Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2006 - 4 StR 190/06

bei uns veröffentlicht am27.06.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 190/06
vom
27. Juni 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Freiheitsberaubung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. Juni 2006 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 28. Februar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
1. Der Angeklagte war durch Urteil vom 14. Juni 2005 wegen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Tatopfer war seine Ehefrau. Damals war zu den Folgen der Tat festgestellt worden, dass die Geschädigte durch das Vorgehen des Angeklagten erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten, sich deswegen bereits fast zwei Monate in stationärer Behandlung befunden habe und eine erneute Einweisung in eine Fachklinik zur Behandlung erforderlich sei.
2
Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat den Schuldspruch dieses Urteils geändert, den Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit an das Landgericht zurückverwiesen (Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - 4 StR 459/05 = StraFo 2006, 121).
3
Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer hat den Angeklagten nunmehr auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs wegen Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
4
2. Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil hat mit der Sachrüge Erfolg.
5
Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass die Feststellungen im Urteil vom 14. Juni 2005 zu den Folgen der Tat in Rechtskraft erwachsen sind und hat hierzu eigene Feststellungen nicht getroffen. Bei der Strafzumessung hat sie zu Lasten des Angeklagten maßgeblich auf die Tatfolgen abgestellt. Sie hat insoweit ausgeführt, das Verhalten des Angeklagten habe beim Opfer zu massiven psychischen Problemen geführt, die eine lange fachärztliche Behandlung nach sich gezogen hätten.
6
Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die genannten Feststellungen im Urteil vom 14. Juni 2005 zu den Folgen der Tat betrafen nicht den - rechtskräftigen - Schuldvorwurf, sondern waren ausschließlich für den Strafausspruch bedeutsam und sind deshalb durch den Senatsbeschluss vom 22. November 2005 aufgehoben worden (vgl. BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 19). Das Landgericht hätte deshalb zu den nicht zum Tatgeschehen gehörigen Tatfolgen Beweis erheben und eigene Feststellungen treffen müssen.
7
Der Strafausspruch muss deshalb erneut aufgehoben werden.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

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Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

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Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2005 - 4 StR 459/05

bei uns veröffentlicht am 22.11.2005

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Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Nov. 2015 - 2 StR 359/15

bei uns veröffentlicht am 18.11.2015

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BESCHLUSS
4 StR 459/05
vom
22. November 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. November 2005 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 14. Juni 2005
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Der Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
Die Verurteilung wegen Geiselnahme (§ 239 b StGB) hat keinen Bestand.
Der Angeklagte hat sich seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau zwar bemächtigt, als er sie mittels Drohung mit einer von der Geschädigten für echt gehaltenen Bombenattrappe in seine Gewalt brachte, und sie so vom Verlassen ihrer Wohnung abhielt. Er hat diese von ihm geschaffene Lage auch über mehrere Stunden hinweg aufrechterhalten und auf diese Weise sein Ziel, seine Ehefrau an der Wahrnehmung eines für den Tattag anberaumten Scheidungstermins vor dem Familiengericht zu hindern, erreicht.
Er hat die Bemächtigungslage jedoch nicht, wie dies die im Zweipersonenverhältnis gebotene einschränkende Auslegung des § 239 b StGB voraussetzt , zu einer weiteren Nötigung durch qualifizierte Drohung ausgenutzt (vgl. BGHSt 40, 350, 359; BGH NJW 1997, 1082; BGH NStZ-RR 2005, 173; BGH, Beschluss vom 27. September 1996 - 1 StR 576/96). Dem Angeklagten ging es darum, seine Ehefrau über einen bestimmten Zeitraum hinweg am Verlassen der Wohnung zu hindern. Dieses Ziel hatte er erreicht, indem er sich des Opfers bemächtigte und die Bemächtigungslage unter Einsatz der qualifizierten Drohung aufrecht erhielt. Seinem darüber hinaus erstrebten Handlungsziel, auf diese Weise die Teilnahme seiner Ehefrau an dem Scheidungstermin zu vereiteln, kam demgegenüber keine eigenständige Bedeutung im Sinne eines über das Sichbemächtigen hinaus gehenden Nötigungserfolges zu. Vielmehr war dieses Ziel lediglich das Motiv des Angeklagten, seine Ehefrau über einen längeren
Zeitraum in seine Gewalt zu bringen. Mithin standen das Sichbemächtigen und das abgenötigte Handeln bzw. Unterlassen - die Hinderung am Verlassen der Wohnung - in einem unmittelbaren Zusammenhang. In einem solchen Fall ist § 239 b StGB nicht anwendbar (vgl. BGHSt 40, 350, 359).
Jedoch erfüllt das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) sowie - tateinheitlich - den Tatbestand der Freiheitsbraubung (§ 239 Abs. 1 StGB). Demgemäß war der Schuldspruch zu ändern. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.