Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 09. Aug. 2018 - L 4 KR 368/15

published on 09/08/2018 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 09. Aug. 2018 - L 4 KR 368/15
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Sozialgericht Landshut, S 1 KR 260/14, 30/06/2015

Gericht

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Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als ehemaliger Grenzgänger einen Sachleistungsanspruch im ehemaligen Wohnmitgliedstaat Österreich zu Lasten der beklagten Krankenkasse hat.

Der 1950 geborene Kläger österreichischer Staatsangehörigkeit ist seit dem 01.08.2010 Rentner und lebt seit Januar 2012 in Deutschland. Neben einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung bezieht er eine österreichische Pension und eine Betriebsrente seines früheren Arbeitgebers (Firma W., C-Stadt).

Er war von 1974 bis 31.07.2010 Grenzgänger, wohnhaft in B-Stadt (Österreich) und beschäftigt in C-Stadt (Deutschland). Ab dem 01.08.2010 wurde er als sogenannter „Grenzgänger in Rente“ von der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse betreut. Im Januar 2012 verzog er nach A-Stadt (Deutschland) und ist seither Mitglied in der KVdR der Beklagten.

Mit Schreiben vom 26.06.2014 beantragte der Kläger „Vollkostenerstattung bei Facharztbesuch und stationärer Krankenhausbehandlung in B-Stadt“. Seit seinem Wohnsitzwechsel nach Deutschland im Januar 2012 sei er ausschließlich bei der Beklagten krankenversichert. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er mit dem Wohnsitzwechsel seinen Grenzgängerstatus und damit die freie Arztwahl verloren habe, was dazu führe, dass er bei ambulanten Behandlungen in Österreich einen erheblichen Eigenanteil zu zahlen habe. Bei stationären Krankenhausaufenthalten rechne die AOK nur in Notfällen direkt mit dem Krankenhaus ab. Da seiner Kardiologin und auch dem Krankenhaus B-Stadt seine Krankengeschichte seit Januar 1991 bestens bekannt sei und er sich dort gut aufgehoben fühle, beantrage er weiterhin volle Kostenerstattung bei Inanspruchnahme der genannten Einrichtungen.

Mit Schreiben vom 27.06.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen die gewünschte volle Kostenerstattung für ambulante und stationäre Behandlungen in Österreich nicht möglich sei. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2014 unter Hinweis auf die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zurück.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut eingereicht und erklärt, er habe aufgrund seiner Beschäftigung bei der Fa. W. AG von 1974 bis zum Renteneintritt 2010 gemäß Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den Status als „Grenzgänger in Rente“ und damit den vollen Leistungsanspruch in Deutschland und Österreich erworben. Diesen Leistungsanspruch in beiden Staaten habe er aufgrund seines Wohnsitzwechsels nicht verloren. Nach Art. 28 Abs. 4 der VO (EG) 883/2004 verliere er den Grenzgängerstatus nur dann, wenn er eine Beschäftigung im Wohnland aufnehme. Ihm dürften bereits erworbene Ansprüche in beiden Kassen nicht durch den nachträglichen Wohnsitzwechsel verloren gehen.

Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass der Kläger nur dann weiterhin „Grenzgänger in Rente“ wäre, wenn er seinen Wohnort noch in Österreich hätte. In diesem Fall könnte er neben seinem Leistungsanspruch in Österreich mittels der Anspruchsbescheinigung S. 3, die in diesem Fall vom österreichischen Krankenversicherungsträger auszustellen wäre, weiterhin Leistungen in Deutschland beziehen. Der Kläger habe aber seinen Wohnort nach Deutschland verlegt, dementsprechend entfalle der Status des „Grenzgängers in Rente“.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG Landshut stellte der Kläger klar, es gehe ihm darum, weiterhin freie Arztwahl in Deutschland und Österreich zu haben. Im Ergebnis wolle er die österreichische und die deutsche Versichertenkarte.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.06.2015 abgewiesen. Der Kläger habe weder Anspruch auf Feststellung, dass er weiterhin „Grenzgänger in Rente“ im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 sei, noch sei die beklagte Krankenkasse verpflichtet, „sämtliche ambulante bzw. stationäre Behandlungskosten, die in Österreich anfallen“ zu übernehmen. Auch die beantragte Bescheinigung S. 3 für den österreichischen Krankenversicherungsträger könne von der beklagten Krankenkasse nicht ausgestellt werden.

Der Kläger berufe sich zur Begründung seines Anspruches auf Art. 28 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Diese Vorschrift würde ihm aber nur dann helfen, wenn er weiterhin seinen Wohnsitz in Österreich hätte, was aber seit 01.01.2012 nicht mehr der Fall sei. Der Kläger sei aufgrund Umzugs nach Bayern nicht mehr „Grenzgänger in Rente“. Aus diesem Grund sei auch Art. 28 Absatz 4 der VO nicht einschlägig.

Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass er im Hinblick auf Art. 28 Abs. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 auch nach dem Wohnsitzwechsel nach Deutschland die Voraussetzungen eines Grenzgängers in Rente erfülle. Soweit das sozialgerichtliche Urteil den Verlust des Status als Grenzgänger in Rente mit der Wohnsitzverlegung (und damit mit der Ausübung eines Freizügigkeitsrechts eines Mitgliedschaftsbürgers) begründe, verstoße dies gegen Art. 5 VO (EG) Nr. 883/2004.

Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass vorliegend Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 weder direkt noch entsprechend auf den geltend gemachten Sachleistungsanspruch in Österreich Anwendung finde. Nach Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 habe ein Rentner unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit in dem Mitgliedstaat, in dem er als Grenzgänger eine Beschäftigung ausgeübt hat. Der Kläger begehre aber einen Sachleistungsanspruch in Österreich, also in dem Mitgliedstaat, in dem er während seiner Zeit als Grenzgänger gewohnt habe. Eine Anwendung des Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 in umgekehrter Weise, dass nach einem Wohnortwechsel ein voller Sachleistungsanspruch auch im ehemaligen Wohnmitgliedstaat bestehe, sei nicht begründbar.

Die Beklagte legte eine Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes vom 27.02.2018 vor, die ebenfalls zu diesem Ergebnis gelangt. Eine „entsprechende“ Anwendung des Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 (Sachleistungsanspruch auch im ehemaligen Wohnmitgliedstaat) komme nicht in Betracht. Hierfür müsse die Interessenlage vergleichbar sein und das Fehlen einer passenden Vorschrift eine planwidrige Regelungslücke darstellen. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 sei die als Grenzgänger ausgeübte Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass durch eine zweijährige, als Grenzgänger ausgeführte Beschäftigung in den letzten fünf Jahren vor Rentenbeginn eine enge Bindung auch zum Beschäftigungsmitgliedstaat entstanden sei, die auch nach Rentenbeginn besonderer Berücksichtigung bedürfe. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass in der VO (EG) Nr. 883/2004 dem Wohnort einer Person für die Eröffnung zusätzlicher Ansprüche eine vergleichbare Bedeutung beigemessen werde wie dem (ehemaligen) Beschäftigungsort. Der Wohnort diene in der Regel als nachrangiges bzw. weiteres Kriterium.

Der Kläger verliere durch den Wohnortwechsel überdies keine Ansprüche, die er aufgrund von nationalen Rechtsvorschriften erworben habe.

Der Anspruch nach Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 auf Sachleistungen in dem Mitgliedstaat, in dem er als Grenzgänger eine Beschäftigung ausgeübt hat, sei dem Kläger nicht nach nationalen Rechtsvorschriften eingeräumt worden, sondern nach den Vorschriften der VO (EG) Nr. 883/2004. Wenn jedoch der Sachverhalt, der nach VO (EG) Nr. 883/2004 zu beurteilen sei, sich geändert habe (Wohnsitzwechsel), könne dies auch zum Verlust eines zusätzlichen Anspruchs nach der VO (EG) Nr. 883/2004 führen.

Der geltend gemachte Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit im ehemaligen Wohnmitgliedstaat lasse sich auch unter Beachtung des Prinzips der Tatbestandsgleichstellung nach Art. 5 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht begründen. Zu prüfen sei hier - wenn überhaupt - die sog. Sachverhaltsgleichstellung nach Art. 5 b) VO (EG) Nr. 883/2004. Diese Vorschrift beeinflusse aber nur die Subsumtion der Sachverhalte unter die nationale Norm.

Das Prinzip der Aufhebung der Wohnortklausel nach Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004 umfasse ausdrücklich nur Geldleistungen, die als Leistungen der sozialen Sicherheit der VO (EG) Nr. 883/2004 unterfallen, nicht aber Sach- oder Dienstleistungen. Eine Anwendung auf Art. 28 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/200, der den Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit regele, sei ausgeschlossen.

Nach Angaben des Klägers ist kein Verfahren gegen die oberösterreichische Gebietskrankenkasse anhängig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30.06.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2014 zu verurteilen, den Status des Klägers als „Grenzgänger in Rente“ weiter anzuerkennen und erforderliche Bescheinigungen zur Weitergabe an die oberösterreichische Gebietskrankenkasse zu erteilen sowie sämtliche ambulante bzw. stationäre Behandlungskosten, die in Österreich anfallen, zu erstatten bzw. zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und der Beklagtenakte Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Das Sozialgericht Landshut hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht abgewiesen. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil der Kläger seit seinem Wohnsitzwechsel nach Deutschland den Status als „Grenzgänger in Rente“ verloren hat und demzufolge keinen Anspruch auf Sachleistungsaushilfe in Österreich bzw. auf Übernahme sämtlicher ambulanter und stationärer Behandlungskosten in Österreich hat. Damit scheidet auch ein eventueller Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 und 4 SGB V aus.

Der Kläger beruft sich für den geltend gemachten Sachleistungsaushilfeanspruch auf die Koordinierungsvorschriften der VO (EG) 883/2004. Da er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, ist deren Anwendungsbereich grundsätzlich eröffnet (Art. 2 Abs. 1 der Verordnung).

Art. 11 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004 ordnet als allgemeine Regelung an, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegen.

Vorbehaltlich der Art. 12 bis 16 der Verordnung, die im vorliegenden Fall nicht einschlägig sind, unterliegen nicht erwerbstätige Personen, die - wie der Kläger - nicht unter Art. 11 Abs. 3 lit. a) bis d) der Verordnung fallen, unbeschadet anderslautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihnen Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates (Art. 11 Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004, sog. „Wohnlandprinzip“, vgl. Steinmeyer in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl., Art. 11 Rn 32 f.). Dies sind im Falle des Klägers seit dem Wohnsitzwechsel im Januar 2012 die deutschen Rechtsvorschriften.

Als Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit in Österreich zu Lasten der Beklagten kommt vor allem Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 in Betracht.

Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 hat folgenden Wortlaut:

„Ein Rentner, der in den letzten fünf Jahren vor dem Zeitpunkt des Anfalls einer Alters- oder Invalidenrente mindestens zwei Jahre als Grenzgänger eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, hat Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit in dem Mitgliedstaat, in dem er als Grenzgänger eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn dieser Mitgliedstaat und der Mitgliedstaat, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, der die Kosten für die dem Rentner in dessen Wohnmitgliedstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat, sich dafür entschieden haben und beide im Anhang V aufgeführt sind.“

Nach Art. 1 lit. f) VO (EG) 883/2004 ist ein Grenzgänger eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnstaat eine Erwerbstätigkeit ausübt und die täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich in letzteren zurückkehrt. Der Kläger war unstreitig von 1974 bis zum 31.07.2010 Grenzgänger im eben definierten Sinne.

Als Grenzgänger hatte er bis zu seiner Berentung nach den Art. 17 und 18 VO (EG) 883/2004 Anspruch auf Sachleistungen nicht nur im Wohnstaat (Österreich), sondern auch im zuständigen Beschäftigungsstaat (Deutschland), Art. 11 Abs. 3 lit. a) VO (EG) 883/04. Er hatte also die Wahl, sich wegen einer Erkrankung entweder in Österreich oder in Deutschland behandeln zu lassen.

Art. 28 VO (EG) 883/2004 verlängert diese (privilegierte) Rechtsstellung eines Grenzgängers über das Ende der Beschäftigung hinaus:

Absatz 1 ermöglicht es Grenzgängern, die Rentner geworden sind, eine begonnene Behandlung im bisherigen Beschäftigungsstaat fortzusetzen. Es handelt sich um eine nur punktuelle Erweiterung des Leistungsanspruchs hinsichtlich Behandlungen, die im Zeitpunkt der Grenzgängertätigkeit begonnen wurden (Klein in: Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 28 VO (EG) 883/2004, Rn. 1).

Absatz 2 geht darüber hinaus und räumt Grenzgängern in Rente unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit ein, dauerhaft Leistungen im ehemaligen Beschäftigungsstaat in Anspruch zu nehmen, wenn ihr Wohnstaat und der ehemalige Beschäftigungsstaat in Anhang V der VO eingetragen sind. Deutschland und Österreich sind im Anhang V (neben Belgien, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Spanien) aufgeführt.

Damit regelt Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 allerdings bereits nach seinem Wortlaut nicht das, was der Kläger begehrt. Denn die Vorschrift regelt den Sachleistungsanspruch eines Grenzgängers in Rente in dem Mitgliedstaat, in dem er als Grenzgänger eine Beschäftigung ausgeübt hat. Im vorliegenden Fall macht der Kläger aber einen Sachleistungsanspruch in dem Mitgliedstaat geltend, in dem er als Grenzgänger gewohnt hat. Einen solchen Anspruch beinhaltet Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 nicht. Die Vorschrift ist somit schon von der Rechtsfolgenseite her im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

Im Übrigen liegen auch die dort normierten Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor. Entsprechend seinem Regelungsgegenstand (Sachleistungsanspruch in dem Mitgliedstaat, in dem als Grenzgänger eine Beschäftigung ausgeübt wurde) setzt Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 implizit voraus, dass der Mitgliedstaat, in dem der Grenzgänger beschäftigt war, ein anderer ist als der Mitgliedstaat, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, der die Kosten für die dem Rentner in dessen Wohnmitgliedstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat. Im vorliegenden Fall ist aber der Mitgliedstaat, in dem der Kläger als Grenzgänger beschäftigt war - also Deutschland -, zugleich der Mitgliedstaat, in dem die Beklagte als zuständiger Träger sitzt, der für die Kosten für die im Wohnmitgliedstaat Deutschland zu gewährenden Sachleistungen aufzukommen hat.

Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 kann somit bereits nach seinem eindeutigen Wortlaut auf die beim Kläger bestehende Situation und den von ihm geltend gemachten Anspruch keine Anwendung finden. Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Vorschrift dem Kläger nur dann helfen würde, wenn er weiterhin seinen Wohnsitz in Österreich hätte. Dies ist seit dem 01.01.2012 aber nicht mehr der Fall.

Aus diesem Grund geht auch der Hinweis der Klägerseite auf Art. 28 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 ins Leere. Nach dieser Bestimmung gelten die Absätze 2 und 3 so lange, bis auf die betreffende Person die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates aufgrund einer Beschäftigung oder einer selbständigen Tätigkeit Anwendung finden. Nachdem die Regelung des Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 - wie dargelegt - im Hinblick auf das Begehren des Klägers nicht einschlägig ist, weil die dort angeordnete Rechtsfolge nicht die ist, die vom Kläger gewünscht wird, ist die Frage ihrer Weitergeltung in diesem Zusammenhang ohne Belang.

Eine „entsprechende“ Anwendung des Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 dahingehend, dass ein Grenzgänger in Rente nach einem Umzug in den ehemaligen Beschäftigungsstaat einen vollen Sachleistungsanspruch im ehemaligen Wohnmitgliedstaat hat, kommt nicht in Betracht. Eine rechtliche Grundlage hierfür ist nicht ersichtlich. Wie die Beklagte und der Spitzenverband der GKV zutreffend dargelegt haben, ist weder die Interessenlage vergleichbar noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke besteht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Spitzenverbandes der GKV vom 27.02.2018 wird Bezug genommen.

Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten verstößt dieses Ergebnis auch nicht gegen Art. 5 VO (EG) 883/2004. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes:

a) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.

b) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären“.

Die Vorschrift wendet sich an den zuständigen Mitgliedstaat bzw. an dessen zuständigen Träger und betrifft die Anwendung des eigenen mitgliedstaatlichen Rechts. Der in Art. 5 der VO verankerte Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung erstreckt sich nicht auf das Kollisionsrecht und soll auch keine kollisionsrechtlichen Wirkungen entfalten. Seine Anwendung darf nicht dazu führen, dass kollisionsrechtliche Zuständigkeiten geändert werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 11; Schuler in: Fuchs, Europ. Sozialrecht, Art. 5 Rn. 4).

In Betracht kommt hier allenfalls Art. 5 b) VO (EG) 883/2004, der das Gleichstellungsgebot auf alle Sachverhalte und Ereignisse erstreckt, deren Erfüllung von Normen des inländischen Sozialrechts vorausgesetzt werden (Schuler, a.a.O., Rn 11). Im vorliegenden Fall steht jedoch nicht die Frage inmitten, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer deutschen Rechtsvorschrift gegeben sind und in diesem Rahmen ein Sachverhalt, der sich in Österreich zugetragen hat, zu berücksichtigen ist. Streitig ist vielmehr, ob der Kläger nach den kollisionsrechtlichen Bestimmungen als Grenzgänger in Rente anzusehen ist und Anspruch auf Sachleistungen in Österreich hat. Damit ist der Anwendungsbereich des Art. 5 b) VO (EG) 883/2004 nicht eröffnet.

Nochmals hervorzuheben ist, dass der Kläger durch den Wohnortwechsel keine Ansprüche verloren hat, die er aufgrund von nationalen Rechtsvorschriften erworben hat. Das Risiko bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit ist nach seinem Umzug nach Deutschland vollumfänglich durch die Leistungen der Beklagten abgedeckt. Damit hat er durch Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit keine Nachteile erlitten.

Soweit der Kläger durch den Wohnsitzwechsel das in Art. 28 Abs. 2 der VO (EG) 883/2004 geregelte Privileg eines „Grenzgängers in Rente“ verloren hat, weil er seither kein Grenzgänger in Rente mehr ist, ist darauf hinzuweisen, dass auch jeder Grenzgänger im Sinne von Art. 1 lit. f) VO (EG) 883/2004 die Rechtsstellung eines Grenzgängers zusammen mit den damit verbundenen Vorteilen verlieren kann, insbesondere dann, wenn er seine Erwerbstätigkeit fürderhin im Wohnstaat ausübt, mithin kein Grenzgänger in diesem Sinne mehr ist.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.