Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2006 - II ZB 9/06

bei uns veröffentlicht am20.11.2006
vorgehend
Landgericht Weiden, 1 O 756/03, 25.10.2005
Oberlandesgericht Nürnberg, 4 W 97/06, 22.02.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 9/06
vom
20. November 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
RVG § 2 Abs. 2; RVG VV Nr. 3104
Eine Terminsgebühr fällt an, wenn der Gegner eine auf die Erledigung des Verfahrens
gerichtete Erklärung zwecks Prüfung und Weiterleitung an seine Partei
entgegennimmt.
BGH, Beschluss vom 20. November 2006 - II ZB 9/06 - OLG Nürnberg
LG Weiden i.d. Oberpfalz
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 20. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Kraemer, Prof. Dr. Gehrlein und Dr. Reichart

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin werden der Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22. Februar 2006 aufgehoben und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Weiden in der Oberpfalz vom 25. Oktober 2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf 2.473,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2005 festgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
Beschwerdewert: 455,94 €

Gründe:


1
I. Die Klägerin hat vor dem Landgericht Weiden in der Oberpfalz gegen den Beklagten zu 2 (nachfolgend Beklagter) einen Zahlungsanspruch wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung verfolgt. Zwecks einverständlicher Erledigung des Rechtsstreits hat der Prozessbevoll- mächtigte der Klägerin - nach Rücknahme der gegen den Beklagten zu 1 als weiteren Gesamtschuldner erhobenen Klage - am 14. Juni 2005 mit dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten eine fernmündliche Unterredung geführt. Dabei äußerte der Vertreter des Beklagten, die Ausführungen der Klägerseite zur Kenntnis zu nehmen und an den Beklagten, der über das weitere Vorgehen entscheide, weiterzuleiten. Das Landgericht hat gegen den im Verhandlungstermin vom 29. Juli 2005 nicht erschienenen Beklagten ein - zwischenzeitlich rechtskräftiges - Versäumnisurteil auf Zahlung von 54.950,51 € erlassen; ferner sind dem Beklagten die Hälfte der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt worden.
2
Die Klägerin hat u.a. die Festsetzung einer 1,2-fachen Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) beantragt. Das Landgericht hat lediglich eine 0,5-fache Terminsgebühr (Nr. 3105 VV RVG) festgesetzt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
3
II. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Zugunsten der Klägerin ist gemäß § 2 Abs. 2 RVG, Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 in Verbindung mit Nr. 3104 VV eine 1,2fache Terminsgebühr angefallen, so dass die ihr zu erstattenden Kosten um 455,94 € auf 2.473,95 € zu erhöhen sind.
4
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, eine Terminsgebühr falle zwar auch an, wenn kein Verhandlungstermin stattgefunden, der Rechtsanwalt aber eine außergerichtliche Besprechung mit dem Ziel der Erledigung des Verfahrens durchgeführt habe. Hierzu reiche eine kurzfristige telefonische Kontaktaufnahme aus, sofern der Gegner die Bereitschaft zeige, ein sachbezogenes, der Verfahrenserledigung dienendes Gespräch zu führen. Hier fehle es aber an dem gebotenen Meinungsaustausch über tatsächliche oder rechtliche Standpunkte , weil der Vertreter des Beklagten die Ausführungen des Klägers lediglich zur Kenntnis genommen habe, ohne in eine Verhandlung über die Sache selbst oder das weitere prozessuale Vorgehen einzutreten.
5
2. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
6
a) Nach § 2 Abs. 2 RVG, Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 verdient der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch durch die Mitwirkung an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts. Die Terminsgebühr ersetzt nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl die frühere Verhandlungs- als auch die frühere Erörterungsgebühr. Im Vergleich zu diesen Gebühren ist der Anwendungsbereich der Terminsgebühr erweitert worden. Im Interesse der Vereinfachung und insbesondere zur Beseitigung früherer Streitfragen sind durch die Fassung des Gebührentatbestandes die Unterschiede zwischen einer streitigen oder nicht streitigen Verhandlung, ein- oder zweiseitiger Erörterung sowie zwischen Verhandlungen zur Sache oder zur Prozess - und Sachleitung entfallen (BT-Drucks. 15/1971 S. 209).
7
b) Entsprechend der gesetzgeberischen Intention, an das Merkmal einer - auch telefonisch durchführbaren (Sen.Beschl. v. 3. Juli 2006 - II ZB 31/05, Umdruck S. 5, z.V.b.; Schons in Hartung/Römermann/Schons, RVG 2. Aufl. Vorbemerkung 3 VV Rdn. 27; Keller in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl. VV Teil 3 Vorbemerkung 3 Rdn. 49) - Besprechung keine besonderen Anforderungen zu stellen, entsteht die Gebühr auch dann, wenn der Gegner - wie hier - die auf eine Erledigung des Verfahrens gerichteten Äußerungen zwecks Prüfung und Weiterleitung an seine Partei zur Kenntnis nimmt.
8
Eine auf eine Erledigung gerichtete Besprechung setzt als mündlicher Austausch von Erklärungen (Keller aaO) die Bereitschaft der Gegenseite voraus , überhaupt in Überlegungen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Beendigung des Verfahrens einzutreten. Verweigert der Gegner von vornherein entweder ein sachbezogenes Gespräch oder eine gütliche Einigung, kommt eine Besprechung bereits im Ansatz nicht zustande (Müller-Rabe in Gerold/ Schmidt/von Eicken, RVG 17. Aufl. Vorbemerkung 3 VV Rdn. 92 f.). Im Unterschied dazu ist von einer Besprechung auszugehen, wenn sich der Gegner auf das Gespräch einlässt, indem er die ihm unterbreiteten Vorschläge zur Kenntnis nimmt und deren Prüfung zusagt. Da der Gebührentatbestand nicht an den Erfolg einer gütlichen Einigung anknüpft (Schons aaO Rdn. 34; Mayer in Mayer /Kroiß, RVG 2. Aufl. Vorbemerkung 3 Rdn. 50), sind an die mündliche Reaktion des Gegners über Kenntnisnahme und Prüfung des Vorschlags hinausgehende Anforderungen nicht zu stellen. Diese Würdigung steht im Einklang mit den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/1971 S. 209), wonach die Unterscheidung zwischen einer ein- und zweiseitigen Erörterung aufgegeben werden soll. Da der Bevollmächtigte des Beklagten die Vorschläge der Klägerin zwecks Weiterleitung an seine Partei zur Kenntnis genommen und damit (zumindest konkludent ) eine Prüfung zugesagt hat, ist die Terminsgebühr entstanden (OLG Koblenz NJW 2005, 2162 f.; Mayer aaO; Müller/Rabe aaO Rdn. 92 f.).
9
c) Danach ergibt sich - unter Korrektur (BGHZ 133, 184, 191; 106, 370, 373) eines offensichtlichen Schreibfehlers im Kostenfestsetzungsbeschluss (2.018,01 € statt 2.108,01 €) - folgende Abrechnung: Die der Klägerin tatsächlich zustehende 1,2-Gebühr ist - ausgehend von einer bei einem Streitwert von 54.950,51 € anfallenden 1,0-Gebühr über 1.123,00 € - mit 1.347,60 € zu bemessen , aber um die bereits zu ihren Gunsten berücksichtigte 0,5-Gebühr (561,50 €) zu reduzieren. Aus der Differenz in Höhe von 786,10 € kann die Klä- gerin die Erstattung der Hälfte (393,05 €) beanspruchen, so dass zuzüglich 16 % Umsatzsteuer (62,89 €) zu ihren Gunsten weitere 455,94 € festzusetzen sind. Mithin ergibt sich der im Tenor ausgewiesene Gesamtbetrag von 2.473,95 €.

Goette Kurzwelly Kraemer Gehrlein Reichart

Vorinstanzen:
LG Weiden i.d. OPf., Entscheidung vom 25.10.2005 - 1 O 756/03 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 22.02.2006 - 4 W 97/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 2 Höhe der Vergütung


(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert). (2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1

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(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).

(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).

(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 31/05
vom
3. Juli 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
RVG VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 278 Abs. 6
Wird in einem in erster Instanz geführten Zivilprozess über den rechtshängigen
Anspruch (auf Vorschlag des Gerichts) ein schriftlicher Vergleich nach § 278
Abs. 6 ZPO geschlossen, entsteht für die beauftragten Prozessbevollmächtigten
- neben einer 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV und einer 1,0 Einigungsgebühr
nach Nr. 1003 VV - eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV.
BGH, Beschluss vom 3. Juli 2006 - II ZB 31/05 - OLG Karlsruhe
LG Konstanz
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 3. Juli 2006 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer,
Prof. Dr. Gehrlein und Caliebe

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten werden der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 11. November 2005 aufgehoben und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Konstanz vom 26. September 2005 abgeändert: Die von dem Kläger an die Beklagte aufgrund des Vergleichs des Landgerichts Konstanz vom 27. Juli 2005 zu erstattenden Kosten werden auf 3.100,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. August 2005 festgesetzt.
Der Kläger hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.

Gründe:


1
I. Der Kläger begehrte mit seiner im Dezember 2004 bei dem Landgericht Konstanz eingegangenen Klage die Rückzahlung seiner Einlageleistungen in Höhe von 2.835,00 € auf eine bei der Beklagten gezeichnete atypische stille Gesellschaftsbeteiligung sowie die Feststellung, dass zwischen den Parteien keine Vertragsbeziehungen bestehen. Das Landgericht führte ein schriftliches Vorverfahren durch und machte mit Beschluss vom 16. Juni 2005 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleichsvorschlag, den die Parteien annahmen. Durch Beschluss vom 27. Juni 2005 stellte das Landgericht das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO fest. Hiernach hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 26.460,00 € zu tragen.
2
In seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. September 2005 berücksichtigte das Landgericht die von der Beklagten zum Ausgleich angemeldete 1,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses (im Folgenden: VV) in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG und die 1,0 Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV, sah aber von der Festsetzung der von der Beklagten beantragten 1,2 Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV ab, weil ein schriftliches Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO nicht angeordnet gewesen sei. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtberücksichtigung der Terminsgebühr zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
3
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
4
1. Das Beschwerdegericht hat unter Bezugnahme auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg (OLGR 2005, 179) die Ansicht vertreten, aus dem Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV ergebe sich, dass bei Abschluss eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO ohne mündliche Verhandlung eine Terminsgebühr nur anfalle, wenn es sich um ein Verfahren handele, das nach § 128 Abs. 2 ZPO oder § 495 a ZPO keine mündliche Verhandlung erfordere.
5
2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
a) In Übereinstimmung mit dem III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes, dessen Beschluss vom 27. Oktober 2005 (III ZB 42/05, NJW 2006, 157 ff.) - der dem Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung noch nicht bekannt war - die identische Fragestellung betrifft, ist der Senat der Ansicht, dass die Auslegung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV durch das Beschwerdegericht den Bedeutungsgehalt der das Entstehen der Terminsgebühr rechtfertigenden Variante "oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird" (= Variante
4) nicht ausschöpft.
7
Der III. Zivilsenat (aaO S. 158) hat hierzu folgendes ausgeführt: "Zwar stünde der Wortlaut dieser Bestimmung einer Auslegung nicht entgegen, nach der der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nur dann eine Terminsgebühr auslöst, wenn er in einem schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO oder nach § 495 a ZPO geschlossen wird. Der Wortlaut legt jedoch, in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur, die Auslegung näher, dass der in Variante 4 geregelte Abschluss eines schriftlichen Vergleichs für alle Verfahren gilt, für die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, also auch für den hier vorliegenden Fall, dass die Sache durch einen Haupttermin (§ 272 ZPO) erledigt werden soll und dieser Haupttermin nach dem Ermessen des Vorsitzenden durch ein schriftliches Vorverfahren (§ 276 ZPO) vorbereitet wird, während dessen Verlauf es zum Abschluss des schriftlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO kommt. Insoweit kann es im Hinblick auf das Erfordernis, dass für das Verfahren die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nicht darauf ankommen , ob der Haupttermin durch einen frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) oder ein schriftliches Vorverfahren vorbereitet wird. Wollte man der einengenden Auffassung folgen , nach der lediglich ein im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) oder im Verfahren nach § 495 a Satz 1 ZPO geschlossener schriftlicher Vergleich die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV auslöst, ergäben sich Wertungswidersprüche , die durch das Argument einer günstigen kosten- mäßigen Erledigung für die Parteien nicht ausgeräumt werden könnten. Aus der Sicht der anwaltlichen Tätigkeit macht es keinen Unterschied, ob eine Sache mit einem 600,00 € nicht übersteigenden Wert im Verfahren nach § 495 a Satz 1 ZPO oder mit einem höheren Wert vor der mündlichen Verhandlung schriftlich verglichen wird. Es ließe sich wohl kaum ernsthaft vertreten, im letzteren Fall habe der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit weniger Zeit und Mühe aufgewendet, weil er noch die mündliche Verhandlung vor Augen gehabt habe. Es will auch nicht einleuchten, dass der Rechtsanwalt in dem letzteren Fall nur deshalb die Terminsgebühr erhalten sollte, weil das Gericht im Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) angeordnet hat."
8
Dem schließt sich der Senat an.
9
b) Die einengende Auslegung würde darüber hinaus zu einem nicht zu rechtfertigenden Widerspruch dazu führen, dass eine Terminsgebühr - in diesem Fall nach Absatz 3 der Vorbemerkungen 3 des VV - für den Anwalt schon für seine Mitwirkung an Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts entsteht, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtet sind. Danach fällt die Terminsgebühr z. B. an, wenn die Prozessbevollmächtigten fernmündlich oder persönlich den Inhalt des Vergleichs besprechen und den Vergleichstext sodann dem Gericht zur Feststellung nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO mitteilen (OLG Koblenz NJW-RR 2006, 358; NJW 2005, 2162; OLG Nürnberg NJOZ 2005, 4039 f.; LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2006, 268; Goebel BGHReport 2006, 66). Der Gesetzgeber hat mit dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs der Terminsgebühr fördern und honorieren wollen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen soll. Ihm soll nach neuem Recht eine nach früherem Recht geübte Praxis, einen gerichtlichen Verhandlungstermin anzustreben, in dem ein ausgehandelter Vergleich nach "Erörterung der Sach- und Rechtslage" protokolliert wird, um eine Verhandlungsbzw. Erörterungsgebühr auszulösen, erspart bleiben (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 209).
10
Erhält aber der Anwalt die Terminsgebühr für das Aushandeln eines Vergleichs ohne Mitwirkung des Gerichts, ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, dem Anwalt für sein Bemühen um eine vergleichsweise Beilegung des Verfahrens die Terminsgebühr abzusprechen, wenn der Vergleich auf Vorschlag des Gerichts geschlossen wird. Sähe man dies anders, würde dies darüber hinaus zu dem Zustand führen, den der Gesetzgeber mit der Ausweitung der Terminsgebühr - auch im Interesse der Entlastung der Gerichte - vermeiden wollte, dass nämlich die früher geübte Praxis, einen gerichtlichen Verhandlungstermin nur um einer anwaltlichen Gebühr willen anzustreben, fortgesetzt wird (siehe hierzu Goebel BGH-Report 2006, 66).
11
c) Legt daher der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV die Entstehung einer Terminsgebühr nahe und stimmt dieses Ergebnis mit den Wertungen und Intentionen des Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des VV überein, ist einer den Wortlaut entsprechend ausschöpfenden Auslegung der Vorzug zu geben (ebenso III. Zivilsenat aaO S. 159).
12
d) Die Entscheidungen des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 30. März 2004 (VI ZB 81/03, NJW 2004, 2311, 2312) und vom 30. Juni 2004 (NJOZ 2004, 4083, 4084) stehen dem nicht entgegen, weil sie in einem das alte Recht (BRAGO) betreffenden Verfahren ergangen sind und von dem VI. Zivilsenat selbst zutreffend als für seinen Beschluss "nicht tragend" bezeichnet worden sind.
13
3. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Konstanz war daher abzuändern und die 1,2 Terminsgebühr - wie beantragt - zugunsten der Beklagten festzusetzen.
14
Wert des Beschwerdeverfahrens: 1.055,14 € Goette Kurzwelly Kraemer Gehrlein Caliebe
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 26.09.2005 - 4 O 553/04 F -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 11.11.2005 - 13 W 124/05 -