Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Nov. 2000 - III ZB 45/00

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe
I.
Die in Polen geborene und heute dort lebende Klägerin wurde im Jahre 1942 aus ihrer Heimat nach Deutschland verbracht. Dort war sie bis zum Kriegsende als Zwangsarbeiterin tätig gewesen.
Die Klägerin behauptet, in einem Werk der Beklagten beschäftigt gewesen zu sein, und verlangt von dieser Entschädigung für die von ihr insgesamt 31 Monate lang geleistete Zwangsarbeit und eine weitere Entschädigung für die unmenschliche Behandlung, die sie in dieser Zeit erfahren hat.
Nach Verweisung des beim Arbeitsgericht anhängig gemachten Rechtsstreits an das Landgericht hat dieses der Klägerin mit Beschluß vom 9. Mai 2000 die beantragte Prozeßkostenhilfe versagt. Mit Beschluß vom 13. Juni 2000 hat das Oberlandesgericht die gegen die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe eingelegte Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Im Hinblick auf § 16 des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", dessen Verabschiedung durch den Bundestag in naher Zukunft zu erwarten sei, biete die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde der Klägerin, der das Oberlandesgericht unter Hinweis darauf, daß das Stiftungsgesetz am 12. August 2000 in Kraft getreten sei, mit Beschluß vom 30. August 2000 nicht abgeholfen hat.
II.
Die (weitere) außerordentliche Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte über die Beschwerde im Prozeßkostenhilfeverfahren gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist eine weitere Beschwerdemöglichkeit an den Bundesgerichtshof von Gesetzes wegen nicht eröffnet (§ 567 Abs. 4 Satz 1, § 568 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung ausnahmsweise eine im Gesetz nicht vorgesehene "außerordentliche Beschwerde" zuläßt, vorliegend nicht erfüllt.
1. Auf der Grundlage ihres Vorbringens gehört die Klägerin, die 1942 aus ihrem Heimatstaat in das Gebiet des Deutschen Reiches deportiert und dort zu einem Arbeitseinsatz in einem gewerblichen Unternehmen gezwungen wurde, zu den leistungsberechtigten Personen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (im folgenden: Stiftungsgesetz) vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1263). Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes können Leistungsberechtigte Leistungen aus Mitteln der Stiftung (§ 9) nur nach diesem Gesetz erlangen; etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind nach Satz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich ausgeschlossen.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, das auch und gerade dem Anliegen deutscher Unternehmen, umfassenden und dauerhaften Rechtsfrieden in und außerhalb Deutschlands zu erhalten, Rechnung tragen will (vgl. die amtliche Begründung BT-Drucks. 14/3206 S. 18), stehen der Klägerin Forderungen gegen das Unternehmen, das sie in den Kriegsjahren als Zwangsarbeiterin beschäftigt hat, nicht zu.
Angesichts dieser klaren Gesetzeslage - zu der sich die weitere Beschwerde nicht weiter äußert - fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß eine gerichtliche Entscheidung, in der die nachgesuchte Prozeßkostenhilfe unter Hinweis auf diesen gesetzlichen Ausschluß weitergehender Ansprüche abgelehnt worden ist, "greifbar gesetzwidrig", d.h. mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar sein könnte, weil sie jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist (vgl. BGHZ 109, 41, 43 f; 119, 372, 374; 131, 185, 188 sowie die weiteren in BGHR ZPO vor § 1/Rechtsmittel unter dem Schlagwort Gesetzwidrigkeit, greifbare abgedruckten Entscheidungen).
2. Die weitere Beschwerde sieht die greifbare Gesetzwidrigkeit darin, daß Landgericht und Oberlandesgericht das PKH-Gesuch mit einem "rechtlich nicht wirkenden" Gesetz zurückgewiesen haben. Damit kann sie nicht durchdringen.
Ob der den angefochtenen Entscheidungen zugrundeliegende Gedanke, eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei hätte im Hinblick auf die bevorstehende gesetzliche Regelung von einer Klageerhebung abgesehen, die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe hätte rechtfertigen können, erscheint deshalb fraglich , weil im Zeitpunkt der Beschlußfassung (9. Mai bzw. 13. Juni 2000) der Bundestag über dieses Gesetz noch nicht beschlossen hatte. Zwar war der Gesetzentwurf im April 2000 parallel sowohl durch die Bundesregierung als auch aus der Mitte des Bundestags - und zwar von allen im Bundestag vertretenen Fraktionen - eingebracht worden (vgl. BT-Drucks. 14/3206 und BR-Drucks. 193/00), so daß ein Zustandekommen des Gesetzes in absehbarer Zeit zu erwarten stand. Andererseits war nicht auszuschließen, daß der Entwurf im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Ä nderungen erfahren würde.
Diese Frage braucht indes vorliegend nicht vertieft zu werden. Das Oberlandesgericht hat in seinem Nichtabhilfebeschluß vom 30. August 2000 richtig ausgeführt, daß das Stiftungsgesetz am 12. August 2000 in Kraft getreten sei (§ 20 des Gesetzes). Durch diesen Beschluß wurde die die Beschwerde der Klägerin zurückweisende Entscheidung auf eine neue, für das vorliegende Verfahren tragfähige Grundlage gestellt. Dem steht nicht entgegen, daß es dann, wenn - wie hier - eine (weitere) Beschwerdemöglichkeit nach dem Gesetz überhaupt nicht vorgesehen ist, einer Nichtabhilfeentscheidung nicht be-
darf. Das ändert nichts daran, daß eine solche Entscheidung gleichwohl ergehen kann und im weiteren Verfahren zu berücksichtigen ist (vgl. Zöller/Gummer , ZPO, 22. Aufl., § 571 Rn. 2 und 13).
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(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.
(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.
(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.
(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn
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dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist.
(2) Gegen Entscheidungen über Kosten ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
(3) Der Beschwerdegegner kann sich der Beschwerde anschließen, selbst wenn er auf die Beschwerde verzichtet hat oder die Beschwerdefrist verstrichen ist. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
Das Beschwerdegericht entscheidet durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung, wenn
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die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder - 2.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
(1) Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz ist, wer
- 1.
in einem Konzentrationslager im Sinne von § 42 Abs. 2 Bundesentschädigungsgesetz oder in einer anderen Haftstätte außerhalb des Gebietes der heutigen Republik Österreich oder einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen inhaftiert war und zur Arbeit gezwungen wurde, - 2.
aus seinem Heimatstaat in das Gebiet des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 oder in ein vom Deutschen Reich besetztes Gebiet deportiert wurde, zu einem Arbeitseinsatz in einem gewerblichen Unternehmen oder im öffentlichen Bereich gezwungen und unter anderen Bedingungen als den in Nummer 1 genannten inhaftiert oder haftähnlichen Bedingungen oder vergleichbar besonders schlechten Lebensbedingungen unterworfen war; diese Regelung gilt nicht für Personen, die wegen der überwiegend im Gebiet der heutigen Republik Österreich geleisteten Zwangsarbeit Leistungen aus dem österreichischen Versöhnungsfonds erhalten können, - 3.
im Zuge rassischer Verfolgung unter wesentlicher, direkter und schadensursächlicher Beteiligung deutscher Unternehmen Vermögensschäden im Sinne der Wiedergutmachungsgesetze erlitten hat und hierfür keine Leistungen erhalten konnte, weil er entweder die Wohnsitzvoraussetzungen des Bundesentschädigungsgesetzes nicht erfüllte oder auf Grund seines Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts in einem Gebiet, mit dessen Regierung die Bundesrepublik Deutschland keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, nicht imstande war, fristgerecht Herausgabe- oder Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen, oder weil er die Verbringung einer außerhalb des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 verfolgungsbedingt entzogenen, dort nicht mehr auffindbaren Sache in die Bundesrepublik Deutschland nicht nachweisen konnte oder Nachweise über die Begründetheit von Ansprüchen nach dem Bundesrückerstattungsgesetz und dem Bundesentschädigungsgesetz erst auf Grund der deutschen Wiedervereinigung bekannt und verfügbar wurden und die Geltendmachung der Ansprüche nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen oder nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz ausgeschlossen war oder soweit Rückerstattungsleistungen für außerhalb des Reichsgebietes entzogene Geldforderungen mangels Feststellbarkeit abgelehnt worden sind und hierfür Leistungen weder nach den Gesetzen zur Neuordnung des Geldwesens, dem Bundesentschädigungsgesetz, dem Lastenausgleichsgesetz oder dem Reparationsschädengesetz beantragt werden konnten; das gilt auch für andere Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes; Sonderregelungen im Rahmen der International Commission on Holocaust Era Insurance Claims bleiben unberührt.
Die in § 9 Abs. 3 genannten Mittel sollen in Fällen medizinischer Versuche oder bei Tod oder bei schweren Gesundheitsschäden eines in einem Zwangsarbeiterkinderheim untergebrachten Kindes gewährt werden; sie können in Fällen sonstiger Personenschäden gewährt werden.
(2) Die Leistungsberechtigung ist vom Antragsteller durch Unterlagen nachzuweisen. Die Partnerorganisation hat entsprechende Beweismittel hinzuzuziehen. Liegen solche Beweismittel nicht vor, kann die Leistungsberechtigung auf andere Weise glaubhaft gemacht werden.
(3) Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung.
(4) Leistungen der Stiftung sind von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit.