Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Okt. 2010 - 4 StR 388/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
2. Der Beschluss des Landgerichts Hagen vom 1. Juni 2010 ist gegenstandslos.
3. Die Anträge des Angeklagten auf "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" werden verworfen.
4. Die weitere Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. März 2010 wird verworfen.
5. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe:
- 1
- Der Angeklagte wurde am 5. März 2010 vom Landgericht Hagen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und anderem zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt; zudem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen das Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten am 8. März 2010 Revision eingelegt; ihm wurde das landgerichtliche Urteil am 20. April 2010 zugestellt. Da eine Revisionsbegründung nicht eingegangen war, verwarf das Landgericht mit Be- schluss vom 1. Juni 2010 das Rechtsmittel als unzulässig. Diese Entscheidung wurde dem Verteidiger des Angeklagten am 8. Juni 2010 zugestellt. Mit einem am 9. Juni 2010 eingegangenen Schreiben beant ragte der Angeklagte selbst eine Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO. Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2010, eingegangen am 14. Juni 2010, nahm der Verteidiger des Angeklagten die Revision zurück.
- 2
- In mehreren am oder nach dem 23. Juni 2010 eingegangenen Schreiben legte der Angeklagte selbst "weitere Revision" ein, beantragte erneut eine Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO und die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses, ferner begehrte er "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand". Die Anträge haben keinen Erfolg; die erneut eingelegte Revision ist unzulässig.
- 3
- 1. Die Revision ist wirksam gemäß § 302 Abs. 1 StPO zurückgenommen.
- 4
- Die Rücknahme einer Revision ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über sie möglich. Ein Verwerfungsbeschluss nach § 346 Abs. 1 StPO steht daher einer Rücknahme solange nicht entgegen, bis dieser seinerseits Rechtskraft erlangt hat (BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - 2 StR 399/08 m.w.N.). Vorliegend ist die Rücknahme noch vor Ablauf der Wochenfrist des § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO beim Landgericht eingegangen.
- 5
- Der Verteidiger hatte auch die gemäß § 302 Abs. 2 StPO zur Zurücknahme eines Rechtsmittels erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten. Dessen bei der Besprechung mit dem Verteidiger erklärte Zustimmung reicht hierfür aus. Eine bestimmte Form ist für die Ermächtigung nicht vorgeschrieben. Für den Nachweis der Ermächtigung, der noch nach Abgabe der Erklärung geführt werden kann, genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 573/04, NStZ-RR 2005, 211; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 302 Rn. 33 m.w.N.).
- 6
- Der Angeklagte war bei der Abgabe der Erklärung über die Ermächtigung auch verhandlungsfähig. Weder die Urteilsgründe noch der Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Juli 2010, in dem dieser das vor der Revisionsrücknahme geführte Gespräch mit dem Angeklagten schildert, ergeben einen Hinweis darauf , dass Bedenken gegen die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten gerechtfertigt sein könnten, zumal der beim Angeklagten in dem Urteil des Landgerichts diagnostizierte "Querulantenwahn" nicht zu einer Aufhebung seines Einsichts - oder Steuerungsvermögens geführt hat. In einem derartigen Fall kann die Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne weitere Ermittlungen bejaht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2001 - 3 StR 502/99 m.w.N.).
- 7
- Die Rücknahmeerklärung ist unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. Meyer-Goßner aaO § 302 Rn. 9 m.w.N.).
- 8
- Der Senat hat daher festzustellen, dass die Revision des Angeklagten wirksam zurückgenommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - 2 StR 399/08 m.w.N.).
- 9
- 2. Der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 1. Juni 2010 ist damit gegenstandslos. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist rechtlich ausgeschlossen, ebenso ein Antrag nach § 346 Abs 2 StPO (vgl. auch hierzu BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - 2 StR 399/08 m.w.N.).
- 10
- Die vom Angeklagten erneut eingelegte Revision ist unzulässig; sie ist verspätet erklärt, zudem steht ihr die zuvor erklärte Rechtsmittelrücknahme entgegen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 302 Rn. 12).
- 11
- 3. Da der Angeklagte die Revision wirksam zurückgenommen und er dieses Rechtsmittel unzulässig erneut eingelegt hat, hat er die Kosten dieser Rechtsmittel zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
- 12
- 4. Die am 19. und 21. Oktober 2010 eingegangenen Schreiben des Angeklagten haben im Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen.
Franke Mutzbauer
Annotations
(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.