17. Oktober 2019
in der Strafvollstreckungssache
gegen
wegen versuchter mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen
terroristischen Vereinigung
hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerruf der Aussetzung
der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung
ECLI:DE:BGH:2019:171019BSTB25.19.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und seines Verteidigers am 17. Oktober 2019 gemäß § 453 Abs. 2 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 5 Variante 1 StPO beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. September 2019 wird verworfen. Der Verurteilte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe:


1
1. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat den Beschwerdeführer am 7. Juli 2016 wegen versuchter mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf fünf Jahre festgesetzt. Der Verurteilte wurde der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und angewiesen, sich wöchentlich an einem bestimmten Tag zum präventiv-polizeilichen Gespräch bei der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums einzufinden. Mit Beschluss vom 18. Juni 2019 hat das Oberlandesgericht ihn zudem angewiesen, sich zweimal wöchentlich beim zuständigen Polizeirevier zu melden. Der Generalbundesanwalt hat am 14. August 2019 beantragt, die Strafaussetzung zur Bewährung wegen Weisungsverstoßes zu widerrufen. Das Oberlandesgericht hat dem Verurteilten am 3. September 2019 Gelegenheit zur mündlichen Anhörung zum Antrag des Generalbundesanwalts gegeben. Zu diesem Termin ist der Verurteilte nicht erschienen. Mit Beschluss vom 5. September 2019 hat das Oberlandesgericht die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.
2
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der Verteidiger des Beschwerdeführers auch dessen psychiatrische/psychologische Untersuchung beantragt hat, bleibt ohne Erfolg.
3
2. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) liegen vor. Der Senat schließt sich nach umfassender Prüfung den in der angefochtenen Entscheidung dargelegten Gründen an und macht sich diese zu eigen. Sie werden durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet.
4
Es hat insbesondere kein Anlass bestanden, dem Antrag des Verteidigers des Beschwerdeführers folgend ein psychiatrisches/psychologisches Gutachten einzuholen. Dem Beschwerdevorbringen kann schon nicht eindeutig entnommen werden, ob die beantragte Untersuchung der möglichen Aufdeckung einer psychischen Störung beim Beschwerdeführer, die einem Verschulden der Weisungsverstöße entgegenstehen könnte, oder der Klärung der Kriminalprognose dienen soll. Jedenfalls ist eine gutachterliche Untersuchung zu beiden Fragen nicht erforderlich. Zwar sind auch die Vollstreckungsgerichte mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gehalten, Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung und einer in tatsächlicher Hinsicht genügenden Grundlage zu treffen, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 308 mwN). Indes liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer an einer psy- chischen Erkrankung leidet, die sich auf die Weisungsverstöße oder seine Gefährlichkeit auswirken könnte.
5
Hierzu reicht es insbesondere nicht aus, dass die erste Anhörung des Verurteilten vor dem Strafsenat am 4. Juni 2019 wegen krampfartiger Ausfälle (so das Protokoll der Anhörung) bzw. einer kurzfristigen Ohnmacht des Beschwerdeführers (so der Verteidiger) unterbrochen werden musste; denn sie konnte nach Intervention des Ersthelfers des Oberlandesgerichts und einer kurzen Pause ohne Schwierigkeiten fortgesetzt werden.
6
Auch im Übrigen ist die Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens nicht notwendig. Gesetzlich ist in Fällen einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen Weisungsverstößen eine prognostische Begutachtung durch einen Sachverständigen nicht gefordert. Für die vom Vollstreckungsgericht selbständig zu treffende Prognose (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 310), ob aus einem Weisungsverstoß die Besorgnis folgt, der Verurteilte werde erneut Straftaten begehen, verfügen die Vollstreckungsgerichte in der Regel über eigene Sachkunde. Auf die Unterstützung eines Sachverständigen ist der zuständige Richter nach Aufklärungsgesichtspunkten nur angewiesen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine ergänzende Befunderhebung oder sachverständige wissenschaftliche Bewertung erforderlich sein könnte, für die ihm die Sachkunde fehlt. Dies ist mit Blick auf psychiatrische oder psychologische Sachverständigengutachten nur dann der Fall, wenn Anhaltspunkte für eine entscheidungserhebliche psychische Fehlhaltung oder gar Erkrankung vorliegen (BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2002 - 2 BvR 613/02, NJW 2002, 2773, 2774). Das Oberlandesgericht hat ausreichend begründet, warum es aus den fortgesetzten Verstößen gegen die Weisungen aus dem Bewährungsbeschluss auf die Gefahr neuerlicher Straffälligkeit geschlossen hat. Hinweise auf eine entscheidungserhebliche psychische Erkrankung oder sonstige Besonderheiten , die ausnahmsweise die Beiziehung eines Sachverständigen erforderten, liegen nicht vor.
7
Der Senat ist an der vorliegenden Entscheidung nicht deshalb gehindert, weil die mit der Einlegung der sofortigen Beschwerde beantragte Pflichtverteidigerbestellung erst mit Verfügung vom heutigen Tage abgelehnt worden ist. Denn der Verteidiger hat das Rechtsmittel gleichwohl begründet. Dass er nach einer etwaigen Verteidigerbestellung nochmals und ergänzend vortragen wolle, hat er in diesem Zusammenhang nicht angekündigt.
Schäfer Ri'inBGH Dr. Spaniol befindet Anstötz sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Strafgesetzbuch - StGB | § 56f Widerruf der Strafaussetzung


(1) Das Gericht widerruft die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person 1. in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat,2. gegen Weisungen gröblich od

Referenzen

(1) Das Gericht widerruft die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person

1.
in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat,
2.
gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin oder des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlaß zu der Besorgnis gibt, daß sie erneut Straftaten begehen wird, oder
3.
gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt.
Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn die Tat in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft oder bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Entscheidung über die Gesamtstrafe begangen worden ist.

(2) Das Gericht sieht jedoch von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht,

1.
weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen, insbesondere die verurteilte Person einer Bewährungshelferin oder einem Bewährungshelfer zu unterstellen, oder
2.
die Bewährungs- oder Unterstellungszeit zu verlängern.
In den Fällen der Nummer 2 darf die Bewährungszeit nicht um mehr als die Hälfte der zunächst bestimmten Bewährungszeit verlängert werden.

(3) Leistungen, die die verurteilte Person zur Erfüllung von Auflagen, Anerbieten, Weisungen oder Zusagen erbracht hat, werden nicht erstattet. Das Gericht kann jedoch, wenn es die Strafaussetzung widerruft, Leistungen, die die verurteilte Person zur Erfüllung von Auflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 oder entsprechenden Anerbieten nach § 56b Abs. 3 erbracht hat, auf die Strafe anrechnen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.