Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2003 - 4 StR 305/03

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht als überführt angesehen hat, in der Tatnacht seinen Zechkumpanen R. im Rahmen einer Auseinandersetzung ohne rechtfertigenden Grund
durch wuchtig geführte Schnitte in den Halsbereich mit einer Glasscherbe getötet zu haben. Die Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung erweisen sich insoweit, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. Juli 2003 näher ausgeführt hat, als unbegründet.
Das Urteil hat jedoch keinen Bestand, weil das Landgericht die Annahme , der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt:
"Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter auch mit der Möglichkeit, dass das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr des Todes nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut hat, dieser 'Erfolg' werde nicht eintreten. Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei , wenn der Tatrichter in seine Abwägungen alle Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (Beschluss des erkennenden Senats vom 6. März 2002 - 4 StR 30/02 - m.w.N.).
Eine solche Gesamtwürdigung hat die Kammer insbesondere hinsichtlich des Willenselements des bedingten Vorsatzes nicht vorgenommen. Die knappen Ausführungen zur subjektiven Tatseite (UA S. 12) behandeln im Ergebnis nur die Wissenskomponente , deren Vorliegen zutreffend bejaht wird. Bezüglich des Willenselements fehlt es an einer entsprechenden Erörterung. Die Kammer hätte sich insoweit vor allem mit der aus einem spontanen Streit entstandenen Tatsituation, der Alkoholisierung des Angeklagten, die die Kammer zur Anwendung des § 21 StGB veranlasst hat (UA S. 13), und den psychologischen Auswirkungen der durch die Notwehrhandlung des Opfers entstandenen erheblichen Verletzung des
Angeklagten (UA S. 9) auseinander setzen müssen, wie die Revision zutreffend ausführt".
Die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen. Sie können deshalb entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufrechterhalten bleiben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß er die Bedenken der Revision und des Beschwerdeführers auch teilt, soweit diese sich gegen die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Abs. 1 StGB) richten. Dies gilt jedenfalls, soweit sich das Landgericht dabei auch auf die Auffassung des Sachverständigen gestützt hat, "der Angeklagte passe auch wegen seines Alters nicht zu anderen Therapieteilnehmern". Mit dieser Argumentation würden ältere Straftäter [der Angeklagte ist 49 Jahre alt] von vornherein von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ausgeschlossen, obwohl die Voraussetzungen dieser Vorschrift an sich vorliegen. Daß das nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand.
Tepperwien Maatz Kuckein Athing Sost-Scheible

Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.