Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2011 - 4 StR 390/11

bei uns veröffentlicht am09.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 390/11
vom
9. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. November 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 11. April 2011 wird
a) das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II.9. der Urteilsgründe des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen wurde,
b) das Urteil in den Aussprüchen über die in den Fällen II.1. bis II.8. sowie II.10. bis II.17. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen mit der Feststellung aufgehoben, dass die "erworbenen Rauschgifte" von "unterschiedlicher Qualität" waren,
c) das Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 17 Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge sowie die Beanstandung des Verfahrens gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Im Fall II.9. der Urteilsgründe hat schon der Schuldspruch keinen Bestand.
3
In diesem Fall hat das Landgericht - noch knapper als zu den übrigen Taten - festgestellt: "Im Dezember 2007 erwarb er [der Angeklagte] einmal 0,5 Kilo Gras zum Weiterverkauf an unbekannte Abnehmer".
4
Dies vermag eine Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht zu rechtfertigen. Selbst wenn man annimmt, bei dem "Gras" habe es sich um Marihuana gehandelt, fehlen jegliche Angaben zu dessen Wirkstoffgehalt. Die vom Angeklagten in den abgeurteilten 17 Fällen "erworbenen Rauschgifte" sollen zwar - wie das Urteil an anderer Stelle erwähnt - von "unterschiedlicher Qualität" gewesen sein. Marihuana wird aber - bei sehr schlechter Qualität - jedenfalls dann, wenn es aus Blättern gewonnen wurde, auch mit einem Wirkstoffgehalt von unter 2% gehandelt (vgl. Weber, BtMG, 3. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 835 [Wirkstoffgehalt von unter 2% bei 33,3% der 2005 untersuchten Proben] und Tabelle 2.2 im Anhang H; vgl. ferner beispielsweise BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 1 StR 476/04 [gemessener Wirkstoffgehalt von 1,8%]; eine Übersicht zu den durchschnittlichen Wirkstoffgehalten ab 1993 findet sich auch bei Patzak/Goldhausen NStZ 2011, 76, 77). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte im Fall II.9. der Urteilsgründe (falls überhaupt) mit Marihuana gehandelt hat, dessen Wirkstoffanteil unter dem Grenzwert zur nicht geringen Menge von 7,5 g THC lag.
5
2. In den Fällen II.1. bis II.8. sowie II.10. bis II.17. der Urteilsgründe schließt der Senat angesichts der großen Mengen sowie der mitgeteilten Einund Verkaufspreise aus, dass sich diese Fälle auf jeweils geringe Mengen an Betäubungsmitteln bezogen haben. Jedoch können in diesen Fällen die Aussprüche über die verhängten Einzelstrafen keinen Bestand haben. Denn für deren Bemessung ist der Wirkstoffgehalt von wesentlicher Bedeutung (vgl. Weber aaO Vor §§ 29 ff. Rn. 805 f. mwN). Der Senat kann angesichts der verhängten Einzelstrafen von einem Jahr und drei Monate bis zwei Jahre und sechs Monate auch nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht.
6
Da die Strafkammer - wie ausgeführt - zum Wirkstoffgehalt lediglich festgestellt hat, dass die Betäubungsmittel von "unterschiedlicher Qualität" waren, ist in den Fällen II.1. bis II.8. sowie II.10. bis II.17. lediglich diese Feststellung aufzuheben. Die die Bemessung der Einzelstrafen betreffenden Feststellungen im Übrigen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben.
7
3. Die Aufhebung des Urteils im Fall II.9. sowie der Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.1. bis II.8. sowie II.10. bis II.17. hat die Aufhebung des Aus- spruchs über die Gesamtstrafe zur Folge. Auch insoweit bedarf es einer Aufhebung der Feststellungen nicht.
8
4. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
9
a) Zur Ermittlung des Wirkstoffgehalts von nicht sichergestellten Betäubungsmitteln stehen dem Tatrichter - ersichtlich auch in den vorliegenden Fällen - mit deren Preis, der Beurteilung durch Tatbeteiligte usw. hinreichend aussagekräftige Kriterien zur Verfügung (vgl. im Einzelnen Weber aaO Vor §§ 29 ff. Rn. 810 ff.; Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 731 jeweils mwN).
10
b) Für die Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB ist die Vollstreckungslage im Zeitpunkt des Erlasses des hier angefochtenen Urteils maßgeblich (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 6a am Ende mwN).
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 476/04
vom
12. Januar 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2005 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 12. Mai 2004 werden als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zum Fall II.5. der Urteilsgründe:
Das Landgericht hat den Anbau von 28 Marihuana-Pflanzen, die bereits
eine Wuchshöhe von etwa einem Meter erreicht hatten, als unerlaubtes Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewürdigt (§ 29a
Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Das ist unter den hier festgestellten Umständen rechtens.
Die Angeklagten planten, die von ihnen ausgepflanzten und gepflegten Cannabis
-Pflanzen nach Erreichen der vollen Wuchshöhe abzuernten und die
Blätter gewinnbringend an Dritte zu verkaufen (UA S. 10). Nach der Trocknung
hatten die Pflanzen ein Gewicht von 772 Gramm. Der
Tetrahydrocannabinolgehalt betrug 1,8 Prozent. Das entsprach einer Menge
von 13,9 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). Der Grenzwert für die nicht
geringe Menge liegt für THC bei 7,5 Gramm (vgl. BGHSt 42, 1).
Es ist anerkannt, daß der unerlaubte Anbau von Cannabis-Pflanzen in
Form der Aufzucht bis in das Stadium, in dem sie eine nicht geringe Menge
THC enthalten, den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge erfüllt, wenn der Anbau auf die gewinnbringende Veräußerung
der herzustellenden Betäubungsmittel zielt (vgl. OLG Dresden NStZRR
1999, 372; Franke/Wienroeder BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 52; Weber BtMG
2. Aufl. § 29 Rdn. 100; in diesem Sinne auch Körner BtMG 5. Aufl. § 29
Rdn. 96 a.E.; vgl. weiter Joachimski/Haumer BtMG 7. Aufl. § 29 Rdn. 12, 17).
Es ist nicht erforderlich, daß der Täter zur Ernte ansetzt. Damit würde lediglich
der unerlaubte Anbau beendet, der bis dahin vom unerlaubten Handeltreiben
verdrängt wird (Körner aaO Rdn. 97).
Nack Wahl Schluckebier
Hebenstreit Graf

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.