Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Aug. 2009 - 4 ARs 7/09

bei uns veröffentlicht am25.08.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs 7/09
vom
25. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung u.a.
hier: Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 10. März 2009
- 5 StR 530/08 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2009 beschlossen
:
Der 4. Strafsenat hält an seiner, der beabsichtigten Entscheidung
des 5. Strafsenats widersprechenden Rechtsprechung
fest, wonach der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5
StPO vorliegt, wenn eine Augenscheinseinnahme anlässlich
einer Zeugenvernehmung unter Ausschluss des Angeklagten
von der Hauptverhandlung durchgeführt und nach Wiederzulassung
des Angeklagten in seiner Anwesenheit nicht wiederholt
wurde. Diese Rechsprechung des 4. Strafsenats steht der
beabsichtigten Verwerfung der Revision im vorliegenden Fall
jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht entgegen.

Gründe:


1
Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: Erfolgt nach Entfernung des Angeklagten während einer Zeugenvernehmung gemäß § 247 StPO in seiner andauernden Abwesenheit eine förmliche Augenscheinseinnahme, die mit der Vernehmung in engem Sachzusammenhang steht, so ist dem Angeklagten bei seiner Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO das in seiner Abwesenheit in Augenschein genommene Objekt vorzuzeigen; das ist im Zusammenhang mit der Unterrichtung zu protokollieren. Bei einer so gestalteten Unterrichtung ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht erfüllt.
2
Er hat daher bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese gegebenenfalls an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.
3
1. Soweit der 5. Strafsenat dem Begriff der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO bei Rügen nach § 338 Nr. 5 StPO in Abkehr von bisheriger Rechtsprechung den Inhalt geben will, den dieser Begriff nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Rügen nach § 338 Nr. 6 StPO hat, widerspricht dies der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss NStZ 1997, 402).
4
Gemäß § 230 Abs. 1 StPO hat die Hauptverhandlung in ununterbrochener Anwesenheit des Angeklagten stattzufinden, sofern das Gesetz keine Ausnahme zulässt. Seine Anwesenheit soll nicht nur dem Tatrichter einen unmittelbaren Eindruck von der Person des Angeklagten vermitteln und damit die Wahrheitsfindung fördern; gleichermaßen dient sie der Sicherung einer uneingeschränkten Verteidigung des Angeklagten und der Wahrung seines Rechts auf rechtliches Gehör (BGHSt 26, 84, 90; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 230 Rn. 3). Deshalb sind Vorschriften, die, wie § 247 StPO, Ausnahmen von der ununterbrochenen Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung zulassen , regelmäßig eng auszulegen (BGHSt 15, 194, 195; 22, 18, 20; 26, 218, 220). Im Hinblick auf die in den gesetzlichen Wertungen zum Ausdruck kommende fundamentale Bedeutung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten hat der Senat Bedenken, den Begriff der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 338 Nr. 6 StPO anzugleichen (vgl. Senatsbeschluss vom heutigen Tage – 4 ARs 6/09).
5
2. Soweit der anfragende Senat jedoch eine Heilung des geltend gemachten Verfahrensverstoßes darin sieht, dass der Angeklagte das Augen- scheinsobjekt während seiner Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO besichtigt hat und alle weiter anwesenden notwendigen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit hatten, das Augenscheinsobjekt ihrerseits erneut zu besichtigen, hält der Senat dies für ausreichend. Hier anders zu verfahren würde einen bloßen Formalismus darstellen (so schon der 2. Strafsenat NJW 1988, 429, 430) und ist auch unter Berücksichtigung der umfassenden Informationsrechte des Angeklagten nicht geboten. In dem dem anfragenden Senat zur Entscheidung vorliegenden Fall ist der Verfahrensverstoß daher als geheilt anzusehen, da das Augenscheinsobjekt vom Angeklagten auf Anordnung des Vorsitzenden im Rahmen seiner Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO in Augenschein genommen wurde. Dass es den übrigen Verfahrensbeteiligten verwehrt gewesen wäre , das Augenscheinsobjekt aus Anlass der Unterrichtung des Angeklagten nach § 247 Satz 4 StPO nochmals zu besichtigen, ist nach Lage der Dinge nicht anzunehmen.
Tepperwien Maatz Athing
Franke Mutzbauer

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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Aug. 2009 - 4 ARs 7/09 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

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(1) Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt. (2) Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, soweit dies zur Durchführun

Strafprozeßordnung - StPO | § 247 Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung von Mitangeklagten und Zeugen


Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Aug. 2009 - 4 ARs 6/09

bei uns veröffentlicht am 25.08.2009

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1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Aug. 2009 - 4 ARs 7/09.

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Nov. 2009 - 5 StR 530/08

bei uns veröffentlicht am 11.11.2009

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StPO §§ 247, 338 Nr. 5 Erfolgt nach Entfernung des Angeklagten während einer Zeugenvernehmung gemäß § 247 StPO in andauernder Abwesenheit des Angeklagten eine förmliche Augenscheinseinnahme,

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Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt.

(2) Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs 6/09
vom
25. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
hier: Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 10. März 2009
- 5 StR 460/08 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2009 beschlossen
:
Die beabsichtigte Entscheidung des 5. Strafsenats widerspricht
der Rechtsprechung des 4. Strafsenats, der an dieser
festhält.

Gründe:


1
Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: Die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 StPO während einer Zeugenvernehmung entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen begründet nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.
2
Er hat daher bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.
3
Der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegen (vgl. nur Senatsbeschlüsse NStZ 2007, 352; NStZ 2000, 440; StV 1991, 451). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
4
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nicht mehr zur Vernehmung , sondern bildet einen selbstständigen Verfahrensabschnitt. Daher ist regelmäßig (zu einer Ausnahme vgl. Senatsbeschluss NStZ 2006, 713) der abso- lute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben, wenn der Angeklagte bei dieser Verhandlung als einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung nicht anwesend ist (vgl. nur BGH NJW 1998, 2541 m.w.N.). Nach Ansicht des Senats ist wegen der Bedeutung des Rechts des Angeklagten auf effektive Ausübung seines Fragerechts an dieser Rechtsprechung festzuhalten. Er muss die Möglichkeit haben, Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen, ehe dieser entlassen wird und ist nicht darauf angewiesen, zum Zwecke der Befragung einen besonderen Anforderungen genügenden Beweisantrag zu stellen (vgl. BGH aaO).
5
a) Der Senat hat in seiner Stellungnahme zu dem Anfragebeschluss des 5. Strafsenats im Verfahren 5 StR 460/08 darauf hingewiesen, dass er grundsätzliche Bedenken dagegen hat, den Begriff der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 338 Nr. 6 StPO anzugleichen. Diese Bedenken bestehen auch im Fall der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten. Ungeachtet des Umstandes, dass der Wortlaut des § 247 StPO der vom 5. Strafsenat beabsichtigten weiten Auslegung des Vernehmungsbegriffs nicht entgegensteht, sprechen jedenfalls der unterschiedliche Sinn und Zweck der Vorschriften über das Anwesenheitsrecht des Angeklagten einerseits und das Anwesenheitsrecht der Öffentlichkeit andererseits gegen eine identische Auslegung. Anders als der Angeklagte ist die Öffentlichkeit am Verfahren nicht beteiligt. Einschränkungen ihres grundsätzlich bestehenden Anwesenheitsrechts sind daher eher hinzunehmen als Einschränkungen der Rechte des Angeklagten. So verneint der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch der Sitzungsöffentlichkeit darauf, sämtliche Vorgänge während der Hauptverhandlung im Sitzungssaal erkennen und verstehen zu können (vgl. nur BGH NStZ 1991, 122 für die Inaugenscheinnahme einer Urkunde). Auch besteht bei Ausschluss der Öffentlichkeit keine Unterrichtungspflicht, wie sie § 247 Satz 4 StPO für den Angeklagten vorsieht.
6
b) Zudem spricht auch § 248 StPO nach seinem Wortlaut ("die vernommenen Zeugen") dafür, die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nicht mehr zur Vernehmung zu rechnen, sondern als selbstständigen Verfahrensabschnitt anzusehen. Diese Vorschrift enthält eine spezielle Regelung über die Entlassung von Zeugen und Sachverständigen. § 248 Satz 2 StPO, wonach vor deren Entlassung die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte zu hören sind, ist die gesetzgeberische Intention zu entnehmen, eine vorzeitige Entlassung des Zeugen zu verhindern und damit das Recht zu dessen Befragung abzusichern (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 248 Rn. 6; Diemer in KK, StPO, 6. Aufl. § 248 Rn. 4).
7
2. In den Fällen, in denen die vorschriftswidrige Verhandlung über die Entlassung des Zeugen (und dessen daraufhin erfolgte Entfernung) in Abwesenheit des Angeklagten vor Beendigung der Hauptverhandlung offenbar wird, ist der Tatrichter nach Auffassung des Senats allerdings nicht gehindert, den Verfahrensfehler zu heilen. Dies kann dadurch erfolgen, dass der Angeklagte auf ausdrückliches Befragen mitteilt, keine Fragen mehr an den bereits entlassenen Zeugen stellen zu wollen. Gibt der Angeklagte im Anschluss an seine Unterrichtung durch den Vorsitzenden hingegen zu erkennen, er habe noch Fragen an den bereits entlassenen Zeugen, wird dieser erneut herbeizuschaffen sein, um die Befragung durch den Angeklagten zu ermöglichen. Insoweit gilt weder der einschränkende Maßstab des § 244 Abs. 2 StPO noch ist dem Angeklagten eine Bindung an die besonderen Anforderungen eines Beweisantrags auferlegt (vgl. BGH NJW 1998, 2541). Wird dem Angeklagten die Möglichkeit das Fragerecht auszuüben nach der Entlassung des Zeugen nicht eingeräumt, sei es, weil der Fehler im Verlauf der Hauptverhandlung nicht bemerkt wird, sei es, weil der Zeuge nicht mehr herbeigeschafft werden kann, obwohl der Angeklagte dies verlangt hat, muss es bei dem absoluten Revisionsgrund verbleiben. Die "Herabstufung" zu einem relativen Revisionsgrund mit der Möglichkeit, über die Annahme fehlenden Beruhens des Urteils auf dem Verfahrensfehler eine Aufhebung des Urteils zu vermeiden, würde nach Auffassung des Senats dem fundamentalen Recht des Angeklagten nicht gerecht, nicht ohne übergeordnete Gründe von der Verhandlung über seine Strafsache ausgeschlossen zu werden.
Tepperwien Maatz Athing Franke Mutzbauer

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.