Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2012 - 5 StR 221/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bewohnten die Nebenklägerinnen G. und S. zur Tatzeit eine Einzimmerwohnung in Berlin, wo sie seit geraumer Zeit der Prostitution nachgingen. Die Nebenklä- gerin S. war in den Angeklagten verliebt und zwischen beiden gab es gelegentliche sexuelle Kontakte. Am frühen Morgen des Tattages erschien der Angeklagte in der Wohnung und forderte von den dort anwesenden Nebenklägerinnen die Herausgabe von 1.000 €. Zur Durchsetzung dieser unberechtigten Forderung schlug er mit einer Stange auf die Nebenklägerinnen ein, drohte, sie umzubringen und – unter Vorhalt eines Messers – ihnen Narben im Gesicht zuzufügen. Auf seine Aufforderung gaben ihm die Nebenklägerinnen das in ihren Portemonnaies befindliche Bargeld im Wert von insge- samt 35 € sowie ihre EC-Karten. Unter Mitnahme der Stange verließ der An- geklagte sodann mit der Nebenklägerin S. die Wohnung, um an einem nahe gelegenen Geldautomaten von den Konten der Nebenklägerinnen Geld abzuheben. Die Nebenklägerin G. hatte zuvor auf Druck des Angeklagten eine – allerdings unzutreffende – PIN-Nummer auf einen Zettel geschrieben. Da sie sich weiterhin von dem Angeklagten bedroht fühlte, wagte die Nebenklägerin S. nicht, wegzulaufen oder sich dem Angeklagten zu widersetzen, und versuchte auf seine Aufforderung, „mit Hilfe der EC-Karten Geld von ihrem und dem Konto der Zeugin G. abzuheben, was wegen der unzutreffenden PIN misslang“ (UA S. 23). Anschließend begaben sich der Angeklagte und S. in eine vom Angeklagten genutzte Wohnung und „gingen zu Bett“ (UA S. 24). Als wenig später Polizeibeamte an der Wohnungstür klingelten, öffnete die Nebenklägerin S. , „die vorgab, dass alles in Ordnung sei und der Angeklagte schlafe“ (UA S. 24).
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- 2. Die den Feststellungen des Landgerichts zum Fall II.2 der Urteilsgründe zugrunde liegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie ist unklar und lückenhaft, da wesentliche, sich aufdrängende Gesichtspunkte unerörtert bleiben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 2011 – 5 StR 32/11, StraFo 2011, 358, und vom 24. Mai 2012 – 5 StR 52/12, jeweils mwN). Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, worauf das Landgericht seine Überzeugung gründet, die Nebenklägerin habe sich nach dem Verlassen der Wohnung von dem Angeklagten „weiterhin ernsthaft bedroht“ gefühlt (UA S. 23), „keineswegs den Angeklagten freiwillig in die Spar- kasse und zu dem Geldautomaten begleitet“, sondern sich „unter dem Ein- druck der noch anhaltenden Drohung mit dem Tode vor dem Einsatz weiterer körperlicher Gewalt des Angeklagten“ gefürchtet, so dass ihr Gegenwehr zwecklos erschienen sei (UA S. 49). Solches findet in keiner der verschiedenen Aussagen der Nebenklägerin S. eine Stütze. Eine nähere Erörterung der Frage, ob die Nebenklägerin den Angeklagten nach dem Verlassen der Wohnung wirklich aus Furcht oder aber aus anderen – „autonomen“ – Motiven zum Geldautomaten begleitete, drängte sich zudem nach den Urteilsfeststellungen aus mehreren Gründen auf. So hatte sich der Angeklagte bereits beim Verlassen des Hauses der Stange entledigt, mit der er zuvor in der Wohnung auf die Nebenklägerinnen eingeschlagen hatte, was – zumal vor dem Hintergrund der zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin S. bestehenden sexuellen Beziehung – Anlass geben musste, an einem Aufrechterhalten der Bedrohungslage zu zweifeln. Ferner drängte sich die emotionale Zuneigung der Nebenklägerin zum Angeklagten als mögliches Motiv dafür auf, seinen Wünschen Folge zu leisten. Dem Urteil lässt sich auch nicht entnehmen, wie es zu einem Ende der Bedrohungssituation gekommen ist und weshalb die Nebenklägerin S. nach der vom Landgericht angenommenen Tat 2 mit dem Angeklagten gemeinsam zu Bett gegangen ist und gegenüber der Polizei erklärt hat, es sei alles in Ordnung. Ein weiterer gegen eine Zwangslage sprechender, vom Landgericht aber nicht erkennbar bedachter Umstand ist darin zu sehen, dass die von der Zeugin G. notierte unzutreffende PIN lediglich das Scheitern des Abhebeversuchs vom Konto der G. , nicht aber das ebenfalls festgestellte Fehlschlagen einer Abhebung vom Konto der Nebenklägerin S. erklärt.
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- Von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind die Feststellungen zur Vorgeschichte sowie zu Tat 1, die daher bestehen bleiben können. Der Schuldspruch kann gleichwohl insgesamt keinen Bestand haben. Das vom Landgericht unter II.2 festgestellte Geschehen stünde bei zutreffender rechtlicher Bewertung zur Tat 1 in Tateinheit, was zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs zwingt (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 2007 – 5 StR 103/07, in NStZ 2008, 87 insoweit nicht abgedruckt). Beide Handlungsteile sind nicht nur durch das Weiterverfolgen des ursprünglichen Handlungsziels miteinander verbunden; zwischen ihnen besteht auch ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang, wobei die Ausführungshandlungen unmittelbar ineinander übergehen, so dass das gesamte Tätigwerden des Angeklagten objektiv auch für einen Dritten als einheitliches Tun erscheint (vgl. etwa BGH, Urteile vom 23. Januar 1957 – 2 StR 565/56, BGHSt 10, 230, und vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368). Das unter II.2 der Urteilsgründe festgestellte Geschehen bedarf somit insgesamt neuer tatrichterlicher Aufklärung und Bewertung, wobei sich für die neue Hauptverhandlung eine Sachbehandlung gemäß § 154a StPO bezogen auf das Geschehen außerhalb der Wohnung anbieten wird.
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- Für die neue Verhandlung weist der Senat ferner darauf hin, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein minder schwerer Fall trotz einiger gewichtiger mildernder Umstände letztlich rechtsfehlerfrei verneint worden ist, eine deutliche Erhöhung der Mindeststrafe dann jedenfalls eingehender Begründung bedarf, zumal hier zudem das dem Angeklagten aus anderweitigen Vollstreckungen drohende Gesamtstrafübel zu berücksichtigen war (BGH, Beschluss vom 10. November 2010 – 5 StR 456/10, StV 2011, 225). Das neue Tatgericht wird ferner unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu prüfen haben.
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,
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für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder - 2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.
(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.