Amtsgericht Nürnberg Endurteil, 13. Nov. 2015 - 22 C 134/14

published on 13/11/2015 00:00
Amtsgericht Nürnberg Endurteil, 13. Nov. 2015 - 22 C 134/14
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Gericht

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Tenor

I.Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 4.4.2014 wird aufrechterhalten.

II.Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 

III.Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. 

Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil kann nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Am 4.10.2012 gegen 8.00 Uhr begab sich die Klägerin in das Ladengeschäft der Beklagten im U-Bahn-Verteilergeschoss XX in XX Nürnberg. Die Beklagte betrieb in diesem Ladengeschäft auf Kommissionsbasis eine Verkaufsstelle der W. Bäckerei. Im Ladengeschäft wurde die Klägerin ohnmächtig. In der Folge forderte der Verfahrensbevollmächtigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.8.2013 auf, die Haftung dem Grunde nach anzuerkennen. Mit weiterem Schreiben vom 30.9.2013 forderte der Verfahrensbevollmächtigte die Beklagte auf, bis zum 30.9.2013 ihre Haftung dem Grunde nach anzuerkennen.

Die Klägerin behauptet, dass sie vor der Verkaufstheke ohnmächtig geworden und mit dem Gesicht gegen eine senkrecht angebrachte Glasscheibe der Verkaufstheke gestützt sei. Durch den Anprall sei das Glas der Theke in mehrere größere Scherben zerbrochen. Durch den Anprall und das Zersplittern des Glases habe sie unterhalb der Lippe knapp rechtsseitig der Mittellinie des Gesichts, eine ca. 1 cm lange glattrandige und oberflächliche Wunde sowie rechtsseitig unterhalb der Unterlippe weitere drei parallel verlaufende Wunden im Abstand von wenigen Millimetern erlitten. Zudem behauptet die Klägerin, dass sie Zahnfrakturen bzw. Zahnabsplitterungen sowie eine Schädelprellung erlitten habe. Die Klägerin behauptet ferner, dass es sich bei den Verletzungen um bleibende Verletzungen handelt und diese dauerhaft sichtbar bleiben werden. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die erheblichen Verletzungen dadurch entstanden seien, dass an der Verkaufstheke kein bruchfestes Sicherheitsglas angebracht worden sei. Dies würde gegen bestehende Sicherheitsvorschriften verstoßen.

Mit Versäumnisurteil vom 4.4.2014 wurde die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.000,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.3.2014 zu bezahlen und weitere 218,72 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.3.2014 zu bezahlen. Gegen das Versäumnisurteil, der Beklagten zugestellt am 11.4.2014, hat die Beklagte am 24.4.2014 Einspruch eingelegt.

Die Klägerin beantragt,

  • Das Versäumnisurteil bleibt aufrechterhalten.

Die Beklagte beantragt,

  • Das Versäumnisurteil vom 4.4.2014 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beklagte behauptet, dass die Klägerin lediglich langsam auf den Tresen herabgeglitten sei und die vorgetragenen Verletzungen hierdurch nicht entstanden seien. Zudem entspreche es gängiger Praxis, dass Theken nicht aus bruchfestem Sicherheitsglas gefertigt seien. Die Beklagte ist der Ansicht, dass ihr kein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten vorzuwerfen sei.

Hinsichtlich des weiteren Sachvortrages wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze, das mündliche Parteivorbringen wie auch die eingereichten Anlagen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen G. und S. sowie durch Inaugenscheinnahme des Gesichtes der Klägerin. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsprotokolle. Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Diesbezüglich wird auf das in der Akte befindliche Gutachten Bezug genommen. Zum Gegenstand der Hauptverhandlung wurde ferner das ärztliche Attest vom 4.10.2012 gemacht.

Gründe

Die zulässige Klage war vollumfänglich begründet, der Einspruch gegen das Versäumnisurteil daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin hat einen Schadensersatzanspruch aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter (§§ 280 Abs. 1, 282, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB).

Die Klägerin hat sich unstreitig in das Ladengeschäft der Beklagten begeben. Zwar hat sie selbst keine Ware bei der Beklagten kaufen wollen, sie hat jedoch eine kaufwillige Freundin begleitet. Die Beklagte war als Betreiberin des Ladengeschäftes verpflichtet, für sämtliche potentielle Kundschaft und deren Begleitung ein verkehrssicheres Umfeld zu bieten.

Die Beklagte hat ihrem Publikum keine verkehrssicheren Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Vielmehr ist es offenkundig, dass an den dem Publikum unmittelbar zugänglichen Verkaufstheken nicht verkehrssicheres einfaches Fensterglas angebracht war.

a) Im Rahmen des in einer Bäckerei üblichen Publikumsverkehrs kann jedermann damit rechnen, dass sich Personen gegen die senkrecht angebrachten Scheiben der Verkaufstheke lehnen, um Bargeld über die Theke zu reichen bzw. Ware entgegenzunehmen. Es ist aber auch damit zu rechnen, dass im Rahmen des gerade in einem U-Bahn-Verteilergeschosses zu Stoßzeiten üblichen Gedränges Personen gegen diese Scheibe gedrückt werden oder gar stürzen. Vorliegend ist nach Überzeugung des Gerichts ein knapp fünfzehnjähriges nicht übergewichtiges Mädchen gegen die Scheibe der Verkaufstheke gestürzt. Dies steht fest aufgrund der nachvollziehbaren Schilderung der Klägerin wie auch der überzeugenden Aussage der rundum glaubwürdigen Zeugin S. Einem solchen Anprall, welcher nach Überzeugung des Gerichts nicht sonderlich heftig gewesen sein kann, muss jedes Glas standhalten, welches zur Abtrennung des öffentlichen vom nicht öffentlichen Bereich eines Ladengeschäftes verwendet wird.

b) Es ist diesbezüglich auch irrelevant, dass nach Angaben des Sachverständigen keinerlei Sicherheitsvorschriften in Bezug auf Verkaufstheken von Bäckereien normiert sind. Derartige Sicherheitsvorschriften konkretisieren lediglich den Inhalt der Verkehrssicherungspflichten und lassen bei ihrer Verletzung auf Kausalität und Verschulden schließen (Palandt, 73. Auflage 2014, § 823 Rn. 51). Das Nichtvorhandensein solcher Normen schließt jedoch keinesfalls jegliche Verkehrssicherungspflicht aus. Der Bestand von Verkehrssicherungspflichten wäre sonst dem reinen Zufall überlassen: es käme nur darauf an, ob sich Berufsgruppenverbände oder auch der Gesetzgeber bezüglich bestimmter Verkehrssicherungspflichten auf einheitliche Vorschriften einigen konnten oder nicht.

c) Zudem ist gerichtsbekannt, dass in Bäckereien durchaus auch Sicherheitsglas an den Verkaufstheken verwendet wird: So ist dem Gericht bekannt, dass beispielsweise derzeit in der „Der B.“-Filiale am F.-Platz in Nürnberg und in der „K.-Bäcker“-Filiale an der R.straße in Nürnberg als Sicherheitsglas gekennzeichnete Glasflächen an den Theken angebracht sind.

d) Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich aus allgemeinen technischen Richtlinien durchaus Anhaltspunkte für die Mindestanforderungen an Verkaufstheken aus Glas heranziehen lassen. So bestimmt die gerichtsbekannte Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A1.6, Stand 2014, für Fenster und lichtdurchlässige Wände als Konkretisierung zur deutschen Verordnung für Arbeitsstätten wie folgt (Hervorhebungen und Auslassungen durch Unterzeichner):

„(…)

Allgemeines/ Zielstellung:

(…)

Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) geben den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse für das Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten wieder. Sie werden vom Ausschuss für Arbeitsstätten ermittelt bzw. angepasst und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Gemeinsamen Ministerialblatt bekannt gegeben. (…)Die ASR A1.6 konkretisiert im Rahmen des Anwendungsbereichs die Anforderungen der Verordnung über Arbeitsstätten. Bei Einhaltung der Technischen Regeln kann der Arbeitgeber insoweit davon ausgehen, dass die entsprechenden Anforderungen der Verordnung erfüllt sind. Wählt der Arbeitgeber eine andere Lösung, muss er damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen. (…) Diese ASR gilt für das Einrichten und das Betreiben von Fenstern, Oberlichtern und lichtdurchlässigen Wänden in Arbeitsstätten.

(…)

3. Begriffsbestimmungen:

3.1 Fenster sind Bauteile zur natürlichen Beleuchtung. Hierzu zählen auch Schaufenster. Darüber hinaus können sie sowohl der Sichtverbindung nach außen als auch der Lüftung dienen.

(…)

3.6 Sicherheitsglas ist ein Glas, das durch besondere Behandlung wie Vorspannen oder Laminieren bruchsicher ist und die Verletzungsgefährdung im Falle einer Beschädigung verhindert oder minimiert. Keine ausreichenden Sicherheitseigenschaften haben u. a. Floatglas, Profilbauglas mit und ohne Drahteinlage, Ornamentgläser, teilvorgespanntes Glas und Draht(spiegel) glas in monolithischer Form.

Einscheibensicherheitsglas (ESG) zerfällt bei Bruch in der Regel in kleine, relativ stumpfkantige Krümel, wodurch die Verletzungsgefährdung herabgesetzt wird.

Verbundsicherheitsglas (VSG) besteht aus zwei oder mehr Glasscheiben, die durch mindestens eine organische Zwischenschicht zu einer Einheit verbunden werden. Bei einem Bruch haften die Bruchstücke an der Folie und es besteht eine Splitterbindung, wodurch die Verletzungsgefährdung geringer ist als bei anderen Glaserzeugnissen.

3.7 Splitterschutzfolien sind selbstklebende Folien, die nachträglich auf plane Glasflächen fachgerecht aufgeklebt werden und in Kombination mit der entsprechenden Glasscheibe die Sicherheitseigenschaften verbessern können (…).

4.1.1 Allgemeine Anforderungen

(1) Der Arbeitgeber hat bereits bei der Auswahl der eingesetzten Materialien im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung die Nutzung und Einbausituation zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die Auswahl der Glasart.

(…)

(8) Bodentief eingebaute Fenster, z. B. Schaufenster, müssen hinsichtlich der Bruchsicherheit den für lichtdurchlässige Wände festgelegten Anforderungen entsprechen.

(…)

4.3 Lichtdurchlässige Wände

(1) In der Nähe von Arbeitsplätzen und im Bereich von Verkehrswegen ist die Kennzeichnung von durchsichtigen, nicht strukturierten Flächen in Augenhöhe erforderlich. Dies kann z. B. durch ausreichend große Bildzeichen, Symbole, farbige Tönungen oder Klebefolien erfolgen. Diese müssen sich je nach Beleuchtung und Hintergrund gut erkennbar abheben. Die diesbezüglichen Vorgaben der ASR A1.3 „Sicherheits-und Gesundheitsschutzkennzeichnung“ sind zu berücksichtigen.

(2) Weiter reichende Schutzmaßnahmen sind dort erforderlich, wo trotz Kenntlichmachung die Gefährdung besteht, dass Beschäftigte in die lichtdurchlässige Wandfläche hineinstürzen oder beim Zersplittern der Wände verletzt werden können. Solche Gefährdungen können z. B. auftreten:

– im Bereich von Absätzen, Treppen oder Stufen,

– bei Menschengedränge oder

– beim Transport von Material.

Geeignete Schutzmaßnahmen sind die Verwendung von bruchsicherem Glas oder einem anderen bruchsicheren Werkstoff. Beim Einsatz von nichtbruchsicherem Werkstoff ist eine feste Abschirmung wie ein Geländer, ein Netz oder ein Gitter erforderlich.

(3) Flächen von lichtdurchlässigen Wänden gelten als bruchsicher, wenn sie die baurechtlichen Bestimmungen für Sicherheitsglas erfüllen (z. B. Einscheiben-und Verbundsicherheitsglas). In der Praxis ist darauf zu achten, dass die verschiedenen Arten von Sicherheitsglas nicht für alle Anwendungen geeignet sind. Die Entscheidung, ob Einscheibensicherheitsglas, Verbundsicherheitsglas oder andere Werkstoffe eingesetzt werden, muss unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Brucheigenschaften und der Einbausituation im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gefällt werden. Kunststoffe mit vergleichbarer Bruchsicherheit sind zulässig. Die Bruchsicherheit hängt entscheidend davon ab, dass derartige Flächen keine Beschädigungen aufweisen und keine unzulässigen Spannungen oder Belastungen auf die Flächen einwirken (siehe Anhang).

(4) Bei bestehenden nicht bruchsicheren Glasflächen, deren Austausch zu einer unverhältnismäßigen Härte führen würde, lässt sich die Schutzwirkung gegen Verletzungsgefahren bei Glasbruch durch fachgerechtes und ganzflächiges Aufkleben von geeigneten Splitterschutzfolien verbessern. Dabei ist die zeitlich begrenzte Schutzwirkung (Herstellerangaben) dieser Folien zu beachten.

(…)

Zwar richten sich diese Richtlinien in erster Linie an Arbeitgeber, um Verunfallungen ihrer Arbeitnehmer zu verhüten; gleiches muss jedoch erst recht für Kundschaft gelten. Gerade die aufgeführte Gefahrensituation durch Menschengedränge ist auf einen Verkaufsraum zwanglos übertragbar.

e) Der Fall in der von der Beklagtenseite zitierten BGH-Entscheidung vom 16. 5. 2006. Az. VI ZR 189/05, lag anders. Dort ging es um Sorgfaltspflichten eines Vermieters gegenüber einer einzelnen Mietpartei. Die Mietpartei hätte dort auch die Möglichkeit gehabt, selbst bauliche oder sonstige Anpassungen zur weitergehenden Verkehrssicherung vorzunehmen. Dies ist im vorliegenden Fall anders. Die Öffentlichkeit muss die Bedingungen in einem Verkaufsgechäft so hinnehmen wie sie sind. Eine Verteilung der Verkehrssicherungspflichten kann gerade nicht stattfinden.

2. Das Gericht ist ferner überzeugt davon, dass durch den Anprall das Glas der Verkaufstheke in mehrere große Stücke zersplittert ist. Auch dies steht fest aufgrund der glaubhaften Angaben der Zeugin S. 3.

Durch die Verletzung der Verkehrssicherungspflichten hat die Klägerin zumindest diese Schnittverletzungen im Gesicht erlitten. Diese wären bei Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten mit größter Wahrscheinlichkeit unterblieben.

Es ist augenscheinlich, dass die Klägerin keine Schnittverletzungen im Gesicht erlitten hätte, wenn das Glas nicht zersprungen wäre. Bei Verwendung eines Sicherheitsglases wären keine scharfkantigen Splitter entstanden, das Glas wäre allenfalls zerbröselt, in stumpfkantige Krümel oder gar nicht in Einzelteile zerfallen. Diesbezüglich kann das Gericht aus eigenen Erfahrungswerten schöpfen und benötigt kein Sachverständigengutachten.

Anders verhält es sich mit den Zahnverletzungen und der Schädelprellung. Diese wären möglicherweise auch bei einem Anprall auf nicht nachgebendes Sicherheitsglas entstanden. Dieser Schaden kann daher nicht mit ausreichender Sicherheit einem Pflichtverstoß der Beklagten zugerechnet werden.

4. Eine Schutzwirkung zu Gunsten Dritter nach § 311 Abs. 3 BGB ist vorliegend ebenfalls gegeben. Diesbezüglich kann auf die bekannte Grundsatzentscheidung des BGH, Urteil vom 28.1.1976, Az. VIII ZR 246/74 (“Salatblattfall“) und die Folgeentscheidungen Bezug genommen werden: Wer der Öffentlichkeit Waren feilbietet und diese durch Angebote in seine leicht zugänglichen Ladengeschäfte „lockt“, nimmt in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch und unterliegt daher gesteigerten Schutzpflichten. Diese gesteigerten Schutzpflichten auch gegenüber begleitenden Dritten sind für einen Ladenbetreiber offensichtlich.

5. Die Beklagte hat auch schuldhaft gegen bestehende Verkehrssicherungspflichten verstoßen.

a) Aufgrund des vertragsähnlichen Verhältnisses greift bereits die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Beklagte konnte sich in keinerlei Hinsicht entlasten.

b) Darüber hinaus ist das Gericht ohnehin überzeugt, dass die Beklagte schuldhaft gehandelt hat. Für sie war bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar, dass einfache Glasscheiben im Verkaufsbereich nicht ausreichen. Es ist gerichtsbekannt, dass Sicherheitsglas durch den Aufdruck der Bezeichnung ESG oder VSG gekennzeichnet ist. Der Allgemeinheit dürfte zumindest bekannt sein, dass Sicherheitsglas in irgendeiner Form gekennzeichnet ist, da es nicht bei allen Glasflächen verwendet wird.

Dies war für die Beklagte erkennbar, auch wenn sie nach eigenem Vortrag erst zwei Monate das Ladengeschäft betrieben hat. Allein bei der täglichen Putzroutine - üblich und vorgeschrieben im Lebensmittelbereich - fällt auch dem verständigen Laien auf, welches Glas an einer Theke verwendet wird.

Zudem war die Beklagte nicht völlig neu und unbedarft „im Geschäft“. Sie hat zuvor in einer Tankstelle gearbeitet. Nähere Angaben wurden hierzu von der Beklagtenseite nicht gemacht. Die zum persönlichen Erscheinen verpflichtete und nicht erschienene Beklagte konnte hierzu nicht befragt werden. Es muss daher unterstellt werden, dass sie - wie üblich - den Verkaufsbereich einer Tankstelle geführt hat und nicht nur Regale gefüllt hat. Anders wäre nicht erklärbar, weshalb der Beklagten in der Folge die Führung einer Bäckereifiliale anvertraut wurde. Gerade bei Tankstellen gelten aber auch explizit die oben aufgeführten Sicherheitsanforderungen für Glasfenster, -türen und Schaufenster. Für die Arbeit an Tankstellen bestimmt die Regel der gesetzlichen Unfallversicherung DGUV Regel 108-002 (bisher: BGR 147) gleichlautend wie folgt: „Bestehen lichtdurchlässige Flächen von Türen und Wänden aus nicht bruchsicherem Werkstoff und ist zu befürchten, daß sich Personen durch Zersplittern der Glasflächen verletzen können, müssen diese Flächen gegen Eindrücken geschützt sein. Dies gilt nicht für lichtdurchlässige Türflächen im oberen Drittel von Türen.“ Im Weiteren wird auf die oben aufgeführte ASR Bezug genommen.

Als Verantwortliche in einer Tankstelle mussten der Beklagten auch diese Sicherheitsvorschriften bekannt sein. Rückschlüsse auf die Sicherheitseigenschaften von einfachem Floatglas waren daher für sie einfach zu ziehen und zumutbar.

c) Zudem dürfen an die Erkennbarkeit keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der „äußere“ Sorgfaltspflichtverstoß lässt grundsätzlich den Schluss auf einen Verletzung der „inneren“ Sorgfalt zu (BGH Urteil vom 31.05.1994, Az. VI ZR 233/93, Rn. 13 ff. mwN, zitiert nach juris). Nur bei besonderen persönlichen Gründen kann hiervon ausnahmsweise abgewichen werden. So hat der Bundesgerichtshof in dem zitierten Urteil dem privaten Vermieter eines Mehrfamilienhauses die Erkennbarkeit des Risikos der Verwendung von einfachem Fensterglas in einem Treppenhaus unterstellt. So sei jedem offenkundig, dass bei einem Treppensturz in eine Glasscheibe Verletzungen entstehen könnten (BGH aaO, Rn. 13, 17).

Anders kann es dann im hiesigen Fall nicht liegen. Hier handelt kein Privater in einem nur wenigen Mietparteien zugänglichen Privatgebäude, sondern ein Unternehmer in einem öffentlichen, einer beliebigen Zahl von Personen zugänglichen Raum. Auch ist, wie bereits dargelegt, offenkundig, dass im allgemeinen Gedränge ein Sturz oder Stoß gegen die Glasscheibe erfolgen kann.

7. Das Gericht schätzt das angemessene Schmerzensgeld nach § 287 ZPO auf 4.000,00 EUR.

Bei der Inaugenscheinnahme des Gesichts der Klägerin konnte das Gericht feststellen, dass nach nunmehr über zwei Jahren immer noch mehrere deutlich sichtbare ca. 1 cm große Narben im Gesicht der Klägerin vorhanden sind. Es ist somit erwiesen, dass die Narben über lange Sicht bei der noch sehr jungen Klägerin erkennbar sind und sein werden. Dieser massive Nachteil ist entsprechend zu kompensieren.

8. Die Rechtsanwaltskosten waren im Rahmen des Schadensersatzes ebenfalls zu erstatten.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 344 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

Annotations

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch

1.
die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
2.
die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder
3.
ähnliche geschäftliche Kontakte.

(3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Ist das Versäumnisurteil in gesetzlicher Weise ergangen, so sind die durch die Versäumnis veranlassten Kosten, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind, der säumigen Partei auch dann aufzuerlegen, wenn infolge des Einspruchs eine abändernde Entscheidung erlassen wird.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.