Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 386/10
vom
23. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. November 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit "sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger" , Vergewaltigung und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von drei früheren Urteilen zur Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Beanstandungen des Verfahrens kommt es daher nicht mehr an.
2
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3
Allerdings ist die Würdigung der Beweise vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Allein ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken aufweist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - 3 StR 103/10; Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). So ist es hier.
4
Nach den Feststellungen veranlassten der Angeklagte und sein anderweitig verfolgter, in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommener Tatgenosse, die 13jährige Geschädigte plangemäß dazu, mit Wodka zubereitete Mixgetränke in einem Maße zu konsumieren, dass sie sich gegen die von vornherein beabsichtigten sexuellen Handlungen beider Täter nicht mehr (erfolgreich) wehren konnte. Nachdem die Nebenklägerin angefangen hatte, verwaschen zu reden, ihre Koordination verlangsamt wirkte und sich ihr Kopf schwankend drehte, begann der Angeklagte sie - zunächst mit ihrem Einverständnis - zu streicheln und zu küssen. Im weiteren Verlauf der anschließend vom Angeklagten gegen den erklärten Willen und den Widerstand der Geschädigten unter Anwendung von körperlicher Gewalt ausgeführten sexuellen Handlungen nahm die alkoholische Beeinflussung der Nebenklägerin weiter zu, so dass sie kaum noch stehen konnte und immer wieder umfiel. Außerdem konnte sie sich alkoholbedingt nur noch unzureichend gegen die Handlungen des Angeklagten wehren. Nachdem der Angeklagte von seinem Opfer abgelassen hatte, stürzte dieses bei dem Versuch, sich dem Festhalten durch den anderen Täter zu entwinden, erneut zu Boden und konnte infolge dessen sowie auf Grund ihrer Alkoholisierung keine Gegenwehr mehr gegen die nunmehr folgenden sexuellen Handlungen des Tatgenossen des Angeklagten entfalten. Schließlich ließen die beiden Täter die bewegungsunfähige Nebenklägerin am Boden liegend zurück. Die bei der nicht trinkgewohnten Geschädigten vorhandene Blutalkoholkonzentration betrug nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Strafkammer 1,94 Promille.
5
Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht erörtern müssen, ob die Zeugin in Folge der fortschreitenden alkoholischen Beeinträchtigung ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit, die schon vor den sexuellen Handlungen des Mittäters des Angeklagten zur völligen Handlungsunfähigkeit führte, hinreichend in der Lage war, das Tatgeschehen in den entscheidenden Einzelheiten , insbesondere hinsichtlich der einzelnen Tatbeiträge des Angeklagten einerseits und der seines Tatgenossen andererseits, wahrzunehmen und sich später an diese auch im Detail zu erinnern. Die vor diesem Hintergrund nahe liegenden Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin hätten sich der Strafkammer zusätzlich deshalb aufdrängen müssen, weil sie nach den Urteilsgründen auf Nachfragen erklärte, sich an das gesamte Geschehen "nicht mehr so genau" erinnern zu können.
6
Diese Erörterungen waren nicht deshalb entbehrlich, weil die Angaben der Geschädigten mit der Aussage des als Zeugen vernommenen zweiten Täters übereinstimmten. Worin diese Übereinstimmungen im Einzelnen bestanden , ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Der Zeuge hat danach jedenfalls keine Angaben dazu gemacht, dass der Angeklagte sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin durch Gewalt erzwungen und dass dieser die erheblichen Verletzungen der Geschädigten, insbesondere im Genital- und Analbereich, verursacht hat. Zu seiner eigenen Beteiligung an der Entstehung der festgestellten vielfachen Verletzungen der Zeugin am gesamten Körper hat er lediglich angegeben, dass diese bei dem Versuch, vor ihm wegzulaufen, gegen eine Wand gestürzt sei. Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer erwägen und erörtern müssen, ob der Mittäter wahrheitswidrig seinen eigenen Tatbeitrag heruntergespielt und damit den Angeklagten zugleich über Gebühr belastet hat; denn dies hätte die Bedeutung der Aussage des Zeugen als Indiz für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten zur Tatbeteiligung des Angeklagten maßgeblich in Frage gestellt.
7
Diese Erörterungs- und Darstellungsmängel begründen die Rechtsfehlerhaftigkeit der landgerichtlichen Beweiswürdigung. Der Senat kann nicht ausschließen , dass die Strafkammer ohne die aufgezeigten Rechtsfehler vor dem Hintergrund der Einlassung des Angeklagten, die Nebenklägerin sei mit (allen) seinen sexuellen Handlungen einverstanden gewesen, zu einem anderen Beweisergebnis zur Täterschaft des Angeklagten bzw. zum Umfang seiner Tatbeteiligung gelangt wäre.
8
Dies führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung.
9
Der neue Tatrichter wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin erwägen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 155/09, NStZ 2010, 51 sowie Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346 und vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519). Er wird gegebenenfalls die Verwirklichung der Voraussetzungen des § 176a Abs. 5 1. Alt. StGB und des § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB durch den Angeklagten zu prüfen haben (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 176a Rn. 18 f., § 177 Rn. 86, jew. mwN). Gleiches gilt für das Konkurrenzverhältnis zwischen Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch einer Widerstandsunfähigen (vgl. S/S - Lenckner/Perron/Eisele, StGB, 28. Aufl., § 179 Rn. 10). Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist nicht erkennbar, wodurch der Angeklagte eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB begangen haben soll. Im Rahmen der Strafzumessung wird in den Blick zu nehmen sein, dass der Angeklagte nur eine der Taten aus den einbezogenen Urteilen - allerdings eine schwerwiegende - nach der gegenständlichen Tat begangen hat und alle einbezogenen Urteile nach dieser ergangen sind. Schließlich erscheint es mit Blick auf die bisherige Entwicklung des Angeklagten nicht unbedenklich, die Bemessung der Höhe der Jugendstrafe ohne weiteres (auch) damit zu begründen, dass er eine Schul- und Berufausbildung anstreben kann (vgl. Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 18 Rn. 7b).

Becker Pfister von Lienen Hubert Mayer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

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Bundesgerichtshof Urteil, 18. Aug. 2009 - 1 StR 155/09

bei uns veröffentlicht am 18.08.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 155/09 vom 18. August 2009 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. August 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzender

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2010 - 3 StR 103/10

bei uns veröffentlicht am 29.04.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 103/10 vom 29. April 2010 in der Strafsache gegen wegen Mordes u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 29. April 2010 gemäß § 349 Abs.

Referenzen

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 103/10
vom
29. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 29. April 2010 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 19. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 9. Dezember 2008 wegen Mordes in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat das Urteil durch Beschluss vom 7. Juli 2009 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen; denn durch die Feststellungen des Landgerichts, das von einer Unterlassungstat ausgegangen war, war die auf die Verwirklichung allein des Mordmerkmals "mit gemeingefährlichen Mitteln" gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes zum Nachteil von dessen Nachbarn nicht belegt gewesen (BGH NStZ 2010, 87).
2
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und gefährlicher Körperverletzung - nach den neuen Feststellungen begangen durch aktives Tun - zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete , auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat erneut Erfolg.
3
Nach den Feststellungen öffnete der Angeklagte die Gasleitung in seiner Wohnung mit dem Vorsatz, einen anderen Menschen zu töten. Er stellte sodann den Käfig mit einem Chinchilla aus seiner Wohnung in den Hausflur. Nach dem Eintreffen der Nebenklägerin ließ es der Angeklagte mit fortbestehendem Fremdtötungsvorsatz geschehen, dass sie sich in seiner Wohnung eine Zigarette anzünden wollte. Durch die Flamme des Feuerzeugs kam es zu einer Explosion , bei der das gesamte Haus zerstört wurde. Der Nachbar des Angeklagten wurde von den Trümmern erschlagen; die Nebenklägerin und der Angeklagte überlebten schwer verletzt.
4
Der Angeklagte hat sich u. a. dahin eingelassen, er habe den Gashahn aufgedreht, weil er nicht mehr habe leben wollen. Er habe den Chinchilla in den Flur gesetzt, damit das Tier dort in Sicherheit sei; die Wohnungstür habe er mit Tüchern abgedichtet. Nachdem zehn bis fünfzehn Minuten lang nichts passiert sei, habe er den Gashahn wieder zugedreht. Später habe er die Zeugin J. angerufen; während dieses Telefonats habe er die Absicht aufgegeben, sich selbst umzubringen. Nach dem Eintreffen der Nebenklägerin habe er nicht gesehen , dass sie sich eine Zigarette angezündet habe und nicht damit gerechnet , dass sie rauchen werde.
5
Das Landgericht hat es als widerlegt angesehen, dass der Angeklagte die Gasleitung zunächst nur in der Absicht geöffnet habe, sich selbst zu töten.
Hierfür sei auch der Umstand, dass der Angeklagte den Käfig mit dem Chinchilla in den Flur gestellt habe, kein "zwingendes" Indiz. Bei der Verbringung des Chinchillas aus der Wohnung könne der Angeklagte ebenso gut aus der Überlegung heraus gehandelt haben, die Nebenklägerin werde möglicherweise sonst auf einen durch Gaseinwirkung hervorgerufenen Zustand des Tieres aufmerksam.
6
Diese Ausführungen des Landgerichts halten materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand; sie enthalten eine wesentliche Lücke und genügen den Anforderungen an eine ausreichende Darlegung der Beweiswürdigung in den schriftlichen Urteilsgründen nicht.
7
Die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht (BGH NJW 2005, 2322, 2326). Im Rahmen der Beweiswürdigung ist die Einlassung des Angeklagten mitzuteilen und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu bewerten; seine bestreitende Einlassung und ihre Widerlegung bestimmen Umfang und Inhalt der Darlegung im Urteil (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 267 Rdn. 12).
8
Nach diesen Maßstäben liegt bereits darin eine revisionsrechtlich relevante Lücke und damit ein durchgreifender Rechtsfehler, dass die Strafkammer sich nicht mit der Einlassung des Angeklagten auseinandergesetzt hat, er habe die Tür zu seiner Wohnung mit Tüchern abgedichtet. Die Urteilsgründe enthalten hierzu keine ausdrücklichen Feststellungen. Dieser Umstand könnte - wenn er zuträfe - ein Beleg dafür sein, dass er - jedenfalls bis zum Eintreffen der Nebenklägerin - nur den Vorsatz der Selbst-, nicht aber der Fremdtötung hatte. In diesem Fall hätte die Verurteilung wegen eines mit Fremdtötungsvorsatz ausgeführten aktiven Tuns - dem Öffnen der Gasleitung - keine hinreichende tatsächliche Grundlage. Zwar ist in den Urteilsgründen nicht stets in allen Einzelheiten darzulegen, auf welche Weise der Tatrichter zu bestimmten Feststellungen gelangt ist. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles sind jedoch Feststellungen zur subjektiven Tatseite nur auf der Grundlage einer sorgfältigen Bewertung aller erheblichen Beweistatsachen sowie einer umfassenden Würdigung der Einlassung des Angeklagten rechtsfehlerfrei möglich. Diese Würdigung wird für das Revisionsgericht nur dann in ausreichendem Maße nachvollziehbar , wenn sich die schriftlichen Urteilsgründe auch mit dem wesentlichen Inhalt der bestreitenden, jedenfalls teilweise nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisenden Einlassung des Angeklagten befassen. Daran fehlt es hier insbesondere auch deswegen, weil der Umstand, dass der Angeklagte den Käfig mit dem Chinchilla in den Flur stellte, in noch stärkerem Maße gegen seinen anfänglichen Fremdtötungsvorsatz spricht, wenn er daneben auch noch die Wohnungstür abdichtete.
9
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache nunmehr an das Landgericht Düsseldorf zurück.
Becker von Lienen Sost-Scheible
Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 155/09
vom
18. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18. August 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17. November 2008 werden verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in fünf Fällen sowie wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und zwei Wochen verurteilt und von dem Vorwurf der Vergewaltigung der Nebenklägerin aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Teilfreispruch richten sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung der Strafkammer beanstandet, und die auf eine Verfahrensrüge gestützte Revision der Nebenklägerin. Beide - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich nach dem Aufenthalt in einer Gaststätte der Angeklagte, sein Bekannter M. sowie die stark alkoholisierte 14-jährige Nebenklägerin und deren Schwester zum Schlafen in das von den beiden Männern bewohnte Zimmer. Der Angeklagte und die Nebenklägerin einerseits sowie M. und die Schwester der Nebenklägerin andererseits legten sich bekleidet in jeweils eines der beiden dort befindlichen Betten und schliefen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein. M. und die Schwester der Nebenklägerin führten zuvor einvernehmlich den Geschlechtsverkehr durch.
3
Den Angaben der Nebenklägerin, der Angeklagte habe seinerseits mit ihr unter Anwendung von Gewalt den Geschlechtsverkehr vollzogen, ist das Landgericht nicht gefolgt. Es hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass überhaupt sexuelle Handlungen zwischen dem - bestreitenden - Angeklagten und der Nebenklägerin stattfanden. Den Angaben der Nebenklägerin fehlten zu den näheren Umständen der behaupteten Tat die Konstanz, die Aussagegenese ergebe Rechtfertigungstendenzen. Die Nebenklägerin habe sich an jenem Abend erstmals in einer hochgradigen Trunkenheit befunden, die illusionäre Gedächtnisstörungen möglich erscheinen ließe. Nach den Angaben der Nebenklägerin zu erwartende Spermaspuren oder DNA-Spuren an den Scheiden- und Penisabstrichen seien nicht gefunden worden.
4
2. Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
5
a) Revision der Nebenklägerin
6
Die Rüge, die Strafkammer habe rechtsfehlerhaft den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens abgelehnt , ist nicht begründet. Die Strafkammer hat den Antrag mit der hier noch tragfähigen Begründung, selbst über die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung der Zuverlässigkeit der Angaben der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 15 Jahre alten Zeugin zu verfügen, abgelehnt.
7
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist Aufgabe des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter - wie hier - zugleich Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (vgl. UA S. 54).
8
Der Revision ist zwar einzuräumen, dass die erhebliche Alkoholisierung der Nebenklägerin zum Zeitpunkt der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat sowie psychische Auffälligkeiten der Nebenklägerin die Beweiswürdigung als durchaus problematisch erscheinen ließen. Die Strafkammer hat sich dieser Problematik jedoch gestellt, wobei sie sich dort, wo es erforderlich erschien, ergänzend auf sachverständigen Rat gestützt hat. Zu den mit der Trunkenheit der Nebenklägerin einhergehenden Symptomen und sich daraus ergebenden Folgen hat sie den Sachverständigen Dr. L. , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, sowie zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin die diese behandelnde Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie angehört. Unter diesen Umständen gingen die Anforderungen an die Beweiswürdigung noch nicht über das Maß hinaus, das vom Tatrichter regelmäßig verlangt wird. Diesen Anforderungen ist die Strafkammer auch - wie ihre ausführlichen Erwägungen zu den hier gegebenen Besonderheiten der Glaubwürdigkeitsprüfung belegen - noch gerecht geworden.
9
b) Revision der Staatsanwaltschaft
10
Die Freisprechung des Angeklagten hält auch sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
11
Die Würdigung der Beweise hat das Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Das Revisionsgericht hat sie regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie nur deshalb zu beanstanden , weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NJW 2008, 1543).
12
Einen derartigen durchgreifenden Rechtsfehler weist das angefochtene Urteil nicht auf. Das Landgericht hat eine eingehende Prüfung der den Angeklagten belastenden und entlastenden Indizien vorgenommen und diese ausdrücklich - wenn auch knapp - in ihrer Gesamtheit gewürdigt (UA S. 38, 53). Dass es sich im Ergebnis nicht von der Zuverlässigkeit der belastenden Angaben der Nebenklägerin zu überzeugen und Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermocht hat, ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
13
Die Verdachtsmomente gegen den Angeklagten gründeten sich maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin. Das Landgericht hat deshalb zu Recht diese Aussage und ihre Entwicklung im Laufe des Verfahrens zentral in den Blick genommen und festgestellt, dass sie zu Einzelheiten des inkriminierten Geschehens gewechselt hat, und zwar in der Weise, dass die Nebenklägerin zunehmend einem Erwartungsdruck nachgegeben zu haben schien. Es hat zu berücksichtigen gehabt, dass sich die Nebenklägerin in dem behaupteten Tatzeitraum zum ersten Mal in einem derart starken Rauschzustand befand, dass sie nicht mehr in der Lage war, die Treppen zu dem Zimmer des Angeklagten hochzugehen, und selbst von Erinnerungslücken berichtete. Es hat zutreffend auf das Fehlen verschiedener objektiver Spuren für das Stattfinden sexueller Handlungen verwiesen, ferner darauf, dass der als glaubwürdig eingestufte Mitbewohner M. in dem benachbarten Bett von dem behaupteten Geschehen nichts bemerkt hat.
14
Diesen Umständen hat das Landgericht Beweisanzeichen gegenübergestellt , die für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechen könnten. Hierbei sind weder revisionsrechtlich relevante Lücken oder Widersprüche erkennbar noch hat das Landgericht dem Angeklagten nachteilig erscheinende Indizien in ihrem Beweiswert rechtsfehlerhaft falsch bewertet. So hat die Strafkammer in Rechnung gestellt, dass es durchaus Anzeichen dafür gibt, dass die Nebenklägerin zum Kerngeschehen nicht bewusst unwahr ausgesagt hat. Sie hat auch gesehen, dass die ungewöhnliche Lage des bei der Untersuchung der Nebenklägerin aufgefundenen Tampons die Richtigkeit der Darstellung der Nebenklägerin bestätigen könnte, aber nachvollziehbar dargelegt, dass es dafür ohne weiteres andere Erklärungen geben kann als ein Eindringen des Angeklagten in die Scheide.
15
Wenn die Kammer auf dieser Grundlage die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht gewinnen konnte, spricht dies nicht für übertriebene Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Gewissheit. Vielmehr ist auch insoweit den Anforderungen an die revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit der Beweiswürdigung genügt.
16
3. Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die beiden Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 128 m.w.N.). Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.