Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 24. Aug. 2015 - L 10 AL 200/15 NZB

bei uns veröffentlicht am24.08.2015
vorgehend
Sozialgericht Nürnberg, S 1 AL 125/15, 25.06.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.06.2015 - S 1 AL 125/15 - wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Streitig ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) gemäß dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Zeit vom 01.01.2015 bis 04.01.2015.

Der Kläger meldete sich am 30.10.2014 zum 01.11.2014 bei der Agentur für Arbeit A-Stadt unter seiner Anschrift in W-Stadt persönlich arbeitslos. Am 01.01.2015 ist er in die A-Straße in A-Stadt umgezogen und hat sich beim Einwohnermeldeamt am 02.01.2015 umgemeldet. Nachdem er den Antrag auf Arbeitslosengeld Ende Januar 2015 abgegeben hatte, bewilligte die Beklagte mit Bescheiden vom 06.02.2015 Alg für die Zeit vom 05.11.2014 bis 31.12.2014 und vom 05.01.2015 bis 07.11.2015 in Höhe von 41,40 € täglich. Gegen diese Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe sich erst zum 05.01.2015 persönlich bei der Beklagten melden können. Am 02.01.2015 (Freitag) habe er sich beim Einwohnermeldeamt umgemeldet, dies habe so lange gedauert, dass dann die Beklagte bereits geschlossen gehabt hätte. So hätte er - wie geschehen - erst am 05.01.2015 bei der Beklagten den Umzug melden können. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Vermerk über die Aufgabe des Widerspruchsbescheides zur Post durch die Poststelle der Beklagten findet sich nicht.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) am 16.04.2015 erhoben. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.06.2015 abgewiesen. Zum einen sei sie unzulässig, denn die Klage sei unter Berücksichtigung des § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verfristet erhoben worden. Sie sei aber auch unbegründet. Der Kläger habe aufgrund des ausgehändigten Merkblattes von der Pflicht zur Mitteilung des Umzugs gewusst. Eine persönliche Meldung sei nicht erforderlich gewesen und auch nicht gefordert worden. Nachdem er damit für die Zeit vom 01.01.2015 bis 04.01.2015 den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden habe, bestehe kein Anspruch auf Alg. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.

Dagegen hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Der Widerspruchsbescheid sei erst am 17.03.2015 bei ihm eingegangen. Bei seiner persönlichen Arbeitslosmeldung habe er wegen des Umzuges nachgefragt, Antworten sollte er erst bei Abgabe des Antrages erhalten. Seine frühere Wohnung habe Brandschäden gehabt. Am 05.01.2015 sei die Abgabe der Veränderungsmitteilung von der Beklagten verweigert worden. Ebenfalls am 05.01.2015 sei ihm telefonisch von der Beklagten bestätigt worden, dass er sich persönlich melden müsse.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II. Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Der Beschwerdewert wird nicht erreicht. Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11.Aufl, § 144 RdNr. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 4).

Vorliegend macht der Kläger keinen der genannten Zulassungsgründe geltend. Solche sind für den Senat auch nicht ersichtlich, nachdem das SG in der Sache entschieden hat und nicht allein auf die Verfristung der Klage abgestellt hat (vgl. dazu Urteil des Senates vom 11.06.2015 - L 10 AL 159/14). Somit stellt sich die Frage, ob die Aufgabe zur Post durch einen Mitarbeiter der Poststelle der Beklagten vermerkt werden muss und ob dies hier erfolgt ist, vorliegend nicht entscheidungserheblich.

Dass das SG in der Sache zutreffend entschieden hat (vgl. hierzu bereits: BSG, Urteil vom 29.11.1989 - 7 RAr 138/88 - veröffentlicht in juris), ist für die Zulassung der Berufung ohne Bedeutung, zumal der Kläger aufgrund des ausgehändigten Merkblattes wusste bzw. hätte wissen müssen, dass er der Beklagten den Umzug rechtzeitig hätte mitteilen müssen, wobei zunächst keine persönliche Meldung erforderlich gewesen wäre. Die Abgabe bzw. Übersendung einer Veränderungsmitteilung wäre ihm rechtzeitig möglich gewesen.

Nach alledem war die Beschwerde mit der Folge zurückzuweisen, dass das Urteil des SG rechtskräftig ist (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 177


Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 37 Bekanntgabe des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden. (2) Ein schriftlicher Verwaltun

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 145


(1) Die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht kann durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Ur

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Juni 2015 - L 10 AL 159/14

bei uns veröffentlicht am 11.06.2015

Gründe Leitsatz: in dem Rechtsstreit A., A-Straße, A-Stadt - Kläger und Berufungskläger - Proz.-Bev.: B., B-Straße, Bamberg - - gegen Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch die Geschäftsführung des O

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(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden.

(2) Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

(2a) Mit Einwilligung des Beteiligten können elektronische Verwaltungsakte bekannt gegeben werden, indem sie dem Beteiligten zum Abruf über öffentlich zugängliche Netze bereitgestellt werden. Die Einwilligung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authentifizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt gilt am dritten Tag nach Absendung der elektronischen Benachrichtigung über die Bereitstellung des Verwaltungsaktes an die abrufberechtigte Person als bekannt gegeben. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang der Benachrichtigung nachzuweisen. Kann die Behörde den von der abrufberechtigten Person bestrittenen Zugang der Benachrichtigung nicht nachweisen, gilt der Verwaltungsakt an dem Tag als bekannt gegeben, an dem die abrufberechtigte Person den Verwaltungsakt abgerufen hat. Das Gleiche gilt, wenn die abrufberechtigte Person unwiderlegbar vorträgt, die Benachrichtigung nicht innerhalb von drei Tagen nach der Absendung erhalten zu haben. Die Möglichkeit einer erneuten Bereitstellung zum Abruf oder der Bekanntgabe auf andere Weise bleibt unberührt.

(2b) In Angelegenheiten nach dem Abschnitt 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes gilt abweichend von Absatz 2a für die Bekanntgabe von elektronischen Verwaltungsakten § 9 des Onlinezugangsgesetzes.

(3) Ein Verwaltungsakt darf öffentlich bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine Allgemeinverfügung darf auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist.

(4) Die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes wird dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil in der jeweils vorgeschriebenen Weise entweder ortsüblich oder in der sonst für amtliche Veröffentlichungen vorgeschriebenen Art bekannt gemacht wird. In der Bekanntmachung ist anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können. Der Verwaltungsakt gilt zwei Wochen nach der Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden.

(5) Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Gründe

Leitsatz:

in dem Rechtsstreit

A., A-Straße, A-Stadt

- Kläger und Berufungskläger -

Proz.-Bev.: B., B-Straße, Bamberg - -

gegen

Bundesagentur für Arbeit,

vertreten durch die Geschäftsführung des Operativen Service der Agentur für Arbeit N., R.-W.-Platz ..., N.

- Beklagte und Berufungsbeklagte -

Der 10. Senat des Bayer. Landessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung in Schweinfurt

am 11. Juni 2015

durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht Pawlick, den Richter am Bayer. Landessozialgericht Utz und den Richter am Bayer. Landessozialgericht Strnischa sowie die ehrenamtlichen Richter Straus-Saal und K.

für Recht erkannt:

I.

Auf die Berufung des Klägers werden Ziffer II. und III. des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.06.2014 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Bayreuth zurückverwiesen.

II.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Sozialgerichts Bayreuth vorbehalten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 25.02.2013 bis 29.04.2013, die Erstattung überzahlter Leistungen i. H. v. 1.824,55 € und eine Aufrechnung.

Der Kläger meldete sich am 31.07.2012 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Am 22.08.2012 bestätigte er das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 28.08.2012 Alg für die Zeit vom 31.07.2012 bis 29.07.2013 i. H. v. 28,07 € täglich.

Im Vorfeld eines bezahlten Praktikums des Klägers bei der Firma K. E. T. in T. (E.) vom 25.02.2013 bis 29.04.2013 gab es verschiedene Telefonkontakte des Klägers und seines Vaters mit der Beklagten, bei denen es um dieses Praktikum ging. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 30.04.2013 erfuhr die Beklagte schließlich, dass das Praktikum tatsächlich vom Kläger absolviert worden war. Nach Anhörung des Klägers hob sie mit Bescheid vom 27.06.2013 die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 25.02.2013 bis 29.04.2013 auf, forderte die Erstattung überzahlter Leistungen i. H. v. 1.824,55 € und erklärte die Aufrechnung i. H. v. 14,03 € täglich. Auf dem Bescheid war in der linken oberen Ecke lediglich der Vermerk „abgesandt am“ angebracht, ohne dass ein Datum benannt wurde. Gleichzeitig wurde mit Änderungsbescheid vom 27.06.2013 die Höhe der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 25.02.2013 bis 29.04.2013 auf 0 € festgesetzt und für die Zeit vom 30.04.2013 bis 04.10.2013 Alg i. H. v. 28,07 € täglich bewilligt. Im Hinblick auf eine Beschäftigungsaufnahme des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 02.07.2013 die Bewilligung von Alg ab dem 01.07.2013 auf.

Der Bevollmächtigte des Klägers legte gegen den Bescheid vom 27.06.2013 am 07.08.2013 unter Vorlage einer auf einen „Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ALG I“ bezogenen Vollmacht vom 19.07.2013 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2013 als unzulässig verwarf, da die Widerspruchsfrist nicht eingehalten worden sei. Der Bescheid gelte am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als zugegangen, so dass die Widerspruchsfrist am 30.07.2013 abgelaufen sei.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Er sei wegen seiner Arbeit nicht vor Ort gewesen und nur am Wochenende heimgekommen. Der Bescheid sei ihm verspätet zugegangen. Mit Gerichtsbescheid vom 30.06.2014 hat das SG die Klage unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid abgewiesen (Ziffern II. und III.).

Der Kläger hat dagegen Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Er sei jederzeit verfügbar gewesen, da er das Praktikum - er sei diesbezüglich zunächst von einem unentgeltlichen ausgegangen - jederzeit hätte abbrechen können. Auch sei dies zuvor mit der Beklagten besprochen worden.

Der Kläger beantragt,

die Ziffern II. und III. des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.06.2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Bayreuth zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat ausgeführt, der Bescheid sei bei der Agentur für Arbeit vor Ort erstellt und anschließend über einen zentralen Druck ausgedruckt und zur Post gegeben worden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2013 abgewiesen. Von der Unzulässigkeit des Widerspruchs des Klägers gegen den Bescheid vom 27.06.2013 konnte nicht aufgrund der Zugrundelegung einer 3-Tages-Frist ausgegangen werden.

Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Unklar ist vorliegend, wann der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 dem Kläger bekanntgegeben worden ist. Maßgeblich ist bei einem schriftlichen Verwaltungsakt dabei, wann dieser so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse mit dessen Kenntnisnahme zu rechnen ist; eine tatsächliche Kenntnisnahme ist dabei nicht erforderlich (vgl. dazu im Einzelnen: Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl, § 37 Rn. 4 m. w. N.). Weder das SG noch die Beklagte haben vorliegend zu ermitteln versucht, wann der Bescheid vom 27.06.2013 tatsächlich in den Machtbereich des Klägers - wohl seinen Briefkasten - gelangt ist. Auch kann aus den (bisherigen) Angaben des Klägers nicht darauf geschlossen werden, wann er den Bescheid tatsächlich erhalten hat. Vielmehr hat er diesbezüglich nur ausgeführt, er habe diesen verspätet erhalten. Auch wenn die Ortsabwesenheit für den Zugang des Bescheides unerheblich sein könnte, hat das SG hier keinen konkreten Zeitpunkt ermittelt oder festgestellt.

Soweit sich die Beklagte und das SG auf die Fiktionswirkung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) stützen, geht diese Annahme fehl. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Unabhängig davon, dass dies nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist und im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X), fehlt es für den Eintritt der Fiktionswirkung bereits an der Ermittlung des Tages der Aufgabe des Bescheides vom 27.06.2013 zur Post. Voraussetzung für die Bekanntgabefiktion ist die Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der maßgebende Verwaltungsakt zur Post gegeben wurde (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 24.01.2013 - L 3 AL 112/11 - juris - m. w. N.; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl, § 37 Rn. 12a). Regelmäßig erfolgt die Dokumentation durch einen Vermerk in den Verwaltungsakten, wann der Bescheid zur Post gegeben worden ist. Fehlt ein entsprechender Vermerk über den Tag der Postaufgabe, tritt grundsätzlich keine Bekanntgabefiktion ein (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 15; Engelmann a. a. O.; Mutschler in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Oktober 2014, § 37 SGB X Rn. 17). Hier hat die Beklagte bei dem Vermerk der Aufgabe zur Post kein Datum angebracht, so dass eine entsprechende Dokumentation nicht erfolgt ist. Es ist nicht einmal dokumentiert, wann der Bescheid zentral gedruckt worden und von dort ausgelaufen sein soll. Auch findet sich in den Unterlagen der Beklagten kein anderer Hinweis, wann der Bescheid zur Post gegeben worden ist (zu einer anderen Form des Nachweises als durch Vermerk in den Akten oder auf dem Bescheid: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.09.2010 - L 1 AL 122/09 - juris). Da sich die Beklagte auf die nicht fristgerechte Einlegung des Widerspruchs beruft, trifft sie die Feststellungslast der Nichterweislichkeit des Zugangszeitpunktes. Letztlich ist eine Bekanntgabe erst im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung des Klägers an seinen Bevollmächtigten am 19.07.2013 sicher nachzuweisen. Auf dieser Vollmacht ist der „Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ALG I“ vermerkt. Der Bescheid vom 27.06.2013 ist damit jedenfalls am 19.07.2013 dem Kläger bekannt geworden. Anhaltspunkte für einen konkreten früheren Zugangszeitpunkt gibt es nicht und solche wurden auch nicht von der Beklagten belegt. Ausgehend hiervon war die Widerspruchseinlegung am 07.08.2013 - die Widerspruchsfrist lief richtigerweise erst am 19.08.2013 ab (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §?64 SGG bzw. §§?26, 62 SGB?X, §§ 187 ff Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) - noch fristgerecht, der Widerspruch damit zulässig. Damit hat das SG zu Unrecht die Unzulässigkeit des Widerspruchs des Klägers unter Zugrundelegung einer 3-Tages-Fiktion zur Bestimmung der Bekanntgabe des angefochtenen Verwaltungsaktes angenommen.

Eine Entscheidung in der Sache durch das SG liegt nicht vor, da die Klage allein aus formellen Gründen ohne eigentliche Sachprüfung abgewiesen worden ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18.02.1981 - 3 RK 61/80 - SozR 1500 § 159 Nr. 2 = BSGE 51, 202; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 159 Rn. 2b). Der Gerichtsbescheid des SG vom 30.06.2014 war deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit an das SG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Bei einer Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG hat der Senat sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob er die Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll die Ausnahme sein (Keller a. a. O. § 159 Rn. 5a). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an der Sachentscheidung sowie den Grundsätzen der Prozessökonomie hält es der Senat vorliegend für angezeigt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen.

Nach der Zurückverweisung wird das SG in der Sache zu prüfen haben, ob die Aufhebung der Alg-Bewilligung für die Zeit vom 25.02.2013 bis 29.04.2013, die Erstattungsforderung in Bezug auf überzahlte Leistungen i. H. v. 1.824,55 € und die erklärte Aufrechnung i. H. v. 14,03 € täglich rechtmäßig war.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Betroffene eine durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderung der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X eingehalten sind. Dies gilt nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X auch dann, wenn der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Zwar dürfte in der Sache viel dafür sprechen, dass mit der Tätigkeitsaufnahme bei E. ab dem 25.02.2013 die Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg im Hinblick auf die Beschäftigungslosigkeit (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) und nach der wegen fehlender Beschäftigungslosigkeit von mehr als sechs Wochen im Anschluss entfallenen Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung (§ 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III) weggefallen sind. Allerdings erscheint offen, ob der Kläger insofern grob fahrlässig seine Mitteilungsverpflichtung verletzt hat. Diesbezüglich wäre der Inhalt der zuvor durch den Kläger und dessen Vater mit der Beklagten geführten Gespräche zu ermitteln. Es erscheint nach den Vermerken der Beklagten keinesfalls ausgeschlossen, dass die Aufnahme des Praktikums zum 25.02.2013 tatsächlich rechtzeitig mitgeteilt worden ist. Ebenfalls offen ist deshalb auch, inwieweit der Kläger nach seinen subjektiven Fähigkeiten grob fahrlässig nicht gewusst haben soll, dass er keinen Anspruch auf Alg gehabt hat. Zwar hat er den Erhalt und die Kenntnisnahme des Merkblattes 1 für Arbeitslose erhalten und seiner Bestätigung nach auch zur Kenntnis genommen. Ob er jedoch im Hinblick auf die zuvor mit der Beklagten geführten Gespräche von einem Weiterbestehen des Anspruchs auf Alg trotz Aufnahme des Praktikums ausgehen konnte, wird dann noch zu klären sein.

Das SG wird im Rahmen der erneuten Entscheidung über die Kosten insgesamt zu befinden haben (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 193 Rn. 2a).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

(1) Die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht kann durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten einzulegen.

(2) Die Beschwerde soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Landessozialgericht entscheidet durch Beschluss. Die Zulassung der Berufung bedarf keiner Begründung. Der Ablehnung der Beschwerde soll eine kurze Begründung beigefügt werden. Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig.

(5) Läßt das Landessozialgericht die Berufung zu, wird das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Darauf ist in dem Beschluß hinzuweisen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.