Amtsgericht Soest Beschluss, 05. Feb. 2016 - 18 F 193/13
Gericht
Tenor
Der Umgang der Antragsteller mit ihrer Tochter O, geboren am 00.00.2006, wird künftig wie folgt geregelt:
Die Antragsteller sind berechtigt und verpflichtet, Umgang mit ihrer Tochter alle drei Monate jeweils am ersten Mittwoch eines Monats, beginnend mit März 2016 für die Dauer von bis zu zwei Stunden und ab 2017 für die Dauer von bis zu vier Stunden, jeweils beginnend um 14:00 Uhr unter Begleitung durch den Pflegekinderdienst des SKF X auszuüben.
Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
21.
3Die Antragsteller sind die leiblichen Eltern des Kindes O U, geboren am XX.XX.2006. Sie begehren die Regelung ihres Umgangs mit ihrem Kind.
4Das Kind wurde nach der Geburt bei Entlassung aus dem Krankenhaus am XX.XX.2006 vom Jugendamt in Obhut genommen und zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Durch Beschluss des Amtsgerichts Erkelenz vom 1.6.2007 wurde das Sorgerecht in der Hauptsache entzogen und Vormundschaft angeordnet. Zum Vormund wurde das Jugendamt der Stadt I bestellt.
5Das Kind lebt seit dem 1.2.2008 in Dauerpflege im Haushalt ihrer jetzigen Pflegeeltern.
6Im Verfahren AG Hamm 32 F 683/2009 wurde eine Umgangsregelung vereinbart.
7Zuletzt erfolgten Umgangskontakte der Antragsteller mit ihrem Kind jeweils begleitet durch den Pflegekinderdienst ca. 3 bis 4 Mal jährlich für eine Stunde.
8Diese Umgangskontakte reichen den Antragstellern nun nicht mehr aus und sie begehren monatlichen Umgang an einem Samstag von 10.00 Uhr bis 15.00 Uhr.
9Der Vormund des Kindes und die übrigen am Verfahren Beteiligten sind dem Antrag hinsichtlich des Maßes des Umgangs entgegengetreten. Die von den Antragstellern begehrte Häufigkeit und Dauer entspreche nicht dem Kindeswohl, führe insbesondere zu Verunsicherungen bei dem Kind. Bei monatlichen Umgangskontakten sei die Beunruhigung des Kindes derart häufig und tiefgreifend, dass es zu einer faktisch dauernden Beunruhigung des Kindes kommen würde, was mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre.
10Das Gericht hat schließlich ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, das von der Sachverständigen am 2.7.2015 schriftlich vorgelegt wurde und mit den Beteiligten im Termin vom 2.12.2015 erörtert werden wurde.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Stellungnahmen der Beteiligten sowie die Anhörungsvermerke und Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
122.
13Die aus dem Tenor ersichtliche Umgangsregelung entspricht zur Überzeugung des Gerichts dem Kindeswohl und berücksichtigt das Elternrecht der Antragsteller ausreichend.
14a)
15Zwischen den Beteiligten ist das „ob“ von Umgangskontakten der Antragsteller mit ihrer Tochter nicht streitig. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte, warum die Eltern vom Umgang auszuschließen sein könnten. Aus den zuletzt vorgelegten Berichten des Pflegekinderdienstes ergibt sich, dass insbesondere der Kindesvater sich auf die Umgangskontakte einlassen kann und O von diesen profitiert.
16b)
17Streitig ist allein das Maß des Umgangs betreffend Häufigkeit und Dauer.
18Die Antragsteller führen zutreffend insoweit an, dass sie als leibliche Eltern ein durch das Grundgesetz geschütztes Recht auf Umgang mit ihrem Kind haben und auch die Möglichkeit der Rückführung des Kindes in ihren Haushalt ihnen eröffnet bleiben müsse. Im Hinblick auf diese Perspektive sehen sie auch die Notwendigkeit der Ausdehnung der Umgangskontakte.
19Der Vormund sieht eine Rückkehr des Kindes in den Haushalt der Eltern derzeit nicht. Eine familiengerichtliche Entscheidung, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Antragsteller (zurück) zu übertragen, ist nicht beantragt.
20aa)
21Entsprechend hat die Sachverständige ihr Gutachten auch mit der Maßgabe erstattet, dass sie weder eine Rückführung des Kindes noch das Verbleiben des Kindes im Haushalt der Pflegeeltern als Arbeitshypothese zugrunde legt.
22Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten ausgeführt, dass die beantragte Umgangsregelung (monatlicher Umgang) dem Wohl des Kindes aus psychologischer Sicht nicht entspreche. Es entspreche dem Wohl des Kindes, Umgangskontakte mit den leiblichen Eltern etwa vier Mal im Jahr bei längerem Umgangskontakt stattfinden zu lassen.
23Die Sachverständige hat zur Begründung ihrer Empfehlung insbesondere auf die eingeschränkte Bewältigungsfähigkeit des Kindes hingewiesen. O sei ein durch ein frühes Bindungstrauma vorgeschädigtes Kind und zeige in ihrem individuellen Verhalten Besonderheiten, die bereits ihre Alltagsbewältigung deutlich erschweren würden. Die Bindung an die Pflegeeltern sei nicht sicher. Infolgedessen hätten die Bindung und vor allem Sicherheit in ihrem psychischen Erleben eine herausragende Bedeutung. Die Besuchskontakte stellten zu den Schwierigkeiten, die bereits der Alltag für O mit sich bringe, zusätzliche Belastungen dar. Bis in die jüngste Vergangenheit hätten sie zu lang anhaltenden anschließenden Destabilisierungsphasen geführt. Die beunruhigende Wirkung der Umgangskontakte mit den leiblichen Eltern beruhe im Wesentlichen auf zwei Faktoren: Zum einen auf der – unausgesprochenen – Einstellung der leiblichen Eltern zu O, die zu unterschwelligen Spannungen führe und O belaste und zum anderen auf Verlustängsten bezüglich der Pflegeeltern, welche auf unsichere Bindung und Bindungstrauma zurückgingen.
24Es ergebe sich, dass die Auffälligkeiten von O sich unter dem Projekt einer Bindungsintensivierung/Übersiedlung zu den leiblichen Eltern erwartbar nicht nur nicht verbessern würde, sondern dieses eine Gefährdung nach sich zöge. Die Bindung von O an die Pflegeeltern sei insbesondere wegen der Vorerfahrung als schützenswert einzuschätzen. Aus den gleichen Gründen könne auch eine bloße Intensivierung der Beziehung nicht dazu beitragen, die Reaktionen von O auf die Besuche abzumildern.
25Die Sachverständige stellt zum Willen des Kindes fest, dass dieser auf weitere Kontakte zu den leiblichen Eltern gerichtet sei. Aus psychologischer Sicht spreche auch nichts gegen eine zeitliche Ausweitung des einzelnen Kontakts, wie O sich das wünsche. Im Ergebnis stellt die Sachverständige dar, dass wegen der zu erwartenden Belastungen und Reaktionen die Häufigkeit der Besuchskontakte im bisher praktizierten Rahmen belassen werden solle, um O ausreichend Raum und Gelegenheit zu lassen, die notwendigen Entwicklungs- und Lernschritte in der Zwischenzeit ohne zusätzliche Erschwernisse anzugehen.
26Das Gericht schließt sich der Empfehlung der Sachverständigen auch im Hinblick auf die Erörterungen im Termin vom 2.12.2015 an.
27Die Erörterungen im Termin haben Mängel im Gutachten und in der Methodik der Sachverständigen letztlich nicht aufgedeckt. Dass die Sachverständige auch Angaben der Beteiligten ihrer Beurteilung zugrunde gelegt hat, ist nicht zu beanstanden. Sie ist für die Exploration des auf entsprechende Angaben angewiesen. Es ist auch nicht erkennbar, dass hierbei methodisch fehlerhaft von der - erfahrenen - Sachverständigen vorgegangen worden wäre. Die von der Sachverständigen ermittelten Sachverhalte werden im Übrigen auch in Beziehung zueinander dargestellt, fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen. Es ist daher nicht erkennbar, dass die Sachverständige die Angabe der Pflegeeltern allein zur Grundlage ihrer Beurteilung gemacht hätte und die weiteren Erkenntnisquellen außer Acht gelassen hätte. So wurden insbesondere auch der Pflegekinderdienst und die Lehrerin von O befragt und die Ergebnisse der Befragung wurden zur Grundlage des Gutachtens gemacht.
28Das Gericht folgt daher der Empfehlung und sieht die aus dem Tenor ersichtliche Ausdehnung der jeweiligen Umgangskontakte in diesem Sinne als dem Kindeswillen entsprechend und dem Kindeswohl dienlich an.
29bb)
30Soweit die Antragsteller auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Möglichkeit der Rückkehr von Pflegekindern in den Haushalt der leiblichen Eltern zur Begründung ihres Umgangsantrags verweisen, vermag dies nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen.
31Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen benannten Entscheidungen zum Sorgerecht bei fremd untergebrachten Kindern - insbesondere 1 BVR 2882/13 (Beschluss vom 22.5.2014) sowie 1 BVR 725/14 (Beschluss vom 14.6.2014) - darauf hingewiesen, dass bei der Kindeswohlprüfung die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner bisherigen Bezugsperson einzubeziehen sei. Bei einem Kind, das in einem Waisenhaus untergebracht sei, komme dem Bindungsabbruch geringere Bedeutung zu als bei der Rückführung aus einer Pflegefamilie. Entsprechend müssten die Fachgerichte bei der Kindeswohlprüfung im Rahmen des Verfahrens nach § 1666 BGB die gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen berücksichtigen. Indessen dürfe die Belastung eines Kindes infolge der Trennung von seinen unmittelbaren Bezugspersonen die Wiederzusammenführung von Kind und Eltern nicht immer schon dann ausschließen, wenn das Kind in den Pflegeeltern seine sozialen Eltern gefunden habe. Die Belastungen des Kindes, die mit einem Wechsel der Hauptbezugsperson immer verbunden sei, dürfe eine Rückführung nicht automatisch dauerhaft ausschließen.
32Die Antragsteller verweisen hier darauf, dass eine Erhöhung der Umgangskontakte auch deshalb geboten sei, weil sie eine Rückführung des Kindes in ihren Haushalt erstrebten.
33Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten ausdrücklich mit der Arbeitshypothese gearbeitet, dass die Umgangsregelung unabhängig von diesen Prämissen vorzunehmen sei. Vor diesem Hintergrund ist sie zu ihrer Empfehlung gekommen.
34Ist der Rückführungsprozess des Kindes zu seinen leiblichen Eltern aber weder begonnen noch absehbar, kann es unter Berücksichtigung der von der Sachverständigen dargestellten Belastungen des Kindes einerseits und der durch die Sachverständige ebenfalls festgestellten Befähigungen der Antragsteller andererseits nicht verantwortet werden, bereits jetzt im Vorgriff auf einen möglichen Rückführungsprozess Umgangskontakte weiter zu intensivieren.
35Das Familiengericht teilt ausdrücklich insoweit nicht die Auffassung der Antragsteller, dass hier zunächst eine Intensivierung der Umgangskontakte geboten sei, um sodann eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der Eltern zu ermöglichen. Die Sachverständige hat ausdrücklich, nachvollziehbar und eindrücklich geschildert, welche Folgen die Umgangskontakte für das Kind haben, welche insbesondere auch Belastungen für das Kind damit verbunden sind. Es wäre für das Kindeswohl schädlich, wenn hier weitere Belastungen des Kindes durch die Umgangskontakte angeordnet würden, dann allerdings in der Folge eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der Eltern entweder von diesen gar nicht beantragt oder aber scheitern würde.
36Es müsste zunächst durch die Antragsteller dargelegt und überprüft werden, dass das Kind eine Perspektive in ihrer Obhut hat, dass sie also mit anderen Worten befähigt sind, das in besonderem Maße bedürftige Kind dauerhaft in ihren Haushalt aufzunehmen und zu versorgen.
37Rechtsbehelfsbelehrung:
38Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Soest, Nöttenstraße 28 schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
39Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Soest eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Amtsgerichtes abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.
40Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.
Annotations
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
- 1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, - 2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, - 3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält, - 4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen, - 5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge, - 6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.