Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 237/00
vom
31. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Urkundenfälschung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 31. Januar 2001
gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 18. Februar 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Der Erörterung bedarf nur die Rüge, das Landgericht habe gegen ein aus der Verletzung einer Unterrichtungspflicht folgendes Verwertungsverbot verstoßen. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im Ermittlungsverfahren war der Mitbeschuldigte S. richterlich vernommen worden. Von diesem Vernehmungstermin war der Angeklagte nicht unterrichtet worden. In der Hauptverhandlung hat das Landgericht gegen den Widerspruch der Verteidigung den Ermittlungsrichter über den Inhalt der Aus-
sage des Mitbeschuldigten S. , der zwischenzeitlich verstorben war, vernommen und das Ergebnis in der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten verwertet. Die Revision erblickt hierin einen Verstoß gegen § 168 c Abs. 2 und 5 StPO. Sie bleibt damit jedoch ohne Erfolg. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist ein Beschuldigter nur bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder eines Sachverständigen zur Anwesenheit berechtigt (§ 168 c Abs. 2 StPO) und deshalb regelmäßig - sofern dadurch nicht der Untersuchungserfolg gefährdet würde (§ 168 c Abs. 5 Satz 2 StPO) - vom Vernehmungstermin zu benachrichtigen (§ 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO). Ob dies auch auf die richterliche Vernehmung eines Mitbeschuldigten auszudehnen wäre, ist in der Literatur umstritten (vgl. Rieß StV 1996, 304). Der Bundesgerichtshof hat bereits ausgeführt, § 168 c Abs. 2 StPO fände bei der richterlichen Vernehmung eines Mitbeschuldigten keine entsprechende Anwendung (BGHSt 42, 391, 393 m. Anm. Rieß NStZ 1997, 353). Auch der erkennende Senat sähe keinen Anlaß für eine solche analoge Anwendung der Vorschrift und für die Annahme eines sich hieraus ergebenden Verwertungsverbots. Die Darlegungen des 1. Strafsenats im Urteil vom 25. Juli 2000 (BGHSt 46, 93) sowie im Beschluß vom 30. Januar 1996 (BGHR StPO § 240 II Angeklagter 1 = StV 1996, 471), auf die die Revision abhebt, gäben dazu ebenfalls keine Veranlassung: Auch Artikel 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK und Artikel 14 Abs. 3 Buchst. e IPBPR garantieren das Fragerecht nur bei Fragen an den Belastungszeugen und nicht bei solchen an den Mitbeschuldigten. Die Vorschriften aus ihrem Zweck heraus soweit auszudehnen, daß auch der Mitbeschuldigte von ihnen erfaßt ist, und der Versagung des Fragerechts sodann die Wirkung eines Verwertungsverbots beizumessen, erschiene dem Senat nicht geboten. Für eine mißbräuchliche Verfahrensgestaltung durch die Staats-
anwaltschaft in der Form, eine Person nur in der Rolle des Mitbeschuldigten zu belassen, um dem Beschwerdeführer die bei einer Zeugenvernehmung gegebenen Mitwirkungsmöglichkeiten zu nehmen, gibt es in dem von der Revision mitgeteilten Verfahrensstoff keine Anhaltspunkte: Der Mitbeschuldigte S. befand sich zum Zeitpunkt seiner Vernehmung uneingeschränkt in der prozessualen Rolle eines Mitbeschuldigten; seine Vernehmung betraf seinen eigenen und den seiner Mitbeschuldigten Anteil an der vorgeworfenen Tat. Der Senat muß diese Frage indes nicht entscheiden. Es kommt auf sie nicht an, weil der Mitbeschuldigte S. inzwischen verstorben ist, und deswegen die Niederschrift einer nichtrichterlichen (staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen) Vernehmung nach § 251 Abs. 2 Satz 2 StPO hätte verlesen werden dürfen. Auch eine etwa fehlerhafte richterliche Niederschrift hätte als Niederschrift über eine nichtrichterliche Vernehmung behandelt und zum Zwecke des Urkundenbeweises verlesen werden dürfen (vgl. BGHSt 22, 118, 120; 34, 231, 243). Erst recht konnte die Vernehmungsperson über den Inhalt der Vernehmung als Zeuge gehört werden. Eine besondere Beweiskraft hat das Landgericht dem Umstand, daß es sich bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten S. um eine richterliche Vernehmung gehandelt hatte, nicht beigemessen. Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 251 Urkundenbeweis durch Verlesung von Protokollen


(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden, 1. wenn der Angeklagte einen Vert

Strafprozeßordnung - StPO | § 240 Fragerecht


(1) Der Vorsitzende hat den beisitzenden Richtern auf Verlangen zu gestatten, Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen zu stellen. (2) Dasselbe hat der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Vorsitzende hat den beisitzenden Richtern auf Verlangen zu gestatten, Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen zu stellen.

(2) Dasselbe hat der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger sowie den Schöffen zu gestatten. Die unmittelbare Befragung eines Angeklagten durch einen Mitangeklagten ist unzulässig.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.