Amtsgericht Tiergarten Urteil, 15. Mai 2019 - (306 Cs) 3031 Js 557/19 (13/19)

bei uns veröffentlicht am01.06.2023

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Amtsgericht Tiergarten

Richter

Amtsgericht Tiergarten

Im Namen des Volkes

 

In der Strafsache

 

gegen

 

A,

 

wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis

 

hat das Amtsgericht Tiergarten in der Sitzung vom 15.05.2019, an der teilgenommen haben:

 

Richter am Amtsgericht Dr. Zapfe, als Strafrichter

Oberamtsanwältin Ginsberg, als Beamtin der Amtsanwaltschaft Berlin

Rechtsanwalt Dr. Benedikt Mick, als Verteidiger

Justizbeschäftigte …, als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

für Recht erkannt:

 

Der Angeklagte wird wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 30 (dreißig) Tagessätzen zu je 60,00 (sechzig) € verurteilt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
 

§ 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG

 

Gründe

Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 30-jährige Angeklagte ist israelischer Staatsbürger. Er kam im Juni 2014 nach Deutschland und lebt hier mit seiner Ehefrau und seinen 2 bzw. 4 Jahre alten Kindern. Er arbeitet als Angestellter bei einer High-Tech-Firma und bezieht ein monatliches Nettogehalt von 3.800,00 Euro. Seine Frau ist Studentin und hat kein eigenes Einkommen.

Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht Tiergarten am 30.08.2017, rechtskräftig seit dem 08.12.2017, wegen Fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt.

Der Angeklagte fuhr am 14.10.2018 gegen 18:50 Uhr mit dem PKW Jeep (…) auf der Karl-Marx-Straße in 12043 Berlin, obwohl ihm, wie ihm hätte bewusst sein müssen, die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht erteilt wurde.

Der Angeklagte gab zu, mit dem Auto am Tattag gefahren zu sein. Er räumte auch die fehlende Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen ein, meinte aber, dass er hiervon keine Kenntnis hatte und dass ihm dies auch nicht vorgeworfen werden könne. Er habe vor dem Aufenthalt in Deutschland seine Fahrerlaubnis in Israel in eine „international driver's license" umschreiben lassen. Bei der entsprechenden Behörde habe er geäußert, dass er damit in Deutschland fahren wolle. Zwar sei Israel kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union, angesichts vieler vorhandener Abkommen zwischen Israel und Deutschland habe er aber davon ausgehen können, dass es auch im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen  ein entsprechendes Abkommen zwischen beiden Ländern gebe. Beim Autokauf in Deutschland sei er nicht darauf hingewiesen worden, dass sein Führerschein nur eine eingeschränkte zeitliche Gültigkeit habe. In Israel sei eine gültige Fahrerlaubnis eine Voraussetzung, wenn man ein Auto kaufen wolle. Er sei davon ausgegangen, dass dies auch in Deutschland der Fall sei. Er habe sonst alle Behördengänge absolviert, die mit der Verlagerung des Wohnsitzes und der Arbeitsaufnahme in Deutschland erforderlich gewesen seien. Er sei im Mai 2018 von einem Polizeibeamten in Berlin kontrolliert worden. Dieser habe ihm nicht mitgeteilt, dass er nicht berechtigt sei, Kraftfahrzeuge  in Deutschland zu führen.

Der Angeklagte hat sich wegen Fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG strafbar gemacht. Als Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis, der einen Wohnsitz in Deutschland begründet, war der Angeklagte ab seiner Einreise im Juni 2014 noch sechs Monate dazu berechtigt, im Inland Kraftfahrzeuge zu führen (§ 29 Abs. 1 Satz 4 FeV).

Der Angeklagte handelte fahrlässig. Die fahrlässige Begehung setzt verwertbares Nichtwissen voraus. Nach Ansicht des Gericht liegt diese Voraussetzung beim Angeklagten vor. So ist bereits nicht verständlich, weshalb er bei der Umschreibung des Führerscheins in Israel davon ausging, dieser werde ihn ohne zeitliche Einschränkung dazu berechtigen, Kraftfahrzeuge  in Deutschland zu führen. Der Angeklagte kann sich nicht darauf berufen, dass ihm die fehlende Gültigkeit der Fahrerlaubnis nach Ablauf der sechs Monate weder vom Autoverkäufer noch von einem ihn kontrollierenden Polizeibeamten mitgeteilt worden sei, denn es war seine eigene Pflicht, sich bei den deutschen Behörden nach einer eventuellen Umschreibungspflicht zu erkundigen.

Gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Angeklagte nach eigenen Angaben alle Behördengänge absolvierte und somit einen Einblick in die deutsche Bürokratie erhielt, ist es für das Gericht  unverständlich, weshalb er davon ausging, gerade im Bereich des Straßenverkehrs gebe es keine für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse zu beachtenden Regelungen.

Die gleichen Erwägungen gelten für den vom Angeklagten ins Feld geführten Verbotsirrtum  iSd §17 StGB.  Sofern man einen solchen  hier für anwendbar  hält (vgl. MüKo/Joecks,  3. Aufl.,  §  17, Rdnr.  Rdnr.  85  ff.;  Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke,   25.  Aufl.,  §  21  StVG,  Rdnr.  11) wäre jedenfalls zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt  bereits  über 4 Jahre in Deutschland aufhältlich war, womit besonders strenge Anforderungen an die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zu stellen sind (vgl. Haus/Krumm/Quarch/Ker kmann/B/um, 2. Aufl. 2017, § 21 StVG, Rdnr. 60).

Bei dem vom Angeklagten gestellten „Hilfsbeweisantrag" geht das Gericht davon aus, dass es sich hierbei mangels Angabe eines bestimmten Beweismittels lediglich um einen Beweisermittlungsantrag handelt. Denn auch wenn dem Angeklagten der Name des ihn im Mai 2018 kontrollierenden Polizeibeamten nicht bekannt war, hätte er das Gericht trotzdem - etwa durch Angabe des Kontrollortes, der Uhrzeit sowie gegebenenfalls durch eine äußerliche Beschreibung des Polizeibeamten - in die Lage versetzen müssen, den Zeugen zu ermitteln (vgl. KK-StPO/Krehl, 8. Aufl., § 244, Rdnr. 79). Wegen des vorliegend ohnehin eingeschränkten Beweisantragsrechts (§ 411 Abs. 2 Satz 2, § 420 Abs. 4 StPO) kann diese Frage aber dahinstehen.

Das Gericht hat es zur Erforschung der Wahrheit nicht als erforderlich angesehen, von sich aus den vom Angeklagten erwähnten Polizeibeamten zu ermitteln (§ 244 Abs. 2 StPO). Ungeachtet der Tatsache, dass dies angesichts des Zeitablaufs und der unzureichenden Informationen des Angeklagten wohl ohnehin nicht möglich gewesen wäre und dass bereits deswegen eine Pflicht zur Aufklärung zweifelhaft erscheint, hat der Angeklagte nicht behauptet, dass der Polizeibeamte ihn im Rahmen der Kontrolle gefragt  hatte, wie lange er schon in Deutschland sei. Nur in diesem Fall hätte aber eine für das Verfahren unter Umständen bedeutsame Tatsache vorgelegen, die das Gericht nach § 244 Abs. 2 StPO verpflichtet hätte, den Angaben des Angeklagten nachzugehen.

Im Rahmen der Strafzumessung war zu Lasten des Angeklagten dessen Vorstrafe sowie der lange Zeitraum zu berücksichtigen, in dem der Angeklagte zum Tatzeitpunkt bereits seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Zu Gunsten des Angeklagten ist zu berücksichtigen, dass er sich nach seinen eigenen Angaben bereits zeitnah nach der Tat um eine Umschreibung seines Führerscheins bemüht hat.

Tat- und schuldangemessen erschienen 30 Tagessätze. Die Tagessatzhöhe hat das Gericht unter Berücksichtigung der Unterhaltspflichten des Angeklagten gegenüber seiner Frau und seinen Kindern auf 60,00 Euro festgesetzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 464 Abs. 1, § 465 Abs. 1 StPO.

 

Dr. Zapfe

Richter am Amtsgericht

 

 

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