Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 21. Mai 2015 - 11 ZB 15.50009

bei uns veröffentlicht am21.05.2015
vorgehend
Verwaltungsgericht Augsburg, Au 2 K 14.30139, 04.12.2014

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung ergibt sich kein Verfahrensmangel durch Fehlen der Entscheidungsgründe (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 6 VwGO) oder durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO).

1. Die Beklagte meint, das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg sei insoweit nicht mit Gründen versehen, als es sich weder ausdrücklich noch erkennbar in unausgesprochener Weise mit der Frage befasst habe, ob der neuerliche Asylantrag des Klägers die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfülle. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung jedoch nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (BVerwG, B. v. 25.9.2013 - 1 B 8.13 - juris Rn. 16).

Davon ist vorliegend nicht auszugehen. Zwar hat das Verwaltungsgericht die Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 20. Januar 2014 nicht auf das Fehlen der Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, sondern darauf gestützt, dass wegen Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl L 50 S. 1, Dublin II-VO), nicht mehr Ungarn, sondern die Beklagte für die Prüfung des Asylantrags zuständig (geworden) sei. Es hat jedoch ausweislich der Ausführungen im Tatbestand und zu Beginn der Entscheidungsgründe durchaus gesehen, dass die Beklagte im Tenor ihres Bescheids nicht ihre Unzuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens festgestellt (§ 27a AsylVfG), sondern den erneuten (Folge-)Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt hat. In der Sache hat die Beklagte aber eine Dublin-Entscheidung getroffen. So durfte jedenfalls der Kläger, auf dessen Empfängerhorizont abzustellen ist (vgl. BVerfG, B. v. 8.7.1996 - 2 BvR 96.95 - InfAuslR 1997, 87 - juris Rn. 22), die getroffene Entscheidung verstehen. Das ergibt sich sowohl aus den Gründen des Bescheids (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) als auch aus dem gesamten Verfahrensablauf. Das Bundesamt hatte den Kläger bereits nach seiner Antragstellung mit Schreiben vom 9. Oktober 2013 dahingehend belehrt, zunächst werde geprüft, ob nicht ein anderer Staat in Europa nach den Bestimmungen von Dublin II für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Werde dem Aufnahmegesuch entsprochen, erhalte er einen Bescheid und werde in den zuständigen Mitgliedsstaat überstellt, wo er gegebenenfalls erneut einen förmlichen Asylantrag stellen müsse. Nachdem zunächst die Republik Österreich mit Schreiben vom 15. November 2013 mitgeteilt hatte, dem Übernahmeersuchen nicht zu entsprechen, dann jedoch Ungarn mit Schreiben vom 27. November 2013 der Übernahme zugestimmt hatte, erließ das Bundesamt ohne weitere Anhörung des Klägers zu seinen Asylgründen den angefochtenen Bescheid vom 20. Januar 2014. In dessen Gründen wird unter Hinweis auf die Zuständigkeit Ungarns ausgeführt, der Asylantrag werde in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft, weil Deutschland verpflichtet sei, den Kläger innerhalb der hierfür maßgeblichen Frist nach Ungarn als zuständigen Mitgliedsstaat zu überstellen. Zum Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG hat die Beklagte lediglich ausgeführt, solche Gründe lägen insofern nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Daher bestand für das Verwaltungsgericht, das trotz des insoweit missverständlichen Tenors ersichtlich ebenfalls von einer Dublin-Entscheidung ausgegangen ist, keine Veranlassung, sich in den Entscheidungsgründen mit dem von der Beklagten nicht geprüften Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu befassen.

2. Das Verwaltungsgericht hat entgegen der Antragsbegründung auch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass es den Einwand des Fehlens der Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG übergangen bzw. nicht zur Kenntnis genommen habe. Wie bereits ausgeführt hat das Verwaltungsgericht diesen Aspekt durchaus gesehen und in seinen Entscheidungsgründen gewürdigt, allerdings nicht mit dem von der Beklagten angestrebten Ergebnis. Ausweislich der Niederschrift über die Sitzung vom 4. Dezember 2014 hat der Vorsitzende Richter ausdrücklich auf den Ablauf der Überstellungsfrist hingewiesen. Hätte die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen, hätte sie diesen Hinweis zum Anlass nehmen können, die getroffene Entscheidung nochmals zu erläutern und klarzustellen, ob es sich um eine Dublin-Entscheidung oder um die Ablehnung eines Folgeantrags handelt. Dies hätte für das Verwaltungsgericht Anlass sein können, darauf in den Entscheidungsgründen ausdrücklich einzugehen. Die Gehörsrüge stellt jedoch kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

4. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylVfG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

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Referenzen - Gesetze

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens


(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen g

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 138


Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn1.das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,2.bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes aus

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 39 Begründung des Verwaltungsaktes


(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behör

Referenzen

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift;
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist;
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist;
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt;
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.