Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12

bei uns veröffentlicht am29.05.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 162/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 29. Mai 2012 einstimmig beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Rostock vom 4. November 2011 werden als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Soweit das Landgericht aus dem Umstand, dass zur Verweigerung
des Zeugnisses berechtigte Angehörige des Angeklagten
A. erst im Verlaufe des Verfahrens ihn entlastende Angaben
gemacht haben, auf deren Unglaubwürdigkeit geschlossen
hat, liegt darin ein Rechtsfehler; denn selbst die Verweigerung des
Zeugnisses hätte nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet
werden dürfen (BGH, Beschluss vom 13. August 2009
- 3 StR 168/09, NStZ 2010, 101, 102 mwN). Im Hinblick auf das
sonstige Beweisergebnis und die übrigen Beweiserwägungen des
Landgerichts kann der Senat aber ausschließen, dass das Urteil
auf diesem Rechtsfehler beruht.
Becker Pfister Hubert
Schäfer Menges

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12 zitiert 1 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2009 - 3 StR 168/09

bei uns veröffentlicht am 13.08.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 168/09 vom 13. August 2009 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und d

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12

bei uns veröffentlicht am 29.05.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 162/12 vom 29. Mai 2012 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Mordes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 29. Mai 2012 einst
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12.

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 162/12

bei uns veröffentlicht am 29.05.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 162/12 vom 29. Mai 2012 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Mordes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 29. Mai 2012 einst

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 168/09
vom
13. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. August 2009 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 12. November 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
2
Das Urteil muss wegen eines Rechtsfehlers in der Beweiswürdigung aufgehoben werden.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts übergab der Angeklagte in Tarragona (Spanien) am 1. Dezember 2006 dem gesondert Verfolgten G. ca. zwei Kilogramm Kokain zum Transport nach Deutschland, wo er es gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Der Kurier wurde nach dem Grenzübertritt in Frankreich gestellt. Er machte vor der französischen Polizei Angaben zu seinem Auftraggeber, die zur Identifizierung des Angeklagten führten. Der Angeklagte wurde daraufhin am 3. April 2008 festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Am 29. Oktober 2008 wurde aufgrund eines Beweisantrags der Verteidigung die Verlobte des Angeklagten in der Hauptverhandlung als Zeugin vernommen. Sie bestätigte die Einlassung des den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und bekundete, dieser habe sich von Mitte November bis Mitte Dezember 2006 bei ihr in Deutschland aufgehalten.
4
Das Landgericht hat die Alibibekundung nicht für glaubhaft erachtet und hierzu ausgeführt: "In entscheidendem Maße spricht gegen die Glaubhaftigkeit dieser entlastenden Angaben und die Glaubwürdigkeit der Zeugin So. , dass sie diese Angaben nicht zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt gemacht hat. Der Angeklagte befindet sich seit dem 3. April 2008, also bereits mehrere Monate, in Untersuchungshaft. Er ist in ihrer Wohnung verhaftet worden. … Erst am 29.10.2008, dem 9. Verhandlungstag, kam es … zur Vernehmung der Zeugin So. , die zuvor an jedem Sitzungstag als Zuschauerin im Zuschauerraum der Verhandlung beiwohnte. Es ist nicht erklärlich, warum sie sich nicht zu sehr viel früherer Zeit an die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder - am naheliegendsten - an die beiden Verteidiger ihres Verlobten gewandt hat, um dafür Sorge zu tragen, dass ihre entlastenden Angaben gerichtskundig werden."
5
Diese Beweiswürdigung ist rechtfehlerhaft. Sie verstößt gegen den vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz, dem zufolge die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden kann, dass dieser im Ermittlungsverfahren geschwiegen und erst in der Hauptverhandlung seine entlastenden Angaben gemacht hat; denn selbst die Verweige- rung des Zeugnisses hätte nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden dürfen (BGH NStZ 1987, 182 unter Hinweis auf BGHSt 22, 113). Würde die Tatsache, dass ein Zeugnisverweigerungsberechtigter von sich aus nichts zur Aufklärung beigetragen hat, geprüft und gewertet, so könnte er von seinem Schweigerecht nicht mehr unbefangen Gebrauch machen, weil er befürchten müsste, dass daraus später nachteilige Schlüsse zu Lasten des Angeklagten gezogen würden (BGHSt 34, 324, 327; BGH StV 2002, 4; NStZ 2003, 443; Beschl. vom 27. Januar 2009 - 3 StR 1/09).
6
Eine Ausnahme, wie sie in der Entscheidung BGHSt 34, 324, 327 f. für solche Fälle anerkannt worden ist, in denen der Angehörige bereits zuvor gegenüber den Ermittlungsbehörden Angaben als Zeuge gemacht hatte, ohne die ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten, den Angeklagten entlastenden Umstände vorzubringen, liegt hier nicht vor, da die Zeugin, wie das Landgericht ausdrücklich hervorhebt, erstmals in der Hauptverhandlung vernommen worden ist.
7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Dies folgt bereits aus der Formulierung des Landgerichts, der Zeitpunkt der Aussage spreche "in entscheidendem Maße" gegen deren Glaubhaftigkeit. Hinzu kommt die übrige Beweissituation. Zwar enthält die Beweiswürdigung , von der beanstandeten Wertung abgesehen, keinen Rechtsfehler; die Angriffe der Revision gegen die Verwertung der Aussagen des Drogenkuriers , die dieser in dem in Frankreich gegen ihn geführten Strafverfahren gemacht hat, gehen ebenso fehl wie die Behauptung, es sei zu einer Verletzung des Konfrontationsrechts gekommen; indes ist die Beweislage jedenfalls nicht von einer solchen Zahl belastender Indizien geprägt, die es dem Revisionsgericht erlauben würde, davon auszugehen, der Tatrichter wäre auch ohne ein bestimmtes, von ihm rechtsfehlerhaft behandeltes Element seiner Beweiswürdigung zur selben Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelangt. Die Sache muss deshalb erneut verhandelt werden.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer