Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2010 - 4 StR 208/10
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
II.
- 2
- 1. Die gegen den Angeklagten verhängte Einheitsjugendstrafe hat keinen Bestand, weil das Landgericht § 31 Abs. 2 und 3 JGG nicht beachtet hat.
- 3
- a) Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ist bei der Ahndung von Straftaten nach Jugendstrafrecht, wenn eine anderweitig bereits rechtskräftig verhängte Jugendstrafe noch nicht erledigt ist, grundsätzlich auf eine einheitliche Rechtsfolge zu erkennen. Von der Einbeziehung der früheren Verurteilung darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 JGG). Ein Absehen von der Einbeziehung erfordert Gründe, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen (vgl. BGHSt 36, 37, 42 ff.; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 - 2 StR 150/04, StraFo 2004, 394 m.w.N.).
- 4
- b) Der Angeklagte wurde durch Urteil des Landgerichts Rostock vom 16. September 2009 rechtskräftig der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung für schuldig befunden (§ 27 JGG). Dieses Urteil ist noch nicht erledigt im Sinne des § 31 Abs. 2 JGG, so dass das Landgericht hätte prüfen müssen, ob es in die neue Verurteilung einzubeziehen oder ob - ausnahmsweise - aus erzieherischen Gründen nach § 31 Abs. 3 JGG von einer Einbeziehung abzusehen war. Da diese Prüfung rechtsfehlerhaft unterblieben ist, muss über die Frage der Einbeziehung und die Bildung einer Einheitsjugendstrafe neu entschieden werden.
- 5
- 2. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass die zur neuen Entscheidung berufene Jugendkammer des Landgerichts auch zu prüfen haben wird, ob die Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof vom 1. September 2008 bereits erledigt ist. Anderenfalls wäre insoweit eine Entscheidung gemäß § 105 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 JGG zu treffen. Sollte die Verurteilung inzwischen erledigt sein, wäre zu prüfen, ob die Zahlung einer Geldstrafe nach der hier zu ahndenden Tat bei der nach erzieherischen Gründen zu bemessenden Jugendstrafe zu berücksichtigen ist.
Franke Mutzbauer
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.
(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.
(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurtei lt: - Den Angeklagten H. wegen schweren Raubs in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu der Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten; - den Angeklagten T. wegen schweren Raubs in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu der (Einheits-)Jugendstrafe von fünf Jahren; - den Angeklagten Y. wegen schweren Raubs in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, in einem Fall tateinheitlich auch mit Körperverletzung , zu der (Einheits-)Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten ; - den Angeklagten Te. wegen schweren Raubs in vier Fällen und Raubs in einem Fall, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten. Der Mitangeklagte Yil. wurde wegen schweren Raubs in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu der Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und der Mitangeklagte Yi. wegen schweren Raubs in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu der (Einheits-)Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im übrigen hat das Landgericht "die sichergestellten Geldbeträge" für verfallen erklärt und "die sichergestellten Waffen und gefährlichen Gegenstände" eingezogen.Die Angeklagten rügen mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung des sachlichen , die Angeklagten H. und Y. auch des formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen sind sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
II.
1. Im Fall II, 2 hat der Schuldspruch keinen Bestand, so weit die Angeklagten T. , Y. und Te. auch wegen tateinheitlich begangener Freiheitsberaubung verurteilt wurden. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Freiheitsberaubung, die der Zeuge L. dadurch erlitt, daß die Täter sich seiner bemächtigten, als er die Spielhalle verlassen hatte, das tatbestandliche Gewaltmittel zur Begehung des Raubs. Deshalb kommt § 239 StGB als der allgemeinere Tatbestand nicht zur Anwendung (BGHR StGB § 239 Abs. 1 Konkurrenzen 8). Anders als in den weiteren abgeurteilten Fällen wurden dem Tatopfer, nachdem ihn die Täter in die Spielhalle verbracht hatten, auch nicht die Beine, sondern nur die Arme (an den Oberkörper) gefesselt (UA S. 10), so daß L. , nachdem die Täter mit ihrer Beute die Spielhalle verlassen hatten, nicht an einer Ortsveränderung gehindert war. Der Wegfall des Schuldspruchs wegen tateinheitlich began gener Freiheitsberaubung im Fall II, 2 hat bei den Angeklagten T. und Te. keine Auswirkungen auf den Strafausspruch. Im Hinblick auf den verbleibenden erheblichen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat kann der Senat ausschließen, daß die beiden Angeklagten ohne die Verurteilung auch wegen Freiheitsberaubung im Fall II, 2 noch milder bestraft worden wären. Dem steht nicht entgegen , daß das Landgericht den Umstand der Freiheitsberaubung straferschwerend berücksichtigt hat.Die Einheitsjugendstrafe für den Angeklagten Y. kann dagegen aus den nachfolgend zu erörternden Gründen nicht bestehen bleiben. 2. Die gegen den AngeklagtenY. verhängte Einheitsjugendstrafe hat keinen Bestand, weil das Landgericht § 31 Abs. 2 und 3 JGG nicht beachtet hat. Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Dieburg vom 7. August 2003 rechtskräftig wegen Körperverletzung zu der Jugendstrafe von einem Jahr mit Bewährung verurteilt (UA S. 5). Diese Vorverurteilung hätte der Jugendkammer Anlaß geben müssen zu prüfen, ob sie in die erneute Verurteilung einzubeziehen ist. Diese Prüfung ist rechtsfehlerhaft unterblieben. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ist bei der Ahndung von Straftaten nach Jugendstrafrecht , wenn eine anderweitig bereits rechtskräftig verhängte Jugendstrafe noch nicht erledigt ist, grundsätzlich auf eine einheitliche Rechtsfolge zu erkennen. Von der Einbeziehung der früheren Verurteilung darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 JGG). Die Entscheidung hat sich ausschließlich am Erziehungszweck zu orientieren und ist nach den Umständen des konkreten Falls zu treffen (vgl. BGHSt 22, 21, 23; 36, 37, 42). Ein Absehen von der Einbeziehung erfordert Gründe, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen (vgl. BGHSt 36, 37, 42 ff.; BGH StV 1996, 273; BGHR JGG § 31 Abs. 3 Nichteinbeziehung 2). Das angefochtene Urteil enthält keinen Hinweis darauf, daß hier ein solcher Ausnahmefall gegeben sein könnte. Deshalb muß über die Frage der Einbeziehung und die Bildung einer Einheitsjugendstrafe neu entschieden werden.
3. Die Einziehungs- und Verfallanordnungen können schon deshalb keinen Bestand haben, weil sie inhaltlich völlig unbestimmt sind und sich auch mit Hilfe der Urteilsgründe nicht näher konkretisieren lassen. Die einzuziehenden Gegenstände sind in der Urteilsformel so konkret zu bezeichnen, daß für die Beteiligten und die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. BGHR StGB § 74 Abs. 1 Urteilsformel 1; BGH, Beschl. vom 12. Oktober 1999 - 4 StR 391/99 - m.w.N.). Das ist hier nicht geschehen. Ebensowenig ist die Verfallanordnung hinreichend besti mmt (vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 27. Juni 2003 - 2 StR 197/03 - m.w.N.). Zudem liegt es unter den gegebenen Umständen nahe, daß es sich bei den sichergestellten Geldbeträgen um die Beute aus den abgeurteilten Taten handelt, so daß einer Verfallanordnung § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegensteht. Da die Rechtsfehler, die zur Aufhebung der Einziehungs - und Verfallanordnung führen, auch die Mitangeklagten Yil. und Yi. betreffen, die keine Revision eingelegt oder diese zurückgenommen haben, ist die Aufhebung gemäß § 357 StPO auch auf diese Angeklagten zu erstrecken (vgl. BGH, Beschl. vom 3. Juli 2003 - 2 StR 223/03). Über Einziehung und Verfall muß daher insgesamt neu e ntschieden werden.
4. Anzumerken bleibt, daß die Angeklagten nicht dadurch beschwert sind, daß sie die Jugendkammer in den Fällen II, 3 und 4 nicht auch nach § 239 a StGB wegen erpresserischen Menschenraubs verurteilt hat.
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Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die Schuld des Jugendlichen feststellen, die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen.
(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.
(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.
(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.