Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juni 2004 - 1 StR 62/04

bei uns veröffentlicht am17.06.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 62/04
vom
17. Juni 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2004 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. September 2003 werden verworfen. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von neun Jahren (P. ) und von zehn Jahren (S. verurteilt ) sowie Tatmittel eingezogen. Die Angeklagten rügen mit ihren Revisionen die Verletzung sachlichen Rechts. Ihre Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg. Nach den getroffenen Feststellungen lauerten die Angeklagten dem Tatopfer , dem Zeugen H. , nachts in einem Garagenhof auf, als dieser seinen Pkw dort nach einem Spielbankbesuch abstellte. Als der Geschädigte das Garagentor zuzog, kamen die Angeklagten hinter einem Kleinbus hervor und schlugen von hinten kräftig auf ihr völlig arg- und wehrloses Opfer mittels einer Metallstange (74 cm lang, ca. 2 kg Gewicht) und eines Holzknüppels (ca. 75 cm lang, 466 g schwer) ein. Dabei richteten sie ihre Schläge auch gezielt gegen den Hinterkopf und den Nacken des Opfers. Als sie dieses überwältigt hatten , zogen sie ihm die Jacke aus und flohen mit dieser. Der Geschädigte blieb
wimmernd, stöhnend, blutüberströmt und regungslos am Boden liegend zurück. Er erlitt u.a. eine Fraktur des Augenhöhlenbodens, einen Jochbeinbruch, eine Rippenfraktur sowie Prellungen, Hämatome und Platzwunden. Die in der Jacke befindlichen 14.500 € teilten die Angeklagten unter sich auf. Sie hatten vor der geplanten Tat von einem Informanten in der Spielbank einen Hinweis erhalten, daß der Geschädigte dort an diesem Abend "gewonnen hatte". Die Strafkammer hat bedingten Tötungsvorsatz angenommen. Der von den Angeklagten als möglich erachtete Tod des Opfers sei ihnen gleichgültig, möglicherweise sogar unerwünscht gewesen; um der Erreichung ihres Zieles willen hätten sie ihn jedoch gebilligt, als sie von dem Geschädigten abgelassen hätten, geflüchtet seien und nichts zu seiner Rettung unternommen hätten. 1. Die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes begegnet angesichts der eingesetzten Tatmittel, der gezielten, kräftigen Schläge auch gegen den Hinterkopf des Opfers sowie des Verletzungsbildes nicht den geringsten rechtlichen Bedenken. Ebensowenig ist gegen die Annahme eines beendeten Totschlagsversuchs und die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts von Rechts wegen etwas zu erinnern. 2. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung Stand. Das Landgericht hat unter anderem strafschärfend bewertet, die Angeklagten hätten vier Alternativen des Tatbestandes der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht, so auch die des "hinterlistigen Überfalls" (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Das wird von den Feststellungen getragen. Ein Überfall ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht schon dann hinterlistig, wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa indem er - wie hier - plötz-
lich von hinten angreift. Hinterlist setzt vielmehr voraus, daß der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht gerichteten Weise vorgeht, um dadurch dem Überfallenen die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und eine Vorbereitung auf die Verteidigung auszuschließen, beispielsweise durch Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit oder indem er sich vor dem Opfer verbirgt und ihm auflauert oder sich anschleicht (BGHR StGB § 223a Abs. 1 [a.F.] Hinterlist 1; BGH GA 1969, 61, 62; NStZ 2001, 478; BGH, Urt. vom 15. Oktober 1963 - 1 StR 326/63; Beschluß vom 15. Juli 2003 - 1 StR 249/03; siehe auch RGSt 65, 65, 66). Hier haben die Angeklagten sich in einen Hinterhalt begeben und dem Opfer aufgelauert, um unter Ausnutzung nicht nur des Überraschungsmomentes, sondern auch der örtlichen Verhältnisse , der Nachtzeit und vor allem der Heimlichkeit ihres planmäßigen Herangehens an das Opfer zum Ziel zu kommen. Sie haben das Opfer zwar nicht in diesen Hinterhalt hineingelockt. Die Hinterlist liegt aber letztlich in dem gezielten , planmäßigen und von Heimlichkeit geprägten Ausnutzen der vorgegebenen Situation.
Nach allem ist die ausdrücklich als strafschärfend zu Lasten beider Angeklagter hervorgehobene Erwägung, diese hätten vier Tatbestandsalternativen der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht (UA S. 51), rechtlich unbedenklich. Wahl Boetticher Schluckebier Kolz Hebenstreit

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Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

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(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

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BESCHLUSS
1 StR 249/03
vom
15. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Juli 2003 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 10. Januar 2003 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Zu Recht hat das Landgericht den Überfall des Angeklagten auf D. Z. als hinterlistig (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) bewertet. Zwar ist ein Überfall nicht schon dann hinterlistig, wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa - wie hier - plötzlich von hinten angreift. Hinterlist setzt vielmehr voraus, daß der Täter dabei planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht bezeichnenden Weise vorgeht , um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und eine Vorbereitung auf die Verteidigung auszuschließen (RGSt 65, 65 [66], BGHR StGB § 223a Abs. 1 Hinterlist 1; BGH, Urteil vom 28. März 2001 - 3 StR 532/00), beispielsweise auch durch Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit - freundlicher Gruß, Erkundigung nach dem Weg - (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1956, 526 - "Gute Nacht, Iwan"; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 224 Rdn.10 m.w.N.). Dem entsprach die Vorgehensweise des Angeklagten. Er und sein Begleiter - seit Wochen in Frankreich und Deutschland mittellos auf dem Rückweg in ihr Heimatland, nun seit Tagen im Ufergestrüpp des Rheins biwakierend - besuchten zunächst ihr Opfer an dessen Angelplatz, tauschten sich mit ihm 45 Minuten lang freundschaftlich aus, unter ausführlicher Besichtigung der später geraubten Angelausrüstung, rauchten und tranken mit ihm - zwei Tage zuvor bei einem Kleintierzuchtverein gestohlenen - Wein. So von Freundlichkeit umgarnt und deshalb offensichtlich ohne jeden Zweifel an der Friedfertigkeit auch des Angeklagten passierte D. Z. bei seinem Aufbruch eine halbe Stunde später unbefangen den Lagerplatz der beiden und verabschiedete sich noch mit einer grüßenden Handbewegung, um kurz darauf vom Angeklagten, der ihm nachgeschlichen war, unvermittelt hinterrücks überfallen zu werden. Dies war hinterlistig.
Nack Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit