Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2001 - 5 StR 198/01

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
a) aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall 2 des Urteils wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist; insoweit wird der Angeklagte freigesprochen und fallen die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) in den Fällen 6 bis 8, 11 und 12 des Urteils jeweils im Schuldspruch dahin abgeändert, daß insoweit die Verurteilung wegen tateinheitlicher Vergewaltigung entfällt, und in den Einzelstrafaussprüchen aufgehoben ;
c) im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der verbleibende Schuldspruch wird dahin klargestellt, daß der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in sechs Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung, sowie wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung und in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, verurteilt ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie des sexuellen Mißbrauchs seiner Stieftochter mit zwölf abgeurteilten Einzelfällen zu acht Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge in einem Fall zur Aufhebung des Schuldspruchs und Freisprechung des Angeklagten, in fünf Fällen zur Reduzierung des Schuldumfangs durch Wegfall einer jeweils mitabgeurteilten tateinheitlichen Vergewaltigung. Im übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Im Fall 2 ist den Urteilsfeststellungen jedenfalls zu entnehmen, daß der Angeklagte vom unbeendeten Versuch des schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB), indem er sich mit der Weigerung seiner Stieftochter abfand. Der Senat entscheidet insoweit auf Freispruch durch. Der Einzelstrafausspruch von zehn Monaten Freiheitsstrafe entfällt.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlicher Vergewaltigung hält in den Fällen 3 bis 5 und 9 wegen der jeweiligen Feststellung gewaltsamer Durchsetzung intensiver Sexualhandlungen im Sinne des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB der Überprüfung stand. Im Blick auf das vom Angeklagten jeweils verwirklichte Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB sind die Taten insoweit im Urteilstenor – nur – als Vergewaltigungen zu bezeichnen, und zwar auch, soweit das Landgericht – im Fall 4 (UA S. 49; bei der Begründung des Schuldspruchs enthält das Urteil auf UA S. 44 ein offensichtliches Fassungsversehen) – die Strafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen hat (vgl. BGH bei Pfister NStZ-RR 2000, 353, 357). Der Senat stellt den Schuldspruch insoweit klar.
Soweit der Angeklagte indes in den Einzelfällen 6 bis 8, 11 und 12 gegen seine Stieftochter nicht gewaltsam vorgegangen ist und sie damit auch nicht ausdrücklich bedroht hat, reichen die Gesamtfeststellungen zur vorliegenden Mißbrauchsserie, die nicht allein durch gewaltsames Vorgehen des Angeklagten, sondern gerade auch durch “Liebesschwüre“ und Beschenkungen sowie durch nicht gewaltbezogene Drohungen gekennzeichnet ist (vgl. UA S. 8, 10, 13, 19, 33), jedenfalls nicht aus zu belegen, daß der Angeklagte sich bewußt gewesen wäre, daß seine Stieftochter die Sexualhandlungen nur aus Angst vor erneuter Gewaltanwendung hinnahm. Weitergehende Feststellungen , die auch in diesen Fällen einen Vergewaltigungsvorsatz belegen könnten, sind insoweit nicht zu erwarten, so daß der Senat den Schuldspruch jeweils mit der Folge ändert, daß die Verurteilung wegen tateinheitlicher Vergewaltigung entfällt.
3. Die Schuldspruchänderungen haben die Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafaussprüche zur Folge, und zwar auch der Einzelstrafe von drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe in dem besonders gravierenden Fall 12, der zur Schwangerschaft der Stieftochter führte, wegen des massiv milderen verbleibenden Strafrahmens aus § 174 Abs. 1 StGB. Die Aufhebungen der Einzelstrafen ziehen, zusammen mit dem Teilfreispruch, die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Hingegen haben die sechs verbleibenden, auf der Basis rechtsfehlerfreier Schuldsprüche beruhenden Einzelstrafaussprüche (Fälle 1, 3 bis 5, 9 und 10) Bestand. Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts be- gegnen insoweit keinen durchgreifenden Bedenken. Der gewichtigste Fall, in dem die Einsatzstrafe von vier Jahren Freiheitsstrafe verhängt wurde (Fall 5), ist von der Teiländerung des Schuldspruchs nicht berührt. Der Unrechtsgehalt der Tatserie bleibt unverändert hoch. Eine Überbewertung ihres Gesamtgewichts , die sich auf die von der Teilkorrektur des Urteils nicht unmittelbar betroffenen Einzelstrafen ausgewirkt haben könnte, ist nicht zu besorgen.
Die gebotenen Korrekturen beruhen auf Wertungsfehlern; sämtliche Urteilsfeststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen. Folglich kann der Senat nicht nur zum Schuldspruch abschließend selbst entscheiden; es bedarf auch keiner Aufhebung von Feststellungen hinsichtlich der Teilaufhebung im Rechtsfolgenausspruch. Über die aufgehobenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe wird der neue Tatrichter auf der Basis der bisherigen Feststellungen , die allenfalls durch widerspruchsfreie weitere Feststellungen ergänzbar sind, unter Berücksichtigung der abweichenden milderen Beurteilung durch den Senat neu zu entscheiden haben.
Harms Basdorf Tepperwien Gerhardt Brause

Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.
(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, - 2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder - 3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder - 2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2
- 1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder - 2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.