Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2018 - 3 StR 249/18

published on 10.07.2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2018 - 3 StR 249/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 249/18
vom
10. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:100718B3STR249.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 30. Januar 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die er auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Urteil hält jedoch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
3
a) Das Landgericht hat seinen Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten dessen eigene Angaben zu Grunde gelegt, wonach er bis zu seiner Inhaftierung täglich zeitweise bis zu vier Tabletten Diazepam oder zwei Tabletten Rivotril, ein Benzodiazepin, einnahm. Wenn er diese nicht bekam, trank er 15 Flaschen Bier zu je 0,3 Liter täglich oder auch zwei bis drei Flaschen Whiskey pro Woche. Auch die abgeurteilte Tat beging der Angeklagte nach dem Konsum von Whiskey mit der geleerten Whiskeyflasche. Zum Tatzeitpunkt hatte er eine Blutalkoholkonzentration von bis zu 1,94 ‰. Zwar war er nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen weder in seiner Einsichts- noch in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Nach der wiedergegebenen Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen sei aufgrund seiner Angaben bei dem Angeklagten jedoch ein schädlicher Gebrauch von Sedativa und Alkohol zu diagnostizieren. Das Landgericht hat ihm ferner zugutegehalten, dass er bei der Tat infolge des konsumierten Alkohols enthemmt war.
4
b) Angesichts dieser Umstände liegt es nicht fern, dass der Angeklagte einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Hierfür genügt eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine psychische oder physische Abhängigkeit bestehen muss (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. August 2016 - 3 StR 287/16, juris Rn. 3 mwN). Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, dass die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht gegeben sind.
5
c) Auf eine fehlende Beschwer des Angeklagten, der die Nichtanordnung des § 64 StGB - auch nach der Stellungnahme des Generalbundesanwalts - nicht von seinem Revisionsangriff ausgenommen hat, kommt es insoweit nicht an (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 - 3 StR 458/08, NStZ 2009, 261).
6
2. Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss daher - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden.
7
Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch indes unberührt. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine mildere Strafe erkannt hätte.
Becker Gericke Tiemann Hoch RiBGH Dr. Leplow befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.