Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2004 - IXa ZB 286/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Antrag der Schuldnerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist erledigt.
Wert des Beschwerdegegenstands: 165.000
Gründe:
I.
Die Beteiligte zu 2 betreibt aus der notariellen Urkunde des Notariats P. vom 19. Januar 2000 - 8 UR 111/00 -, in der die Schuldnerin eine Grundschuld über 407.000 DM bestellt und sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, die Zwangsversteigerung ihres Miteigentumsanteils. Das Vollstreckungsgericht hat mit Beschluß vom 25. Juli 2002 die Beschlagnahme des Grundbesitzes angeordnet. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat
das Vollstreckungsgericht die vollstreckbare Ausfertigung an die Gläubigerin zurückgegeben. In dem Versteigerungstermin vom 11. September 2003 hat das Vollstreckungsgericht den Beteiligten zu 3 als den mit einem Gebot von "!# 100.100 ½ Miteigentum erteilt.
Die Schuldnerin hat gegen den Zuschlagsbeschluß sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, im Versteigerungstermin sei der Vollstrekkungstitel nicht bei den Akten gewesen. Während des Beschwerdeverfahrens hat die Gläubigerin die vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde wieder zu den Akten gereicht. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Mit ihrem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehrt sie die Einstellung der von der Gläubigerin aus dem Zuschlagsbeschluß betriebenen Räumungsvollstreckung. Zwischenzeitlich hat sie das Objekt vollständig geräumt.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Damit ist der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung erledigt.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Zuschlagsbeschluß wirksam. Im Zwangsversteigerungsverfahren habe die betreibende Gläubigerin
dem Antrag auf Zwangsversteigerung nach § 16 Abs. 2 ZVG den Vollstrekkungstitel beigefügt. Nach der Anordnung der Zwangsversteigerung könne der Titel im weiteren Verfahren wieder an den Gläubiger herausgegeben werden. Allerdings müsse der Titel im Versteigerungstermin zum Schutz des Schuldners wieder vorliegen, damit der Nachweis geführt werden könne, daß der titulierte Anspruch (noch) bestehe. Das Nichtvorliegen des Vollstreckungstitels hindere den Fortgang der Zwangsvollstreckung bis zur Behebung des Mangels und könne ein Versagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG sein. Werde aber wie hier die Vollstreckungsurkunde zurückgegeben, könne der Verfahrensmangel in der Beschwerdeinstanz, die eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz sei, mit Rückwirkung "geheilt" werden, denn die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung werde insgesamt überprüft. So werde auch die - von der Schuldnerin nicht bestrittene - Tatsache überprüft, daß die Versteigerungsvoraussetzungen schon zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung vorgelegen hätten. Bei dieser Sachlage würden durch das Versäumnis des Vollstreckungsgerichts keine schutzwürdigen Interessen der Schuldnerin verletzt.
2. Die Rechtsbeschwerde meint, der Verfahrensfehler nach § 83 Nr. 6 ZVG sei ein absoluter Versagungsgrund; das Vollstreckungsgericht hätte den Zuschlag nicht erteilen dürfen. Die vom Beschwerdegericht angenommene Heilung des festgestellten Verfahrensmangels im Beschwerdeverfahren sei mit dem Zwangsversteigerungsgesetz nicht vereinbar. Nach dem Wortlaut des § 84 ZVG seien nur die in § 83 Nr. 1 bis 5 ZVG genannten relativen Versagungsgründe heilbar; ein einmal erwachsener absoluter Versagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG sei dagegen nachträglich nicht heilbar. Auf die Prüfung, ob schutzwürdige Interessen der Schuldnerin beeinträchtigt seien, komme es nicht an.
3. Der angefochtene Beschluß des Landgerichts ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Es gehört zu den tragenden Grundsätzen des Zwangsversteigerungsverfahrens , daß die vollstreckbare Ausfertigung des Titels und der Zustellungsnachweis sowohl im Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsversteigerung als auch im Versteigerungstermin vorliegen müssen. Das Vollstreckungsgericht muß in der Lage sein zu prüfen, ob diese Vollstreckungsvoraussetzungen noch bei der Versteigerung und der Zuschlagserteilung vorliegen. Unterläßt es dies, liegt darin ein Versagungsgrund im Sinne von § 83 Nr. 6 ZVG. Im Streitfall hat das Vollstreckungsgericht die vollstreckbare Titelausfertigung nach der Anordnung der Zwangsversteigerung an die betreibende Gläubigerin zurückgegeben. Im Versteigerungstermin lag die notarielle Urkunde nicht vor.
Aus der Vorschrift des § 84 ZVG, nach der die Versagungsgründe in § 83 Nr. 1 bis 5 der Erteilung des Zuschlags nicht entgegenstehen, wenn das Recht des Beteiligten nicht beeinträchtigt wird oder er das Verfahren genehmigt , wird gefolgert, daß die in § 84 ZVG nicht in Bezug genommenen Verfahrensmängel nach § 83 Nr. 6 ZVG als absolute Versagungsgründe nachträglich nicht "heilbar" seien (OLG Hamm Rpfleger 2000, 171, 172; OLG Königsberg JW 1930, 657, 658). Zur Begründung wird unter Hinweis auf die Denkschrift angeführt, § 83 Nr. 6 erfasse alle Gesetzesverletzungen, bei denen sich der Umfang der Beeinträchtigung, welche den Rechten der Beteiligten drohe, nicht mit Sicherheit übersehen lasse. Bei einem solchen Verfahrensmangel müsse stets die Versagung des Zuschlags erfolgen (Stöber, ZVG 17. Aufl. § 83 Rn. 4.1.; Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth, ZVG 12. Aufl. § 83 Rn. 1; vgl.
Denkschrift zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung, Materialien zum Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung nebst dem Einführungsgesetz vom 24. März 1897 S. 91).
b) Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Sie wird den Fällen nicht gerecht , in denen die vollstreckbare Ausfertigung des Titels zwar an den Gläubiger zurückgereicht wurde, aber während des gesamten Zwangsversteigerungsverfahrens vorhanden und in seiner Wirksamkeit nie beeinträchtigt war und entweder zwischen dem Versteigerungstermin und der Zuschlagserteilung oder im Laufe des Zuschlagsbeschwerdeverfahrens vor der Entscheidung über den Zuschlag oder der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde dem Vollstreckungs - oder Beschwerdegericht wieder vorgelegt wird. Wie die Beschwerdegegner zu 3 zutreffend ausführen, stellt § 83 Nr. 6 ZVG einen Auffangtatbestand für sämtliche Fälle dar, in denen die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem anderen Grunde als den in § 83 Nr. 1 bis 5 ZVG genannten Verfahrensmängeln unzulässig ist. Die Frage, ob ein Verfahrensmangel nach § 83 Nr. 6 ZVG zur Versagung des Zuschlags führt, ist unter Betrachtung des jeweiligen Versagungsgrundes anhand einer Interessenabwägung im Einzelfall zu beurteilen. Läßt sich der Umfang der Beeinträchtigung der Verfahrensrechte der Beteiligten genau übersehen und kann spätestens in der Beschwerdeinstanz festgestellt werden, daß trotz des Verfahrensfehlers die Rechte des Schuldners nicht verkürzt wurden, wirkt sich der Versagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG nicht aus und kann deshalb nicht zur Versagung des Zuschlags führen. Das trifft hier zu. Im Beschwerdeverfahren wurde durch die Vorlage des vollstreckbaren Titels nachgewiesen, daß die Vollstreckungsvo-
raus-
setzungen während des gesamten Versteigerungsverfahrens unverändert vorgelegen haben. Deshalb ist der bloße formale Verfahrensfehler der vorübergehenden Entnahme des Vollstreckungstitels aus den Vollstreckungsakten kein Grund, der zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses zwingt.
Kreft Raebel Athing
Boetticher Kessal-Wulf
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Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
Der Zuschlag ist zu versagen:
- 1.
wenn die Vorschrift des § 43 Abs. 2 oder eine der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots oder der Versteigerungsbedingungen verletzt ist; - 2.
wenn bei der Versteigerung mehrerer Grundstücke das Einzelausgebot oder das Gesamtausgebot den Vorschriften des § 63 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 zuwider unterblieben ist; - 3.
wenn in den Fällen des § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 die Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld oder das Recht eines gleich- oder nachstehenden Beteiligten, der dem Gläubiger vorgeht, durch das Gesamtergebnis der Einzelausgebote nicht gedeckt werden; - 4.
wenn die nach der Aufforderung zur Abgabe von Geboten erfolgte Anmeldung oder Glaubhaftmachung eines Rechts ohne Beachtung der Vorschrift des § 66 Abs. 2 zurückgewiesen ist; - 5.
wenn der Zwangsversteigerung oder der Fortsetzung des Verfahrens das Recht eines Beteiligten entgegensteht; - 6.
wenn die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem sonstigen Grund unzulässig ist; - 7.
wenn eine der Vorschriften des § 43 Abs. 1 oder des § 73 Abs. 1 verletzt ist; - 8.
wenn die nach § 68 Abs. 2 und 3 verlangte Sicherheitsleistung nicht bis zur Entscheidung über den Zuschlag geleistet worden ist.
(1) Die im § 83 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Versagungsgründe stehen der Erteilung des Zuschlags nicht entgegen, wenn das Recht des Beteiligten durch den Zuschlag nicht beeinträchtigt wird oder wenn der Beteiligte das Verfahren genehmigt.
(2) Die Genehmigung ist durch eine öffentlich beglaubigte Urkunde nachzuweisen.
Der Zuschlag ist zu versagen:
- 1.
wenn die Vorschrift des § 43 Abs. 2 oder eine der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots oder der Versteigerungsbedingungen verletzt ist; - 2.
wenn bei der Versteigerung mehrerer Grundstücke das Einzelausgebot oder das Gesamtausgebot den Vorschriften des § 63 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 zuwider unterblieben ist; - 3.
wenn in den Fällen des § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 die Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld oder das Recht eines gleich- oder nachstehenden Beteiligten, der dem Gläubiger vorgeht, durch das Gesamtergebnis der Einzelausgebote nicht gedeckt werden; - 4.
wenn die nach der Aufforderung zur Abgabe von Geboten erfolgte Anmeldung oder Glaubhaftmachung eines Rechts ohne Beachtung der Vorschrift des § 66 Abs. 2 zurückgewiesen ist; - 5.
wenn der Zwangsversteigerung oder der Fortsetzung des Verfahrens das Recht eines Beteiligten entgegensteht; - 6.
wenn die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem sonstigen Grund unzulässig ist; - 7.
wenn eine der Vorschriften des § 43 Abs. 1 oder des § 73 Abs. 1 verletzt ist; - 8.
wenn die nach § 68 Abs. 2 und 3 verlangte Sicherheitsleistung nicht bis zur Entscheidung über den Zuschlag geleistet worden ist.
(1) Die im § 83 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Versagungsgründe stehen der Erteilung des Zuschlags nicht entgegen, wenn das Recht des Beteiligten durch den Zuschlag nicht beeinträchtigt wird oder wenn der Beteiligte das Verfahren genehmigt.
(2) Die Genehmigung ist durch eine öffentlich beglaubigte Urkunde nachzuweisen.
Der Zuschlag ist zu versagen:
- 1.
wenn die Vorschrift des § 43 Abs. 2 oder eine der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots oder der Versteigerungsbedingungen verletzt ist; - 2.
wenn bei der Versteigerung mehrerer Grundstücke das Einzelausgebot oder das Gesamtausgebot den Vorschriften des § 63 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 zuwider unterblieben ist; - 3.
wenn in den Fällen des § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 die Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld oder das Recht eines gleich- oder nachstehenden Beteiligten, der dem Gläubiger vorgeht, durch das Gesamtergebnis der Einzelausgebote nicht gedeckt werden; - 4.
wenn die nach der Aufforderung zur Abgabe von Geboten erfolgte Anmeldung oder Glaubhaftmachung eines Rechts ohne Beachtung der Vorschrift des § 66 Abs. 2 zurückgewiesen ist; - 5.
wenn der Zwangsversteigerung oder der Fortsetzung des Verfahrens das Recht eines Beteiligten entgegensteht; - 6.
wenn die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem sonstigen Grund unzulässig ist; - 7.
wenn eine der Vorschriften des § 43 Abs. 1 oder des § 73 Abs. 1 verletzt ist; - 8.
wenn die nach § 68 Abs. 2 und 3 verlangte Sicherheitsleistung nicht bis zur Entscheidung über den Zuschlag geleistet worden ist.