Amtsgericht Frankfurt (Oder) Urteil, 12. März 2020 - 412 Cs 147/18

bei uns veröffentlicht am11.08.2023

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Amtsgericht Frankfurt (Oder)

AMTSGERICHT FRANKFURT (ODER)

URTEIL

 

Tenor

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist ausgebildeter Zerspannungsfacharbeiter, war aber bereits vor 1990 mit einem Altstoffhandel selbständig. Seit ungefähr 1994 war er im Immobilienbereich selbständig tätig. Derzeit arbeitet er als angestellter Projektentwickler und verdient ca. ... netto monatlich. Er ist wie folgt vorbestraft:

- Mit Entscheidung vom 20.02.2006, rechtskräftig seit 20.02.2006, verurteilte das Amtsgericht ... den Angeklagten wegen Untreue in acht Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen.

- Mit Urteil vom 05.11.2014, rechtskräftig seit dem 13.11.2014, verurteilte das Amtsgericht ..., Aktenzeichen ..., den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung unter Annahme einer Tat am 22.01.2011 zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen.

- Mit Urteil vom 19.02.2019, rechtskräftig seit 27.02.2019, verurteilte das Amtsgericht ..., Aktenzeichen ..., den Angeklagten wegen versuchten Betruges zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Das Urteil geht davon aus, dass der Angeklagte in dem Zivilverfahren des Landgerichts ..., 12 O ..., in betrügerischer Weise bestritten habe, dass Mietzahlungen der G. AG & Co KG dem Konto der H. GmbH gutgeschrieben wurden. Im Einzelnen wird in dem Urteil festgestellt: "Der Angeklagte vermittelte im Januar 2012 als Geschäftsführer der H. GmbH zwischen der G, F. GbR und der G. AG & Co. KG einen Gewerbemietvertrag über Geschäftsräume im Gebäude ... in F. zu einem Mietpreis von monatlich 2.001,20 € und stellte er der G. AG & Co. KG am 6. Januar 2012 eine Provisionsrechnung unter Angabe seiner Kontonummer ... . Die G. AG & Co. KG überwies die Maklerprovision auf das angegebene Konto und in der Folgezeit auch die Mietzahlungen. Im Zivilverfahren vor dem Landgericht ... - 12 O ... - wurde die H. GmbH von der G. F. GbR auf Auszahlung der Mieten von Februar 2012 bis März 2013 in Höhe von 26.015,60 Euro in Anspruch genommen. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 18. Dezember 2013 ließ der Angeklagte in diesem Verfahren wahrheitswidrig bestreiten, dass auf dem Konto der H. GmbH Zahlungen gutgeschrieben wurden, die Mietzahlungen für die Klägerin - die G. F. GbR - darstellen sollten. Die fehlerhaften Überweisungen habe er jedenfalls nicht erkannt. Tatsächlich ergaben sich aus den entsprechenden Buchungen auf den Kontoauszügen jedoch eindeutig die G. F. GbR als Empfänger und die G. AG & Co. KG als Auftraggeber der entsprechenden Zahlungen sowie der Betrag in Höhe der vertraglich vereinbarten Miete. Aufgrund der Vermittlung des Mietvertrages durch die Firma des Angeklagten waren ihm auch die Parteien des Mietvertrages sowie die Höhe der Miete bekannt, weshalb er ohne weiteres die Fehlerhaftigkeit dieser Überweisungen erkennen konnte."

II.

Die mit Gesellschaftsvertrag vom 26.09.2006 gegründete H. GmbH (im Folgenden: Gesellschaft), Satzungssitz ..., ist seit dem 16.08.2007 im Handelsregister beim Amtsgericht ... mit der Registerstelle HRB ..., dem Unternehmensgegenstand "Projektentwicklung für die Errichtung von Gewerbe- und Wohnimmobilien; Geschäfte, die einer Erlaubnis nach § 34 c GewO bedürfen, sind ausgeschlossen" und der Geschäftsanschrift... eingetragen. Gesellschafterinnen sind seit 2009 H. R. und I. H.

Der Angeklagte ist seit Gründung und Eintragung der Gesellschaft als Geschäftsführer der Gesellschaft im Handelsregister eingetragen und führt seither die Geschäfte der Gesellschaft. Weiterer Geschäftsführer war zunächst T. R., der am 10.04.2008 im Handelsregister ausgetragen wurde.

Die Aufgabe der Gesellschaft war es, Investoren und Mieter anzuwerben und den Abschluss von Mietverträgen zu vermitteln. Im Wesentlichen wurden drei Großprojekte durchgeführt, das ... in B., das ... in F, und das ... in E. Die drei Projekte wurden im Wesentlichen in den Jahren 2010 bis 2012 abgewickelt, danach gab es nur noch kleinere Vermittlungen. Dieser Verlauf der Geschäftstätigkeit bildet sich in den Jahresabschlüssen der Gesellschaft für die Jahre 2010 bis 2013 und den betriebswirtschaftlichen Auswertungen für das Jahr 2014 ab, wonach sich Umsatzerlöse (gerundet) im Einzelnen wie folgt ergeben: Für das Jahr 2010 in Höhe von 111.102 €, für das Jahr 2011 in Höhe von 101.036 €, für das Jahr 2012 in Höhe von 21.130 €, für das Jahr 2013 in Höhe von 32.815 € und für das Jahr 2014 in Höhe von 315 €.

Der Angeklagte beantragte mit Schreiben vom 18.05.2015, welches bei Gericht am 26.05.2015 einging, beim Amtsgericht ... als Insolvenzgericht, Aktenzeichen ..., die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft und führte zur Begründung insbesondere aus, dass er vom Anwalt der Gesellschaft erfahren habe, dass die Gesellschaft im beim Landgericht ... anhängigen Verfahren 12 O ... noch im Juni einer Forderung von ca. 30.000 € ausgesetzt sein werde, weshalb wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag gestellt werde; ferner führte der Angeklagte aus, dass ein Massekostenvorschuss nicht gezahlt werden könne, die Gesellschaft verfüge nicht über Vermögen, Grundbesitz oder Barbestände, die Bankverbindung sei zeitnah gekündigt worden. Mit Schreiben vom 15.06.2015, welches bei Gericht am 17.06.2015 einging, ergänzte der Angeklagte die Begründung des Insolvenzantrages und führte aus, dass er mit Anwaltsschreiben zum Verfahren 12 O ... das gerichtliche Sitzungsprotokoll vom 05.06.2015 erhalten habe, wonach in der Sache für den 03.07.2015 Termin zur Urteilsverkündung benannt sei; das Protokoll (mit dem zitierten Vortrag entsprechenden Angaben) fügte der Angeklagte dem Schreiben an das Insolvenzgericht bei.

Mit Verfügung vom 19.06.2015 übersandte das Insolvenzgericht dem Angeklagten den "Fragebogen im Regelinsolvenzverfahren jur. Person" und forderte ihn auf, den Fragebogen einschließlich Anlagen sorgfältig und vollständig auszufüllen und binnen einer Woche an das Gericht zurückzureichen. Im Anschreiben an den Angeklagten führte das Insolvenzgericht ferner insbesondere aus: "Nach dem Gesetz sind Sie verpflichtet, dem Insolvenzgericht über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse vollständig und wahrheitsgemäß Auskunft zu erteilen (§§ 20, 97, 98 InsO). Dies gilt beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens insbesondere für die Umstände, die zur Feststellung und Sicherung der Masse und für die Entscheidung über den Eröffnungsantrag erforderlich sind".

Der Angeklagte füllte den Fragebogen am 25.06.2015 aus und sandte diesen an das Insolvenzgericht zurück. In dem Fragebogen führte der Angeklagte aus, dass die Gesellschaft nicht mehr über Vermögen verfüge und er gab für die Gesellschaft folgende Gläubiger mit gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen (Gläubigerverzeichnis) an:

- E. GmbH mit einer Forderung von 2.078,37 € und dem Forderungsgrund "Leasing/Mietkauf, aus der Sicht der Schuldnerin nicht berechtigt, Gläubiger hat Mahnbescheid beantragt".

- "G. K. GbR" mit einer Forderung von 26.015,60 € und dem Forderungsgrund "Rückzahlung von Mieten, aus Sicht der Schuldnerin nicht berechtigt, Urteilsverkündung am 03.07.2016 am LG".

- A. D. mit einer Forderung von 2.210,00 € mit dem Forderungsgrund "Rückzahlung Provision, aus der Sicht der Schuldnerin nicht berechtigt, Amtsgericht ...".

Mit Beschluss vom 06.07.2015 bestellte das Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren den Rechtsanwalt L. zum Sachverständigen beauftragte ihn insbesondere, zu ermitteln, ob ein Insolvenzgrund vorliegt. Das Insolvenzgericht führte ferner in dem Beschluss, der auch dem Angeklagten übersandt wurde, insbesondere aus: "Der Schuldner hat dem Sachverständigen Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten und sie ihm auf Verlangen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens herauszugeben. Der Schuldner hat alle Auskünfte zu erteilen, die zur Aufklärung der schuldnerischen Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlich sind ... Bei Missachtung dieser Pflicht kann das Gericht den Schuldner bzw. die organschaftlichen Vertreter zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung laden, zwangsweise vorführen lassen oder in Haft nehmen (§ 20 Abs. 1 Satz 2, §§ 97, 98, 101 InsO)."

In dem Insolvenzeröffnungsverfahren ... führte im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen nicht der Rechtsanwalt L. die Gespräche mit dem Angeklagten, sondern die Zeugin H., welche als Sachbearbeiterin im Büro des genannten Rechtsanwalts tätig war und weiterhin tätig ist. Die genannte Zeugin ermittelte die Tatschengrundlagen für das erbetene Gutachten. Hierzu führte die Zeugin am 16.07.2015 mit dem Angeklagten ein Gespräch, in welchem der Angeklagte Auskunft über finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft erteilte; der Angeklagte teilte in diesem Zusammenhang unter anderem mit, dass eine Forderung des Rechtsanwaltes B, als Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. W.- und G. GmbH in Höhe 45.300 € gegen die Gesellschaft geltend gemacht werde und für die Durchsetzung der Forderung Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei; das in dieser Sache ergangene Versäumnisurteil vom 25.09.2015, 13 O ..., übersandte der Angeklagte mit Schreiben vom 30.09.2015 an das Insolvenzgericht, wo es am 05.10.2015 einging, zur Kenntnisnahme.

Der Rechtsanwalt L. erstellte am 08.10.2015 das vom Insolvenzgericht angeforderte Gutachten mit der Empfehlung, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft bei bestehender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu eröffnen. Das Gutachten geht bei fehlenden liquiden Mitteln der Gesellschaft und einem Aktivvermögen der Gesellschaft von 12.504 € (Anspruch auf Zahlung der Stammeinlage in Höhe von 12.500 € gegen die Gesellschafterin I. H. sowie Erinnerungswerte betreffend die Verwertung der Betriebs- und Geschäftsausstattung, Forderungen der Gesellschaft aus Lieferung und Leistung und mögliche Ansprüche gegen den Angeklagten als Geschäftsführer) von folgenden Passiva mit einem Gesamtbetrag von 75.715,48 € aus:

- Forderungen der M. Leasing GmbH aus der Berechnung von Mehrkilometern für ein zurückgegebenes Leasingfahrzeug in Höhe von 2.089,88 €. Hierzu wurde für das Gutachten ermittelt: " Es bestehen Forderungen aus der Berechnung von Mehrkilometern für zurückgegebene Leasingfahrzeuge ... Die Forderungen wurden im Juli 2014 erstmals geltend gemacht und sind seither zwischen den Vertragsparteien strittig." Diese Forderungen machte die E. GmbH nach Abtretung durch die M. Leasing GmbH geltend.

- Forderung der G. F. GbR in Höhe von 26.115,50 €.

- Forderung eines ehemaligen Mieters (A. D.) in Höhe von 2.210 €. Hierzu wurde durch den Rechtsanwalt L. ausgeführt: "Die Schuldnerin wird wegen ungerechtfertigter Bereicherung durch einen ehemaligen Mieter in Höhe von 2.200 € nebst Zinsen ... seit 01.11.2014 in Anspruch genommen. Die Forderung ist strittig, nachdem die Schuldnerin unstreitig einen Mietvertrag mit der ... vermittelt hatte, der geplante Fertigstellungstermin des Objekts am 30.12.2013 aber bis heute nicht erreicht und daher der Mietvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten wurde. Folglich sei auch der bereits entrichtete Teil der Maklerprovision nicht zu beanspruchen. Die Schuldnerin erhob Widerklage wegen einer vermeintlich noch offenen Restforderung von 3.049,80 € nebst Zinsen. Der Rechtsstreit ist vom dem Amtsgericht ..., 12 C ..., anhängig. Ein erster Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den 15.10.2015 anberaumt."

- Forderung des Rechtsanwaltes B. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. W.- und G. GmbH in Höhe 45.300 €.

Über das Vermögen der Gesellschaft ist auf den genannten Antrag des Angeklagten durch Beschluss des Amtsgerichts ... am 13.10.2015 das Insolvenzverfahren bei Annahme von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet und der Rechtsanwalt L. zum Insolvenzverwalter bestellt worden; das Verfahren dauert noch an. Weitere Insolvenzanträge waren nicht gestellt.

Zu den finanziellen Verhältnissen der Gesellschaft im Einzelnen konnten im Ergebnis der Hauptverhandlung folgende (weitere) Feststellungen getroffen werden, wie sie zur Höhe der Forderungen für die Entscheidung des Gerichts herangezogen werden:

- Die Forderung der E. GmbH wurde im eröffneten Insolvenzverfahren ... am 12.11.2015 mit 1.760,72 € unter Bezugnahme auf eine Kilometerabrechnung der M. Leasing GmbH gegenüber der Gesellschaft vom 22.06.2014 angemeldet und in voller Höhe zur Insolvenztabelle festgestellt; die Forderung wird im Folgenden als "Forderung M.-B." bezeichnet.

- Auf die nach Mahnbescheid vom 13.05.2013, der Gesellschaft zugestellt am 15.05.2013, und nach Widerspruch der Gesellschaft gegen den Mahnbescheid erhobene Klage der G. F. GbR im Verfahren 12 O ... verurteilte das Landgericht ... die beklagte Gesellschaft mit Entscheidung nach Lage der Akten am 05,06,2015, Urteilszustellung an den Prozessbevollmächtigten der Gesellschaft am 13.07.2015, dazu, an die Klägerin 26.015,60 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 15.05.2013 zu zahlen. Das Urteil ist seit dem 27.07.2015 rechtskräftig. Der Verurteilung im Verfahren 12 O .. liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin dieses Verfahrens schloss im Januar 2012 einen Mietvertrag mit der G. AG & Co KG (Mieterin), den die Gesellschaft vermittelt hatte. Die monatliche Bruttomiete in Höhe von 2.001,20 € überwies die Mieterin für die Zeit von Februar 2012 bis März 2013 irrtümlich nicht an die beauftragte Hausverwaltung, sondern an die Gesellschaft. Einer Aufforderung der Hausverwaltung, den Gesamtbetrag in Höhe von 26.015,60 € auf ein Konto der Hausverwaltung zu zahlen, kam die Beklagte nicht nach. Die Gesellschaft verteidigte sich im Prozess unter anderem, indem sie die Aktivlegitimation der Klägerin bestritt und sich auf den Einwand der Entreicherung berief. Hierzu erteilte das Landgericht in der mündlichen Verhandlung am 12.09.2014, an der der Angeklagte teilnahm, Hinweise und führte insbesondere aus, dass es die Klägerin aufgrund einer Abtretung vom 02.08.2014 für aktivlegitimiert erachte, ein abgetretener Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung grundsätzlich bestehe und der Entreicherungseinwand der Gesellschaft pauschal und unsubstantiiert und das diesbezügliche Vorbringen teilweise widersprüchlich sei; ferner dass das Gericht die Gesellschaft nicht für gutgläubig erachte, sondern diese verschärfte hafte, Das Landgericht begründete sein Urteil unter Heranziehung der im Hinweis erläuterten Umstände. Die Forderung wurde im eröffneten Insolvenzverfahren ... am 18.11.2015 mit einer Hauptforderung von 26.016,60 € angemeldet und (zuzüglich Zinsen und gerichtlich festgesetzter Kosten) in voller Höhe zur Insolvenztabelle festgestellt; die Forderung wird im Folgenden als "Forderung F. GbR" bezeichnet.

- Die Forderung des A. D. wurde im eröffneten Insolvenzverfahren ... am 13.11.2015 mit 2.299,50 € (Hauptforderung mit 2.210,00 € nebst Zinsen) und der Erläuterung "Rückerstattung Maklerprovision" entsprechend "Klageschrift vom 04.02.2015" angemeldet; die Forderung ist vom Insolvenzverwalter in voller Höhe bestritten mit der Bemerkung "Forderung nicht hinreichend nachgewiesen"; die Forderung wird im Folgenden als "Forderung D." bezeichnet.

- Auf die Klage des Rechtsanwalts B. in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. W.- und G. GmbH (im Folgenden: H.), Insolvenzverfahren des Amtsgerichts ..., ..., im Verfahren 13 O ... verurteilte das Landgericht ... die beklagte Gesellschaft im schriftlichen Vorverfahren mit Versäumnisurteil vom 25.09.2015, Urteilszustellung an die Gesellschaft am 29.09.2015, an den Kläger 45.300 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 22.08.2012 zu zahlen; das Urteil enthält keine Urteilsgründe. In der Sache hatte der Kläger zunächst am 20.02.2015 bei Gericht unter Beifügung des Entwurfs der Klageschrift Prozesskostenhilfe beantragt. Der Antrag wurde der Gesellschaft am 05.03.2015 zugestellt, worauf der Angeklagte mit Schreiben vom 16.03.2015 an das Gericht insbesondere ausführte: "Der guten Ordnung halber möchten wir jedoch auf unsere durch den Verwalter anerkannte Forderung in Höhe von ca. 46.000,00 € hinweisen, die dem Klageentwurf beiliegt." Nach Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrages durch das Landgericht mit Beschluss vom 23.04.2015 unter Verneinung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe legte der Kläger hiergegen Beschwerde ein, auf die das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 08.07.2015 Prozesskostenhilfe gewährte, worauf der Gesellschaft am 25.08.2015 die Klageschrift zugestellt wurde; hierzu teilte der Angeklagte mit Schreiben vom 04.09.2015 insbesondere unter Hinweis auf den gestellten Insolvenzantrag mit, dass sich die Gesellschaft bei bestehendem Anwaltszwang nicht verteidigen könne, weil Mittel für einen Anwalt nicht vorhandenen seien. Der Verurteilung der Gesellschaft im Verfahren 13 O ... liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Gesellschaft gewährte der H. auf der Grundlage des Darlehensvertrages vom 28.02.2011 ein Darlehen in Höhe von 72.496,71 € und zahlte den Betrag an die H. aus; für die Rückerstattung ist keine bestimmte Zeit vereinbart, die Fälligkeit der Rückerstattung wird durch ordentliche Kündigung einer Vertragspartei in schriftlicher Form ausgelöst. Die H. leistete in der Zeit vom 06.07.2011 bis zum 04.04.2012 Rückzahlungen an die Gesellschaft in Höhe von insgesamt 45.300 €. Nachdem das Insolvenzgericht auf einen am 11.06.2012 gestellten Eigenantrag mit Beschluss vom 23.08.2012 das Insolvenzverfahren ... über das Vermögen der H. eröffnet hatte, forderte der Insolvenzverwalter nach den Vorschriften der Insolvenzanfechtung den genannten Betrag nebst Zinsen von der Gesellschaft ein. Der Angeklagte, der das Verfahren ohne anwaltliche Hilfe führte, hatte, wie bereits mit einem wörtlichen Zitat belegt, mit Schreiben vom 16.03.2015 gegen den Prozesskostenhilfeantrag unter anderem vorgebracht, dass der Kläger eine Forderung der Gesellschaft gegen die H. anerkannt hatte, die nach dem Vortrag des Klägers in der Klageschrift 22.886,08 € und 23.362,08 € beträgt; in dieser Höhe und jeweils zuzüglich Zinsen wurden die Einzelforderungen der Gesellschaft mit Anmeldung vom 29.09.2012 im Verfahren ... angemeldet und auf dieser Grundlage zur Tabelle festgestellt. Nach Zustellung der Klage, welche am 25.08.3015 erfolgte, sah der Angeklagte, wie erläutert, unter Hinweis auf seinen Insolvenzantrag von einer weiteren Verteidigung gegen die Klage ab. Die Forderung des Klägers wurde im eröffneten Insolvenzverfahren ... am 20.11.2015 mit einer Hauptforderung von 45.300,60 € angemeldet und (zuzüglich Zinsen und gerichtlich festgesetzter Kosten) in voller Höhe zur Insolvenztabelle festgestellt; die Forderung wird im Folgenden als "Forderung H." bezeichnet.

- Weiter im Verfahren 3 IN 184/15 zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen des Landes Brandenburg, vertreten durch das Finanzamt ..., der BKK ... und des Landes Brandenburg, vertreten durch Landesjustizkasse, sind erst in der Zeit ab dem 13.10.2015 fällig geworden.

- Das Konto der Gesellschaft ... bei der Volks- und Raiffeisenbank ... wies im Zeitpunkt Kontoauflösung am 20.01.2015 ein Guthaben in Höhe von 77,68 € auf, die an die Gesellschaft ausgezahlt wurden; eine auf das Konto am 12.12.2014 in Höhe von 30.000 € erfolgte Gutschrift war zum31.12.2014 verbraucht. Die Unterlagen für die Konten der Gesellschaft bei der Commerzbank AG ... wiesen in der Zeit vom 31.12.2014 bis zum 31.05.2015 (Kontenschließung) monatliche Salden von bis zu 329 € aus. Kreditlinien waren der Gesellschaft von den Banken nicht eingeräumt. Der Angeklagte war für alle Konten verfügungsberechtigt. Weitere Konten bestanden für die Gesellschaft nicht. Nach der Auswertung der Geschäftsunterlagen stellte die Sachverständige als bereite Mittel ferner fest: Kassenbestand mit 117,65 € und "Anrechenbare Vorsteuer" (Umsatz-Vorsteuerguthaben) mit 7.251,10 € und 26,74 €, die Vorsteuer zusammengerechnet mit 7.275,84 €,

III.

Der Angeklagte hat sich wie folgt zur Sache eingelassen: Im Verfahren der F. GbR habe es Zweifel an der Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegeben, erst im letzten Augenblick sei wider Erwarten eine Prozessvollmacht, unterzeichnet von sämtlichen Gesellschaftern der GbR, vorgelegt worden, womit der Angeklagte nicht habe rechnen müssen. In der genannten Sache habe er unverzüglich Insolvenzantrag gestellt, nachdem er mit einer Verurteilung habe rechnen müssen. Der Insolvenzverwalter der H. habe 2013 oder 2014 mitgeteilt, dass er Geld zurück haben wolle, nach Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrages durch das Landgericht und der Entscheidung des Oberlandesgerichts sei es im September 2015 zum Versäumnisurteil gekommen, die Gesellschaft habe offene Forderungen gegen die H. in Höhe von 46.000 € gehabt. Nach alledem habe er sich nicht wegen Insolvenzverschleppung strafbar gemacht.

Die durch das Strafgericht getroffenen Feststellungen beruhen auf den Angaben der bereits genannten Zeugin aus dem Büro des Insolvenzverwalters L., die sich zu den Ermittlungen und deren Ergebnis im Insolvenzeröffnungsverfahren der Gesellschaft äußerte, den Ausführungen der zur Prüfung eines etwaigen Insolvenzgrundes hinzugezogenen Sachverständigen Wirtschaftsreferentin ... sowie einer Vielzahl von Urkunden, insbesondere aus der Insolvenzakte ... und den Zivilprozessakten 12 O ... und 13 O ...; die Urkunden sind im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Die genannte Sachverständige hat insbesondere an Unterlagen ausgewertet: Die Jahresabschlüsse 2011 bis 2013 und eine betriebswirtschaftliche Auswertung per 31. Dezember 2014 sowie die Summen- und Saldenliste per 31. Dezember 2014 und Ausdrucke einzelner Buchungskonten für 2014, die Anmeldungen zur Forderungstabelle im Verfahren ..., die Geschäfts- und Kontounterlagen des Kontos der Gesellschaft ... bei der Volks- und Raiffeisenbank ... für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis zur Kontoauflösung am 20.01.2015 und die Kontounterlagen der Commerzbank AG für die Konten der Gesellschaft ..., insbesondere für den Zeitraum ab 31.12.2014 bis 31.05.2015.

IV.

Der Angeklagte war freizusprechen, obwohl er sich bei Berücksichtigung aller getroffenen Feststellungen der fahrlässigen Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat. Die Verwirklichung des genannten Straftatbestandes wird im Anschluss zunächst begründet. Der Freispruch stützt sich darauf, dass bei Heranziehung des insolvenzrechtlichen Verwendungsverbotes nicht mehr alle Tatsachengrundlagen berücksichtigt werden dürfen, die für eine Verurteilung erforderlich sind; dies wird in einem gesonderten Abschnitt nach der rechtlichen Bewertung zum Straftatbestand erläutert.

1. Eine Straftat der Insolvenzverschleppung setzt in Fällen der vorliegenden Art für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) im Sinne des Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) nach § 15 Abs. 4 Nr. 1 oder Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) im objektiven Tatbestand voraus, dass die Mitglieder des Vertretungsorgans im Fall, dass die juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet wird, nicht ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag stellen, sondern einen Eröffnungsantrag nicht oder nicht rechtzeitig stellen.

a) Der Angeklagte erfüllte im Tatzeitraum in Bezug auf die Gesellschaft das Tatbestandsmerkmal "Mitglied eines Vertretungsorgans".

Der Geschäftsführer einer GmbH verliert allerdings seine Organstellung kraft Gesetzes, wenn eine persönliche Voraussetzung für dieses Amt gemäß § 6 Abs. 2 GmbHG entfällt (vergleiche BGH, Beschluss vom 03.12.2019, II ZB 18/19, zitiert nach juris Rn. 10). Der Angeklagte verlor von daher mit Rechtskraft (13.11.2014) seiner Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung (Urteil vom 05.11.2014 im Verfahren ... wie in den Ausführungen zu den persönlichen Verhältnissen festgestellt) gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a GmbHG seine Fähigkeit, Geschäftsführer einer GmbH zu sein, was kraft Gesetz die Beendigung der Rechtsstellung des Angeklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft nach sich zog.

Für die strafrechtliche Bewertung in vorliegender Sache ist der rechtlich eingetretene Amtsverlust indessen im Ergebnis ohne Bedeutung, weil von einem Fall der faktischen Geschäftsführung auszugehen ist, mit der Folge, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten wegen Insolvenzverschleppung hiervon unberührt bleibt.

Die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit jeher anerkannte Strafbarkeit des faktischen Geschäftsführers bei unterlassener oder verspäteter Konkurs- oder Insolvenzantragstellung ist durch die Neuregelung in § 15a Abs. 4 InsO nicht entfallen (BGH, Beschluss vom 18.12.2014, 4 StR 323/14, zitiert nach juris). Eine GmbH wird organschaftlich durch die Geschäftsführer vertreten (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). "Mitglied des Vertretungsorgans" der Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Sinne des zitierten Straftatbestandes ist sowohl der gesellschaftsrechtlich ordnungsgemäß bestellte und rechtlich wirksam im Amt bleibende Geschäftsführer als auch der faktische Geschäftsführer. Nach der einschlägigen Rechtsprechung ist als Geschäftsführer auch derjenige anzusehen, der die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen hat, tatsächlich ausübt und gegenüber dem formellen Geschäftsführer eine überragende Stellung einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat (BGH, Beschluss vom 13.12.2012, 5 StR 407/12, zitiert nach juris Rn. 7). Entsprechendes gilt für den vorliegenden Fall, dass die Bestellung wirksam erfolgt, in der Folgezeit aber ein Amtsverlust kraft Gesetzes eingetreten ist.

Für die Beurteilung der Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt und als Konsequenz seines Verhaltens sich wie ein nach dem Gesetz ordnungsgemäß bestelltes Organmitglied zu verantworten hat, kommt es auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens an. Die Verpflichtung zur Stellung des Insolvenzantrags trifft auch denjenigen, der ohne eine solche Organstellung zu bekleiden, tatsächlich wie ein geschäftsführendes Organ tätig wird (BGH, Urteil vom 21.03.1988. II ZR 194/87, zitiert nach juris Rn. 5). Entscheidend ist, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das seiner Art nach die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat (BGH, Urteil vom 27.06.2005, II ZR 113/03, zitiert nach juris Rn. 8). Oder wie in der neueren Rechtsprechung in Strafsachen formuliert wird: Danach muss der faktische Geschäftsführer Geschäftsführerfunktionen in maßgeblichem Umfang übernommen haben, was etwa mit "ein Übergewicht", "eine überragende Stellung" oder "das deutliche Übergewicht" umschrieben wird (BGH, Beschluss vom 23.01.2013, 1 StR 459/12, zitiert nach juris Rn. 33 und 34).

Dass der Angeklagte nach diesen Kriterien Täter einer strafbaren Insolvenzverschleppung sein kann, steht zweifelsfrei fest. Der eingetretene Amtsverlust war ihm überhaupt nicht bewusst. Er hat Geschäftsführerfunktionen allein übernommen, was sich insbesondere daran zeigt, dass er den Insolvenzantrag ausdrücklich "in der Eigenschaft als Geschäftsführer" stellte, gegenüber dem Rechtsanwalt L. über alle Angelegenheiten der Gesellschaft Auskunft erteilen konnte und auch in den genannten Zivilprozessverfahren als Geschäftsführer der Gesellschaft aufgetreten ist. Andere Personen sind im Tatzeitraum nicht in Organfunktion für die Gesellschaft aufgetreten.

b) Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung steht ferner fest, dass die Gesellschaft spätestens ab dem 31.12.2014 und auch danach, insbesondere in der Zeit bis zur Insolvenzantragstellung durch den Angeklagten, zahlungsunfähig war.

Der Schuldner ist nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Im Übrigen gilt: Nicht Zahlungsunfähigkeit, sondern eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 Prozent erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 Prozent oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (vergleiche dazu BGH, Urteil vom 24.05.2005, IX ZR 123/04, zitiert nach juris).

Die Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder (kurzfristig) herbeizuschaffenden Mittel festzustellen. Neben dieser betriebswirtschaftlichen Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit können indes auch wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen wie Häufigkeit der Wechsel- und Scheckproteste, fruchtlose Pfändungen, Ableistung der eidesstattlichen Versicherung einen sicheren Schluss auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erlauben (BGH, Urteil vom 26.02.1987, 1 StR 5/87, zitiert nach juris Rn. 12, 13).

Die auf solche Weise feststellbare Zahlungsunfähigkeit ist, wie bereits erläutert, von der bloßen, straftatbestandlich nicht genügenden Zahlungsstockung abzugrenzen. Dazu muss zusätzlich zur stichtagsbezogenen Gegenüberstellung eine Prognose erstellt werden, ob innerhalb einer Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder Veräußerung von Vermögensgegenständen (BGH, Beschluss vom 10.07.2018, 1 StR 605/16, zitiert nach juris Rn. 3)

Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung bestand unter Heranziehung der betriebswirtschaftlichen Methode für die Gesellschaft am 31.12. 2014 eine Liquiditätslücke von mehr als 10 Prozent und es war mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähig innerhalb einer Drei-Wochen-Frist und auch für die Zeit danach nicht zu rechnen.

In die stichtagsbezogene Gegenüberstellung zum 31.12.2014 sind folgende fälligen Verbindlichkeiten einzustellen: Forderung F. GbR mit 26.016,60 € und die Forderung H. mit 45.300,60 €. Das ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von 71.317,20 €.

Die vorstehend genannten Forderungen sind aus folgenden Erwägungen bei der Prüfung zum Insolvenzgrund in voller Höhe einzustellen: Rechtskräftig titulierte Forderungen von Gläubigern sind als fällige Forderungen in die Gegenüberstellung von Verbindlichkeiten einerseits und liquiden Mitteln andererseits einzustellen. Wird eine geltend gemachte Forderung rechtskräftig zugesprochen, besteht diese von Anfang an und ist deshalb bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen. Die materielle Berechtigung entsprechend titulierter Forderungen ist zwar grundsätzlich nicht im Insolvenzverfahren zu prüfen, sondern außerhalb dessen geltend zu machen. Sind solche Forderungen aber rechtskräftig zuerkannt, müssen sie bei der Bewertung der Zahlungsunfähigkeit berücksichtigt werden. Auf die materielle Richtigkeit der zugrunde liegenden Urteile kommt es dann im Strafverfahren nicht an (BGH, Beschluss vom 10.07.2018, 1 StR 605/16, zitiert nach juris). Die in Rede stehenden Forderungen sind, wie bereits festgestellt, rechtskräftig tituliert, so dass die erläuterten Rechtsregeln insoweit einschlägig sind.

Nicht einzustellen in die Aufstellung der Verbindlichkeiten ist die Forderung D. in Höhe von 2.210,00 €. Das folgt daraus, dass der Insolvenzverwalter diese Forderung im Verfahren ... bestritten hat und der Widerspruch des Verwalters durch den Gläubiger nicht im Rechtswege beseitigt worden ist, was nach Lage der Dinge den Schluss zulässt, dass die Forderungen nicht besteht. Ungeachtet dessen ist die Gesellschaft, wie die weiteren Ausführungen ergeben, unabhängig davon zahlungsunfähig, ob diese Forderung in die Aufstellung übernommen oder darin nicht angesetzt wird.

Eine Klärung betreffend die Forderung M.-B. in Höhe von 1.760,72 € konnte in der Hauptverhandlung nicht abschließend erfolgen. Die abschließende Klärung konnte unterbleiben, weil die Gesellschaft, wie die weiteren Ausführungen ergeben, unabhängig davon zahlungsunfähig ist, ob diese Forderung in die Aufstellung übernommen oder darin nicht angesetzt wird.

In die stichtagsbezogene Gegenüberstellung zum 31.12.2014 sind folgende zur Tilgung der Verbindlichkeiten vorhandenen oder (kurzfristig) herbeizuschaffenden Mittel einzustellen: Kassenbestand mit 117,65 €, Bankguthaben mit 329 € und 77,68 €, zusammen 406,68 € sowie Umsatz-Vorsteuerguthaben mit 7.275,84 €. Das ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von 7.800,17 €, womit Liquiditätslücke der Gesellschaft in Ansehung der fälligen Verbindlichkeiten in Höhe von 71.317,20 € nahezu 90 Prozent betrug.

Die auf den 31.12.2014 angenommene Prognose, wonach mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit innerhalb einer Drei-Wochen-Frist und auch für die Zeit danach nicht zu rechnen war, ergibt sich aus folgenden Feststellungen: Der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft war im Jahr 2014 nahezu zum Erliegen gekommen, für das Jahr 2014 wurden Umsatzerlöse nur noch in Höhe von 315 € erzielt, eine Kreditlinie war nicht vorhanden, werthaltige Forderung der Gesellschaft über die bereits angesetzten Beträge hinaus, mit deren Erfüllung kurzfristig gerechnet werden konnte, bestanden nicht. Die Prognose wird insbesondere dadurch bestätigt, dass am 08.01.2015 der Mietvertrag betreffend den Büroraum der Gesellschaft zum 31.01.2015 gekündigt wurde, dass die letzte Arbeitnehmerin der Gesellschaft zum 31.01.2015 aus dem Unternehmen ausgeschieden ist und, wie bereits ausgeführt, am 20.01.2015 ein Konto aufgelöst wurde.

Nach alledem war die Gesellschaft seit dem 31.12.2014 zahlungsunfähig. In Ansehung dieses Ergebnisses bedarf es keiner Prüfung der Frage, ob die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt oder jedenfalls vor Stellung des Insolvenzantrages überschuldet war oder bis zu diesem Zeitpunkt der Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) nicht vorlag.

2. Dem Angeklagten ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht vorsätzliche Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 Nr. 1 InsO wegen nicht rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages vorzuwerfen, sondern er handelte mit der Stellung des Antrages nicht spätestens drei Wochen nach dem 31.12.2014, sondern erst am 26.05.2015 fahrlässig im Sinne der Strafvorschrift des § 15a Abs. 5 InsO.

a) Im Rahmen von der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO muss der Täter es zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass die wirtschaftliche Situation des betroffenen Unternehmens durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zur Stellung eines Eröffnungsantrags verpflichtet. Nimmt der Täter irrtümlich an, eine Antragspflicht sei wegen Nichtvorliegen eines Insolvenzgrundes nicht entstanden, liegt in Fällen der vorliegenden Art betreffend das normative Tatbestandsmerkmal der Zahlungsunfähigkeit ein Tatbestandsirrtum vor, der gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetzbuches (StGB) den Vorsatz ausschließt (AG Frankfurt (Oder), Urteil vom 29.10.2019, 412 Ds 237 Js 28566/15 (136/17), Rn. 14, zitiert nach juris Rn, 14).

Zur Prüfung der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit ist ferner von folgenden Grundsätzen auszugehen: Die 2. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) als Beschwerdekammer hat mit Beschluss vom 16.08.2019, Aktenzeichen 22 Wi Qs 3/19, womit der Beschluss des erkennenden Gerichts vom 23.05.2019 (AG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 23.05.2019, 412 Cs 237 Js 16150/17 (147/18), juris), durch welchen der Erlass eines von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehls abgelehnt worden ist, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen worden ist, zur Erläuterung der Konsequenzen, die sich aus der zitierten Rechtsprechung, wonach rechtskräftig titulierte Forderungen von Gläubigern als fällige Forderungen im Strafverfahren in die Gegenüberstellung von Verbindlichkeiten und liquiden Mitteln einzustellen sind, ohne dass es auf die materielle Richtigkeit der zugrunde liegenden Urteile ankommt, unter anderem ausgeführt:

"Diese objektive Rückbeziehung kann jedoch nicht ohne weiteres auch in subjektiver Hinsicht angenommen werden. Zu klären ist insoweit vielmehr die Frage, inwieweit die Organe des Schuldners die betreffende, nunmehr rechtskräftige Forderung bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der die streitige Forderung betreffende Rechtstreit noch nicht entschieden oder ggf. noch gar nicht eingeleitet worden war, unberücksichtigt lassen durften. Dies setzt stets eine Ex-ante-Betrachtung voraus. Sprachen ernsthafte Gründe für eine erfolgreiche Abwehr des Anspruchs, so war es auch demjenigen, der schließlich als Schuldner erkannt wurde, gestattet, sich gegen eine gerichtliche Inanspruchnahme zu verteidigen. Wer jedoch einen Anspruch lediglich pauschal bestreitet oder sich mit sonstigen fadenscheinigen Argumenten wehrt, ist nicht schutzwürdig und muss sich die Rückbeziehung auf den Zeitpunkt der Fälligkeit auch subjektiv entgegen halten lassen (Seite 6 des Beschlussabdrucks; die Entscheidung ist, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht).

Nach den erläuterten Kriterien war der Angeklagte im Irrtum über das Bestehen einer Antragspflicht, was nach Lage der Dinge einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum nach sich zieht.

Hiernach ist es dem Angeklagten in subjektiver Hinsicht schon nicht im Sinne eines strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens vorzuwerfen, dass er die Forderung der H. nicht zum Anlass genommen hat, vor dem 26.05.2015 einen Insolvenzantrag zu stellen.

Wie sich aus den Feststellungen ergibt, stand der fälligen Forderung des Insolvenzverwalters der H. in Höhe von 45.300 € eine Forderung der Gesellschaft gegen die H. in Höhe von 46.248,16 € gegenüber. Der Angeklagte rechnete der Sache nach auf, indem er sich mit dem zitierten Schreiben vom 16.03.2015 im Verfahren 13 O ... auf die Forderung der Gesellschaft berief. Die allgemeinen Aufrechnungsregeln der §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches werden allerdings durch die Vorschriften der §§ 94 bis 96 InsO modifiziert. Nach dem Grundsatz des § 94 InsO ist eine Aufrechnung möglich, wenn der Insolvenzgläubiger bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechnen könnte. Dies war vorliegend nicht der Fall, da die Gesellschaft mit dem durch Insolvenzanfechtung ausgelösten Anspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zivilrechtlich schuldig geworden ist und die Aufrechnung der Gesellschaft daher gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig war. Diese Bewertung der Sach- und Rechtslage setzt indessen besonderes Wissen des Insolvenzrechts voraus, das vom Angeklagten nicht erwartet werden kann, so dass aus seiner Sicht "ernsthafte Gründe für eine erfolgreiche Abwehr des Anspruchs" sprachen, was ein strafrechtliches Verschulden bezüglich der erfolgten Berufung auf die Aufrechnung gegen die Forderung der H. ausschließt.

Betreffend die Forderung der F. GbR und die Forderung M.-B. ist ebenfalls kein Vorsatz anzunehmen. Der Angeklagte ging, wie von ihm glaubhaft in der Hauptverhandlung vorgetragen und durch seine Ausführungen im Insolvenzverfahren belegt, davon aus, dass die Insolvenzantragspflicht erst mit einer Verurteilung im Zivilverfahren 12 O ... entstehen werde. Im in den Feststellungen auszugsweise zitierten Insolvenzantrag wies der Angeklagte ausdrücklich auf die Information hin, die er durch seinen Anwalt erhalten hat. In dem hiermit in Bezug genommenen Schriftsatz heißt es: "Sehr geehrter Herr H., in der oben angegebenen Angelegenheit hatte ich Ihnen empfohlen, Insolvenzantrag zu stellen, wenn Sie nicht in der Lage sein sollten die geforderten Zahlungen im Rechtsstreit G. K. GbR gegen H. GmbH zu bezahlen. Zunächst hatten wir in diesem Verfahren sehr gute Erfolgsaussichten, die Gegenseite hat erhebliche Fehler gemacht, so dass ich im laufenden Verfahren durchaus die Hoffnung hatte, dass wir dieses Verfahren erfolgreich beenden könnten. Leider war das Gericht nicht dazu bereit auf der damaligen Basis eine Entscheidung zu treffen. Inzwischen hat die Gegenseite sämtliche Fehler und Ungenauigkeiten beseitigt." Auf diese Bewertung seines Anwalts hat sich der Angeklagte verlassen und darauf durfte er sich verlassen. Die im Strafverfahren wegen versuchten Betruges getroffenen Feststellungen stehen der Verneinung des Vorsatzes nicht entgegen; dort heißt zwar, dass der Angeklagte die fehlerhaften Überweisungen "erkennen konnte", aber nicht, dass sie erkannt hat. Bezüglich der Forderung M.-B. fehlt der Vorsatz bereits deshalb, weil bei Heranziehung allein dieser Forderung noch ausreichend bereite Mittel vorhanden waren, um die Forderung zu erfüllen.

b) Der Angeklagte verwirklichte indessen fahrlässig den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung im in Rede stehenden Zeitraum.

Hinsichtlich der Forderung der F. GbR fehlen "ernsthafte Gründe für eine erfolgreiche Abwehr des Anspruchs", was nach Lage der Dinge den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens nach sich zieht. Derartige Gründen bestanden nicht mehr, nachdem das Zivilgericht in der Verhandlung am 12.09.2014, an welcher der Angeklagte persönlich teilnahm, ausweislich des Sitzungsprotokolls insbesondere folgende Hinweise erteilt hatte: "Das Gericht führte aus, dass es die Klägerin aufgrund der Abtretung vom 02.08.2014 für aktivlegitimiert erachtet. ... Das Gericht führte aus, dass es die Klägerin aufgrund der Abtretung vom 02.08.2014 für aktivlegitimiert erachtet. ... Der abgetretene Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung besteht grundsätzlich. Die Parteien streiten wie bereits kurz dargelegt, um die Frage, ob die Zahlungen als Mietzahlungen der Beklagten zugewendet wurden. Die Klägerin hat dafür Beweis durch Zeugnis angetreten. Die Beklagte wurde darauf hingewiesen, dass der Entreicherungseinwand bisher pauschal und unsubstantiiert ist. Darüber hinaus ist das Vorbringen teilweise widersprüchlich, weil ein Verbrauch behauptet wird, gleichzeitig aber dargelegt wird, dass man zur Zahlung der allgemeinen Kosten nicht auf die geleisteten Zahlungen der G. AG & Co. KG zurückgreifen hätten müssen. Weiter führte das Gericht aus, dass es die Beklagte nicht für gutgläubig erachtet. Die Beklagte haftet verschärft spätestens ab der zweiten bzw. dritten erfolgten Überweisung des Mietzinses." In Ansehung dieser Erläuterungen des Gerichts gab es keine Gründe mehr, von einem Misserfolg der Klage ausgehen zu dürfen. Dieser Erkenntnis verschloss sich der Angeklagte pflichtwidrig.

Auch bei Berücksichtigung nur der Verbindlichkeit in Höhe von 26.016,60 € war die Gesellschaft zahlungsunfähig. Der Angeklagte hätte in Ansehung der festgestellten Umstände, insbesondere nach den Hinweisen des Landgerichts, zu dem Schluss kommen müssen, dass ein Insolvenzantrag zu stellen ist.

V.

1. Im hier in den Blick zu nehmenden Insolvenzantrags- und -eröffnungsverfahren hat der Schuldner im Fall eines, wie vom Angeklagten gestellt, zulässigen Insolvenzantrages nach § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Insolvenzgericht die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über den Antrag erforderlich sind, und nach § 20 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten unter anderem die in Rede stehenden Regelungen betreffend die Strafverfolgung nach § 97 Abs. 1 Satz 1 und 3, § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO entsprechend.

Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 und 3 InsO darf eine Auskunft, die der Schuldner im eröffneten Insolvenzverfahren gemäß seiner Verpflichtung, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben, erteilt, in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gegen den Schuldner oder einen in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen des Schuldners nur mit Zustimmung des Schuldners, welche vorliegend nicht erteilt ist, verwendet werden. Ist der Schuldner, wie in vorliegender Sache, keine natürliche Person, sondern eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, so gilt gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO die vorstehend zitierte Regelung entsprechend für die Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans, also auch für einen Geschäftsführer.

Die in Rede stehende Verpflichtung, unter anderem die Forderungen der Gläubiger gegenüber dem Insolvenzgericht offenbaren zu müssen, ist nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nicht zu beanstanden. Die durch Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Rechtsposition des Schuldners findet ihre Grenze an den Rechten anderer. Das Grundrecht gebietet daher keinen lückenlosen Schutz gegen Selbstbezichtigungen ohne Rücksicht darauf, ob dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden. Handelt es sich hingegen um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen, und die aktuelle Gesetzeslage ist insoweit verfassungskonform.

In einem strafrechtlichen Verfahren steht dem Geschäftsführer des Schuldners aus verfassungsrechtlich relevanten Gründen ein Schweigerecht zu; die Verwertung erzwungener Aussagen ist unzulässig. Dieses Schweigerecht wäre illusorisch, wenn eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbezichtigung gegen seinen Willen strafrechtlich gegen ihn verwertet werden dürfte. Der bloße Umstand, dass dem Schuldner im Interesse seiner Gläubiger eine uneingeschränkte Auskunftspflicht zuzumuten ist, rechtfertigt es nicht, dass er zugleich zu seiner Verurteilung beitragen muss und dass die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weitergehende Möglichkeiten erlangen als in anderen Fällen der Strafverfolgung (vergleiche dazu BVerfG, Beschluss vom 13.01.1981, 1 BvR 116/77, zitiert nach juris Rn. 27).

Die dargestellten Vorschriften normieren nicht nur ein Beweisverwertungsverbot, sondern ein umfassendes Verwendungsverbot. Mit diesem Verbot ist es möglicherweise bereits nicht vereinbar, dass die Angaben, die der Schuldner bzw. dessen Geschäftsführer im Insolvenzverfahren gemacht hat, ohne dessen Zustimmung an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden, um Ermittlungen gegen diesen oder gegen seine Angehörigen zu führen, jedenfalls dürfen im Insolvenzverfahren erteilte Auskünfte nicht als Ausgangspunkt für strafrechtliche Ermittlungen dienen (vergleiche dazu Landgericht Potsdam, Beschluss vom 24.04.2007, 27 Ns 23/06, insbesondere RN 10, zitiert nach juris).

Dieses Verständnis der Vorschrift hat seinen Grund nicht nur in deren Wortlaut, wonach nicht nur die Verwertung, sondern jede Verwendung der einschlägiger Angaben aus dem Insolvenzverfahren im Strafverfahren verboten ist, sondern auch im verfassungsrechtlich begründeten Verbot der Selbstbelastung (Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes), wonach die Regelung, wie bereits erläutert, als Ausgleich dafür besteht, dass im Insolvenzverfahren, wie sich aus den bereits dargestellten Vorschriften der Insolvenzordnung ergibt, Auskünfte erzwungen werden dürfen, zu denen ein Beschuldigter im Strafverfahren in Ausübung der strafprozessualen Schweigerechte nicht verpflichtet ist.

2. Hiervon ausgehend dürfen die Forderungen aus der Zeit vor Stellung des Insolvenzantrages nicht für eine Verurteilung des Angeklagten herangezogen werden, was in Ansehung der verbleibenden Tatsachengrundlagen einen Freispruch nach sich zieht.

Die Forderungen M.-B., F. GbR und D. gab der Angeklagte, wie bereits festgestellt, im Fragebogen am 25.06.2015 gegenüber dem Insolvenzgericht an, nachdem er zuvor vom Insolvenzgericht hierzu aufgefordert worden war, und zwar unter Hinweis auf seine Pflicht, über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse vollständig und wahrheitsgemäß Auskunft zu erteilen, und mit Hinweis auf die dem Insolvenzgericht zur Durchsetzung dieser Pflicht gesetzlich eingeräumten Zwangsmittel. Die Angaben zur Forderung H. reichte er, noch in Erfüllung der erläuterten Pflicht handelnd, gesondert an das Insolvenzgericht.

Die von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) auf die Strafanzeige des Insolvenzverwalters L, vom 29.05.2017 und nach erfolgter Auswertung der Insolvenzakte durchgeführten Ermittlungen gehen hinsichtlich des hier allein in den Blick zu nehmenden Straftatbestandes der Insolvenzverschleppung auf die erläuterten Angaben des Angeklagten zurück, was aus den erläuterten Gründen zur Unverwertbarkeit der Feststellungen betreffend die Forderungen führt. Die Strafanzeige wird, soweit hier von Interesse, auf das Gutachten aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren gestützt, welches, wie bereits ausgeführt, auf die Angaben des Angeklagten zurückgeht.

Ungeachtet dessen ist sind die tatsächlichen Feststellungen betreffend die Forderung der H. auch dann nicht zu verwenden, wenn die Ansicht vertreten wird, die insoweit durch den Angeklagten nicht bereits im genannten Fragebogen, sondern erst danach dem Insolvenzgericht erteilte Auskunft, begründe nach § 20 InsO kein Verwendungsverbot.

Dass dem so ist, folgt daraus, dass der Angeklagte entsprechende Angaben am 16.07.2020 gegenüber der von dem Rechtsanwalt L. beauftragten Zeugin H. gemacht hat.

Die Auskunftspflicht des Schuldners besteht auch gegenüber einem vom Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren bestellten Sachverständigen, da dieser seine Ermittlungen für das Gericht durchführt (vergleiche Voß in: Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 20 InsO, Randnummer 11, zitiert nach juris). Letzteres ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Insolvenzgericht, wie dies gerichtsbekannt in den einschlägigen Beschlüssen des Insolvenzgerichts geschieht, die Auskunftsperson wie folgt in die Pflicht nimmt: "Die Schuldnerin hat dem Sachverständigen Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten und sie ihm auf Verlangen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens herauszugeben. Die Schuldnerin hat alle Auskünfte zu erteilen, die zur Aufklärung der schuldnerischen Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlich sind einschließlich Vermögenswerten oder Rechten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland belegen sind."

Mit dem zitierten Beschlussinhalt hat das Insolvenzgericht von seiner Befugnis nach § 4 InsO in Verbindung mit § 404a Abs. 4 der Zivilprozessordnung Gebrauch gemacht, wonach das Gericht bestimmt, in welchem Umfang der Sachverständige zur Aufklärung der Beweisfrage befugt ist, inwieweit er mit den Parteien in Verbindung treten darf und wann er ihnen die Teilnahme an seinen Ermittlungen zu gestatten hat. Eine derartige Übertragung der Tatsachenfeststellung auf den Sachverständigen, wie mit dem zitierten Beschluss erfolgt, ist zulässig, jedenfalls aber als wirksam erfolgt hinzunehmen (vergleiche dazu Greger in: Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 404a ZPO, Rn. 4, zitiert nach juris); die dargestellte Rechtsstellung des Schuldners zum Schutz vor Bestrafung wird hiervon nicht nachteilig berührt (Abgrenzung zu Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 12.08.2010, 1 Ss 45/10, zitiert nach juris Rn. 12).

3. Die vorstehend dargestellte Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts zum Anwendungsbereich und zu den rechtlichen Konsequenzen des Verwendungsverbotes, die in anderem Zusammenhang ausführlich begründet worden ist (vergleiche AG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 14.08.2019, 412 Cs 237 Js 4412/18 (72/19), juris), hat in der Literatur sowohl Ablehnung (vergleiche dazu Bittmann, Insolvenzstrafrechtlich bedeutsame Rechtsprechung v. a. des BGH aus den Jahren 2018/19, NZWiSt 2020, 129, 138; Werner in: BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert, 17. Edition, Stand: 15.01.2020 Rn. 18) als auch Zustimmung (vergleiche Köllner, Aktuelle strafrechtliche Fragen in Krise und Insolvenz, NZI 2020, 15, 16; Windau in: BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert. 17. Edition. Stand: 15.01.2020 Rn. 42) gefunden. In der neuer Rechtsprechung haben die 4. Strafkammer mit Beschluss vom 28.01.2020, 24 Qs 44/19, und die 3. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 10.02.2020, 24 Qs 44/19, die hier vertretene Auffassung gebilligt.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Amtsgericht Frankfurt (Oder) Urteil, 12. März 2020 - 412 Cs 147/18

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