Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 03. Aug. 2015 - 11 ZB 15.50100

published on 03/08/2015 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 03. Aug. 2015 - 11 ZB 15.50100
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Gericht

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Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung des Bescheids vom 22. Januar 2014, soweit sie damit die Asylanträge der Kläger als unzulässig abgelehnt hat.

Die Kläger sind nach eigenen Angaben russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten am 2. Juli 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 15. Juli 2013 Asylanträge.

Die Regierung von M. befragte die Kläger am 16. Juli 2013 zu ihrer Identität und informierte sie darüber, dass sie ihre Asylgründe in einer separaten Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorbringen könnten.

Am 31. Oktober 2013 richtete das BAMF ein Übernahmeersuchen an die Republik Polen. Die polnischen Behörden bestätigten mit Schreiben vom 7. November 2013 die Übernahme der Kläger nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO. Mit Bescheid vom 22. Januar 2014 lehnte das BAMF die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 2). Die Republik Polen sei nach den Bestimmungen der Dublin II-VO für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Die Asylanträge seien daher nach § 27a AsylVfG unzulässig.

Gegen den Bescheid erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth. Den gleichzeitig erhobenen Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. April 2014 ab (Az. B 5 S 14.30052). Mit Schriftsatz vom 5. Februar 2015 teilte die Beklagte im Klageverfahren mit, sie sei mit Ablauf der Überstellungsfrist zuständig geworden. Das bedeute aber nicht, dass der Bescheid komplett aufzuheben sei. Es handele sich um einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen nicht vor. Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids werde jedoch aufgehoben.

Mit Urteil vom 11. März 2015 hob das Verwaltungsgericht die Nr. 1 des Bescheids vom 22. Januar 2014 auf und wies die Klage im Übrigen ab. Der Bescheid nach § 27a AsylVfG sei durch Ablauf der Überstellungsfrist rechtswidrig geworden. Es sei auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass eine Überstellung in einen anderen Staat in absehbarer Zeit noch erfolgen könne. Eine Umdeutung in eine Sachentscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG komme nicht in Betracht.

Gegen die Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Sie macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt nicht die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

1. Die Berufung ist nicht wegen der von der Beklagten für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Frage zuzulassen, „ob sich eine (nur) auf § 27a AsylVfG beziehende asylrechtliche Entscheidung ihrem Regelungsgehalt nach in der bloßen Feststellung der internationalen Verfahrenszuständigkeit und einer darauf gründenden Antragsablehnung erschöpft oder darüber hinausgehend eine solche Antragsablehnung vielmehr, weil auf die Verneinung eines inhaltlichen Prüfanspruchs gerichtet, einen insgesamt diesen ablehnenden Verwaltungsakt darstellt oder ob die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig, bei der in der behördlichen Begründung alleine auf eine i. S. d. § 27a AsylVfG andere Verfahrenszuständigkeit verwiesen ist, insbesondere wenn dies die Konstellation eines zugleich i. S. d. § 71a AsylVfG gegebenen Zweitantrags betrifft, auf anderer Rechtsgrundlage aufrecht erhalten werden kann“.

Es ist vorliegend nicht klärungsbedürftig, dass die Feststellung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids, die Asylanträge seien unzulässig, ausschließlich auf § 27a AsylVfG beruht und keinen darüber hinausgehenden Inhalt hat. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Prüfung ist der Entscheidung über das eigentliche Asylbegehren vorgeschaltet. Allein auf ihre Unzuständigkeit hat die Beklagte die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags in Nr. 1 des Bescheids vom 22. Januar 2014 gestützt und zur Begründung (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) ausgeführt, für die Behandlung der Asylanträge sei gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO Polen zuständig. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Für eine allein auf § 27a AsylVfG beruhende Feststellung spricht auch der Verfahrensablauf. Das Bundesamt hat die Kläger bis zum Erlass des Bescheids nicht zu ihren Asylgründen oder zu etwaigen Gründen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (§ 71a AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) befragt. Die Regierung von M. belehrte die Kläger am 16. Juli 2013 vielmehr dahingehend, dass sie ihre Asylgründe in einer separaten Anhörung beim BAMF vorbringen könnten. Dass die Feststellung in Nr. 1 des Bescheids eine Regelung treffen würde, die über die Feststellung der internationalen Verfahrenszuständigkeit nach § 27a AsylVfG hinausreichen und einen inhaltlichen Prüfanspruch hinsichtlich der Asylgründe auch aus anderen Gründen, etwa wegen des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 71a AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, verneinen würde, scheidet schon deshalb aus, weil eine solche Ablehnung die Zuständigkeit der Beklagten voraussetzen würde, die das Bundesamt mit seiner getroffenen und auf § 27a AsylVfG gestützten Feststellung jedoch gerade verneint hat. Der Bescheid kann daher auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden. Dafür müsste zunächst geprüft werden, ob überhaupt die Konstellation eines Zweitantrags i. S. v. § 71a AsylVfG vorliegt, was die genauere Kenntnis von dem Erstantrag voraussetzt, sodann müsste den Klägern, wie von der Regierung von M. gegenüber den Klägern angekündigt, Gelegenheit gegeben werden, ihre Asylgründe in einer separaten Anhörung beim BAMF vorzubringen. Dieses Verfahren kann nicht in ein Gerichtsverfahren verlagert werden, dessen Streitgegenstand ein Bescheid ist, der die Unzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung eines Asylverfahrens bestimmt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.6.2014 (10 C 7.13 - juris). Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bereits in Polen internationaler Schutz zuerkannt worden wäre, liegen nicht vor.

2. Der Rechtssache kommt auch hinsichtlich der Frage, „ob der Asylantragsteller gerichtlich die Aufhebung einer Ablehnung gemäß § 27a AsylVfG deshalb begehren kann, weil die Überstellungsfrist in den als zuständig bestimmten Staat im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt abgelaufen ist und ob dies selbst dann (schon) gilt, wenn (noch) nicht feststeht, dass der bislang zuständige Mitgliedstaat wegen Ablaufs der Überstellungsfrist dauerhaft die Übernahme ablehnt“, keine grundsätzliche Bedeutung zu.

Die Beklagte geht nach ihrem Schreiben vom 5. Februar 2015 im Ausgangsverfahren selbst vom Ablauf der Frist zur Überstellung der Kläger nach Polen aus, hat ihre Verfahrenszuständigkeit ausdrücklich bejaht, die Abschiebungsanordnung aufgehoben und den Klägern Gelegenheit geben wollen, sich schriftlich zu etwaigen Abschiebungshindernissen ins Herkunftsland zu äußern.

Dass Polen gleichwohl noch bereit wäre, die Kläger (wieder) aufzunehmen, ist im Übrigen von der Beklagten weder vorgetragen noch ersichtlich. Bei einer Fallgestaltung, in der keine oder allenfalls eine theoretische, nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauerte Überstellungsmöglichkeit in einen anderen Mitgliedstaat besteht, bedarf es keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, dass die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags (§ 27a AsylVfG) nicht isoliert aufrecht erhalten bleiben kann (vgl. u. a. BayVGH, B. v. 1.6.2015 - 11 ZB 15.50090 - juris Rn. 9).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

4. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylVfG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen g

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Annotations

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift;
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist;
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist;
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt;
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.