Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Sept. 2007 - I ZB 108/05

bei uns veröffentlicht am20.09.2007
vorgehend
Landgericht Mannheim, 7 O 280/04, 14.01.2005
Oberlandesgericht Karlsruhe, 6 U 47/05, 25.07.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 108/05
vom
20. September 2007
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. September 2007
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. v. Ungern
-Sternberg, Pokrant, Prof. Dr. Büscher und Dr. Schaffert

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 25. Juli 2005 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen. Beschwerdewert: 225.000 €

Gründe:


1
I. Die Klägerinnen nehmen die Beklagte unter anderem wegen Markenverletzung auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 14. Januar 2005 überwiegend stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zweimal, am 8. März 2005 und am 19. März 2005, zugestellt worden. Nachdem das Empfangsbekenntnis der ersten Zustellung zunächst nicht an das Landgericht zurückgelangt ist, hat die Geschäftsstelle am 16. März 2005 die erneute Zustellung des Urteils an den Beklagtenvertreter veranlasst. Mit Schriftsatz vom 17. März 2005 ist das Empfangsbekenntnis vom 8. März 2005 beim Landgericht eingegangen. Die Beklagte hat gegen das Urteil verspätet am 11. April 2005 Berufung eingelegt, die Berufungsbegründung ist ebenfalls verspätet beim Berufungsgericht eingegangen.
2
Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu ausgeführt:
3
Die aus unerfindlichen Gründen erfolgte zweite Zustellung des Urteils am 19. März 2005 habe dazu geführt, dass das Sekretariat ihres Prozessbevollmächtigten die bei der ersten Zustellung am 8. März 2005 richtig notierten Fristen gestrichen und dafür Fristen zur Berufungseinlegung bis zum 19. April 2005 und zur Berufungsbegründung bis zum 19. Mai 2005 notiert habe. Ihrem Prozessbevollmächtigten seien von seinem Sekretariat nur die neuen, späteren Fristen mitgeteilt worden. Bei der Prüfung der Fristen sei er davon ausgegangen , dass sie eingehalten worden seien. Die ursprünglichen Fristen habe er nicht erkennen können, weil sie gestrichen worden seien.
4
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und ihren Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
5
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V. mit § 238 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, Altern. 2 ZPO) ist nicht geboten. Die angefochtene Entscheidung, die der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung wegen eines ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschuldens ihres Prozessbevollmächtigten versagt hat, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Rechtsanwalt auch bei solchen Fristen, die er nicht selbst zu berechnen hat, verpflichtet bleibt, durch allgemeine Anweisungen sicherzustellen, dass sein Büropersonal nicht eigenmächtig im Fristenkalender eingetragene Fristen ändert oder löscht. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine außergewöhnliche Verfahrensgestaltung wie eine abermalige Zustellung des Urteils Anlass zur Prüfung gibt, ob die bereits eingetragenen Fristen maßgeblich bleiben oder nicht (BGH, Beschl. v. 17.4.1991 – XII ZB 40/91, VersR 1991, 1309, 1310; Beschl. v. 8.2.1996 – IX ZB 95/95, NJW 1996, 1349, 1350; Beschl. v. 8.3.2004 – II ZB 21/03, FamRZ 2004, 865, 866 m.w.N.). Den von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 7. Oktober 1986 (VI ZB 8/86, VersR 1987, 258) und vom 26. Oktober 1994 (IV ZB 12/94, VersR 1995, 680) lagen andere, mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Fallgestaltungen zugrunde. Dort hatte – anders als im Streitfall – jeweils das Gericht einen Vertrauenstatbestand geschaffen.
6
Gegen diese Sorgfaltspflicht hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten verstoßen. Nach seiner Darstellung hat sein Sekretariat die zunächst richtig notierten Fristen wegen der erneuten Zustellung des Urteils eigenmächtig gelöscht und durch neue Fristen ersetzt. Dass sein Personal dadurch gegen eine in der Kanzlei bestehende organisatorische Anweisung verstoßen hätte, wonach in derartigen Fällen vor der Änderung der Frist mit dem Rechtsanwalt Rücksprache zu nehmen ist, ergibt sich aus der Darstellung nicht. Das Fehlen einer solchen allgemeinen Anweisung begründet das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten.
7
Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung zutreffend auf die vorstehenden Erwägungen abgestellt. Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Berufungsgericht hat die Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten nicht darin gesehen, dass er bei der Vorlage der Handakte die zu diesem Zeitpunkt bereits gestrichenen Fristen nicht kontrolliert hat. Tragender Grund der Entscheidung des Berufungsgerichts ist vielmehr, dass der Prozessbevollmächtigte keine allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen dagegen getroffen hat, dass in Zweifelsfragen wie bei der mehrfachen Zustellung eines Urteils die Fristen überhaupt ohne seine Kontrolle geändert werden konnten.
Bornkamm v. Ungern-Sternberg Pokrant
Büscher Schaffert
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 14.01.2005 - 7 O 280/04 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 25.07.2005 - 6 U 47/05 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 21/03
vom
8. März 2004
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 8. März 2004 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette,
Dr. Kurzwelly, Münke und Dr. Gehrlein

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. Juni 2003 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 1.285.537,59

Gründe:


I. Das Landgericht München I hat die Klägerin, deren Klagebegehren ohne Erfolg blieb, im Wege der Widerklage durch Urteil vom 12. September 2002 ! "# $ % verurteilt, an den Beklagten 344.849,23 ist den im ersten Rechtszug tätigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, den Rechtsanwälten B. D. R., am 21. November 2002 zugestellt worden. Eine weitere Zustellung des Urteils ist aufgrund ihrer Bestellungsanzeige vom 6. November 2002 an die Rechtsanwälte Bu., G. & Partner am 27. Dezember 2002 bewirkt worden. Durch Schriftsatz vom 20. Dezember 2002 haben die Rechtsanwälte Bu., G. & Partner als Vertreter der Klägerin in
deren Namen Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sind am 11. Februar 2003 bei dem Oberlandesgericht eingegangen.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin ausgeführt : In der Kanzlei ihrer Bevollmächtigten werde die täglich eingehende Post von einer Empfangssekretärin geöffnet und mit dem Eingangsstempel versehen an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt weitergeleitet. Die Sekretärin dieses Rechtsanwalts trage bei der Zustellung von Urteilen die Fristen für die Einlegung und Begründung der Berufung nebst entsprechender Vorfristen in den zentralen Fristenkalender der Kanzlei ein. Sämtliche Eintragungen würden von der Bürovorsteherin anhand der Schriftstücke kontrolliert und etwaige Fehler berichtigt. Die Frist für die Begründung der Berufung sei zutreffend auf den 21. Januar 2003 und eine Vorfrist auf den 7. Januar 2003 notiert worden. Wegen der am 27. Dezember 2002 erfolgten (abermaligen) Zustellung des Urteils habe die Sekretärin des sachbearbeitenden Rechtsanwalts, E. P., angenommen, die auf den 7. Januar und 21. Januar 2003 notierten Fristen hätten sich erledigt und von einer Vorlage der Akte abgesehen. Bei einer Kontrolle des zentralen Fristenkalenders habe der sachbearbeitende Rechtsanwalt am 28. Januar 2003 festgestellt, daß sowohl die Vorfrist als auch die Berufungsbegründungsfrist nicht abgehakt worden seien.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
1. Der Rechtssache kommt entgegen der Auffassung der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. BGH, Beschl. v. 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, NJW 2002, 3029). Das ist hier nicht der Fall.

a) Zustellungen haben in einem anhängigen Rechtsstreit an den für den Rechtszug bestellten Prozeßbevollmächtigten zu erfolgen (§ 172 Abs. 1 ZPO). Mehrere Prozeßbevollmächtigte sind nach § 84 ZPO berechtigt, sowohl gemeinschaftlich als auch einzeln die Partei zu vertreten. Infolge der Einzelvertretungsbefugnis genügt die Zustellung an einen von mehreren Prozeßbevollmächtigten (BGHZ 118, 312, 322; BGH, Beschl. v. 21. Mai 1980 - IVb ZB 567/80, NJW 1980, 2309 f.; BVerwG, NJW 1998, 3582). Deshalb ist für den Beginn des Laufs prozessualer Fristen die zeitlich erste Zustellung an einen der Prozeßbevollmächtigten - im Streitfall der 21. November 2002 - ausschlaggebend (BGHZ 112, 345, 347; BGH, Beschl. v. 10. April 2003 - VII ZR 383/02, NJW 2003, 2100; BVerwG aaO; Musielak/Wolst, ZPO 3. Aufl. § 172 Rdn. 4).

b) Die Wirksamkeit der am 21. November 2002 erfolgten Urteilszustellung an die Rechtsanwälte B. D. R. wird durch die Bestel-
lungsanzeige der Rechtsanwälte Bu., G. & Partner vom 6. November 2002 nicht berührt. Im Zeitpunkt der Urteilszustellung war die Bestellung der Rechtsanwälte B. D. R. nicht wirksam widerrufen. Für den Widerruf der Bestellung gilt § 87 ZPO sinngemäß. Danach muß gegenüber dem Gericht eindeutig angezeigt werden, daß die Prozeßvollmacht erloschen ist. In Anwaltsprozessen hat außerdem die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts hinzuzutreten. Die Anzeige kann zwar mit der Mitteilung des Erlöschens der früheren Vollmacht verknüpft werden. Eine schlichte Bestellungsanzeige bringt aber wegen der durch § 84 ZPO eröffneten Möglichkeit, mehrere Prozeßbevollmächtigte nebeneinander zu bestellen, nicht ohne weiteres den Widerruf der Bestellung des früheren Bevollmächtigten zum Ausdruck. In der Bestellung eines neuen Prozeßbevollmächtigten kann der Widerruf der Bestellung eines früheren Bevollmächtigten nur dann gesehen werden, wenn darin verlautbart wird, daß der neue Bevollmächtigte anstelle des früheren bestellt werden soll (BGH, Beschl. v. 21. Mai 1980 - IVb ZB 567/80, NJW 1980, 2309; BSG, NJW 2001, 1598 f.; MünchKomm./v. Mettenheim, ZPO 2. Aufl. § 87 Rdn. 5). Von diesen Grundsätzen ist das Oberlandesgericht bei seiner Würdigung , daß die Bestellungsanzeige der Rechtsanwälte Bu., G. & Partner vom 6. November 2002 mangels jeder weiteren Erklärung nicht zugleich als Widerruf der Bestellung der bisherigen Bevollmächtigten zu deuten ist, ausgegangen. Die zur Prüfung gestellte Rechtsfrage ist mithin geklärt.
2. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Die angefochtene Entscheidung, die der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung wegen eines ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschulden ihres Prozeßbevollmächtigten versagt, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.


a) Der Rechtsanwalt muß durch seine Büroorganisation dafür Sorge tra- gen, daß die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders überprüft wird (BGH, Beschl. v. 2. April 1998 - IX ZB 131/97, NJW-RR 1998, 1604; BGH, Beschl. v. 8. April 1997 - VI ZB 8/97, NJW 1997, 2120 f.). Der Vortrag der Klägerin zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs läßt jede Schilderung dazu vermissen, daß eine abendliche Fristenkontrolle sichergestellt war. Bei Durchführung einer solchen Fristenkontrolle wäre mangels Streichung am 7. Januar 2002 die Nichterledigung der Vorfrist und am 21. Januar 2002 die Nichterledigung der Berufungsbegründungsfrist festgestellt worden.

b) Der Rechtsanwalt muß überdies organisatorische Vorkehrungen dagegen treffen, daß Büroangestellte eingetragene Fristen eigenmächtig abändern oder unbeachtet lassen (BGH, Beschl. v. 8. Februar 1996 - IX ZB 95/95, NJW 1996, 1349 f.; BGH, Beschl. v. 17. April 1991 - XII ZB 40/91, FamRZ 1991, 1173 f.; BGH, Beschl. v. 27. September 1989 - IVb ZB 73/89, VersR 1989, 1316). Dieser Verpflichtung hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nicht genügt, zumal die am 27. Dezember 2002 erfolgte abermalige Zustellung des Urteils als außergewöhnliche Verfahrensgestaltung Veranlassung gab, auf die Beachtung der bereits eingetragenen Fristen besonders Bedacht zu nehmen (BGHZ 43, 148; BGH, Beschl. v. 5. März 1991 - XI ZB 1/91, NJW 1991, 2082; BAG, NJW 1995, 3339 f.; BSG, NJW 1998, 1886).
3. Der Senat hat das Rubrum der Klägerin entsprechend dem bereits erstinstanzlich zu den Akten gereichten Handelsregisterauszug berichtigt (§ 319 ZPO).
Röhricht Goette Kurzwelly
Münke Gehrlein