Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2011 - 3 StR 17/11

published on 08/02/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2011 - 3 StR 17/11
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 17/11
vom
8. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
8. Februar 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. Oktober 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision erhebt der Angeklagte die allgemeine Sachrüge. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen sagte der Nebenkläger, der sich über das Verhalten des Angeklagten - seines Stiefsohnes - geärgert hatte, "Du faules Schwein, du kannst … deine Sachen packen und deine bescheuerte Mutter kannst du gleich mitnehmen." Der alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration höchstens 2,28 ‰) war sehr wütend und empört über dieses Verhalten des Stiefvaters, das er nicht länger ertragen konnte und hinnehmen wollte. Er lief mit den Worten "Mir reicht es jetzt, jetzt bringe ich ihn um und danach mich" in die Küche, entnahm einem Messerblock ein Fleischermesser mit einer Klingenlänge von 20,5 cm, drehte sich um und stach mit dem Messer in Tötungsabsicht wuchtig in den Unterbauch des auf ihn zugehenden Stiefvaters, der dadurch eine akut lebensgefährliche Verletzung erlitt. Der Angeklagte zog das Messer heraus und hob den Arm mit dem Messer, um nochmals in Tötungsabsicht zuzustechen. Dem Geschädigten gelang es, das Handgelenk des Angeklagten festzuhalten und zu schütteln, sodass dieser das Messer fallen ließ, das neben dem Messerblock auf der Arbeitsplatte zum Liegen kam. Er schubste den Angeklagten auf den Fußboden, stürzte sich auf ihn, setzte sich auf dessen Unterleib und schlug ihn. Als er alsbald bemerkte, dass aus der Stichverletzung Darmgewebe austrat, ließ er sich vom Körper des Angeklagten auf den Boden fallen. Der Angeklagte, der nunmehr ebenfalls die Stichverletzung wahrnahm, drückte zunächst auf Anweisung seiner Mutter ein Küchenhandtuch auf die Wunde. Er befürchtete nun, sein immer schwächer werdendes Opfer könne versterben, bekam deshalb erhebliche Angst und lief davon.
3
Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Totschlag mit der Begründung verneint, es handele sich um einen fehlgeschlagenen , einen strafbefreienden Rücktritt ausschließenden Versuch, weil der Angeklagte nicht in der Lage gewesen sei, auf den Nebenkläger nochmals mit dem Tatmesser einzustechen und damit seinen ursprünglichen Tötungsplan mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichen. Einen minder schweren Fall nach § 213 1. Alt. StGB hat es verneint, weil der Angeklagte nicht durch eine Provokation zum Zorne gereizt und hierdurch "auf der Stelle" zur Tat hingerissen worden sei. Auch ist es davon ausgegangen, dass kein minder schwerer Fall des § 213 2. Alt. StGB vorliegt, und hat die Strafe dem wegen des Versuchs gemilderten Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB entnommen.
4
2. Der Schuldspruch kann bestehen bleiben. Zwar ist die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs rechtsfehlerhaft, weil der Angeklagte zu dem Zeitpunkt , als der Stiefvater alsbald nach dem Messerstich von ihm abließ, das in der Nähe liegende Tatmesser nochmals hätte ergreifen und mit diesem ohne wesentliche zeitliche Zäsur die Tat hätte vollenden können (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 24 Rn. 11). Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist jedoch, unabhängig vom Vorstellungsbild des Angeklagten unmittelbar nach dem Messerstich, von einem beendeten Versuch auszugehen, von dem der Angeklagte nicht wirksam zurücktreten konnte, weil er die Tatvollendung nicht durch eine eigene Tätigkeit verhinderte. Der Angeklagte erkannte im engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem lebensgefährlichen Messerstich , dass der Nebenkläger an der zugefügten Verletzung versterben könne, und entfernte sich in diesem Wissen, ohne sich weiter um den schwer verletzten Stiefvater zu kümmern. Ein Versuch ist auch dann beendet, wenn der Täter bei unverändert fortbestehender Handlungsmöglichkeit mit einem tödlichen Ausgang zunächst nicht rechnet, unmittelbar darauf aber erkennt, dass er sich insoweit irrte ("korrigierter Rücktrittshorizont", vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 5 StR 590/07, StraFo 2008, 212 f.; Fischer, aaO, Rn. 15a ff.).
5
3. Die Begründung, mit der die Strafkammer einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 1. Alt. StGB abgelehnt hat, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Urteil war daher im Strafausspruch aufzuheben.
6
Nach den Feststellungen war Auslöser der Tat die Wut des Angeklagten über das Verhalten des Stiefvaters, das er nicht mehr ertragen konnte, nachdem er und seine Mutter von ihm beleidigt worden waren. Unmittelbar nach den Beleidigungen lief er in die Küche, ergriff das Tatmesser und stach es wuchtig in den Bauch des Nebenklägers. Unter diesen Umständen kommt in Betracht, dass er durch eine ihm und seiner Mutter zugefügte schwere Beleidigung zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist.
7
Soweit das Landgericht zur Begründung seiner Wertung, der Angeklagte sei durch die Beleidigungen nicht "auf der Stelle" zur Tat hingerissen worden, auf die vorangegangen Ausführungen verweist, mit denen es eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit aufgrund eines Affektes verneint hat, hat es einen falschen Maßstab für die Prüfung des Merkmals "auf der Stelle zur Tat hingerissen" angelegt. Denn entscheidend kommt es darauf an, ob der Täter die Tat unter dem beherrschenden Einfluss einer anhaltenden Erregung über die Provokation beging, die nicht die Erheblichkeit des § 21 StGB erreichen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 5 StR 467/90, BGHR StGB § 213 1. Alt. Hingerissen 1; Fischer, aaO, § 213 Rn. 9a). Dazu verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
8
Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.
Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.
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published on 06/02/2008 00:00

5 StR 590/07 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 6. Februar 2008 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Februar 2008 beschlossen: Die Revisionen des Angeklagten und der N
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.