Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Mai 2009 - 5 StR 126/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
a) mit den zugrunde liegenden Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafausspruch.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen und sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
- 2
- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
- 3
- a) Der Angeklagte lud häufiger männliche Jugendliche zu sich nach Hause ein. Dort veranlasste er sie durch Würfelspiele, hochprozentigen Alkohol zu sich zu nehmen, bis sie volltrunken waren, während er selbst deutlich weniger Alkohol trank. Der zu den „regelmäßigen Gästen“ zählende B. , der die „Abläufe der abendlichen Orgien bei dem Angeklagten kannte“, brachte erstmals im September 2006 seinen Klassenkameraden, den im Juli 1991 geborenen H. , zu einer solchen Feier mit. Hierum hatte ihn der Angeklagte gebeten, da er H. sexuell anziehend fand. Um H. „gefügig zu machen“, begann der Angeklagte, ihn bei Würfelspielen mit Alkohol „abzufüllen“, bis dieser so betrunken war, dass er kaum noch sprechen oder gehen konnte. Nachdem sich H. hingelegt hatte, missbrauchte ihn der Angeklagte zum Oralverkehr. H. erwachte zwar, konnte sich aber aufgrund des Alkoholrausches nicht gegen die unerwünschten Handlungen des Angeklagten wehren.
- 4
- b) Spätestens im Sommer 2006 engagierte der Angeklagte den als „Stricher“ tätigen, am 29. Dezember 1991 geborenen Ö. für homosexuelle Handlungen. Da Ö. ihm gesagt hatte, dass er erst 15 Jahre alt sei, rechnete der Angeklagte damit, dass dieser unter 16 Jahre alt sei. Dennoch führte er an ihm den Oralverkehr aus, wofür er ihm 50 Euro zahlte.
- 5
- 2. Das Urteil kann hinsichtlich der dem Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen zugrunde liegenden Feststellungen keinen Bestand haben. Der Revisionsführer beanstandet zu Recht eine Verletzung des Fragerechts durch unberechtigte Zurückweisung einer Frage seines Verteidigers bei der Vernehmung des B. . Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
- 6
- Am zweiten Hauptverhandlungstag wurde B. als Zeuge vernommen. Der Verteidiger des Angeklagten fragte den Zeugen, wie oft er ohne H. bei dem Angeklagten gewesen sei, und gegebenenfalls, mit wem er dort gewesen sei. Diese Frage wies die Vorsitzende zurück. Das daraufhin angerufene Gericht bestätigte die Zurückweisung der Vorsitzenden. Zur Begründung führte es lediglich aus, dass die Frage „keinen Bezug zum Beweisthema erkennen“ lasse. Die zurückgewiesene Frage blieb unbeantwortet.
- 7
- Die den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Rüge hat Erfolg. Soweit die Revision zur Beweislage nicht weitergehend vorträgt, kann der Senat im Hinblick auf die umfassend erhobene Sachrüge die Urteilsgründe ergänzend berücksichtigen (vgl. BGHSt 36, 384, 385; 45, 203, 204 f.; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – 1 StR 296/07). Vor dem Hintergrund der danach ersichtlichen Beweissituation macht der Revisionsführer zu Recht geltend, dass eine Frage an den Zeugen B. , die ernsthaft auf die Überprüfung der Erinnerungsfähigkeit hinsichtlich früherer Feiern bei dem Angeklagten und der grundsätzlichen Glaubhaftigkeit seiner Angaben abgezielt habe, nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen. Weitergehender Vortrag zum Beruhen ist dem Beschwerdeführer nicht abzuverlangen.
- 8
- Der Angeklagte hat sich damit verteidigt, dass es zwar dreimal sexuelle Kontakte zwischen ihm und H. gegeben habe. Dabei sei H. aber niemals betrunken gewesen, alles sei vielmehr einvernehmlich geschehen. Er, der Angeklagte, habe stets genauso viel getrunken wie die anderen Gäste. Erst bei dem dritten oder vierten Besuch H. s sei es zu sexuellen Handlungen mit ihm gekommen. Der Zeuge H. hat die Ereignisse entsprechend den Feststellungen bekundet, aber abweichend davon erklärt, erst bei seinem zweiten oder dritten Besuch sei es zu dem sexuellen Übergriff gekommen. Die noch bei der polizeilichen Vernehmung erhobene weitergehende Beschuldigung, der Angeklagte habe ihn bei zwei folgenden Besuchen abermals betrunken gemacht und seinen dadurch bedingten Zustand für sexuelle Handlungen ausgenutzt, hat er nicht mehr aufrechterhalten. Die Strafkammer hat dieses Aussageverhalten auf Scham über das Geschehene und ein selbst empfundenes Mitverschulden daran zurückgeführt und die diesbezüglichen Anklagevorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Es hat die Bekundungen dieses Zeugen durch die uneingeschränkt für glaubhaft erachteten Angaben B. s bestätigt gesehen; ersichtlich hat es sich insbesondere hinsichtlich des Ablaufs der „abendlichen Orgien“ vor dem Besuch H. s auf seine Angaben gestützt. Die differierenden Angaben der beiden Zeugen dazu, ob der sexuelle Übergriff bei dem ersten oder einem späteren Besuch H. s stattgefunden habe, und zu den sonstigen Geschehnissen an dem fraglichen Abend hat die Strafkammer nicht erörtert.
- 9
- Der die Zurückweisung der Frage durch die Vorsitzende bestätigende Gerichtsbeschluss lässt schon die erforderliche Begründung (vgl. BGHSt 2, 284, 286 ff.; BGH NStZ-RR 2001, 138; Schneider in KK-StPO 6. Aufl. § 241 Rdn. 19) vermissen. Mit der insoweit fehlsamen Formulierung, die Frage gehöre nicht zum „Beweisthema“ (vgl. hierzu BGH NJW 2007, 709, insoweit in BGHSt 51, 180 nicht abgedruckt), kann allenfalls gemeint sein, dass diese sachfremd im Sinne von § 241 Abs. 2 StPO sei. Eine Darlegung der Umstände , auf die sich eine solche Wertung stützen könnte, ist aber nicht erfolgt. Angesichts des engen Zusammenhangs des Fragegegenstands mit dem Tatvorwurf, der nicht einfachen Beweissituation und der sich daraus ergebenden – hier zudem außerordentlich nahe liegenden – Möglichkeit, aus der Antwort des Zeugen indizielle Schlüsse auf die Zuverlässigkeit seiner belastenden Angaben herzuleiten, ist auch sonst kein Grund für eine berechtigte , von § 241 Abs. 2 StPO gedeckte Zurückweisung der Frage erkennbar, auch wenn die Beantwortung der Frage für den Zeugen peinlich gewesen sein mag.
- 10
- Der Senat kann bei dieser Sachlage ein Beruhen der jedenfalls ergänzend auf die Angaben des Zeugen B. gestützten Verurteilung des Revisionsführers wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen auf dem Verfahrensverstoß nicht ausschließen. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge trotz der Zurückweisung der Frage besonders langwierig durch den Verteidiger mit insgesamt erschöpfendem Informationsgewinn befragt worden wäre (vgl. BGHR StPO § 241 Abs. 2 Zurückweisung 7; BGH NStZ-RR 2001, 138), sind zudem nicht ersichtlich.
- 11
- Da schon diese Verfahrensrüge zur Aufhebung der Feststellungen insoweit führt, bedarf es eines Eingehens auf die weiteren diesen Tatkomplex betreffenden sachlich- und verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht mehr.
- 12
- 3. Von dem Verfahrensverstoß unberührt ist aber die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB a.F. (sexuelle Handlungen gegen Entgelt). Die hiergegen gerichteten Rügen haben auch im Übrigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargestellten Gründen keinen Erfolg. Die rechtsfehlerfrei getroffene Feststellung, Ö. habe dem Angeklagten gesagt, er sei 15 Jahre alt, obwohl er tatsächlich noch jünger gewesen sei, ist tragfähiger Anknüpfungspunkt für die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass Ö. unter 16 Jahre alt sei.
- 13
- 4. Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen (drei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe ) zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(1) Dem, welcher im Falle des § 239 Abs. 1 die Befugnis der Vernehmung mißbraucht, kann sie von dem Vorsitzenden entzogen werden.
(2) In den Fällen des § 239 Abs. 1 und des § 240 Abs. 2 kann der Vorsitzende ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen zurückweisen.