Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2002 - 1 StR 374/02

bei uns veröffentlicht am19.11.2002

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 374/02
vom
19. November 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. November 2002 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 9. April 2002 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an. 1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen sind lückenhaft; jedenfalls reichen sie nicht aus, um als Grundlage für den Schuldspruch und den Strafausspruch zu dienen. Sie beruhen auch auf einer unzulänglich dargestellten Beweiswürdigung.
a) Nach den Feststellungen trafen sich der Angeklagte und der Zeuge K. , der dem Angeklagten für 9.300 DM einen Pkw verkauft hatte, zur Rückabwicklung dieses Autokaufs. Während einer Probefahrt holte der Zeuge aus seiner Wohnung einen Bargeldbetrag von 7.900 DM und stellte über eine von ihm verlangte - bei günstigem Weiterverkauf verfallende - Stornogebühr eine
Quittung über 1.400 DM aus. Der Zeuge verwahrte das Geld und die Quittung in einem durchsichtigen Plastikumschlag hinter der Sonnenblende des Pkw, was dem Angeklagten nicht verborgen blieb. Der Angeklagte behauptete, den Kraftfahrzeugbrief - der in Wahrheit in einem Rucksack im Auto lag - in seiner Wohnung vergessen zu haben. Anstatt mit dem Zeugen zu seiner Wohnung zu fahren, fuhr er auf einen weiter entfernten Parkplatz, wo zwei südländisch aussehende Männer zu dem Angeklagten und dem Zeugen K. ins Auto stiegen. Einer dieser Männer hielt den Zeugen fest und bedrohte ihn mit den Worten: "Wo ist das Geld. Wir schlachten Dich ab." Der Zeuge versuchte auszuweichen und sah, daß einer der Männer "ein Messer an seinen Hals hielt". Die Männer entnahmen aus der Jackentasche des Zeugen ein Handy und eine Gaspistole. Sie entwendeten dem Zeugen einen Geldbeutel mit 2.000 DM. Während der weiteren Fahrt wurde "plötzlich auf der Beifahrerseite die Tür aufgerissen und es gelang dem Zeugen zu flüchten". Der Zeuge K. erlitt (dadurch) Verletzungen im Gesicht, einen Schnitt am kleinen Finger der rechten Hand, sowie Rötungen an den Armen. Der Angeklagte fuhr mit dem Auto davon und begab sich zur Polizei, wo der Wagen sichergestellt wurde. Auch die 7.900 DM hinter der Sonnenblende sowie die dem Zeugen gehörende Gaspistole wurden im Auto aufgefunden.
b) Der bisher unbestrafte Angeklagte hat sich dahin eingelassen, ihm seien die beiden in das Auto eingestiegenen Männer unbekannt. Entweder es habe sich um einen zufälligen Überfall gehandelt, oder der Zeuge habe den Überfall selbst inszeniert. Nicht er habe den Zeugen K. aus dem Auto gezogen , sondern der Zeuge habe ihn - den Angeklagten - vom Fahrersitz zu verdrängen versucht. Die Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte habe sich mit den beiden unbekannt gebliebenen Männern verabredet und diese beauftragt, dem Zeugen K. den gesamten Kaufpreis für das Auto abzu-
nehmen. Hinsichtlich des Tatgeschehens ist die Kammer der Aussage des Zeugen K. gefolgt, ist aber zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegan- gen, der Angeklagte habe nicht gewußt, daß diese beim Überfall ein Messer einsetzen würden. 2. a) Den Urteilsgründen ist nicht ausreichend zu entnehmen, aufgrund welcher tatsächlichen Anhaltspunkte die Strafkammer davon ausgeht, daß der Angeklagte die beiden Männer kannte und mit diesen den Überfall (vorher) verabredet hatte. Lückenhaft sind auch die Feststellungen zum Tatgeschehen im Fahrzeug, zur dem Angeklagten zuzurechnenden Gewalt und zu den von ihm verursachten Verletzungen des Zeugen. Lückenhaft sind die bisherigen Feststellungen auch insoweit, als die beiden im Auftrag des Angeklagten handelnden Männer nur einen Geldbeutel mit 2.000 DM mitgenommen haben, obwohl die Kammer festgestellt hat, die hinter der Sonnenblende verwahrten 7.900 DM seien dem Angeklagten nicht verborgen geblieben. Nimmt die Kammer an, dem Angeklagten sei es bei dem Überfall um die Wiedererlangung des gesamten Kaufpreises aus dem Autokauf gegangen, hätte es näherer Begründung bedurft, weshalb die vom Angeklagten beauftragten Männer letztlich nur die 2.000 DM mitgenommen haben. Zu näheren Darlegungen bestand schließlich auch deshalb Anlaß, weil die Kammer festgestellt hat, der Angeklagte sei nach dem Überfall selbst zur Polizei gefahren, wo nicht nur die 7.900 DM, sondern auch eine dem Zeugen gehörende Gaspistole sichergestellt wurden. Letztlich schweigt das Urteil auch dazu, was der Angeklagte bei der Polizei für Angaben gemacht hat und was von dort veranlaßt worden ist.
b) Auch die Würdigung der Einlassung des Angeklagen und der Aussage des Zeugen genügt nicht den Anforderungen, die an die zur Ermöglichung der sachlichrechtlichen Nachprüfung durch das Revisionsgericht zu stellen
sind. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten nur kurz wiederge- geben und hat diese ohne nähere Begründung als widerlegt angesehen. Sie ist der "in sich geschlossenen Aussage" des Zeugen K. gefolgt, ohne die Aussage mitzuteilen und die vorgenommene Analyse des Inhalts darzulegen. Zu einer ausführlicheren Erörterung und einer Gesamtwürdigung beider sich widersprechenden Aussagen bestand hier Veranlassung. Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Aussagen der beiden Zeugen A. und S. zu der Flucht des Zeugen widerlegen die Einlassung des Angeklagten zum Tatgeschehen nicht. Beide Zeugen haben in ihren Aussagen nur zwei Personen erwähnt. "Aus der Fahrertür oder der Tür dahinter" sei eine Person ausgestiegen, die um das Fahrzeug herumgegangen sei und versucht habe, auf den Beifahrer einzuschlagen. Auch hierzu hätte es näherer Darlegungen bedurft. 3. Die Sache muß insgesamt neu verhandelt werden. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird für den Fall, daß der Angeklagte schuldig gesprochen wird, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen haben, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Verhängung einer Freiheitsstrafe um so eingehender begründet werden muß, je knapper die ver-
hängte Strafe eine an sich noch bewährungsfähige Strafe übersteigt (BGH, Beschluß vom 5. Dezember 2000 - 1 StR 533/00; BGH StV 1992, 462, 463; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 615 m.w.Nachw.). Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit Elf

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 533/00
vom
5. Dezember 2000
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Dezember 2000 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 22. August 2000 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am 15. Dezember 1996 verletzte der angetrunkene Angeklagte den ebenfalls angetrunkenen H. bei einer Rauferei auf der Straße mit zwei Messerstichen. Der Angeklagte war H. gefolgt, nachdem dieser den ihm bis dahin unbekannten Angeklagten in einer Gaststätte grundlos durch "Pöbeleien" provoziert hatte und deshalb hinaus gewiesen worden war. Während die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen zum Schuldspruch erfolglos bleibt (§ 349 Abs. 2 StPO), kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Die Strafkammer hat zu Gunsten des Angeklagten erwogen, daß H. durch sein Verhalten im Lokal die Rauferei "ebenfalls provoziert" hat, gleichzeitig aber zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, daß die Tat auf eine "grundlose Racheaktion" des Angeklagten zurückgehe. Diese Erwägungen sind unvereinbar, da eine Rauferei nicht gleichzeitig (auch) vom Opfer provoziert und vom Täter grundlos herbeigeführt sein kann. Schon dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. 2. Der Senat weist auf folgendes hin:
a) Die Strafkammer hat strafmildernd berücksichtigt, daß die Tat lange zurückliegt und der Angeklagte die Dauer des Verfahrens nicht zu vertreten hat. Insoweit ergeben die Urteilsgründe, daß der Angeklagte in dieser Sache bereits am 9. Juli 1997 vom Schöffengericht Dachau verurteilt worden war; nach beiderseitigen Berufungen verwies die Berufungsstrafkammer die Sache durch Urteil vom 4. Dezember 1999 an die Schwurgerichtskammer, vor der die Hauptverhandlung am 21. August 2000 begann. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer insgesamt eine von Justizorganen zu vertretende erhebliche, schwerwiegende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes feststellen, läge neben den genannten Gesichtspunkten ein weiterer selbständiger Strafmilderungsgrund vor. In diesem Fall wäre das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (st.Rspr., vgl. zusammenfassend BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13 m.w.N.).
b) Schließlich wird auch zu beachten sein, daß Strafzumessungserwägungen um so eingehender zu sein haben, je knapper die verhängte Strafe eine an sich noch bewährungsfähige Strafe übersteigt (BGH StV 1992, 462,
463; Beschluß vom 21. September 2000 - 1 StR 392/00; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 2. Aufl. Rdn. 618a m.w.N.). Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Kolz