Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Sept. 2009 - 5 StR 287/09

bei uns veröffentlicht am23.09.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 287/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23. September 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2009

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 11. Februar 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die mit der Sachrüge begründet ist. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Am 2. Juli 2008 nahm der Angeklagte zunächst das Substitutionsmittel Polamidon zu sich. Sodann erwarb er für etwa 100 Euro Drogen und Alkohol. Er konsumierte im Laufe des Tages Crack-Kokain und ein Heroingemenge. Zudem nahm er fünf bis sechs Tabletten Diazepam und zwei Tabletten Flu- ninoc. Zwischen Mittag und 22.00 Uhr trank er sodann 40 cl Boonekamp Magenbitter und 10 Dosen Bier. Gegen 22.00 Uhr traf er auf den ihm seit Jahren bekannten K. . Dieser hatte ihn bis dahin in vielfältiger Weise unterstützt , von dem nicht homosexuell veranlagten Angeklagten jedoch sexuelle Gegenleistungen gefordert. 2007 und 2008 war es zu keinen sexuellen Kontakten zwischen K. und dem Angeklagten mehr gekommen. Der Angeklagte fuhr gemeinsam mit K. in dessen Wohnung und trank auf dem Wege dorthin eine weitere Dose Bier. In der Wohnung begann K. , sich selbst zu befriedigen, und forderte den Angeklagten zur oralen Stimulation auf. Als der Angeklagte dies ablehnte, drohte K. damit, der Freundin des Angeklagten von dessen homosexuellen Leistungen gegen Geld zu berichten. Der Angeklagte, der durch die angedrohte Offenbarung seine Beziehung gefährdet sah, beschloss, K. zu töten. Er ging in die Küche, um dort ein Messer zu holen; K. hielt er mit der Bemerkung, er wolle sich noch etwas zu trinken holen, hin. Er trat sodann mit dem Messer seitlich von hinten an K. heran, der mit herunter gelassener Hose den Angeklagten in der Annahme erwartete, dieser wäre ihm nun sexuell zu Diensten. Der Angeklagte nahm K. mit einem kräftigen Würgegriff in den Schwitzkasten und hielt ihm den Mund zu. Anschließend schnitt er ihm mit dem Messer die Kehle durch. K. verstarb alsbald. Der Angeklagte versuchte, die Spuren zu beseitigen ; bevor er flüchtete, nahm er noch Wertgegenstände aus der Wohnung an sich.
4
2. Die Erwägungen, mit denen das sachverständig beratene Schwurgericht eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausschließt, offenbaren namentlich im Blick auf die Verhängung der absoluten Strafe Fehler und Lücken der Subsumtion.
5
a) Im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen hat es festgestellt, dass der Angeklagte an einer Persönlichkeitsstörung leide, die „generell geeignet sei, die Eingangsvoraussetzungen einer anderen schweren seelischen Abartigkeit zu begründen“. Angesichts der Tatumstände, die „psychosewertige Symptome“ nicht erkennen ließen, sei aber auszuschließen , dass die Störung den erforderlichen Schweregrad aufweise, um die Voraussetzungen des § 21 StGB zu erfüllen. Zudem ist es von einer „akuten – wenngleich objektiv nicht genau feststellbaren – Intoxikation“ ausgegangen. Im Hinblick auf das nach den Angaben des Angeklagten sehr hohe „psychische Funktionsniveau“ sei eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aber dennoch sicher auszuschließen.
6
Die Wertung des Landgerichts, die festgestellte Persönlichkeitsstörung bedinge keine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit, ist damit nicht nachvollziehbar belegt. So lassen die Darlegungen schon besorgen, dass das Landgericht die Frage, ob der Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung die Eingangsvoraussetzungen der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, mit der Rechtsfrage vermengt hat, ob wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit die Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich vermindert war (vgl. hierzu BGHSt 49, 45). Jedenfalls fehlt es an einer tragfähigen Darlegung der Beurteilungsgrundlagen für die Einordnung des Ausprägungsgrades der diagnostizierten Störung und damit auch ihrer möglichen Auswirkungen auf den Angeklagten bei der Tat.
7
Zur Beurteilung des Schweregrades einer Persönlichkeitsstörung hätte es einer Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung , der Tatvorgeschichte, des unmittelbaren Anlasses und der Ausführung der Tat sowie des Verhaltens nach der Tat bedurft (vgl. BGHSt 37, 397, 401; 49, 45, 54; BGH NStZ 2009, 258). Diese nimmt das Landgericht hier nur unvollständig vor, indem es lediglich auf die äußeren Umstände der Tatbegehung abstellt. Allein der Hinweis auf das Fehlen „psychosewertiger Symptome“ im äußeren Tatbild ist weder geeignet, den Schweregrad der festgestellten Persönlichkeitsstörung nachvollziehbar zu belegen, noch einen Einfluss dieser Störung auf den Angeklagten bei der Tat auszuschließen. Dies gilt schon deswegen, weil nicht erörtert ist, welche Symptome damit erfasst werden sollen und inwieweit diese einen Rückschluss auf die Eingangsvoraussetzungen der schweren anderen seelischen Abartigkeit zulassen.
8
Insbesondere lässt das Landgericht aber eine Auseinandersetzung damit vermissen, inwieweit die beschriebenen Persönlichkeitsdefizite – eine stark eingeschränkte Affektregulation, Defizite in der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Regulation des Selbstwertgefühls, eine Reduzierung der Gewissensinstanz und Einbußen im Bereich der psychosozialen Leistungsfähigkeit – das Leben des Angeklagten mit ähnlichen Folgen zu stören, zu belasten und einzuengen vermögen wie eine krankhafte seelische Störung (vgl. BGH NStZ 2009, 258). Anlass zu näheren Erörterungen hätte insoweit gerade auch das auffällige Vorleben des Angeklagten geboten.
9
b) Daneben hat das Landgericht nicht nachvollziehbar erörtert, ob eine Kombinations- und Wechselwirkung des genossenen Alkohols mit den anderen Rauschmitteln oder die Intoxikation und die Persönlichkeitsstörung, die jeweils für sich noch keine erhebliche Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit herbeiführten, durch ihr Zusammenwirken die Fähigkeit des Angeklagten, sich normgerecht zu verhalten, im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße einschränkten (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 5; BGH NStZ 2009, 258). Hierzu hätte es auch unerlässlich des Versuchs einer näheren Bestimmung des Grades der Intoxikation bedurft. So ist namentlich nicht ersichtlich, warum die den Feststellungen zugrunde gelegten Angaben des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum , die vom Sachverständigen als „durchaus nachvollziehbar“ eingeordnet wurden, eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration – gegebenenfalls aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes – nicht ermöglicht hätten (vgl. BGH StV 1993, 519; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09). Die vom Angeklagten angegebenen Konsummengen sind gerade nicht widerlegt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09 m.w.N.); das Tatgericht hätte angeben müssen, von welchem höchstmöglichen Blutalkoholwert es ausgegangen ist und aufgrund welcher Berechnungsmethode es diesen festgestellt hat (BGH aaO).
10
3. Aufgrund der getroffenen Feststellungen, insbesondere auch zum Nachtatverhalten des Angeklagten, schließt der Senat aus, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass angesichts dieser Umstände selbst die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht unbedingt naheliegend erscheint. Jedenfalls schließt der Senat aus, dass das etwaige Vorliegen einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit die subjektiven Voraussetzungen des angenommenen Mordmerkmals in Frage stellen würde. Denn die äußeren Umstände, die die Tat zu einer heimtückischen Tötung machen, sind derart offensichtlich, dass der Angeklagte dies auch bei eingeschränkter Schuldfähigkeit erkannt hat.
11
Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch die Voraussetzungen des § 64 StGB zu erörtern haben.
Basdorf Brause Schaal Schneider Dölp

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Mai 2009 - 5 StR 57/09

bei uns veröffentlicht am 26.05.2009

5 StR 57/09 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 26. Mai 2009 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen versuchten Totschlags u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 2009 beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten wird das

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 57/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 2009 beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Juli 2008 in den Strafaussprüchen mit den jeweils zugehörigen Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die weitergehenden Revisionen werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, den Angeklagten durch ihre Rechtsmittel entstandene Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Sie haben jedoch die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die drei zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, den Angeklagten R. darüber hinaus wegen gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung in drei Fällen und Unterschlagung, zu Jugendstrafen von vier Jahren und vier Monaten (R. ), drei Jahren und drei Monaten (W. ) sowie drei Jahren (T. ) verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Das Landgericht hat zu der gemeinsamen Tat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die alkoholisierten Angeklagten im Alter zwischen 15 und 17 Jahren beschlossen am frühen Neujahrsmorgen 2008 nach einer teilweise gemeinsam verbrachten Silvesternacht, sich mit einer anderen Person zu „fetzen“. Sie befanden sich zu diesem Zeitpunkt an einem U-Bahnhof in Hamburg. Gegen 7.00 Uhr erschien dort der ihnen bis dahin unbekannte Nebenkläger, der in der Nacht Flaschen gesammelt hatte und auf dem Heimweg war. Obwohl alle Angeklagten erkannten, dass der Nebenkläger jede Auseinandersetzung vermeiden wollte, umringten sie ihn, gaben ihm Kopfstöße, schlugen ihn auf den Hinterkopf und traten ihn mit Anlauf in den Rücken. Nachdem der Nebenkläger durch die Schläge zu Boden gegangen war, traten ihn die Angeklagten wechselseitig und wiederholt mit beschuhten Füßen „heftig“ gegen den Oberkörper und Kopf, wobei sie seinen Tod billigend in Kauf nahmen. Schließlich ergriff der Angeklagte W. mit Billigung der beiden anderen Angeklagten eine Wodkaflasche und schlug den Nebenkläger bei fortbestehendem Tötungsvorsatz damit mehrfach mit voller Wucht ins Gesicht. Die Angeklagten ließen den schwer Verletzten zurück und begaben sich nach Hause. Dieser erlitt gravierende Gesichtsverletzungen, u. a. eine Orbitaboden - und Jochbeintrümmerfraktur, eine Quetschung des Augapfels, Platzwunden und einen Ohrteilabriss. Angesichts der massiven Gewalteinwirkung war es lediglich dem Zufall zu verdanken, dass es nicht zu lebensgefährlichen Verletzungen seines Gehirns gekommen war.
4
Zur Frage der Schuldfähigkeit stellt die sachverständig beratene Strafkammer fest, dass alle drei Angeklagten im Laufe der Silvesternacht – beginnend am späten Nachmittag bzw. frühen Abend – an verschiedenen Orten und in wechselnder Gesellschaft, zumeist mit anderen Jugendlichen, Alkohol „in nicht feststellbaren Mengen“ konsumierten (UA S. 12). Gegen 2.00 Uhr waren sie auf einer Party zusammengetroffen, auf der sie weiter Alkohol tranken. Gemeinsam fuhren sie schließlich am frühen Morgen zur Wohnung des Angeklagten R. , aßen dort Brötchen und tranken Wodka (UA S. 13), bevor sie die Tat begingen. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich zudem die Feststellung entnehmen, dass die Angeklagten „in jener Nacht recht viel Alkohol getrunken“ hatten (UA S. 53). In ihrer Schuldfähigkeit seien sie allerdings nicht beeinträchtigt gewesen (UA S. 16). Eine Berechnung des Blutalkoholgehalts unternimmt die Strafkammer unter Hinweis auf die jeweils ungenauen und im Laufe des Verfahrens wechselnden Einlassungen der Angeklagten zum Alkoholgenuss vor der Tat nicht (UA S. 46).
5
2. Die Revisionen der Angeklagten sind jeweils bereits mit der Sachrüge teilweise erfolgreich. Die Beweiswürdigung, mit der die Strafkammer bei allen Angeklagten eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB verneint hat, begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken, da sie lückenhaft ist (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt).
6
a) Die Urteilsgründe offenbaren nicht, von welchen Anknüpfungs- und Zusatztatsachen die Strafkammer in Bezug auf den Alkoholkonsum der Angeklagten ausgegangen ist. Vielmehr erschöpft sich ihre Beweiswürdigung in der Wiedergabe des Sachverständigengutachtens (UA S. 45 – 56) einschließlich der vom Sachverständigen zugrunde gelegten unterschiedlichen Angaben der Angeklagten und Zeugen. Es fehlen eigene Feststellungen der für die Steuerungsfähigkeit maßgeblichen Tatsachen durch das Landgericht; es nimmt keine eigene Würdigung der Einlassungen und Zeugenaussagen zum Trinkverhalten der Angeklagten vor (UA S. 48, 50, 51), sondern gibt lediglich die Würdigung des Sachverständigen wieder:
7
Die in verschiedenen Verfahrensstadien abgegebenen Einlassungen seien aus Sicht des Sachverständigen ungenau und inkonstant (UA S. 46). Sie ließen eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration daher nicht zu. Die Aussagen der Zeugen vermittelten „in ihrer Gesamtheit das Bild, dass die Angeklagten in jener Nacht recht viel Alkohol getrunken hätten“. Jedoch sei- http://www.juris.de/jportal/portal/t/e7x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=5&numberofresults=6&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE008802307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - en keine Auswirkungen zu beobachten gewesen, die auf eine hochgradige Alkoholisierung hindeuteten (UA S. 53). Die vom Sachverständigen mitgeteilte Ungenauigkeit der Angaben der Angeklagten stehe, „unabhängig von ihrer Zuverlässigkeit“, jeder Schätzung und Bewertung entgegen (UA S. 48, 50,

51).


8
b) Das Revisionsgericht vermag anhand der dokumentierten Beweiswürdigung nicht zu überprüfen, welche Angaben der Angeklagten zum Alkoholkonsum dem Tatgericht glaubhaft erschienen oder jedenfalls nicht zu widerlegen waren und ob vor diesem Hintergrund rechtsfehlerfrei von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration abgesehen werden durfte. Von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration ist ein Tatgericht nicht schon dann entbunden, wenn die Angaben des Angeklagten zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 23). Vielmehr ist diese aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholgenusses ermöglichen (BGH StV 1993, 519; vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29).
9
Die durch die Strafkammer mitgeteilten Einlassungen der Angeklagten waren als Berechnungsgrundlage auch nicht offensichtlich ungeeignet. Sämtliche Angeklagten benannten konkrete Alkoholika und noch eingrenzbare Mengen sowie ungefähre Zeitpunkte des Konsums in der Tatnacht.
10
Ob die Angaben der Angeklagten zu ihrem Trinkverhalten allerdings glaubhaft waren, hat das Tatgericht, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, zu klären. Es muss die Einlassung eines Angeklagten zu seinem Alkoholgenuss vor der Tat, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine unmittelbaren Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Vielmehr ist es ihm unbenommen, Trinkmengenangaben des Angeklagten http://www.juris.de/jportal/portal/t/d3a/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE090032768&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/d3a/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE090032768&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint - 6 - – auch durch sachverständige Hilfe – als unglaubhaft einzustufen, wenn es dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe hat, welche seine Auffassung argumentativ tragen (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2005 – 3 StR 500/04; vgl. BGH NStZ 2007, 266; vgl. auch Nack GA 2009, 201, 206). Dabei wird im vorliegenden Fall auch zu berücksichtigen sein, dass in der persönlichen Vorgeschichte aller Angeklagten vor dem Hintergrund ihrer familiären Erfahrungen (UA S. 6, 8 und 10) übermäßiger Alkoholkonsum eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat (UA S. 7, 9 und 11). Lassen sich die Angaben nicht widerlegen, so muss das Tatgericht angeben, von welchem höchstmöglichen Blutalkoholwert es ausgeht und auf welchen Berechnungsgrundlagen (Alkoholmenge, Trinkzeit, Körpergröße und -gewicht des Angeklagten , Alkoholabbauwert, Resorptionsdefizit) es diesen feststellt.
11
c) Das Landgericht lässt zudem wesentliche Umstände unerörtert, die für die Beurteilung des Grades der Alkoholisierung der Angeklagten von Bedeutung sein können:
12
aa) Der Sachverständige hat seine – vom Landgericht geteilte – Überzeugung , dass bei den Angeklagten keine hochgradige Alkoholisierung vorlag , wesentlich auf die Auswertung der Aussagen von Zeugen, zumeist Trinkgefährten oder anderen Partyteilnehmern, gestützt, die u. a. das Verhalten der Angeklagten auf der Party als „normal“, „keinesfalls volltrunken … allerdings lauter und lustiger“ „gut angeheitert, aber ohne besondere Auffälligkeiten“ geschildert haben (UA S. 53). Bei einer eigenen Würdigung dieser Aussagen hätte das Landgericht prüfen müssen, inwieweit die Zeugen das Verhalten der Angeklagten vor dem Hintergrund einer übermütigen, alkoholbeeinflussten Partystimmung schilderten. Insbesondere wären eine Alkoholisierung der Zeugen in Bedacht zu nehmen und deren Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Bewertung des Verhaltens der Angeklagten zu erörtern gewesen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 72, 73).
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bb) Im Rahmen der Wiedergabe des Sachverständigengutachtens wird erwähnt, lediglich die Zeugin K. , bei der der Angeklagte W. nach der Tat gegen 7.30 Uhr klingelte, um ihre Tochter zu sprechen, habe den Eindruck gewonnen, dass er „volltrunken“ gewesen sei. Ihre Wahrnehmung hält der Sachverständige indes nicht für aussagekräftig, weil die Zeugin nur über die Gegensprechanlage mit dem Angeklagten gesprochen habe und eine verwaschene Sprache („lallen“) schon ab einer Blutalkoholkonzentration von 1 Promille auftreten könne. Es fehlt hier indes eine Auseinandersetzung mit dem von der Zeugin bekundeten Umstand, dass der Angeklagte sie „beschimpfte“, nachdem sie sich geweigert hatte, ihre Tochter zu wecken (UA S. 44). Auch dieses Verhalten gegenüber der Mutter eines Mädchens, für das sich der Angeklagte interessierte, kann Rückschlüsse auf den Grad seiner Alkoholisierung zulassen.
14
cc) Nicht gewürdigt hat das Landgericht ferner den in den wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen nicht erkennbar berücksichtigten Umstand, dass sich der Angeklagte R. , der zum Vorgeschehen und zur Tat Angaben gemacht hat, nach eigenem Bekunden nicht mehr daran erinnern konnte, morgens vor der Tat mit den übrigen Angeklagten in seiner Wohnung Brötchen gegessen und Wodka getrunken zu haben (UA S. 13). Auch dieser Umstand kann für die Beurteilung des Maßes der Alkoholisierung des Angeklagten Bedeutung haben.
15
dd) Als entscheidendes Kriterium für die Rekonstruktion des physischen und psychischen Zustandes der Angeklagten zur Tatzeit sieht der Sachverständige das objektive Leistungsverhalten der Angeklagten bei der Tat, zu dessen Beurteilung er die Aussagen des Geschädigten und eines unbeteiligten Zeugen heranzieht, der das Geschehen teilweise von seiner dem Tatort gegenüber liegenden Wohnung beobachtet hat (UA S. 54 f.). Insoweit fehlt es ebenfalls an einer eigenen Würdigung der Aussagen beider Zeugen durch das Landgericht, bei der insbesondere deren Wahrnehmungssituationen und mögliche Belastungsmotive zu erörtern gewesen wären. http://www.juris.de/jportal/portal/t/e7x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=5&numberofresults=6&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE008702307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 8 -
1616
ee) Schließlich dürfte auch das festgestellte motivlose und enthemmte Gewaltverhalten der – soweit ersichtlich – bislang nicht durch vergleichbare Gewaltdelikte auffällig gewordenen Angeklagten in die Beweiswürdigung zu § 21 StGB einzustellen sein.
17
d) Der Senat hält es nach alledem für möglich und sogar für eher wahrscheinlich, dass eine rechtsfehlerfreie tatgerichtliche Würdigung zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB geführt hätte. Der Schuldspruch wird von diesem Rechtsfehler indes nicht berührt. Der Senat schließt insoweit aus, dass das neue Tatgericht zu Feststellungen gelangt, die die vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten im Sinne des § 20 StGB belegen könnten. Wenngleich die Verhängung von Jugendstrafen wegen Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) außer Frage steht (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2009 – 5 StR 31/09, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ) und lediglich nicht sicher auszuschließen ist, dass die Bemessung von deren Höhe bei Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB milder ausgefallen wäre, hat der Senat – insoweit dem Antrag des Generalbundesanwalts zum Angeklagten T. auf eine Verfahrensrüge folgend – weitergehend den Strafausspruch aufgehoben, über den danach jeweils insgesamt neu zu befinden ist. Der Senat weist darauf hin, dass sich auch bei Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB für einzelne oder sämtliche Angeklagte im Rahmen der neuen Hauptverhandlung die hier aufgehobenen Strafaussprüche angesichts der durch die Tat zutage getretenen Erziehungsdefizite nicht außerhalb des Rahmens eines angemessenen Strafens bewegen.
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3. Den Schuldspruch berührende Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Auch die vom Generalbundesanwalt für durchgreifend erachtete Rüge des Angeklagten T. zur Nichtgewährung des letzten Wortes an seine erziehungsberechtigte Mutter (§ 258 Abs. 2, 3 StPO i.V.m. § 67 Abs. 1 JGG) könnte nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in größerem als dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang führen. Der Senat kann ausschließen, dass der Schuldspruch gegen den Angeklagten auf diesem Verfahrensfehler beruht (vgl. BGH StV 1992, 410).
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Ergänzend zur Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Soweit die Angeklagten die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines gegen den Sachverständigen S. gerichteten Befangenheitsgesuchs (§ 74 StPO) beanstanden, ist diese Rüge bereits unzulässig. Die Revisionen versäumen es, sämtliche rügebegründende Tatsachen zum Gegenstand ihres Vortrags zu machen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit dem Befangenheitsgesuch wurde geltend gemacht, der Sachverständige habe die an ihn am achten Hauptverhandlungstag gerichtete Frage, ob ihm das jugendpsychiatrische Gutachten bekannt sei, wider besseren Wissens bejaht und sei deshalb aus der Sicht des verständigen Angeklagten als unwillig zur sorgfältigen Gutachtenerstattung anzusehen. Die Revisionen verschweigen indes, dass sämtlichen Verfahrensbeteiligten ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls bereits am ersten bzw. zweiten Hauptverhandlungstag die Gutachten des jugendpsychiatrischen Sachverständigen B. übergeben worden sind. Dieser Umstand war insbesondere für die im ablehnenden Beschluss erkennbare Überzeugung der Strafkammer vom tatsächlichen Geschehensablauf und von der Kenntnisnahme des Sachverständigen von Bedeutung.
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4. Angesichts der Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG und § 473 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt treffen.
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.