Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 30. Juni 2015 - L 2 U 470/14

bei uns veröffentlicht am30.06.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17.09.2014 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind auch um Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.

Die 1964 geborene Klägerin ist gelernte Krankenschwester und war vom 01.02.2011 bis 31.07.2012 als Hilfskraft im Gruppendienst eines Wohnheims der L. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 12,25 Std. in der Frühschicht (täglich 2 1/4 Stunden) beschäftigt. Ihre Arbeit umfasste die Begleitung und Förderung behinderter Menschen. Sie musste auch Bad und Toilette reinigen.

Mit Schreiben vom 20.02.2013 meldete die Barmer GEK einen Erstattungsanspruch nach § 111 SGB X gegenüber der Beklagten an wegen allergischer Reaktion auf Putzmittel als mögliche Folge einer Berufskrankheit (BK). Die Klägerin ging davon aus, dass sie durch die Inhaltsstoffe von Putzmitteln krank geworden sei. Verwendet wurden laut Klägerin Milizid (Dr. Schnell) und ein Lemon Duft-Neutralreiniger.

In Schilderungen zu Lebenslauf und Krankheitsverlauf berichtete die Klägerin u. a. über einen Burn-Out 1999/2000 sowie Erschöpfungsphasen 2008, 2009 und 2010. Während der Arbeit für die L. sei sie zunehmend in extreme Müdigkeit geraten, wobei das Gedächtnis zuerst betroffen gewesen sei. Ein Handekzem habe sich vollständig zurückentwickelt, nachdem sie nicht mehr die Grundreinigung der Bäder durchführen musste. Von einer Virusgrippe im März 2011 habe sie sich nicht mehr vollständig erholt. Nach Urlaub im August 2011 bzw. ab Oktober 2011 habe sie kontinuierlich Gewicht zugenommen, ohne mehr zu essen, und sei immer mehr eingetrübt. Nach einem kleinen Radunfall im Januar 2012 seien undefinierbare Kniegelenksschmerzen aufgetreten. Durch Virusgrippe im April 2012 hätten sich die Symptome verschlimmert, mit Infektanfälligkeit und vollkommenem Zusammenbruch Anfang Juli. Konzentration und Kurzzeitgedächtnis hätten nachgelassen; sie sei schnell müde geworden. Den Juli habe sie frei gehabt und die meiste Zeit geschlafen. Ab Oktober 2012 seien ein Kribbeln im Kopf und an den Oberarmen aufgetreten, ein Hitzegefühl, auch entlang der Wirbelsäule, sie habe Gangstörungen gehabt, Bewegungseinschränkungen, Schmerzunempfindlichkeit an den Oberschenkeln und Polyneuropathien vom Kopf bis zu den Füßen. Sie habe alle Symptome von ME/CFS (= myelopathische Enzephalopathie/chronic fatigue syndrome). Saunagänge und Lymphdrainagen würden helfen.

Die Klägerin führte ihre Beschwerden auf eine Lösemittelvergiftung zurück. Mangels Einweisung habe sie den Kaltreiniger fälschlicherweise in heißem Wasser aufgelöst und dabei inhaliert. Sie sei nicht psychisch krank, werde aber auf die Psychoschiene geschoben.

Auf die übersandten ärztlichen Unterlagen der Zahnärzte Dres. D., des Allgemeinmediziners Dr. H. und des Orthopäden Dr. B. wird verwiesen. Der Durchgangsarzt Dr. P. vom Krankenhaus A-Stadt nannte als Erstdiagnosen am 29.04.2013 eine „komplex neurologisch internistische Intoxiaktionsfolge oder eine chronische Psychose“.

Der Gewerbearzt Dr. H. führte mit Stellungnahme vom 26.04.2013 aus, dass nach Aktenlage keine Listen-Berufskrankheit vorliege. Weder liege eine geeignete Exposition am Arbeitsplatz noch eine berufsbedingte Beanspruchungsreaktion vor. Die Anerkennung einer BK könne nicht empfohlen werden.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2013 die Anerkennung der geltend gemachten Beschwerden (Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schmerzen in den Oberarmen und Oberschenkeln, Gewichtszunahme und Konzentrationsstörungen) als BK oder Wie-Berufskrankheit ab. Die Beschwerden seien nicht in der Berufskrankheitenliste aufgeführt.

Zur Begründung ihres Widerspruchs vom 22.05.2013 führte die Klägerin im Wesentlichen aus, sie habe nicht gewusst, dass sich bei Verwendung des Reinigers in warmen Wasser Gase bilden könnten. Sie habe keine Gummihandschuhe mit langen Stulpen bekommen. Sie habe nur zeitweise Reinigungsarbeiten durchführen können, weil die Haut durch Saunagänge freitags entgiftet worden sei. Auch helfe ihrem Körper, dass sie sich nicht gegen Hepatitis impfen lasse und keine Medikamente nehme. Sie sei in den Wechseljahren und habe nun Diabetes. Untersuchungen, die für eine BK Nr. 1317 hätten Beweise liefern können, seien nicht erfolgt. Die Klägerin legte Befunde der behandelnden Ärzte und Informationen zu dem verwendeten Kaltreiniger vor.

Der Neurologe und Psychiater Dr. S. diagnostizierte im Arztbrief vom 30.07.2012 eine Neurasthenie, Anpassungsstörungen und ein Überlastungssyndrom. Die Klägerin sei zuletzt im August 2010 vorstellig gewesen. Sie sei seit Wochen niedergeschlagen, antriebsgemindert, energielos und könne sich nicht mehr zu Hobbys wie Tanzen oder Nordic Walking aufraffen. Die Scheidung sei erfolgt. Bei Untersuchung waren Mnestik, Konzentration und Bewusstsein unauffällig, das Denken formal eingeengt, bei Grübeln, dysthymen Affekt, Ratlosigkeit und Antriebsminderung. Im Arztbrief vom 02.10.2012 diagnostizierte Dr. S. zusätzlich eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Im Arztbrief vom 15.10.2012 nannte Dr. S. als Diagnosen Läsionen der Lumbosakralwurzeln sowie Verdacht auf Somatisierungsstörung und schloss eine Myopathie und Spannungskopfschmerz aus. Der Neurostatus sei unauffällig, ohne Anhalt für eine muskuläre Erkrankung im Sinne einer Myopathie, für radikuläre Symptome oder für eine zentralneurologische Störung; eine Nervenläsion im Bereich der Beine sei ausgeschlossen. Obwohl selten so eindrücklich ein psychosomatischer Zusammenhang zu erkennen sei, lehne die Klägerin eine psychische Erkrankung vehement ab, was den therapeutischen Zugang erschwere. Die Klägerin leide seit längerem an Burnout und sei seit Rehamaßnahmen 2008 und 2009 nicht mehr voll leistungsfähig. Es bestünden erhebliche psychosoziale langjährige Konflikte. Ein MRT des Kopfes habe keinen Befund ergeben. Paresen oder Auffälligkeiten der Muskeleigenreflexe, Muskelatrophien oder sensible Defizite lagen bei Untersuchung nicht vor, der Lasègue war negativ und die Koordinationsprüfungen und Hirnnerven waren unauffällig. Eine inkonstante Kraftminderung vor allem im Bereich der Oberschenkel beidseits bestünde; die Klägerin sei agitiert und panisch von einer körperlichen Erkrankung überzeugt.

Die Klägerin merkte dazu an, dass der Apparat defekt gewesen sei, dass sie wegen der Läsion der Lumbosakralwurzeln keine Beschwerden habe und ein Burnout sowie psychosoziale Konflikte vor 2000 vorgelegen hätten.

Das Krankenhaus der B. B-Stadt diagnostizierte nach Aufenthalt der Klägerin vom 29.01.2013 bis 01.02.2013 einen Verdacht auf somatoforme Störung und wahnhafte Störung bei unauffälligen körperlichen Befunden. Unauffällig waren der Hirnnervenstatus, der Kopf- und Halsbereich, die Muskeleigenreflexe (mittellebhaft auslösbar), die Koordination und das EEG. Es bestanden keine Paresen und keine Oberflächen- und Tiefensensiblitätsstörungen, die Propriozeption (= Eigenwahrnehmung) war uneingeschränkt, das Vibrationsempfinden betrug allseits 7-8/8, die komplexen Gangprüfungen waren regelrecht möglich, bei leicht unsicherem Blindgang und eine entzündliche ZNS-Erkrankung - insbesondere eine Neuroborreliose - konnte ausgeschlossen werden aufgrund unauffälliger Labor- und Liquordiagnostik. Die Klägerin könne ein Zurechtrücken ihres eigenen Erklärungsmodells nicht akzeptieren; wegen wahnhafter Störung wurde eine psychiatrische Weiterbehandlung empfohlen.

Im Arztbrief vom 12.12.2012 diagnostizierte der Endokrinologe Dr. S. eine latente Hypothyreose bei atrophischer Schilddrüse, V.a. Insulinresistenz bei Adipositas und einen auszuschließenden Hypercortisolismus. Die Klägerin habe über extreme Müdigkeit, Schmerzen in Kopf, Oberarmen, Oberschenkel sowie Gewichtszunahme geklagt, mit Auftreten der Beschwerden nach Grippe Anfang 2012.

Das MRT des Schädels vom 04.09.2012 war unauffällig, ohne Anhalt für entzündliche Prozesse. Das MRT von HWS und BWS vom 24.06.2013 zeigte beginnende Osteochondrosen mit Bandscheibenprotrusionen im Bereich C 4 bis C 7.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2013 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 17.07.2013 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG) erhoben und zunächst Anerkennung ihrer Gesundheitsstörungen als Arbeitsunfall und Berufskrankheit beantragt. Zur Begründung hat sie erneut auf die im Reiniger enthaltenen Gefahrstoffe hingewiesen und im Wesentlichen ihre Widerspruchsbegründung wiederholt. Es handele sich um chemische Reiniger.

Das SG hat Befundberichte des Orthopäden Dr. B., des Allgemein- und Umweltmediziners Dr. B. und der Neurologen und Psychiater Dres. N.-W. /W. eingeholt und die SG-Akte unter dem Az. über die Klage auf Erwerbsminderungsrente zum Verfahren beigezogen.

Anschließend hat das SG ein Gutachten des Neurologen und Psychiater Dr. K. vom 03.06.2014 eingeholt, das dieser nach Untersuchung der Klägerin am 02.06.2014 erstellt hat. Dr. K. hat bei der Klägerin eine psychische Störung entweder im Sinne einer wahnhaften Störung oder im Sinne einer ausgeprägten Somatisierungsstörung diagnostiziert. Diese stünde nicht mit Wahrscheinlichkeit im ursächlichen Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung. Bei Untersuchung seien Hirnnerven, Trigeminus- und Facialisnerv unauffällig gewesen, ebenso die Reflexe, die Koordinationsprüfungen und das EEG. Sensibilitätsstörungen mit Krankheitswert bestanden nicht bei normalen tiefensensiblen Qualitäten. Es hätten sich keine Hinweise für eine Polyneuropathie oder eine toxische Enzephalopathie ergeben. Hirnorganische Zeichen hätten weder im kognitiven noch im affektiven Bereich bestanden bei Hinweisen auf wahrscheinlich etwas sensitive Persönlichkeitsstruktur bzw. sogar wahnhafte Störung. Die geltend gemachten Sensibilitätsstörungen seien mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Gegen eine toxische Erkrankung des Nervensystems spreche die kurze Dauer der Tätigkeit an der letzten Arbeitsstelle mit 2,15 Stunden täglich und nur teilweise mit Reinigungsarbeiten. Außerdem hätten sich die Beschwerden nach Ende der Exposition nicht zurückgebildet, wie es bei gewerblichen Intoxikationen grundsätzlich zu fordern sei bzw. die Beschwerden seien erst nach Ende der Exposition aufgetreten, was aus psychiatrischer Sicht möglicherweise Ausdruck einer Kränkung gewesen sei. Zweifellos handele es sich um eine psychiatrische und nicht um eine körperliche Erkrankung aufgrund Intoxikation mit Lösungsmitteln.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide zu verpflichten, eine Berufskrankheit Nr. 1317 der Anlage 1 der BKV anzuerkennen.

Mit Urteil vom 17.09.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Denn die Krankheitsbilder einer BK Nr. 1317 - eine Polyneuroapathie oder Enzephalopathie - seien nach dem überzeugenden Gutachten von Dr. K. bei der Klägerin nicht nachgewiesen.

Auch keiner der behandelnden Ärzte oder Gutachter habe je eine entsprechende Diagnose gestellt oder entsprechende organisch-krankhafte Befunde erhoben. Die Ärzte würden vielmehr von einer psychischen Erkrankung im Sinne einer wahnhaften Störung bzw. einer ausgeprägten Somatisierungsstörung ausgehen. So hätten die Neurologen und Psychiater Dres. N.-W./W. aufgrund einer Untersuchung am 30.07.2012 eine Neurasthenie, Anpassungsstörungen und ein Überlastungssyndrom diagnostiziert und am 02.10.2012 eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Das MRT des Schädels von September 2012 habe keine Auffälligkeiten erbracht. Die Neurologische Klinik des Krankenhauses der B. in B-Stadt habe keine Hinweise auf organische Genese der Beschwerden gefunden, sondern eine psychiatrische Erkrankung im Sinne einer wahnhaften Störung angenommen. Die Diagnose einer wahnhaften Störung habe Dr. K. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) nach nervenärztlicher Behandlung am 28.02.2013 wiederholt. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. A. habe im Gutachten von Januar ein multiples körperliches Beschwerdebild bei Verdacht auf ausgeprägte Somatisierungsstörung genannt. Im Rehabilitationsverfahren vom 23.04. bis 28.05.2014 habe die I-Klinik eine wahnhafte Störung und Somatisierungsstörung diagnostiziert, ohne pathologische körperliche Befunde zu erheben.

Bei Untersuchung im Juni 2014 habe Dr. K. einen unauffälligen Untersuchungsbefund festgestellt, ohne Hinweise auf eine durch Lösungsmittel verursachte neurologische oder psychiatrische Erkrankung. Hinsichtlich der geltend gemachten Sensibilitätsstörungen habe Dr. K. keine Störungen der sogenannten epikritischen Qualitäten festgestellt, also des Lageempfindens, des Zahlenerkennens oder der Vibration. Zudem hätten sich weder im kognitiven noch im affektiven Bereich hirnorganische Zeichen für eine Enzephalopathie ergeben. Hinweise für durch organische Lösungsmittel bedingte Erkrankungen bestünden laut Dr. K. nicht. Zudem sei bei durch Lösungsmittel bedingten Erkrankungen in aller Regel nach Beendigung der Exposition ein Rückgang der Beschwerden zu fordern, was bei der Klägerin nicht der Fall sei.

Gegen das am 31.10.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.11.2014 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Eine Polyneuropathie sei nachweisbar, wenn Untersuchungen daraufhin vorgenommen würden. Eine ganzheitliche Betrachtung der Symptome, der Anamnese, der umweltmedizinischen Untersuchungen und adäquate körperliche Untersuchung seien nötig. Ihr seien Untersuchungen bzw. Therapien verweigert worden und in den Befundberichten werde gelogen. Sie sei nicht in der Verwendung der Reiniger unterwiesen worden; Schutzhandschuhe habe sie nicht erhalten.

Das LSG hat zusätzlich die Schwerbehindertenakte der Klägerin beim D. Regionalstelle D-Stadt (ZBFS) und die Akte der Deutschen Rentenversicherung Südbayern (DRV) beigezogen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass trotz wiederholter neurologisch-psychiatrischer Untersuchungen kein Arzt oder Gutachter in den beigezogenen Akten eine Polyneuropathie oder eine Enzephalopathie bzw. eine hirnorganische Störung diagnostiziert hatte. Vielmehr werden die Diagnosen einer Anpassungsstörung, einer Somatisierungsstörung bzw. somatoformen Störung oder eine wahnhaften Störung diskutiert, teils auf dem Boden einer neurasthenen Persönlichkeit oder einer schweren Persönlichkeitsstörung. Verwiesen wird insbesondere auf das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 15.11.2012 für die DRV, das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. A. vom 20.08.2013 für das ZBFS und vom 10.01.2014 für das SG im Rentenverfahren, den Rehabericht der I-Klinik über den Aufenthalt der Klägerin vom 23.04. bis 28.05.2014 sowie Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 15.10.2012, des Neurologen Dr. Z. vom 04.04.2013, den Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 16.04.2013, der Neurologin und Psychiaterin Dr. S.-P. vom 15.05.2013 sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 24.07.2013.

Mit Schreiben vom 28.01.2015 hat das LSG die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie die objektive Beweislast für eine Krankheit im Sinne der BK Nr. 1317 trägt und kein Gutachter oder Arzt diese Erkrankungen bisher diagnostiziert habe. Die Berufung habe keine Erfolgsaussicht und ein weiteres Gutachten von Amts wegen sei nicht nötig.

Daraufhin hat die Klägerin auf Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit in der Uniklinik B-Stadt hingewiesen. Die Assistenten seien bei den Messungen immer sehr geschockt; in den Arztbriefen sei dann alles in Ordnung. Sie werde ungerechtfertigt auf die Psychoschiene geschoben. Das LSG hat die Unterlagen der Klinik für Neurologie und der Klinik für Psychiatrie am B. beigezogen. Die Klinik für Neurologie hat im Arztbrief vom 07.11.2014 einen Verdacht auf wahnhafte Störung diagnostiziert und angesichts der Klinik eine Polyneuropathie der Beine ausgeschlossen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 30.06.2015 hat der Senat mit der Klägerin die Problematik des Nachweises entsprechender Krankheitsbilder einer Polyneuropathie und Enzephalopathie erörtert. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17.09.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 zu verpflichten, eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Beklagtenakte, die SG-Akten unter dem Az. S 9 U 188/13 und, die Akte der DRV und des ZBFS verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

A) Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung erweist sich als unbegründet. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV. Das Urteil des SG, das die Klage auf Feststellung einer BK Nr. 1317 als unbegründet abgewiesen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten (BKen) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2).

Nach ständiger BSG-Rechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK (vgl. z. B. BSG vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - Juris RdNr. 14). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG vom 15.09.2011- B 2 U 25/10 R - Juris RdNr. 24 m. w. N.).

Die BK Nr. 1317 hat der Verordnungsgeber in der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: „Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische“.

Wie das SG bereits zutreffend dargelegt hat, ist schon eine Krankheit der Klägerin im Sinne der BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV - eine Enzephalopathie oder Polyneuropathie - nicht im Vollbeweis, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: In Übereinstimmung mit vorherigen Untersuchungen von Dr. S., Dr. A., Dr. Z., Dr. S.-P., Dr. S. und im Krankenhaus der B. in B-Stadt hat auch Dr. K. bei Untersuchung der Klägerin am 02.06.2014 weder eine Polyneuropathie noch eine Enzephalopathie feststellen können.

Hinweise für eine Enzephalopathie oder hirnorganische Störungen lagen bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt vor, weder nach dem Gutachten von Dr. K. noch nach den weiteren zahlreichen ärztlichen Befunden. Zuletzt hatte nochmals die neurologische Klinik der Uniklinik B-Stadt im November 2014 einen unauffälligen Hirnnervenstatus festgestellt, bei sensibel intakter Trigeminusfunktion, regelrechter facialisinnervierter Muskulatur und freien Nervenaustrittspunkten. Die von der Klinik veranlasste laborchemische Diagnostik zum Ausschluss einer autoimmun vermittelten Enzephalitis hat nach den Unterlagen negative Befunde ergeben.

Der Sachverständige Dr. K. hat außerdem überzeugend eine Polyneuropathie mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen, da in seiner Untersuchung weder das Lageempfinden noch das Zahlenerkennen oder das Vibrationsempfinden der Klägerin gestört waren.

Ebenso hatte bereits das Krankenhaus der B. B-Stadt während des stationären Aufenthalts der Klägerin vom 29.01. bis 01.02.2013 eine Oberflächen- und Tiefensensibilitätsstörung ausgeschlossen bei allseitigem Vibrationsempfinden von 7-8/8, also im Normalbereich. Dr. Z. hatte ebenfalls am 04.04.2013 zu einer Polyneuropathie passende Defizite - auch der Sensibilität - ausgeschlossen. Dem entspricht der Befund von Dr. S.-P. vom 15.05.2013, wonach die motorische Neurographie Normalbefunde erbracht hatte, bei normalem Muskeltonus, ohne Paresen, unauffälligem Stand und Gang und einer in allen Qualitäten ungestörten Sensibilität. Die Muskeleigenreflexe waren in allen Untersuchungen über die Jahre unauffällig, auch bei der Untersuchung im November 2014.

Auch die neurologische Klinik der Uniklinik B-Stadt hat im Arztbrief vom 07.11.2014 eine Polyneuropathie der Beine ausgeschlossen, trotz einer gemessenen Nervenleitgeschwindigkeit, die für eine rein sensible Polyneuropathie spricht. Denn die klinischen Befunden sprachen laut Uniklinik gegen eine Polyneuropathie angesichts des beidseits erhaltenen Achillessehnenreflexes, des Vibrationsempfindens von 6/8 (Pallästhesie), was noch im Normbereich liegt, und fehlender Hinweise für Oberflächen- oder Tiefensensibilitätsstörungen. Die Klinik führte die gezeigte Gangstörung (breitbasig-unsicher) und die muskuläre Schwäche eher auf die langfristige körperliche Schonung zurück bzw. sah sie als körperliche Manifestation des ausgeprägten Leidensdrucks bei Verdacht auf wahnhafte Störung. Bei anschließender Vorstellung in der Klinik für Psychiatrie wegen des sprunghaften Denkens bis zur Ideenflüchtigkeit, Logorrhoe und Affektlabilität wurde dort eine Somatisierungsstörung oder als Differentialdiagnose eine wahnhafte Störung bestätigt und eine stationäre Behandlung empfohlen.

Vor diesem Hintergrund ist nach wie vor ein entsprechendes Krankheitsbild nicht im Vollbeweis gesichert. Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nach Überzeugung des Senats angesichts der vorliegenden Unterlagen und Gutachten nicht veranlasst.

Im Übrigen hatte Dr. K. bereits darauf hingewiesen, dass angesichts der Flüchtigkeit von Lösemitteln nach Ende der Exposition häufig eine Rückbildung von Symptomen zu erwarten ist und die von der Klägerin geschilderte Beschwerdezunahme nach Expositionsende gegen einen Ursachenzusammenhang mit der Lösemittelexposition spricht, zumal die Klägerin nur über einen Zeitraum von ca. 1 1/2 Jahren in zeitlich geringem Umfang Lösemitteldämpfen ausgesetzt war. Denn bei täglicher Arbeitszeit von 2 1/4 Stunden umfasste nur ein Teil der Arbeitszeit die Reinigung von Bad und Toilette. Auch nach dem überarbeiteten Merkblatt zur BK Nr. 1317 aus dem Jahr 2005 (BArbBl. 3/2005 S. 49 ff.) wird unter Punkt 3 dargelegt, dass sich lösungsmittelbedingte Polyneuropathien häufig nach Unterlassung der Exposition verbessern. Ferner wird ausgeführt, dass sie sich in der Regel in engem zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Lösungsmittelexposition entwickeln, wobei die klinische Diagnose der Polyneuropathie auch noch zwei bis drei Monate nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit erstmals gestellt werden kann. Im BK-Report 2/2007 zur BK 1317 wird dementsprechend unter 3.3 (Bl. 138) ausgeführt, dass aufgrund vorliegender Untersuchungen eine toxische Polyneuropathie nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen kann, es jedoch langfristig nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitgehenden Rückbildung der Symptomatik kommt, auch wenn im Einzelfall Reststörungen, insbesondere bei anfangs schwer betroffenen Patienten, auch dauerhaft persistieren können. Vor diesem Hintergrund lässt sich die erstmals über zwei Jahre nach Expositionsende gemessene eingeschränkte sensible Nervenleitgeschwindigkeit ohne entsprechende klinische Symptomatik nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die leichte Lösemittelexposition als Ursache zurückführen. Die Einschätzung von Dr. K. erweist sich auch im Abgleich mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als schlüssig und überzeugend.

Die Argumentation der Klägerin, ihre gesundheitlichen Beschwerden seien auch deswegen auf die Lösemittelbelastung an ihrem letzten Arbeitsplatz zurückzuführen, weil sie zuvor leistungsfähig und gesund gewesen sei, steht zudem im Widerspruch zu den vorliegenden ärztlichen Unterlagen. So waren im Rehabericht der I-Klinik über den Aufenthalt der Klägerin vom 02.07.2009 bis 06.08.2009 eine Anpassungsstörung, eine längere depressive Reaktion sowie eine Neurasthenie diagnostiziert worden. Die Klägerin hatte damals als Beschwerden eine Gefühlsleere und Empfindungsstörungen seit Dezember 2008 geschildert, die sich in schnelle Anspannung und Reizbarkeit gewandelt hätten. Zunehmender Stress in der Ehe mit Trennung 2007 und Erziehung der drei Kinder, von denen zwei eine Lernbehinderung hätten, waren damals als Auslöser der Beschwerden gesehen worden. Bereits während dieser Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2009 waren Auffassungs-, Konzentrations- und Merkfähigkeit sowie Gedächtnis der Klägerin beeinträchtigt und sie klagte bei Entlassung weiter über Müdigkeit und Erschöpfung, wobei ihre Leistungsfähigkeit am Nachmittag rapide nachließ. Die Klägerin hat selbst in ihrem Lebenslauf für die DRV im Rahmen des Antrags auf Erwerbsminderungsrente Erschöpfungszustände u. a. 2008 nach Pflege schwerbehinderter Kinder und 2010 nach einer Teilzeittätigkeit mit 20 Wochenstunden geschildert.

Die Klägerin hat schon mangels eines entsprechenden gesicherten Krankheitsbildes keinen Anspruch auf Feststellung einer BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV. Daher kann der Senat offenlassen, ob die kurzfristigen Einwirkungen von Lösemitteldämpfen überhaupt die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllen.

B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

C) Gründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG zur Zulassung der Revision sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

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Der Anspruch auf Erstattung ist ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.