Amtsgericht Schöneberg Urteil, 13. Mai 2019 - 5 C 406/18

bei uns veröffentlicht am05.05.2023

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Amtsgericht Schöneberg

Richter

AMTSGERICHT SCHÖNEBERG

Im Namen des Volkes

Urteil

 

In dem Rechtsstreit

 

A,

- Klägerin -

 

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte BSP • Bierbach, Streifler & Partner, Oranienburger Straße 69, 10117 Berlin,

 

gegen

 

B-AG, vertreten durch d. Vorstand C  (Vorsitzender),

- Beklagte -

 

Prozessbevollmächtigter:

Rechtsanwalt Alexander Roth, Ledererstraße 17, 80331 München,                        ,

 

hat das Amtsgericht Schöneberg durch die Richterin am Amts.gericht Schöneberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13.05.2019 für Recht erkannt:

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einer Reiserücktrittskostenversicherung geltend.

Die Klägerin ist b.ei der D-Versicherung die nunmehr wie die Beklagte firmiert, mit der E-Jahres-Reise Rücktritt-Vollschutz ohne Selbstbeteiligung gemäß der Versicherungspolice Nummer 11341911 vom 8.11.2012 versichert. Die Versicherung bestand für die Klägerin und ihren Ehemann seit dem 8.11.2012 ungekündigt.

Gemäß § 2 Nr. 1 a) der AVB AB 17 (AWP) der allgemeinen Bedingungen für E-Reiseschutz der B-AG Niederlassung Deutschland besteht Versicherungsschutz, wenn die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar ist, weil Sie selbst oder eine Risikoperson während der Dauer des Versicherungsschutzes. von einem der nachstehenden Ereignisse betroffen werden:

a)  gesundheitliche Gründe

- unerwartet schwere Erkrankung. Unerwartet ist eine Erkrankung, wenn sie erstmals nach Abschluss der Versicherung und nach Reisebuchung auftritt. Die unerwartete Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung ist versichert, wenn in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss für diese Erkrankung keine Behandlung durchgeführt wurde. Nicht als Behandlung zählen regelmäßig durchgeführte medizinische Untersuchungen um den Gesundheitszustand festzustellen. Das bedeutet: Diese Untersuchungen werden nicht aufgrund eines konkreten Anlasses durchgeführt und dienen nicht der Behandlung der Erkrankung. Beim Jahres-Reiseschutz ist die unerwartete Verschlechterung einer Erkrankung versichert, wenn in den letzten sechs Monaten vor Beginn der Versicherung oder, falls die Reisebuchung nach Versicherungsbeginn erfolgt ist, vor Reisebuchung für diese Erkrankung keine Behandlung durchgeführt wurde. Die Erkrankung ist schwer, wenn die vor der Stornierung ärztlich attestierte gesundheitliche Beeiniträchtigung so stark ist, dass die Reise nicht planmäßig durchgeführt werden kann. 

Gemäß § 6 der AGB ist geregelt, dass der Versicherte den Schaden möglichst gering zu halten hat und unnötige Kosten zu vermeiden hat sowie den Schaden unverzüglich anzuzeigen hat. In § 7 Nr. 1 ist geregelt, dass im Falle der vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit, die Beklagte die Versicherungsleistung verweigern kann und im Falle der grob fahrlässigen Verletzung der Oblie­ genheit soll der Versicherer berechtigt sein, die Leistung in dem Umfang zu kürzen, welcher der Schwere des Verschuldens entspricht. Wegen des Inhaltes und der Einzelheiten der Allgemeinen Bedingungen für E-Reiseschutz wird auf Blatt 6-14 d.A. Bezug genommen.

Die Klägerin buchte für die Zeit vom 3. November . bis 29. November 2017 am 5.1.2017 eine Kreuzfahrt ·auf der MSC F von Venedig nach Buenos Aires zu einem Gesamtreisepreis in Höhe von 3.478,00 € und zahlte am 12.1.2017 hierauf 2.577,60 €. 

Die Klägerin befand sich aufgrund der Grunderkrankung Ulcu Cruris links seit dem 31.01.2014 in ärztlicher Behandlung, wobei mit einer Lokaltherapie und Kompressionstherapie das offene Bein behandelt wurde. Ausweislich der ärztlichen Behandlungsunterlagen hatte sich im Dezember 201,5 der Ulcus akut auf 2 x 5 cm vergrößert, im Jahre 2016 trat im Januar eine schnelle Verklei­ nerung auf 2x2 cm auf, dann auf 1,5 cm und im September 2016 tritt ein Erysipel hinzu. Am 27. Oktober 2016 ist der Ulcus ganz oberflächlich. Auch im November erscheint dieser nach wie vor flach, wobei im Dezember an zwei Terminen hintereinander die Größe zunimmt aber der Ulcus weiterhin flach ist. Am 5. Januar 2017 nimmt die Größe des Ulcus mit 2 cm und 3 cm zu. Am 19.1.2017 wurde eine Varikosis überprüft werden . Im April 2017 verschlechtert sich der Zustand, es wird ein Ulcus cruris und eine chronische venöse lnsuffiezienz diagnostiziert. Im Juni 2017 er­ leidet die Klägerin einen Apoplex. · Nach Entfernung einer Alterswarze verschlechtert sich stress­ bedingt der ulcus cruris. Am 20. Juli 2017 erfolgt die Aufnahme im Martin-Luther-Krankenhaus nachdem der ulcus cruris grünlich belegt ist. Nach erfolgter OP am 21.08.2017, verlässt die Klä­gerin die Klinik zum 29.8.2017, wobei eine Spalthauttransplantation durchgeführt wurde. Es verbleibt eine Rötung und Schwellung und. am 5.10.2017 kommt es zur erneuten Aufnahme im Martin-Luther-Krankenhaus. Wegen des Inhaltes und der Einzelheiten des Behandlungsablaufes wird auf die Karteikarte der Ärztin Dr. med. F Blatt 38-45 d.A. Bezug genommen.

Ausweislich des Schreibens vom 22.9.2017 wurde der Klägerin die Stornierung der Reise bestä­ tigt unter gleichzeitiger Aufforderung den restlichen Betrag in Höhe von 900,40 € zu entrichten. Gemäß der Bestätigung der behandelnden Ärztin Dr. med F vom 10. Oktober 2017 sei eine Verschlechterung nach der Operation vom 21.8.2017 eingetreten, wobei eine stationäre Behandlung vom 16.8.2017 bis zum 30.8.2017 vorgelegen habe. Ausweislich. der Angaben der behandelnden Ärzte vom  11. Juli 2018 sei die Notwendigkeit  einer Operation erstmals am 14.7.2017 erkennbar gewesen und am 5.10.2017 erstmals, dass die Reise nicht angetreten wer­ den könne. Wegen des Inhaltes und der Einzelheiten der ärztlichen Antwort - wird auf Blatt 37,37 Akte Bezug genommen.

Die Klägerin behauptet, sie habe ihre Reise krankheitsbedingt nicht antreten können, sodass die Beklagte einstandspflich­ tig sei. Sie habe seit 2012 wiederholt Fernreisen angetreten und sich für sie völlig unerwartet ei­ ner   komplizierten           ärztlichen   Behandlungsmaßnahme   unterziehen  müssen.  Ein Arterienverschluss von ca. 30 cm sei festgestellt worden, sodass die Klägerin operiert worden sei und ein Bypass im Bein verlegt worden sei. Mit einem solchen Eingriff habe die Klägerin nicht rechnen können.

 

Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3478 ,00 € nebst Zinsen in Höhe von !;) Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2018 zu zah­ len.

 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie behauptet, aus dem Behandlungsverlauf ergebe sich bereits, dass die Klägerin bereits vor Buchung der Rei­se sie ständig in ärztlicher Behandlung befunden habe, sodass die erneute Verschlechterung  mit anschließender  Operation für die Klägerin nicht unerwartet gewesen sein könne. Versichert sei hingegen nur die unerwartet schwere  Erkrankung.  Bereits im Zeitpunkt der Buchung der Reise habe sich  die  Klägerin in intnsiver Therapie und laufender  ambulanter  Behandlung befunden. Auch habe sich die Verschlechterung der bestehenden Erkrankung nicht unerwartet eingestellt. Im Übrigen habe die Klägerin die Reise nicht unverzüglich nach Auftreten der Verschlechterung im Juli 2010 storniert. In diesem Fall wären deutlich geringere Stornokosten oder keine angefallen.

 

Entscheidungsgründe

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Stornokosten gern. § 1 WG i. V. m. §§ 2 Nr. 1 a), 7 Nr. 1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten nicht zu. Denn die Klägerin hat ihre Obliegenheit verletzt, unverzüglich den Schaden anzuzeigen und diesen gering zu halten.

Die Reiserücktrittsversicherung erstattet die vertraglich geschuldeten Stornokosten, wenn die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar ist, weil die versicherte Person selbst oder eine Risikoperson während der Dauer des Versicherungsschutzes von einer unerwarteten schweren Krankheit betroffen ist.

Bei einer bereits bestehenden Grunderkrankung ist eine unerwartete Erkrankung dann gegeben, wenn die bereits bestehende Krankheit sich unerwartet verschlechtert . Diese unerwartete Verschlechten liegt vor, wenn aus der subjektiven Sicht des Versicherten die Verschlechterung der Erkrankung nicht voraussehbar ist. Dabei ist Vorhersehbarkeit gegeben, wenn aufgrund der dem  durchschnittlichten Versicherungsnehmer bekannten  Tatsachen  eine  erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der die Reise hindernden Krankheit sprach. Dementsprechend kommt es bei Vorhandensein einer Krankheit im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bzw. der Reisebuchung,  soweit diese noch nicht so schwer war, dass sie dem Reiseantritt entgegenstand, darauf an, ob mit Wahrscheinlichkeit die Verschlechterung des Leidens bis zu dem für die Reisefähigkeit maßgebenden Zeitpunkt zu erwarten war und es ist nicht Voraussetzung des Versicherungsschutzes, dass der Versicherungsnehmer zuverlässig mit einer Heilung oder Besserung rechnen konnte (vgl. Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 22. Januar 2010 - 10 U 613/09, NJW-RR 2010, 762).

Vorliegend befand sich die Klagerin aufgrund der Grunderkrankung Ulcus Cruris links seit dem 31.01.2014 in ärztlicher Behandlung, wobei mit einer Lokaltherapie und Kompressionstherapie das offene Bein behandelt wurde. Ein ldlcus cruris entwickelt sich üblicherweise zu einer offenen, meistens exsudierenden Wunde, die über lange Zeit nicht abheilt, und daher als "chronische Wunde" bezeichnet wird . Im Dezember 2015 hatte sich der Ulcus akut auf 2 x 5 cm vergrößert, im Jahre 2016 trat im Januar eine schnelle Verkleinerung auf 2x2 cm auf, dann.auf 1,5 cm und im September 2016 tritt ein Erysipel, also eine nicht eitrige lokale bakterielle Infektion der Haut ausgelöst durch Streptokokken hinzu. Am 27. Oktober 2016 ist dann der Ulcus ganz oberflächlich. Auch im November erscheint dieser nach wie vor flach, wobei im Dezember an zwei Terminen hintereinander die Größe zunimmt aber der Ulcus weiterhin flach ist. Am 5. Januar 2017 nimmt die Größe des Ulcus mit 2 cm und 3 cm zu. Am 19.1.2017 soll eine Varikosis (Krampfadern) überprüft werden. Im April 201T verschlechtert sich der Zustand, es wird ein Ulcus cruris und eine chronische venöse lnsuffiezienz diagnostiziert. Im Juni 2017 erleidet die Klägerin einen Apoplex. Nach Entfernung einer Alterswarze verschlechtert sich stressbedingt der ulcus cruris. Am 20. Juli 2017 erfolgt die Aufnahme im Martin-Luther-Krankenhaus, nachdem der ulcus cruris grünlich belegt ist. Nach erfolgter OP am 21.08.2017, verlässt die Klägerin die Klinik zum 29.8.2017. Es verbleibt eine Rötung und Schwellung und am 5.10.2017 kommt es zur erneuten Aufnahme im Martin-Luther-Krankenhaus.  Wie sich  aus dieser Chronfolge ergibt, bestand im Zeitpunkt  der Buchung am 5.1.2017 kein ausgeheilter Zustand, vielmehr  hatte dieser sich verschlimmert. Auch spricht der Verlauf der Krankheit aus laienhafter Sicht für ein erneutes Aufflammen und sich Ausbreiten der Krankheit, mithin eine Verschlechterung.  Im Übrigen erscheint auch für den medizinisch nicht gebildeten Patienten offenkundig, dass bei einer Behandlung seit 2014 von einer Therapieresistenz ausgegangen werden  muss. Dies und die bisherigen Erfahrungen der Klägerin ließen für  sie  nicht den Schluss zu, es handele sich um eine „unerwartete" Verschlechterung  der bestehenden  Krankheit.  Unerwartet könnte  diese nur sein, wenn  die Verschlechterung  der bestehenden Krankheit  niicht vorhersehbar  gewesen wäre, weil aufgrund der ihr bekannten Tatsachen eine erhebliche Wahrscheinlichkeit  für das Auftreten der Krankheit nicht sprach. Aber gerade das liegt hier nicht vor. Zu keinem Zeitpunkt war die Klägerin ausgeheilt, so dass für sie auch nicht die Erfahrung bestand, dass die Krankheit dergestalt therapierbar war, dass sie verschwindet. Vorliegend hat die Klägerin offenkundig auf einen Krankheitsverlauf gehofft, der ihr die Reise ermöglichen würde.  Die Hoffnung und damit das Risiko auf eine rechtzeitige Genesung bis zum Reiseantritt trägt indessen die Klägerin. Die Verschlechterung der Krankheit stellt sich hier also nicht als unerwartet dar.

Aber selbst, wenn man unterstellen wolle, das die Verschlechterung des Ulcus cruris unvorhersehbar, also unerwartet gewesen wäre, hätte die Klägerin ihre Obliegenheit nach dem Versicherungsbedingungen nicht erfüllt, die Stornierung rechtzeitig vorzunehmen.

Gemäß § 6 Nr. 1 der AVB AB 17 ist der Schaden möglichst gering zu halten und es sind unnötige Kosten zu vermeiden. Dies kann der Versicherungsnehmer nur erfüllen, wenn er rechtzeitig storniert. Hat der Reisende erkannt, dass eine unerwartete schwere Erkrankung vorliegt, welche es wahrscheinlich unzumutbar machen wird, die Reise anzutreten, muss er unverzüglich stornieren. Die Klägerin kann hier nicht damit gehört werden, dass die behandelnde Ärztin eine fehlende Reisefähigkeit erst mit der erneuten Krankenhauseinweisung am 5.10.2019 attestiert hätte. Denn die Stornierung erfolgte bereits am 22.09.2017, also vor der zweiten Krankenhauseinweisung. Vorliegend hätte die Klägerin angesichts der Krankenhauseinweisung im Juli 2017 die Stornierung der Reise vornehmen müssen, denn die Hoffnung auf einen komplikationsfreien Verlauf der Operation und schnellstmögliche  Wiederherstellung  der  Reisefähigkeit  nach  dem  Eingriff,· rechtfertigt  es nicht, mit der Absage der Reise bis zum sicheren Eintritt der Reiseunfähigkeit zu warten.  Denn die enttäuschte Hoffnung auf einen günstigen postoperativen Verlauf einer Routineoperation und die damit verbundene schnelle vollständige  Genesung und Wiederherstellung  der Reisefähigkeit gehört nicht zu den durch eine Reiserücktrrittsversicherung versicherten Risiken (vgl. LG München, Urteilv. 5.2.2003, VersR 2003, 1530 = RRa 2003, 137-139).

Das die Klägerin hier einen Arterienverschluss von ca. 30 cm erlitten habe, sodass die Klägerin operiert worden sei und ein Bypass im Bein verlegt worden sei, ergibt sich aus den Behandlungsunterlagen nicht. Vielmehr ist auch bei dem zweiten Krankenhausaufenthalt nochmal transplan­ tiert· worden, so dass hier die mit der ulcus crusis einhergehenden Behandlungsmaßnahmen durchgeführt  wurden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreck­ barkeit beruht auf den §§ 708 Nummer 11, 711 ZPO.

 

Maß

Richterin am Amtsgericht

 

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