Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Apr. 2000 - 1 StR 79/00

bei uns veröffentlicht am05.04.2000

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 79/00
vom
5. April 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen fahrlässiger Tötung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2000 beschlossen:
1. Dem Angeklagten L. wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Ulm (Donau) vom 21. Oktober 1999 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte. 2. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm (Donau) vom 21. Oktober 1999 aufgehoben, soweit es sie betrifft. Die Angeklagten werden freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Was die Wiedereinsetzung angeht, entspricht die Entscheidung dem Antrag des Generalbundesanwalts. Auf dessen zutreffende Begründung in seiner Antragsschrift wird Bezug genommen. Die Kostenentscheidung beruht insofern auf der besonderen Regelung des § 473 Abs. 7 StPO, der diese Kosten aus den sonstigen Kosten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nach Wiedereinsetzung herausnimmt (vgl. KK-Franke, StPO 4. Aufl. § 473 Rdn. 16).

II.

In der Sache selbst hat das Landgericht die revisionsführenden Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen und jeweils Verurteilungen zu Geldstrafe vorbehalten. Der dritte Angeklagte - ein Vorarbeiter - wurde freigesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten mit Erfolg. Die Angeklagten wurden wegen des Todes des 17jährigen Schülers F. schuldig gesprochen. Dieser wurde nach den Feststellungen bei Ferienarbeiten im Jahre 1997 bei der Firma S. AG von einem laufenden Förderband bei dem Versuch erfaßt, ein verklemmtes Holzstück zu entfernen. Sein rechter Arm wurde in die Anlage gezogen. Er kam zu Tode, nachdem er sich nicht befreien konnte und zusätzlich sein Gehörschutz aus Hartplastik so unglücklich verrutschte, daß dieser am Ende des Bandes gegen seine Halsschlagader gedrückt wurde. Das Förderband befand sich als eines von vielen einer großen Anlage unterhalb einer auf Betonfundamenten gelagerten Baumentrindungstrommel in einer vom Boden gemessenen Höhe von 1,5 Meter. Es hatte den Zweck, die Rindenabfälle aus der Anlage zu befördern. Das Band war Teil des Holzplatzes für den der Angeklagte G. als Meister verantwortlich war, welcher seinerseits dem Leiter der Abteilung Hackerei, dem Angeklagten L. , unterstellt war. Alle Mitarbeiter, insbesondere auch der Ferienarbeiter F. , wurden darauf hingewiesen, daß sie unter keinen Umständen in ein laufendes Förderband hineingreifen durften. Es erfolgte jedoch generell kein Hinweis, daß der Aufenthalt unter einem laufenden Band gefährlich ist und auch nicht speziell gegenüber dem Schüler, daß er sich dort nicht aufhalten solle. Hierin sieht der
Tatrichter ein fahrlässiges Unterlassen auch angesichts der Tatsache, daß nach einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften derartige Gefahrenstellen durch konstruktive Maßnahmen hätten vermieden werden müssen. Zugleich wird jedoch festgestellt, daß in der Praxis die unter den Trommeln befindlichen Quer- und Längsräume von vielen Mitarbeitern seit langem unter anderem auch als Durchgangswege benutzt wurden. Diese Übung und das Fehlen einer besonderen Absicherung oder auch nur eines Betretungsverbotes wurde nach den Feststellungen von den für Sicherheitsfragen besonders zuständigen Stellen bis zu dem tödlichen Unfall nicht kritisiert. Insbesondere wurde das Fehlen einer Abschrankung bei den jährlichen Begehungen des Betriebes durch die Berufsgenossenschaft, die zuletzt vor dem Unfall vom 8. September 1997 im Mai 1997 durchgeführt worden war, nicht beanstandet. Auch die Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung hatten vor dem Unfalltod ebensowenig Sicherheitsbedenken angezeigt, wie Dr. B. , als der den Angeklagten vorgesetzte Leiter der Stabstelle für Umwelt, Behörden und Sicherheit oder ein Vertreter der Werksleitung. Angesichts der über viele Jahre hinweg erlebten und von den für die Betriebssicherheit primär verantwortlichen Personen beanstandungslos hingenommenen Üblichkeit des Betretens der Gefahrenzone kann den Angeklagten Fahrlässigkeit nicht angelastet werden. Es ist ihnen nicht vorzuwerfen, daß sie eine Pflicht nicht erkannt haben, ein möglicherweise gebotenes Betretungsverbot auszusprechen, das von den hierzu besonders berufenen Personen vor dem Unfall nicht als notwendig erachtet wurde.
Der Senat kann angesichts der vollständigen und fehlerfreien Feststellungen des Tatrichters ausschließen, daß eine neue Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zum Nachteil der hier Angeklagten zu erbringen vermag (§ 354 Abs. 1 StPO). Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Schäfer Maul Nack Boetticher Schomburg

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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Referenzen

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.