Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Nov. 2007 - II ZA 17/06

bei uns veröffentlicht am26.11.2007
vorgehend
Landgericht Hamburg, 303 O 77/05, 31.03.2006
Hanseatisches Oberlandesgericht, 1 U 59/06, 13.10.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZA 17/06
vom
26. November 2007
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 26. November 2007
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher

beschlossen:
Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

1
Der Antrag des Beklagten, ihm für das beabsichtigte Revisionsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, war abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, weil der Senat im Falle einer Revisionseinlegung nach § 552 a ZPO verfahren müsste (s. hierzu auch BGH, Beschl. v. 27. September 2007 - V ZR 113/07, iuris Tz. 1). Die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels muss auch bei einer zugelassenen Revision gegeben sein (BGH, Beschl. v. 24. Juni 2003 - VI ZR 130/03, iuris Tz. 2).
2
1. Ein Grund, die Revision gegen das angefochtene Urteil wegen einer höchstrichterlich zu klärenden Rechtsfrage zuzulassen, besteht nicht mehr. Nach Erlass des Berufungsurteils hat der erkennende Senat im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung des 5. Strafsenats (s. zuletzt Beschl. v. 9. August 2005 - 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 ff.), der das Berufungsgericht gefolgt ist, ausgesprochen, dass er die früher erwogene "Vorrangrechtsprechung" fallen lässt, um den Geschäftsführer nicht strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, wenn er die Sozialversicherungsbeiträge nicht abführt und damit seiner Masse- sicherungspflicht nachkommen will (Sen.Urt. v. 14. Mai 2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1455 ff.).
3
2. Die Rechtsverfolgung des Beklagten bietet auch im Übrigen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Goette Kurzwelly Kraemer Caliebe Drescher
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 31.03.2006 - 303 O 77/05 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 13.10.2006 - 1 U 59/06 -

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Bundesgerichtshof Urteil, 14. Mai 2007 - II ZR 48/06

bei uns veröffentlicht am 14.05.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 48/06 Verkündet am: 14. Mai 2007 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2007 - V ZR 113/07

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZR 113/07 vom 27. September 2007 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 114 Satz 1 Die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Aussicht auf Erfolg fehlt, wenn

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juni 2003 - VI ZR 130/03

bei uns veröffentlicht am 24.06.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR 130/03 vom 24. Juni 2003 in dem Rechtsstreit Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juni 2003 durch die Vor- sitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen u
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Nov. 2007 - II ZA 17/06.

Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juni 2018 - II ZR 172/17

bei uns veröffentlicht am 26.06.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZR 172/17 vom 26. Juni 2018 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2018:260618BIIZR172.17.0 Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Drescher, die Richter Wöst

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Jan. 2010 - II ZA 4/09

bei uns veröffentlicht am 18.01.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZA 4/09 vom 18. Januar 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB § 823 Abs. 2 Ba; StGB § 266 a Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats führt das Nichtabführen von Arbeitn

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR 113/07
vom
27. September 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Aussicht auf Erfolg fehlt,
wenn die beabsichtigte Revision zwar zugelassen ist, aber nach § 552a ZPO zurückzuweisen
wäre.
BGH, Beschl. v. 27. September 2007 - V ZR 113/07 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. September 2007 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe:


1
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Revision ist zwar zugelassen. Es kommt aber ihre Zurückweisung durch Beschluss gemäß § 552a ZPO in Betracht, bei der Klägerin schon im Hinblick darauf, dass in ihrer Person keine gewerbliche Nutzung stattfindet (vgl. Senat, Urt. v. 13. Mai 2005, V ZR 191/04, NJW-RR 2005, 1256), bei dem Kläger im Hinblick darauf, dass sich die Frage bei Nebengebäuden nicht stellt, weil sie das Schicksal des Hauptgebäudes teilen (Senat, Urt. v. 12. März 1999, V ZR 143/99, VIZ 1999, 351, 352).
Krüger Klein Lemke Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
LG Potsdam, Entscheidung vom 30.05.2006 - 10 O 64/06 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 03.05.2007 - 5 U 109/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 130/03
vom
24. Juni 2003
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juni 2003 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin
Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).

Gründe:

1. Die Kläger nehmen die beklagte Gynäkologin wegen eines im August 1998 fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruchs auf Ersatz ihres Unterhaltsaufwandes für ihre am 23. März 1999 gesund geborene Tochter T. in Anspruch. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, für die sie Prozeßkostenhilfe beantragen. 2. Prozeßkostenhilfe für ein Rechtsmittel ist nur zu bewilligen, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels muß auch im Falle einer zugelassenen Revision gegeben sein (vgl. BGH, Beschluß vom 10. Dezember 1997 - IV ZR 238/97 - NJW 1998, 1154). Daran hat sich durch die mit dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozeßreformgesetz - ZPO-RG) vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) erfolgte Neuregelung der Rechtsmittel nichts geändert (vgl. BGH, Beschluß vom
11. September 2002 - VIII ZR 235/02 - NJW-RR 2003, 130). § 119 Abs. 1 ZPO gilt nicht für den Rechtsmittelführer. Entgegen der Ansicht der Revision ist diese Vorschrift für den Revisionskläger auch bei einem nach neuem Zivilprozeßrecht zugelassenen Rechtsmittel nicht analog anwendbar. Die Revision der Kläger hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für einen Anspruch der Kläger auf Ersatz des Unterhaltsaufwandes für ihre Tochter T. aus Anlaß des fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruchs zu Recht verneint. Die Auffassung des Berufungsgerichts, ein Schadensersatzanspruch komme im Falle eines allein auf der Grundlage der Beratungslösung gem. § 218 a Abs. 1 StGB vorgenommenen Versuchs des Schwangerschaftsabbruchs nicht in Betracht, weil dieser Eingriff zwar straflos, aber rechtswidrig gewesen wäre, deckt sich mit der gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Senatsurteile BGHZ 129, 178, 183 f. und vom 19. Februar 2002 - VI ZR 190/01 - VersR 2002, 767), an der festgehalten wird. Zur Fortbildung des Rechts bietet der Streitfall keine Gelegenheit. Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 48/06 Verkündet am:
14. Mai 2007
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AktG §§ 92 Abs. 2, Abs. 3; 93 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 6;

a) Ein organschaftlicher Vertreter, der bei Insolvenzreife der Gesellschaft den sozialoder
steuerrechtlichen Normbefehlen folgend Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung
oder Lohnsteuer abführt, handelt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und
gewissenhaften Geschäftsleiters und ist nicht nach § 92 Abs. 3 AktG oder § 64
Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft gegenüber erstattungspflichtig (- insoweit - Aufgabe
von BGH, Urt. v. 8. Januar 2002 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264; Urt. v.
18. April 2005 - II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026).

b) Ein organschaftlicher Vertreter einer Gesellschaft verletzt seine Insolvenzantragspflicht
nicht schuldhaft, wenn er bei fehlender eigener Sachkunde zur Klärung des
Bestehens der Insolvenzreife der Gesellschaft den Rat eines unabhängigen, fachlich
qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung
erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle
der ihm daraufhin erteilten Antwort dem Rat folgt und von der Stellung
eines Insolvenzantrags absieht.
BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 - II ZR 48/06 - KG Berlin
LG Berlin
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Mai 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
und die Richter Kraemer, Dr. Strohn, Caliebe und Dr. Reichart

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 22. Dezember 2005 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Beklagte war Vorstand der e. AG (Schuldnerin), die am 10. April 2000 ins Handelsregister eingetragen worden ist. Gegenstand des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin war insbesondere die Entwicklung einer Digitalsignatursoftware und deren Vertrieb (sog. Start-UpUnternehmen ). Das Grundkapital der Gesellschaft betrug zuletzt 205.700,00 €. Aktionäre der Schuldnerin waren mit Aktien im Nennwert von jeweils 80.000,00 € der Beklagte und sein (inzwischen verstorbener) Mitvorstand M. und mit 45.700,00 € die I. -Beteiligungsgesellschaft mbH (im Folgenden: I. ). Diese war außerdem stille Gesellschafterin der Schuldnerin mit einer Einlage von 988.916,00 €. Weitere stille Gesellschafterin war seit dem 17. Januar 2001 die t. -Beteiligungs-Gesellschaft mbH der D. bank mit einer Einlage in Höhe von 1,1 Mio. €.
2
Der Beteiligungsvertrag der I. enthält in § 10 folgende "Rangrücktrittsklausel" : "Der BG (I. ) wird seinen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben in einem gerichtlichen Insolvenz- oder Vergleichsverfahren des BN (Schuldner) im Range nach den übrigen Insolvenz - oder Vergleichsgläubigern geltend machen, jedoch vor den Forderungen der anderen Gesellschafter sowie verbundenen Unternehmen des BN, und soweit es sich um natürliche Personen handelt, deren Angehörigen."
3
Ausweislich der im August 2001 aufgestellten Bilanz zum 31. Dezember 2000 war die Schuldnerin mit einem Betrag von 327.847,70 DM bilanziell überschuldet. Am 17. August 2001 prüfte ein Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Beklagten , der hierzu vom Aufsichtsrat angehalten worden war, den Jahresabschluss und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Schuldnerin zum Abschlussstichtag bilanziell, nicht jedoch "rechtlich überschuldet" gewesen sei, da die Forderung der I. nicht zu passivieren sei. Zahlungsunfähigkeit bestand ausweislich des Gutachtens ebenfalls nicht.
4
In der Zeit vom 7. August bis zum 19. Oktober 2001 veranlasste der Beklagte Lohnsteuerzahlungen sowie Zahlungen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 82.884,80 €. Am 12. November 2001 beantragte der Beklagte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin, nachdem die stillen Gesellschafter im Oktober 2001 die Kündigung ihrer Beteiligungen erklärt und die jeweils letzten fälligen Raten auf ihre Beteiligungen nicht mehr gezahlt hatten, was - unstreitig - zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin führte.
5
Mit der Klage macht der Insolvenzverwalter den Betrag der oben genannten Zahlungen gemäß §§ 92 Abs. 2 und 3, 93 Abs. 2 und 3 Nr. 6 AktG gegen den Beklagten geltend mit der Begründung, die Schuldnerin sei bereits zum 31. Dezember 2000 nicht nur bilanziell, sondern auch rechnerisch überschuldet gewesen; diese Überschuldungssituation habe auch noch zur Zeit der streitigen Zahlungen angedauert. Der Beklagte hat sich mit der Behauptung verteidigt, eine rechnerische Überschuldung habe im Hinblick auf den von der I. erklärten Rangrücktritt nicht vorgelegen. Zudem seien die von ihm geleisteten Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers vereinbar gewesen. Darüber hinaus habe er auch nicht schuldhaft gegen die Insolvenzantragspflicht verstoßen, da er fachmännischen Rat eingeholt habe, aufgrund dessen er davon habe ausgehen dürfen, dass bei - unstreitiger - Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinn vorgelegen habe.
6
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt; das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

7
Die Revision ist unbegründet.
8
I. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Schuldnerin sei im Zeitpunkt der Zahlungen an die Sozial- und Finanzkassen nicht überschuldet gewesen, da der von der I. erklärte Rangrücktritt ausreichend sei, um ihre Forderung im Überschuldungsstatus der Schuldnerin nicht passivieren zu müssen.
9
II. Gegen die - im Ergebnis - zutreffende Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die Revision ohne Erfolg.
10
Ob die Erklärung der I. , wie das Berufungsgericht gemeint und die Revision mit beachtlichen Gründen in Zweifel gezogen hat, den Anforderungen entspricht, die der Senat im Urteil vom 8. Januar 2001 (BGHZ 146, 264, 271) an einen sogenannten "qualifizierten Rangrücktritt" gestellt hat, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Der Beklagte haftet nämlich jedenfalls deshalb nicht wegen Verletzung der Massesicherungspflicht nach §§ 92 Abs. 2 und 3, 93 Abs. 2 und 3 Nr. 6 AktG, weil die von ihm geleisteten Zahlungen - selbst wenn die Schuldnerin im Zahlungszeitpunkt im insolvenzrechtlichen Sinn überschuldet gewesen wäre - nicht pflichtwidrig, sondern mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar waren (1). Darüber hinaus hätte der Beklagte gegen eine möglicherweise bestehende Insolvenzantragspflicht nicht schuldhaft verstoßen (2).
11
1. a) Zu Lasten des Vorstandes einer AG, der in der in § 92 AktG beschriebenen Lage der Gesellschaft Zahlungen aus ihrem Gesellschaftsvermögen leistet, wird - ebenso wie zu Lasten des Geschäftsführers einer GmbH in dieser Situation - vermutet, dass er dabei nicht mit der von einem Vertretungsorgan zu fordernden Sorgfalt gehandelt hat (BGHZ 143, 184, 185; 146, 264, 274 jew.m.w.Nachw.). Nach § 92 Abs. 3 Satz 2 AktG (ebenso wie nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) kann er diese Vermutung durch den Nachweis widerlegen , dass die von ihm in der Insolvenzsituation bewirkte Leistung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar war. Dabei hat der Senat wiederholt (s. zuletzt Urt. v. 18. April 2005 - II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1029) erwogen, das Bestreben des Vertretungsorgans, durch Zahlungen von Sozialleistungen und Steuern sich einer persönlichen deliktischen Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB, aus §§ 34, 69 AO oder der Bestrafung nach § 266 a StGB zu entziehen, sei kein im Rahmen der §§ 92 Abs. 3 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG beachtlicher Umstand; vielmehr müsse in einem Fall einer durch die unterschiedlichen Normbefehle ausgelösten Pflichten- kollision das deliktische Verschulden verneint (bzw. i.S. des strafrechtlichen Normbefehls das Verhalten als gerechtfertigt angesehen) werden, wenn sich das Vertretungsorgan - gemessen am Maßstab der den Interessen der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger dienenden Spezialnormen der §§ 92 Abs. 3 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG - normgerecht verhält. Dies hat der Senat damit begründet , dass der Maßstab für ein pflichtgemäßes Verhalten des Vertretungsorgans sich nicht allein nach dessen allgemeinen Verhaltenspflichten bestimme, bei seiner Amtsführung Recht und Gesetz zu wahren; der Maßstab sei vielmehr an dem besonderen Zweck der §§ 92 Abs. 3 AktG, 64 Abs. 2 GmbH auszurichten , die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (BGHZ 146 aaO 274 f. m.w.Nachw.). Die Befriedigung der Gläubiger soll dem später eingesetzten Insolvenzverwalter überlassen bleiben, der im eröffneten Verfahren für eine gleichmäßige und rangrichtige Bedienung der offenen Forderungen zu sorgen hat. Aus dieser Sicht des mit §§ 92 Abs. 3 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG verfolgten Zwecks erschien es dem Senat näher liegend, die in diesen Vorschriften niedergelegten Pflichten als allgemeinem Interesse dienend im Rahmen der Pflichtenkollision des Vertretungsorgans - trotz der fehlenden Strafbewehrung - vorrangig anzusehen, zumal nach der Abschaffung des Vorrangs der Forderungen der Sozial- und Finanzkassen durch die Einführung der Insolvenzordnung keine Rechtfertigung mehr dafür bestehe, der Pflicht zur Erfüllung der dort bestehenden Forderungen deswegen durchschlagende Bedeutung beizumessen, weil sie sich hinsichtlich der Sozialversicherungsforderungen auf die Strafvorschrift des § 266 a StGB zurückführen ließe (vgl. Sen.Urt. v. 18. April 2005 aaO).
12
b) Hieran hält der Senat nach erneuter Überprüfung im Hinblick auf die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des 5. Strafsenats des Bundesgerichts- hofes (Beschl. v. 21. September 2005 - 5 StR 263/05, ZIP 2005, 1678 ff.), nach der der vom Senat erwogene Vorrang der im Interesse aller Gläubiger angeordneten Massesicherungspflicht angesichts der Strafandrohung einer Nichtabführung von Sozialabgaben nicht anerkannt werden kann, nicht fest. Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung kann es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht nach §§ 92 Abs. 3 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. Sein die entsprechenden sozial- und steuerrechtlichen Vorschriften befolgendes Verhalten muss deswegen im Rahmen der bei §§ 92 Abs. 3 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG anzustellenden Prüfung als mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar angesehen werden.
13
Danach haftet der Beklagte für die den Gegenstand der Klageforderung bildenden, an die Sozial- und Finanzkassen geleisteten Zahlungen nicht.
14
2. Eine Haftung des Beklagten scheidet auch deshalb aus, weil er eine - möglicherweise bestehende - Insolvenzantragspflicht nicht schuldhaft verletzt hat. Er hat zu der Frage, ob sich die Schuldnerin in einer Situation befand, in der er zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet war, unabhängigen, fachlich qualifizierten Rat eingeholt mit dem Ergebnis, dass eine derartige Pflicht für ihn nicht bestand. Auf diesen Rat durfte er sich verlassen.
15
a) Die Haftung des Vorstands wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach §§ 92, 93 AktG setzt eben so wie die Haftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 64 Abs. 2 GmbHG eine schuldhafte Verletzung der Insolvenzantragspflicht voraus (MünchKommAktG/Hefermehl/Spindler 2. Aufl. § 92 Rdn. 29; Hüffer, AktG 7. Aufl. § 93 Rdn. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl. § 64 Rdn. 32 ff. jew.m.w.Nachw.). Für die Haftung des Vertretungsorgans reicht die Erkennbarkeit der Insolvenzreife aus; das Verschulden des Vorstands/Geschäftsführers wird vermutet (BGHZ 143, 184, 185; 146, 264, 277 jew.m.w.Nachw.). Den Vorstand/Geschäftsführer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er seine Insolvenzantragspflicht nicht schuldhaft verletzt hat.
16
b) Diesen Anforderungen, d.h. dem Nachweis seines mangelnden Verschuldens als Organmitglied, hat der Beklagte genügt. Von dem organschaftlichen Vertreter wird erwartet, dass er sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets vergewissert. Hierzu gehört insbesondere die Prüfung der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit. Er handelt daher fahrlässig, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und die für die Insolvenzantragspflicht erforderlichen Kenntnisse verschafft (Schmidt-Leithoff aaO Rdn. 19). Dabei muss sich der organschaftliche Vertreter, sollte er nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse verfügen, ggf. extern beraten lassen (BGHZ 126, 181, 199, dort zur Prüfung der positiven Fortführungsprognose; OLG Düsseldorf NZG 1999, 944, 946 zur Feststellung der Überschuldung; Hefermehl /Spindler aaO; Mertens in Kölner Komm.z.AktG, 2. Aufl. § 93 Rdn. 99; Hopt in Großkomm.z.AktG, 4. Aufl. § 73 Rdn. 255 m.w.Nachw.; Wiesner in MünchHdb.d.GesR, Bd. 4 2. Aufl. § 26 Rdn. 7 m.w.Nachw.). Dafür reicht selbstverständlich eine schlichte Anfrage bei einer von dem organschaftlichen Vertreter für fachkundig gehaltenen Person nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich das Vertretungsorgan unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen , für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt.
17
Einen diesen Anforderungen genügenden Rat hat der Beklagte hier in Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat der Schuldnerin eingeholt. Bei einem Start-Up-Unternehmen wie der Schuldnerin, das in der Anlaufphase in aller Regel nur Schulden produziert und - wie hier - von Förderdarlehen abhängig ist, ist eine ständige, intensive Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens in besonderem Maße erforderlich. Dem genügend hat der Beklagte nach Aufstellung des Jahresabschlusses im August 2001 und Aufdeckung einer bilanziellen Überschuldung im Zusammenwirken mit dem Aufsichtsrat unverzüglich einem Wirtschaftsprüfer den Auftrag erteilt, den Jahresabschluss zum 31. Dezember 2000 daraufhin zu überprüfen, ob die Gesellschaft nicht nur rechnerisch überschuldet, sondern insolvenzreif war und ein Insolvenzantrag gestellt werden musste. Die Sachkompetenz und Fachkunde eines Wirtschaftsprüfers für eine solche Prüfung steht außer Frage. Dass es sich bei dem Gutachten um ein Gefälligkeitsgutachten gehandelt haben könnte, ist nicht ersichtlich und vom Berufungsgericht auch nicht festgestellt worden.
18
Führt - wie hier - die derart in Auftrag gegebene Prüfung, ob eine Insolvenzsituation vorliegt, zu der fachkundigen und für den organschaftlichen Vertreter bei der gebotenen Plausibilitätskontrolle nachvollziehbaren Feststellung, dass die Gesellschaft weder im Zeitpunkt der Erstellung des Jahresabschlusses noch im Prüfungszeitpunkt im insolvenzrechtlichen Sinn überschuldet und sogar die Zahlungsfähigkeit jedenfalls bis zum Jahresende - selbst ohne Zuführung neuen Fremdkapitals - gesichert war, musste der Beklagte - gemessen an der von ihm geforderten Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters - keinen Insolvenzantrag stellen. Es wäre nicht zu rechtfertigen, einem organschaftlichen Vertreter abzuverlangen, unabhängigen, fachkundigen Rat zur Klärung des Bestehens einer Insolvenzlage einzuholen und es ihm gleichwohl als schuldhaften Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten anzulasten, wenn er sich - trotz fehlender eigener ausreichender Sachkunde - dem fachkundigen Rat entsprechend verhält (vgl. Hopt aaO Fn. 873). Goette Kraemer Strohn Caliebe Reichart
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 05.07.2004 - 14 O 198/04 -
KG Berlin, Entscheidung vom 22.12.2005 - 23 U 160/04 -